Gottes Gegenwart in der Versammlung
1. Korinther 12,11

William Trotter

© CSV, online seit: 23.04.2004, aktualisiert: 06.07.2023

Leitvers: 1. Korinther 12,11

1Kor 12,11: Alles dies aber wirkt ein und derselbe Geist, einem jeden insbesondere austeilend, wie er will.

Anmerkung der Redaktion
Dies ist der erste Brief einer Reihe von insgesamt fünf Briefen von W. Trotter, die man als die literarische Grundlage für den Ablauf der Brüderversammlungen im Allgemeinen betrachten kann. Wir als SoundWords-Redaktion halten sie nach wie vor für sehr wertvoll und beachtenswert, obwohl manche Aussagen eher auf geistlicher „Intuition“ – die immer ihren Wert hat – als auf klaren Anweisungen des Wortes Gottes beruht. Wir haben an einigen wenigen Stellen Kommentare eingeführt, nicht etwa deswegen, weil wir uns für geistlicher halten als der von uns sehr geschätzte Bruder des 19. Jahrhunderts. Es ging uns allein darum, auf bestimmte Missverständnisse und Probleme hinzuweisen, die sich im Laufe der Zeit aus manchen seiner Aussagen entwickelt haben.

Brief 1

Die Gläubigen sind, wie der Apostel Paulus an die Korinther schreibt, alle in einem Geist zu einem Leib getauft worden, es seien Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie. Alle sind Glieder eines Leibes, des Leibes Christi, und jedes einzelne Glied ist an diesem Leib gesetzt, so wie es Gott gefallen hat. Keins kann sich selbst einen Platz aussuchen oder seinen Platz beliebig verändern, und nur da, wo Gott es hingestellt hat, kann es nützlich sein und dem ganzen Leib zur Förderung dienen.

Diese Wahrheit ist uns seit Jahren wieder bekannt geworden und, fast möchte ich sagen, vielen von uns in Fleisch und Blut übergegangen. Ebenso die andere Wahrheit: dass ein Geist diesen einen Leib beseelt, dass ein Band alle seine Glieder umschlingt und dass wir berufen sind, diese Einheit des Geistes zu bewahren in dem Band des Friedens.

Aber zwischen Lehre und praktischer Ausführung besteht ein Unterschied; ja es zeigt sich nicht selten zwischen beiden ein auffallender Gegensatz. Wir sind eben alle irrende und fehlende Menschen und bedürfen immer wieder der Erinnerung und Zurechtweisung, wenn wir in unserem gemeinsamen Wandel und Zeugnis glücklich und gesegnet sein wollen und den zu verherrlichen wünschen, zu dessen Namen hin wir versammelt sind.

Es gibt im Blick auf die praktische Leitung des Heiligen Geistes Dinge, die nur durch Übung erlernt werden können. Die Erfahrung macht uns erst Bedürfnisse fühlbar, die nur göttliche Belehrung zu stillen vermag. Die bereits berührte Wahrheit von dem Wohnen des Heiligen Geistes in „dem Leib“, der Versammlung oder Gemeinde, sowie von seiner Gegenwart und Leitung in den Zusammenkünften der Gläubigen ist, wenn nicht die wichtigste, so doch eine der wichtigsten Wahrheiten, die das Christentum kennzeichnen.

  • Anmerkung der Redaktion:
    An dieser Stelle wird eine besondere Leitung des Geistes hervorgehoben, die die Schrift aber so nicht kennt – die Schrift lehrt sowohl in Römer 8 als auch in 1. Korinther 12 nicht eine besondere Leitung in der Zusammenkunft, sondern sie drückt sich stets ganz allgemein aus, so dass ein Gläubiger stets vom Geist Gottes geleitet werden soll.

Die Leugnung dieser Wahrheit in Lehre oder Praxis ist daher ein sicheres und ernstes Kennzeichen des Verfalls. Sobald eine christliche Körperschaft, mag sie auch aus lauter wahren Gläubigen bestehen, anstatt der Leitung des Heiligen Geistes irgendwelche menschliche Leitung durch „Geistlichkeit“, Vorstand, Konferenzen oder etwas dergleichen anerkennt oder irgendeiner festgesetzten kirchlichen Form und Einrichtung folgt, steht sie nicht mehr auf dem Boden der göttlichen Wahrheit und macht es allen, die nur dem Wort und Willen Gottes folgen möchten, unmöglich, mit ihr in Gemeinschaft zu sein.

  • Anmerkung der Redaktion:
    Hieraus sollte man aber auch nicht den Schluss ziehen, dass jegliche Leiterschaft in der Gemeinde dem Wort Gottes widerspricht, denn die Heilige Schrift spricht häufig von solchen, die in neutestamentlichen Zeiten eine gewisse Führerschaft oder Leitungsfunktion übernommen haben.

Eine von diesem Übel abgesonderte Stellung einzunehmen, mag Schwierigkeiten aller Art im Gefolge haben, aber ein treues, der Wahrheit unterwürfiges Herz wird dadurch nicht in seiner Überzeugung erschüttert werden können, wird auch kein Verlangen spüren, zu irgendeiner menschlichen Autorität zurückzukehren, durch deren Aufrichtung die christliche Kirche so ernst gefehlt und gesündigt hat.

Man kann indes die Wahrheit und die Wichtigkeit der Gegenwart des Heiligen Geistes durchaus anerkennen und doch vergessen, dass sie eine Tatsache ist. Der Glaube, der zur Verwirklichung dieser Tatsache für uns nötig ist, kann nicht einfältig genug sein. Wir verlieren sie nur zu leicht aus dem Auge. Würden wir uns stets in dem tiefen Bewusstsein zusammenfinden, dass Gott selbst in unserer Mitte gegenwärtig ist, und würde dieses Bewusstsein während unseres Versammeltseins in uns allen lebendig bleiben, welch gesegnete Wirkungen würden sich offenbaren, welch ein heiliger Ernst würde auf der ganzen Versammlung ruhen! Und es ist doch eine unleugbare Tatsache: So wirklich einst Christus bei seinen Jüngern auf der Erde war, so wohnt der Heilige Geist jetzt in den Gläubigen und ist da in ihrer Mitte gegenwärtig, wo sie sich einfältig um Jesus scharen.

Allerdings wird diese Gegenwart nicht durch unsere äußeren Sinne wahrgenommen; unser Auge schaut den Heiligen Geist nicht so, wie einst die Jünger Jesus sahen. Wäre es der Fall, welch ernsten Gefühle würden dann unsere Herzen beherrschen! Welch heilige Stille, welch ehrfurchtsvolle Aufmerksamkeit, welch demütiges Warten auf Ihn würde die Folge sein! Es ist wahr: Alles voreilige Wesen, jede Ruhelosigkeit und eitle Neigung, sich hervorzutun und etwas sein zu wollen, würden verschwinden. Nun aber frage ich: Sollte die Tatsache der Gegenwart des Heiligen Geistes weniger Einfluss auf uns haben, weil sie eine Sache des Glaubens, nicht des Schauens ist? Ist Er, weil unsichtbar, weniger wirklich gegenwärtig? Die arme Welt kann Ihn nicht empfangen, „weil sie ihn nicht sieht noch kennt“; aber wollen wir den Platz der Welt einnehmen und unser Vorrecht aufgeben? Der Herr Jesus sagt: „Ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Sachwalter geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit, den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht noch ihn kennt. Ihr aber kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein“ (Joh 14,16.17).

„Ihr aber kennt ihn.“ Ach! Möchte das mehr bei uns allen Wirklichkeit werden! Was uns in unseren Tagen so besonders mangelt, ist gerade der Glaube an seine persönliche Gegenwart. Wir haben gewiss alle schon Zeiten erlebt, in denen seine Gegenwart in unserer Mitte verwirklicht wurde. Und wie gesegnet waren solche Stunden! Gab es stille Pausen, so wurden sie in ernstem Warten auf Gott zugebracht – nicht in unruhiger Erwartung, welcher Bruder wohl nun beten oder reden würde, nicht mit dem Blättern in Bibel oder Liederbuch, um etwas zum Vorlesen oder Singen Passendes zu finden; ebenso wenig mit ängstlichen Überlegungen, was wohl manche der Anwesenden von dem längeren Schweigen denken möchten. Gott war da, und die Herzen waren mit Ihm beschäftigt. Hätte jemand in einem solchen Augenblick den Mund geöffnet, nur um das Schweigen zu brechen, so würde man es als eine wirkliche Störung empfunden haben.

  • Anmerkung der Redaktion:
    Leider hat man heute oft den Eindruck, dass nicht deshalb geschwiegen wird, weil sich die Herzen still mit Ihm beschäftigen, sondern weil die Herzen eben gerade so leer sind. Dann kann so ein Satz natürlich nur eine billige Entschuldigung sein. Auch das Blättern in der Bibel oder im Liederbuch ist nur dann nicht in Ordnung, wenn es orientierungslos nur deswegen geschieht, um die Stille zu unterbrechen. Wenn ich jedoch einen Gedanken habe und mich vergewissern möchte, ob eine Stelle und ein Lied, an die ich denke, das auch wirklich ausdrücken, dann ist es nicht nur nicht falsch, hier nachzuschlagen, sondern sogar dringend nötig, um nicht – in der falschen Einbildung, vom Geist geleitet zu sein – zum Beispiel ein falsches Lied vorzuschlagen: „Ich will beten mit dem Geist, aber ich will auch beten mit dem Verstand; ich will lobsingen mit dem Geist, aber ich will auch lobsingen mit dem Verstand“ (1Kor 14,15). Diesen Fehler kann man leider vor allen Dingen in Gemeinden beobachten, in denen aus der Tradition dieses Gedankens das Nachschauen in der Bibel und im Liederbuch während der Pausen verpönt ist.

Wie ganz anders aber war der Eindruck, wenn die Stille unterbrochen wurde durch ein Gebet, das den Gefühlen und Wünschen der Versammelten Ausdruck verlieh, oder durch Vorschlagen eines Liedes, in das alle mit ganzer Seele einstimmen konnten, oder durch ein Wort, das sich mit Kraft an die Herzen und Gewissen wandte! Und obwohl beim Vorschlagen der Lieder, beim Beten und Reden verschiedene Personen tätig gewesen waren, hatte doch die ganze Versammlung das Gefühl, dass „ein und derselbe Geist“ alles so geleitet hatte, so als ob jene Personen sich vorher darüber verständigt und jedem Einzelnen seinen Platz und Dienst angewiesen hätten. Der Heilige Geist war durch die verschiedenen Glieder des Leibes, je nach dem ihnen verliehenen Platz, tätig gewesen, um den Bedürfnissen der Versammlung zu begegnen oder ihre Anbetung zum Ausdruck zu bringen.

Und nun, so mochte man wieder fragen: Warum sollte es nicht immer so sein? Ich wiederhole: Die Gegenwart des Heiligen Geistes ist eine Tatsache, nicht bloß eine Lehre. Und sicher gibt es im Blick auf unsere Zusammenkünfte kaum eine Tatsache, die von größerer Wichtigkeit wäre als gerade diese. Die Gegenwart des Heiligen Geistes bedeutet nicht nur, dass die Versammlung nicht nach einer menschlichen, im Voraus bestimmten Ordnung geleitet werden darf;

  • Anmerkung der Redaktion:
    Diese Aussage halten wir in ihrer Absolutheit für bedenklich, da es ohne menschliche Ordnung und gewisse Vorherbestimmung gar nicht abgehen kann. Es wird vorher festgelegt, wann die Versammlung anfängt, wie lange sie ungefähr dauern soll und was das Thema sein soll (Brotbrechen, Predigt, Gebet). Bei einer fortlaufenden Wortbetrachtung steht sogar das Thema oder Kapitel vorher fest. Genauso ist es nicht zwingend gegen die Leitung des Geistes, wenn sich Brüder über einen bestimmten Dienst am Sonntag vorher einig werden, siehe unseren Artikel „Die Wortverkündigung langweilig …?!“.

wenn Er gegenwärtig ist, so soll niemand in derselben einen Platz einnehmen, den Er ihm nicht angewiesen, und für den Er ihn nicht befähigt hat. Ist Er gegenwärtig, so will Er auch die Versammlung leiten. Und darin besteht gerade die so oft besprochene Freiheit des Dienstes, dass der Heilige Geist frei wirken kann, durch wen Er will. Diese Freiheit wird nicht nur dadurch vernichtet, dass eine einzige Person alles leitet, sondern auch dadurch, dass sich mehrere Personen zusammentun, um die Leitung der Versammlung zu übernehmen. In beiden Fällen handeln Menschen, vielleicht in bester Absicht, weil sie die Freiheit dafür zu haben meinen; anstatt jene Leitung dem Heiligen Geist zu überlassen und sich seinem Willen zu unterwerfen, treten sie an seinen Platz und folgen ihren Gedanken.

  • Anmerkung der Redaktion:
    Wenn hier daran gedacht ist, das ein bestimmter, dauerhaft festgelegter Kreis diese Leitung hat und die anderen Geschwister als „Laien“ nichts dazu beizutragen haben, ist das unbedingt wahr. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass der Heilige Geist nicht auch einmal Brüder, die besonders die Verantwortung für die Gemeinde fühlen, dazu bringt, sich unter der Leitung des Geistes, unter der sie ja nicht nur während der Versammlungsstunde stehen, auf ein bestimmtes Thema und einen bestimmten Sprecher oder über eine bestimmte Einleitung in ein Anbetungsthema zu einigen.

Ein wirklicher, einfältiger Glaube an die Gegenwart des Heiligen Geistes bringt alle diese Dinge in Ordnung. Er wird, wie wir aus vielfacher Erfahrung wissen, niemals beschämt. Er leitet auch dahin, nicht etwa deshalb schweigen und sich der Tätigkeit enthalten zu wollen, weil dieser oder jener Bruder gegenwärtig ist. Dass ein jeder nicht nur auf das Seine, sondern auch auf das der anderen sehen soll (Phil 2,4), ist wahr, aber es darf nicht dahin führen, dass man einer Person oder Gabe eine übermäßige Bedeutung beilegt. Besser wäre es, wenn selbst Anordnungen aller Art zum Vorschein kämen, damit der wahre Zustand der Versammlung ans Licht träte, als dass infolge der Anwesenheit jener einen Person dieser Zustand verborgen bliebe. Möchten wir doch jederzeit die Gegenwart des Heiligen Geistes so verwirklichen, dass niemand den Mund öffnen würde, es sei denn unter seiner Leitung und Einwirkung, und dass alles fernbliebe, was seiner und des Namens Jesu, der uns versammelt, unwürdig ist!

In Verbindung mit dem letzten Gedanken sei noch an eine Stelle im Alten Testament erinnert. Sie ist bekannt und schon oft angeführt worden und wird doch so leicht wieder vergessen. Sie lautet: „Bewahre deinen Fuß, wenn du zum Haus Gottes gehst; und nahen, um zu hören, ist besser, als wenn die Toren Schlachtopfer geben: Denn sie haben keine Erkenntnis, so dass sie Böses tun. Sei nicht vorschnell mit deinem Mund, und dein Herz eile nicht, ein Wort vor Gott hervorzubringen; denn Gott ist im Himmel, und du bist auf der Erde: Darum seien deiner Worte wenige“ (Pred 5,1.2). Die Gnade, in der wir stehen, hat uns einen freien Zugang zu Gott gegeben, aber dennoch dürfen wir nie vergessen, dass der, den wir als Vater anrufen, der dreimal heilige Gott ist. Die Erinnerung daran wird uns vor jeder Unehrerbietigkeit und Voreiligkeit bewahren. Wir werden uns sorgfältig davor hüten, unsere Freiheit zu missbrauchen, sei es im Umgang mit Gott oder in seinem Dienst anderen gegenüber. Ja, wenn der Gläubige im Alten Bund sich daran erinnern sollte, dass Gott im Himmel und er auf der Erde war, so ist für uns das Bewusstsein, einerseits Gott, den Heiligen Geist, in unserer Mitte zu haben und andererseits in das Heiligtum droben eintreten zu dürfen, wirklich ein noch viel wichtigerer Beweggrund zu einer heiligen Scheu und gottseligen Furcht.

Nächster Teil


Originaltitel: „Ein und derselbe Geist“ 
aus Ermunterung und Ermahnung, Jg. 18, 1964, S. 132ff.;
übersetzt aus Five Letters on Worship and Ministry in the Spirit, 1857

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