Keine Zeit für Besuche?!
Ein Erfahrungsbericht

Philipp-Richard Schulz

© P.-R. Schulz, online seit: 13.02.2019, aktualisiert: 23.03.2019

Leitvers: Jakobus 1,27

Körperlich war die Schwester zu schwach, um noch die Zusammenkünfte besuchen oder das Haus verlassen zu können. Seit mehreren Jahren war sie pflegebedürftig und einen großen Teil der Zeit auch bettlägerig. Geistig hingegen war sie noch sehr lebendig. Ihr reges Interesse an jedem Einzelnen führte dazu, dass sie über das Leben der einzelnen Geschwister zum Teil besser Bescheid wusste als all die Geschwister, die sich Woche für Woche in den Versammlungsstunden trafen. Und nicht nur dass sie etwas über das Leben der anderen wusste, nein, sie brachte auch die vielen Geschwister im Gebet vor ihren Herrn. Auch ihr Glaube und die Zuversicht, die sie aus ihrer Beziehung zum Heiland zog, waren beeindruckend. Kurzum, sie zu besuchen war weniger eine schwierige Aufgabe als vielmehr ein schöner Dienst, der auch dem Besucher jedes Mal zum Segen wurde.

Es lag uns schon seit längerer Zeit auf dem Herzen, die alte Schwester wieder zu besuchen. Wie immer war es schwer, einen möglichen Termin zu finden; erst recht, da wir die Terminsuche wenig zielstrebig angingen. Verschiedene Ideen, mit einigen Geschwistern unseres Alters gemeinsam die Schwester zu besuchen und einige Lieder zu singen, stießen auf wenig Resonanz. So gingen die Wochen dahin.

Als sich endlich ein Termin gefunden hatte und auch einige Freunde bereit waren, uns zu begleiten, versuchten wir, ihre Kinder zu erreichen, um uns anzumelden. Nachdem der einmalige Anruf unbeantwortet blieb, verlief sich auch dieser Versuch im Sande. Die stressige Weihnachtszeit kam, dann Urlaub, dann wieder Alltag …

Am vergangenen Samstagabend sagte ich zu meiner Frau: „Wir haben Schwester Soundso noch immer nicht besucht. Sollte sie heimgehen, bevor wir bei ihr waren, werde ich wohl für lange Zeit ein schlechtes Gewissen haben.“

Heute (Montagmorgen) um 6 Uhr hat der Herr die liebe Schwester abgerufen. Sie durfte in Frieden einschlafen.

Jakobus schreibt an seine Briefempfänger:

Jak 1,27: Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott und dem Vater ist dieser: Waisen und Witwen in ihrer Drangsal zu besuchen, sich selbst von der Welt unbefleckt zu erhalten.

Wie steht es bei uns mit diesem Dienst, der hier als „reiner und unbefleckter Gottesdienst“ beschrieben wird? Kommen solche Besuche bei einsamen, kranken und hilfsbedürftigen Geschwistern (oder auch Menschen im Allgemeinen) im Alltagsgetriebe viel zu kurz? Ist unser Alltag – und damit meine ich auch den Versammlungsalltag – nicht völlig überfüllt mit Terminen, die auch alle deutlich wichtiger scheinen als ein Besuch bei einer alten Schwester? Jakobus bringt mit seiner Aussage unsere Prioritätensetzung mächtig durcheinander.

Vielleicht meinst du, dass solche Besuche ja von den älteren und berenteten Geschwistern durchgeführt werden können und sollten, es sei ja ohnehin nicht so sehr eine Sache für junge Leute, Gespräche am Krankenbett und mit Geschwistern in Not zu führen. Aber redet die Schrift so? Der zweite Teil im eben genannten Vers macht deutlich, dass Jakobus nicht eine bestimmte Gruppe von Geschwistern und auch keine bestimmte Altersgruppe meint. Denn „sich selbst von der Welt unbefleckt zu erhalten“ ist ein Gebot, das jeden Christen persönlich meint.

Lasst uns Gottes Gebote ernst nehmen. Wie oft wünschen wir uns klare Aussagen über unser Tun und Handeln. Hier haben wir nun eine klare Beschreibung, was Gott wohlgefällig ist und Ihn ehrt. Wir tun gut daran, seinen Anweisungen zu folgen. Und wie immer, wenn wir Gottes Gebote tun, wird es auch hier letztendlich zu unserem Segen ausschlagen. Wie viel Mut für unser Glaubensleben kann solch ein Besuch geben; wie gut ist es, (gerade bei alten Geschwistern) ihren Ausgang anzuschauen und von ihrem Glauben zu profitieren (Heb 13,7)!

Weiterhin reicht es eben nicht, sich lose vorzunehmen, man könnte ja so einen Besuch mal durchführen. Das oben beschriebene Erlebnis ist für meine Frau und mich eine sehr ernste Mahnung. Denn wenn wir um diese Aufgabe wissen und sie nicht tun, dann werden wir schuldig: „Wer nun weiß, Gutes zu tun, und tut es nicht, dem ist es Sünde“ (Jak 4,17).

Wie gut, dass wir auch mit dieser Schuld zum Herrn kommen, sie bekennen und uns beugen dürfen. Dann haben wir seine sichere Zusage, dass uns vergeben ist. Und trotzdem ist es unsere Pflicht, Konsequenzen aus dem Geschehenen zu ziehen. Für uns als Ehepaar war es eine Lehre, die uns gegebene Zeit zu nutzen und die Dienste, die der Herr uns aufträgt, zielstrebig auszuführen. Möge der Herr Gelingen schenken, das in der Zukunft so zu leben.

Lasst uns heute anfangen, seinen Aufträgen Folge zu leisten. Wer von uns weiß schon, wie viel Zeit er dazu noch hat?

„Gebt nun acht, wie ihr sorgfältig wandelt, nicht als Unweise, sondern als Weise, die die gelegene Zeit auskaufen“ (Eph 5,15.16).

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