Ich bin reich … und brauche nichts!
Das Sendschreiben in Offenbarung 3 an Laodizea

Willem Johannes Ouweneel

© SoundWords, online seit: 22.12.2001, aktualisiert: 17.11.2022

Anmerkung der Redaktion
Dieser Artikel geht auf einen Vortrag über „Philadelphia und Laodizea" zurück (es handelt sich hierbei um den zweiten Teil), der in einer bestimmten Notsituation innerhalb der Brüderbewegung gehalten wurde. Insofern ist zu bedenken, dass es sich hierbei nicht um eine Auslegung von Offenbarung 3 handelt, sondern um eine Anwendung des Briefes an Laodizea auf Herz, Gewissen und Praxis.

Leitverse: Offenbarung 3,7-22

Laodizea geht aus Philadelphia hervor

Ich weiß noch, das allererste Mal – ich weiß es nicht selbst, ich habe es nur gehört –, dass Bruder Heijkoop hier nach Deutschland kam nach dem Krieg und Bruder Heijkoop sagte: „Sardes geht aus Thyatira hervor (der Protestantismus aus dem Katholizismus), die Brüderbewegung – Philadelphia – geht aus Sardes hervor, Laodizea geht aus Philadelphia hervor.“ Laodizea, das ist nicht die evangelische Kirche, sie ist Sardes und sie wird immer Sardes bleiben, sie kann nichts anderes werden. Und auch in Sardes gibt es Überwinder, das muss ich auch mal ganz deutlich sagen, wie es heutzutage im Katholizismus Überwinder gibt, in Thyatira, und sie werden mit dem Herrn regieren, und in Sardes gibt es solche, die reine, weiße Kleider haben. …

Und so ist es in Philadelphia, aber Laodizea geht aus Philadelphia hervor. Wir leben in der Laodizea-Zeit. Philadelphia ist nicht mehr das Auffallende, ist die Ausnahme geworden. Hört ihr das? In Deutschland ist Philadelphia die Ausnahme geworden, man muss mit einer Laterne Philadelphia suchen. Das, was vor Augen ist, ist Laodizea. Und das heißt einfach, dass Laodizea Ex-Philadelphianer sind, die ihre Krone verloren haben.

Was bedeutet Laodizea?

Laodizea bedeutet: das Recht des Volkes. Laos ist „Volk“, woher auch das Wort „Laie“ kommt, und dike bedeutet „Recht“ oder „Gerechtigkeit“, aber auch – Watchman Nee übersetzt das so – „die Meinungen der Menschen, Auffassungen von Menschen“.

Menschliche Einrichtungen und Bruderliebe

Ich bin immer froh, wenn ich in einem Empfehlungsbrief lese, dass jemand aus einer Gemeinde kommt „ohne menschliche Einrichtungen“. Ich denke: Hurra, diese Gemeinde muss ich unbedingt mal besuchen! Denn es ist sehr selten, eine Gemeinde zu finden – und nach den Empfehlungsbriefen müsste es viele solcher Gemeinden geben –, wo es keine menschlichen Einrichtungen gibt. Ich kenne Gemeinden, wo es viele von solchen menschlichen Einrichtungen gibt. Wo Männer und Frauen unbedingt getrennt sitzen müssen – das ist eine menschliche Einrichtung; wo der Tisch nur zwischen den Brüdern, nicht zwischen den Schwestern stehen darf – das ist menschliche Einrichtung, denn alles, was nicht aus der Bibel hervorgeht oder auch nicht indirekt aus der Bibel abgeleitet werden kann, das sind menschliche Einrichtungen. Es sind menschliche Einrichtungen, dass die Zusammenkunft immer mit einem Lied anfangen muss und dass in den ersten vierzig Minuten das Brot nicht gebrochen werden darf und dass nach dem Brotbrechen zuerst ein Lied gesungen muss und dass dann mehrere Gebete ausgesprochen werden müssen – das ist alles eine ungeschriebene Liturgie, das ist nicht die Freiheit, die Spontaneität, die Begeisterung des Geistes, das sind menschliche Einrichtungen. Es ist eine menschliche Einrichtung, dass die langen Haare der Frauen immer aufgebunden sein müssen; es ist eine menschliche Einrichtung – obwohl das etwas verschwunden ist –, dass Brüder keinen Bart haben dürfen.

Und so kann ich eine ganz lange Liste aufzählen. Es ist eine menschliche Einrichtung – na, was hat das für Sinn? Ihr könnt das alles ergänzen. Und ich rede hier nicht einfach über Gewohnheiten. Der Herr Jesus hatte auch Gewohnheiten: Er ging nach Gewohnheit in die Synagoge, das ist eine gute Gewohnheit; Er ging nach Gewohnheit in den Garten Gethsemane, um zu beten, das ist eine gute Gewohnheit. Aber wenn Gewohnheiten Regeln werden, wovon man nicht abweichen darf, dann wird das zu Gesprächen in der Brüderstunde führen oder man bekommt Brüderbesuch; wenn das also Gesetze werden, dann hat man mit einer Gemeinde zu tun mit menschlichen Einrichtungen. Das ist Laodizea. Laodizea ist dort, wo das laos, wo das Volk, die Menschen oder eine Mehrheit der Menschen bestimmt, wie gedacht werden soll, wie gemeint, wie argumentiert werden soll, wie gelebt werden soll, wie die Regeln eingesetzt werden sollen usw.

Wenn man nur die beiden Namen von Laodizea und Philadelphia miteinander vergleichen würde, dann könnte man eine Stunde lang darüber nachdenken. Bruderliebe (= Philadelphia) und menschliche Einrichtungen. Bruderliebe, wobei man einander erträgt, wobei es sogar möglich ist, einen Bruder ohne Schlips zu ertragen – ist das nur ein Beispiel, ich könnte wieder so viele nennen –, wo man sich erträgt; wo man erträgt, dass ein Bruder mal ganz anders denkt über gewisse Punkte, die überhaupt nicht die Grundlage des Christentums berühren; wo man einander erträgt, wenn der andere anders ist, wo das nicht beängstigend ist, wenn die absolute Einheitlichkeit, die Uniformität mal durchbrochen wird, denn Einheitlichkeit ist das 1-Prinzip: 1 Volk! 1 Sprache! Und der Herr sagt: „Ich werde das verwirren.“ Und ich habe Angst, dass wir in der Zeit dieser großen Verwirrung angekommen sind, wo das alles zerbricht, weil es menschliche Einrichtungen sind.

Was ist ein Zeugnis?

Wenn es hier heißt: „Dieses sagt der Amen, der treue und wahrhaftige Zeuge“, dann stellt der Herr sich hier uns gegenüber, und Er sagt: „Ihr ein Zeugnis? Ich bin der treue und wahrhaftige Zeuge!“ Es ist auffallend, dass wir so gerne das beliebte Wort „Zeugnis“ benutzen. Was ist ein Zeugnis? Ich habe es auch oft gesagt, ich sage es manchmal noch, diese Sprache steckt uns allen in dem Kopf, und wenn man etwas Gutes damit meint, ist es auch nicht so schlimm, aber was könnte man damit meinen? Was könnte ein Zeugnis sein? Ein Zeugnis muss immer ein Zeugnis von etwas sein. Ein Zeugnis bezeugt etwas. Man muss also fragen können: Wovon ist es ein Zeugnis? Zuallererst ist natürlich: ein Zeugnis vom Herrn. In einem Dorf besteht ein Zeugnis. Ich frage: Ist dort im Dorf ein Zeugnis? „Ja, da ist ein Zeugnis.“ Dann frage ich: Was bedeutet das? „Das bedeutet, dass alle im Dorf wissen: Dort wird der Herr Jesus großgemacht. Dort sind Menschen, die dem Herrn Jesus angehören.“ Das ist ein Zeugnis. Ein Zeugnis ist nicht, dass man sagt: „Dort sind die Leute, die meinen, dass sie es nur wissen oder die alles am besten wissen.“ Das ist kein Zeugnis, das ist genau das Umgekehrte, das ist eine Anklage für den Herrn. Oder man sagt: „ein Zeugnis der Einheit des Leibes“. Ein Zeugnis für die Einheit? Wenn man sich über die anderen stellt, alles besser weiß, wenn man sagt: „Nur bei uns im Saal“ (während da noch einige bibeltreue Gläubige sich woanders im Dorf versammeln), „nur bei uns im Saal ist der Herr in der Mitte, nur wir haben den Tisch des Herrn“ – das ist kein Zeugnis für die Einheit, das ist ein Zeugnis für die eigene Überheblichkeit. Wenn man sich über die anderen stellt, da sagt der Herr zu Laodizea: „Ich bin der treue und wahrhaftige Zeuge“, und Er sagt das, weil unser Zeugnis in jeder Hinsicht versagt hat.

Wie sieht es mit dem Evangelisieren aus?

Ich wage es zu sagen: Eine Versammlung, die nicht evangelisiert, ist überhaupt keine Gemeinde.

Hierzu ein kurzer Gedanke von C.H. Mackintosh:

Ich glaube, dass der Christ, der keine evangelistische Gesinnung pflegt und offenbart, in einem echt bedauernswerten Zustand ist. Ich glaube ebenfalls, dass die Versammlung, die keine evangelistische Gesinnung pflegt und offenbart, in einem toten Zustand ist. Eins der sichersten Kennzeichen geistlichen Wachstums und Frische – sei es persönlich oder als Versammlung – ist ein ernsthaftes Sorgen um die Bekehrung von Seelen. … Es ist schwer, zu glauben, dass das Wort Christi reichlich in jemand wohnt, der sich nicht einmal die Mühe macht, dieses Wort seinen Mit-„Sündern“ weiterzusagen. Dabei ist es nicht entscheidend, wie weit die Anstrengungen gehen. Es mögen einige Worte sein, die man an einen Freund richtet, die Weitergabe eines Traktats, das Schreiben eines Briefes oder das Sprechen eines Gebets. Aber eins ist sicher, dass nämlich ein gesunder, kräftiger Christ ein evangelisierender Christ ist, der die Frohe Botschaft weitersagt, jemand, dessen Mitempfinden, Verlangen und Tatkraft sich immer auf die Gegenden „darüber hinaus“ richten wird. „Ich muss auch den anderen Städten das Reich Gottes verkündigen, denn dazu bin ich gesandt“ (Lk 4,43). Das war die Sprache des wahren Evangelisten.[1]

Eine Versammlung – und es gibt Versammlungen in Deutschland, die schon Jahre und Jahre nicht mehr evangelisiert haben, manchmal mit der Lehre: Aber eine Versammlung evangelisiert auch nicht. O.k., dann sage ich, dann wollen doch alle Geschwister in dieser Versammlung vereinzelt evangelisieren, aber das machen die auch nicht –, eine Versammlung, die nicht evangelisiert aus irgendwelchem Grund, ist überhaupt kein Zeugnis, denn sie bezeugt überhaupt nichts mehr; ihre Existenz ist doch nicht ein ausreichendes Zeugnis! Für was wäre das denn ein Zeugnis? Eine Versammlung, wo in den letzten zehn Jahren keiner mehr hinzugekommen ist von auswärts, aus der Welt zum Glauben gekommen oder aus anderen Gemeinschaften aus tiefer Überzeugung, aus Sardes oder aus Thyatira gekommen ist, ist keine Versammlung. Ich meine nicht, wenn einer gekommen ist aus einer anderen bibeltreuen Gemeinde, das bringt ja nichts, das ist „the circulation of the saints“, wie ein Freund von mir in Kanada sagt, das sind Gläubige, die von der einen bibeltreuen Gemeinde zu der anderen hin- und herschieben, das meine ich nicht. Ich meine solche, die entweder aus der Welt oder aus Thyatira und Sardes gekommen sind. Wie viel sind das bei euch in der Versammlung in den letzten zehn Jahren gewesen? Wenn man sagen muss: Keiner, ja, wovon sind wir denn dann überhaupt ein Zeugnis? Dann sagt der Herr: „Ich bin der treue und wahrhaftige Zeuge.“

Hierzu ein kurzer Gedanken von J.N.Darby:

Ich wäre äußerst betrübt, wenn Brüder aufhörten, eine evangelisierende Schar von Christen zu sein. In der Tat, sie würden ihren geistlichen Standpunkt nach und nach aufgeben und würden – wenn nicht in der Theorie, so doch in der Praxis – höchstwahrscheinlich sektiererisch werden, weil das weitende Prinzip der Liebe nicht mehr da wäre.[2]

Wie wird man lau?

„Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist.“ Kalt sind die Ungläubigen, sie sind noch nie warm gewesen. Warm sind die Treuen in Thyatira, die Treuen in Sardes, warm ist Philadelphia. Laodizea ist lau. Watchman Nee schreibt: Nur dann kann man lau sein, wenn man zuerst warm gewesen ist.

Hierzu ein Gedanke von A. Miller:

Die letzte Phase der Kirchengeschichte, mit der wir uns beschäftigen sollten, ist identisch mit Laodizea. Diese Versammlung ist sehr begünstigt worden als Gegenstand apostolischer Gebete (Kol 2,1), als der Empfänger apostolischer Briefe (Kol 4,16), wahrscheinlich als der Ort apostolischer Arbeit. Sie war weder durch moralische Unordnung noch durch böse Lehren gekennzeichnet. Soweit wir wissen, war schriftgemäße Ordnung in Kraft vorhanden, die göttlichen Anweisungen wurden beobachtet, und alles ging mit maschinengleicher Regelmäßigkeit vor sich. In der Tat, alles scheint an seinem Platz gewesen zu sein, außer dem Mittelpunkt. Christus war statt in der Mitte – ohne Zweifel rühmten sie sich, Er wäre es – draußen.
Laodizea ist Philadelphia auf lauwarme Temperatur herabgekühlt. Es ist selbstzufrieden und voller Gleichgültigkeit. Dies ist keine Atmosphäre, die irgendwelchen Erweckungen förderlich ist.[3]

Nur solche, die Philadelphia waren, können lau werden. Im großen Ganzen gesprochen ist Thyatira kalt; von Sardes wird gesagt, es ist tot, es hat den Namen zu leben, aber es ist tot, solche Leute können gar nicht lau werden – ich rede jetzt nicht mehr über die Treuen –, solche können überhaupt nicht lau werden. Lau kann man nur werden, wenn man warm gewesen ist. Ich denke daran zurück – ich war nicht dabei, aber man hat so manches gelesen –, wie hier die Versammlungen entstanden sind im Dillkreis, im Siegerland, im Westerwald, wie das im Anfang gegangen ist, welche blühende Zeugnisse das gewesen sind, welch eine Wärme, als es noch keine menschlichen Einrichtungen gab, als das noch alles frisch war, als noch keine Regeln bestanden außer denen des Wortes Gottes, als noch eine Frische, eine Freiheit da war, als noch jeder sich wirklich anheim fühlte in den Zusammenkünften, als noch jeder sich selbst sein konnte – welch eine Frische, welch eine Spontanität!

Wenn wir lau geworden sind, liebe Geschwister, wenn das alles schon längst verschwunden ist, wenn der Ablauf der Zusammenkunft von vornherein vorausgesagt werden kann, wenn die kleinen Kinder schon genau wissen, wie der Ablauf der Sonntagmorgenstunde sein wird, weil es jeden Sonntag immer dasselbe ist – andere Lieder, aber selbst, ist mir aufgefallen, die Abschnitte, die oft vorgelesen werden, ich habe ja sehr viele Versammlungen in Deutschland besucht –, es sind überall nur eine kleine Anzahl von Abschnitten, die überall gelesen werden, und das, das macht mich stutzig, dann denke ich: Wie ist das möglich? Geht die Einheitlichkeit so weit? Wir haben heute morgen einige Abschnitte gelesen, die habe ich noch nie in einer deutschen Versammlung gehört am Sonntagmorgen. Das war erfrischend. Nicht dass es darum jetzt geht, solche ganz originelle Abschnitte zu lesen, darum geht es nicht; es geht um die Frische, die Spontaneität, wobei es mal anders gehen kann, als wie man das gewohnt ist, und dass es nicht so festgefahren ist, so dass die Geschwister nach Hause gehen: „Wie war es heute morgen? Wie seid ihr da rausgekommen? Habt ihr wirklich eine Begegnung mit dem Herrn gehabt? Habt ihr wirklich gespürt in euren Herzen: Die Gegenwart Gottes war hier?“ Wir lesen in 1. Korinther 14, was geschieht, wenn die Gegenwart Gottes da ist: Da kommt ein Ungläubiger hinein, der fällt auf sein Angesicht, und er sagt: „Gott ist hier!“ Oder wir lesen, was da geschieht in Apostelgeschichte 4, als sie eine Gebetsstunde anfingen über die Bedrängnisse und als der Ort, wo sie waren, in Bewegung gesetzt wurde und sie alle mit dem Heiligen Geist erfüllt wurden. Und wir sagen: Ja, aber das war früher; wir leben in einer anderen Zeit, wir leben in den Zeiten der kleinen Dinge.

Warum gibt es keine Erweckung?

Frag mal: Wer von euch betet um eine Erweckung? Ich werde euch sagen: Sehr, sehr wenige. Aus zwei Gründen: Erstens, weil die Brüder uns lehren, es gibt keine Erweckung mehr – als ob man Gott vorschreiben kann, was Er will; wenn Er im Westerwald eine Erweckung geben will, wer kann Ihm das verbieten? Und welche Schriftstellen gibt es, dass Gott sagt: Im Westerwald gibt es keine Erweckungen mehr? Der zweite Grund, warum es keine Erweckung aber geben wird in den Brüderversammlungen, ist, weil, wenn Erweckung kommt, das würde eine gewaltige Unruhe bringen, und das ist wohl das Allerletzte, was die deutschen Brüderversammlungen wollen: Unruhe. Aber eine Erweckung Gottes schmeißt uns alle um, rüttelt die Versammlungen auf und wird eine gewaltige Unruhe bringen, so wie die Entstehung der Brüderversammlungen im Westerwald, im Siegerland eine gewaltige Unruhe gegeben hat, wie die Reformation eine gewaltige Unruhe gegeben hat, sogar Religionskriege, das wollen wir natürlich nicht, aber eine Unruhe! Natürlich, wenn ein Teil der Versammlung oder eine ganze Versammlung plötzlich aufwacht und neu das Wort entdeckt, ganz besonders neu den Herrn entdeckt, ganz neue Erfahrungen mit Ihm macht, wenn der Ort, wo sie sind, in Bewegung gesetzt wird von dem Heiligen Geist, das wird eine Unruhe bringen, das kann ich euch versichern. Und da werden viele Brüder sagen: Das stimmt nicht, was da geschieht, denn Unruhe, das ist nicht vom Herrn. Unruhe darf es nicht geben – wir wollen Ruhe, wir wollen Frieden. Das heißt: Wir wollen weiterschlafen. Denn das ist die höchste Ruhe, wenn man schläft.

„Wir wollen keine Unruhe.“ Und deshalb gibt der Herr auch keine Erweckung unter uns. Nicht weil das nach der Schrift verboten sei, in der Endzeit noch Erweckungen zu geben, aber weil wir das gar nicht wollen. Wir wollen keine Erweckung, denn Erweckungen bringen eine gewaltige Unruhe, das kann ich euch versichern, ich wiederhole es. Wollen wir das? Ich bin bereit dazu, dass der Herr mich in solch eine Unruhe bringt, dass du sagst: Ja, du redest schön, du reist überall herum und erzählst schöne Dinge aus dem Wort, aber ich will dich jetzt mal in eine heilige Unruhe bringen, denn bei dir stimmt auch so manches nicht.  Wer von euch ist bereit, das zu sagen: Ich bin bereit, Herr, mich in diese Unruhe versetzen zu lassen, damit ich mal völlig aufgerüttelt werde. Ich habe vielleicht den anderen gepredigt, aber, Herr, jetzt wird es vielleicht endlich Zeit, dass ich durcheinandergeschüttelt werde. Herr, setze mich in Unruhe, damit ich wieder eine ganz neue Ruhe finde, aber nicht die Ruhe des Schlafes, sondern die Ruhe der ganz innigen persönlichen Gemeinschaft mit dir.

Wir haben jetzt einige Brüder bei uns in Utrecht, die regelmäßig beten in der Gebetsstunde: „Herr, gib uns eine Erweckung!“ Und immer wieder schlägt mir das Herz, wenn sie es tun, ich habe es selbst noch nicht einmal mir getraut, immer schlägt mir das Herz, denn ich denke: Herr, wenn du es wirklich machen würdest – welch eine Unruhe! Ich habe gehört von Versammlungen, von Gemeinden, besser gesagt, von Gemeinden, wo jetzt eine Erweckung entstand, und die Brüder haben gesagt: „Herr, hör auf!“ Die schliefen nicht mehr, die mussten sich mit den Neubekehrten beschäftigen, die mussten sich mit Geschwistern beschäftigen, die nach Jahren anfingen, ihre Sünden zu bekennen, und die Brüder, die sich damit beschäftigen mussten, konnten nicht mehr schlafen, die waren Tag und Nacht damit beschäftigt, mit Neubekehrten, mit Geschwistern, die Buße getan haben, und alles war in der größten Unruhe. Sie haben sich riesig gefreut, aber sie haben gesagt: „Herr, wir können es fast nicht mehr verkraften. Herr, hör auf, es ist zu viel!“ Denn wenn der Herr anfängt, dieses Wasser über uns auszuschütten, da ertrinkt man fast darin. Deshalb haben wir überhaupt keinen Mut. Ich habe auch wenig Mut zu bitten: Herr, gib uns eine Erweckung! Gib uns eine neue Belebung! Ich bete irgendwie doch zu Hause mit meiner Frau dafür: Herr, ich sage es nochmals, gib uns, schenke uns einen begehbaren Weg!

Ich bin reich …

„Ich bin reich und bin reich geworden.“ Wir kennen das alles.

Hierzu ein kurzer Gedanke von W.J. Hocking:

Da wir also mit anderen Gliedern verbunden sind, sollten wir an sie denken. In diesen letzten Tagen sollten wir danach trachten, seine Gedanken über die ganze Versammlung auf Erden zu erkennen. Der Herr hat uns in der Offenbarung eine synoptische Schau der Geschichte der Versammlung gegeben. Was waren unsere Gefühle, als wir die sieben Briefe lasen? (Off 2; 3) Haben nicht einige von uns in fleischlichem Stolz gesagt: „Gott sei Dank gehöre ich nicht zu Laodizea, sondern zu Philadelphia“? Haben nicht einige von uns im Herzen gesagt: „Ich bin reich, ich habe geistliche Reichtümer, die meine Brüder draußen nicht haben“? Lasst uns den Brief an Laodizea lesen, als wenn er an uns gerichtet sei. Wir kennen unsere geistliche Armut in Gottes Augen nicht. Wenn wir nur diesen Platz in Staub und Asche vor Ihm einnehmen wollten. Dann ist Er bereit, uns zu segnen? Ich bin gewiss, Er wird es tun. Wir müssen jedoch unseren Platz einnehmen als solche, die gegen Ihn und sein Wort gesündigt haben. Der Herr hat uns sein Wort gegeben, aber wir haben versäumt, Ihm zu gehorchen und danach zu leben.[4]

„Wir haben das alles. Wir brauchen nichts.“ Wie oft habe ich es nicht gehört: „Unser wunderbares Schrifttum!“ Liebe Geschwister, ich kann euch sagen: Das deutsche Schrifttum der Brüderbewegung ist – ich traue mir fast nicht, es zu sagen – sehr arm. Ich kann es zum Glück gut beweisen, deshalb ist es leicht. Wir haben fast keine Vers-für-Vers-Betrachtungen in der deutschen Sprache über irgendein Bibelbuch. Vers für Vers, also nicht Überblicke über ein Kapitel, Vers-für-Vers-Betrachtungen. Über wie viele Bibelbücher gibt es Vers-für-Vers-Betrachtungen, in der deutschen Sprache aus der Brüderbewegung hervorgegangen? Es gibt zahllose Themen, über welche die Brüder nie etwas geschrieben haben in der deutschen Sprache, wo wir andere Literatur hinzunehmen müssen, um darüber zu lernen. Wenn man das ganze Schrifttum übersieht, kann keiner von uns nur mit diesem Schrifttum eingehend die Schrift studieren, besonders solche, die etwas vom Grundtext lernen, weil es so wenig Vers-für-Vers-Betrachtungen gibt, und es gibt viele Themen heutzutage, die uns beschäftigen, die unsere Jugend beschäftigen in den Schulen, worüber unsere Brüder kaum etwas wissen, geschweige denn, dass sie darüber geschrieben haben. Das Schrifttum ist arm! Und wir sagen: „Wir sind reich, wir sind reich geworden, wir brauchen keine Telos-Bücher, wir brauchen das nicht, wir haben alles, wir haben genug, wir haben alles, wir haben Überfluss!“ Man denkt sich: Brüder, wann wollen wir doch Augensalbe kaufen, zu sehen, dass der Herr Großartiges tut heutzutage auf schriftlichem Gebiet, wenn man die vielen Veröffentlichungen sieht in vielen Ländern – und am allerwenigsten von der Brüderbewegung, aber aus vielen Richtungen. Und ich freue mich, danke dem Herrn für das, was Er schenkt, was Er so vielen Christen geschenkt hat, wovon ich profitieren kann und andere profitieren können. Und manche sagen: „Wir sind reich, wir haben alles, wir brauchen keine anderen Schriften.“ Das ist wirklich unglaublich! Und der Herr sagt: „Wann wollt ihr denn endlich die Augensalbe kaufen und euch die Augen salben, damit ihr wieder sehen möget? Damit ihr seht, dass ihr jämmerlich und elend und arm und blind und bloß seid, dass ihr nackt seid, dass ihr fast nichts habt außer dessen, was ihr selbst euch zusammengemacht habt!“

Gibt es noch Hoffnung?

Liebe Geschwister, es gibt einen Weg zurück, denn der Herr sagt, damit möchte ich enden, der Herr sagt zu Laodizea: „Wer überwindet“ – das ist unsere Hoffnung! Das ist der Strohhalm, an den wir uns festklammern, dass es auch für Laodizea-Gemeinden einen Ausweg gibt, indem der Herr sagt: „Wer überwindet“! Was heißt das? Dass man in solch einer Umgebung überwinden kann. Überwindung bedeutet in den sieben Briefen immer, dass man gerade die Gefahren, die in einer Gemeinde bestehen, überwindet, dass man sich aus diesen Gefahren hinausarbeitet. Wer überwindet, wer also innerhalb einer Laodizea-Gemeinde ist – und es wird hier nicht gesagt, dass man da gleich weggehen muss –, aber wenn man in einer Laodizea-Gemeinde sein Herz öffnet, weil der Herr draußen steht, außerhalb der Tür und anklopft, wenn also jemand – Einzahl, persönlich, nicht Gemeinde, Einzahl! –, wenn ein Bruder, eine Schwester in solch einer Gemeinde sein/ihr Herz öffnet und die Tür auftut, „zu dem werde ich eingehen und das Abendbrot mit ihm essen, und er mit mir“.

Der Herr kann in einer Laodizea-Gemeinde nicht sein, Er steht außerhalb der Tür und klopft an, aber Er hat einen Weg, um hineinzukommen. Wenn da vereinzelte Gläubige sind, wenn jemand die Tür öffnet – und in vielen Laodizea-Gemeinden in Deutschland gibt es solche Geschwister, die persönlich eine enge, tiefe, geistliche Beziehung zum Herrn haben –, dann kommt der Herr durch diese Beziehung doch wieder hinein irgendwie. Und deshalb sind sie dann doch noch in solch einer Gemeinde zum Segen. Das Wort sagt hier nicht, ich möchte es wiederholen, dass, wenn man feststellen mus, ich bin in einer Laodizea-Gemeinde, dass man immer sofort hinausgehen muss. Solange man überwindet, das heißt in solch einer Umgebung seine eigene persönliche tiefe Beziehung zum Herrn aufrechterhält, so dass der Herr zu dir kommen kann und in deinem Leben, in deinem Herzen, in deinem Kämmerlein mit dir das Abendbrot essen kann, Gemeinschaft üben kann, und du mit ihm.

Ich bin hier nicht nach Deutschland gekommen, um zu sagen: Ihr müsst alle raus. Wohin sollt ihr? Oder, das ist noch nicht das Wichtigste, diese Frage ist noch beantwortbar, aber ich habe nicht das Recht, das irgendeinem zu sagen. Selbst wenn man festgestellt hat: Ich bin in einer Laodizea-Gemeinde, dann gibt es doch einen Weg des Sieges, indem man persönlich den Herrn zulässt in sein Leben, um da vielleicht erst mal eine heilige Unruhe zu bringen, so dass man aufgerüttelt wird und man manche Dinge hinausarbeiten muss, wegtun muss, sich wegreinigen muss von manchen Dingen. Aber dann kommt der Herr hinein, da hast du Gemeinschaft mit Ihm, und dann kannst du das überstehen, was am Ort ist. Und wenn man das nicht kann, dann sagt der Herr zu anderen, die hinausgetan werden oder nicht bleiben können, aus nervlichen Gründen schon mal nicht, dann sagt der Herr: „Für euch habe ich eine geöffnete Tür, die niemand schließen kann; kein Bruder, keine Schwester, keine Führerschaft, kein System, keine menschliche Einrichtung kann euch diese Tür verschließen.“ Es gibt einen Weg, das ist der Weg mit dem Herrn. Innerhalb von Laodizea selbst bleibt dieser Weg immer offen. Aber außerhalb Laodizeas, wenn man nicht zurückwill nach Sardes und Thyatira – und wer würde das wollen? –, gibt es diesen Weg: eine geöffnete Tür. Und der Herr sagt: „Ich bin mit dir. Ihr werdet eine kleine Kraft haben, das ist nicht das Problem. Zwei oder drei genügen, um sich zu versammeln. Ihr werdet kleine Kraft haben, ihr werdet euch Sorge machen: Wie muss das mit den Kindern weitergehen? Und all diese Dinge.“ Aber manche machen sich auch Sorgen, wie soll das mit den Kindern weitergehen, wenn wir bleiben, wo wir sind? So muss jeder für sich sich mit dieser Frage abfinden vor dem Herrn: „Herr, was ist deine geöffnete Tür für mich?“

Liebe Geschwister, das ist das Einzige. Ich kann euch den Weg nicht zeigen. Wir können einander nur auf das Wort hinweisen, damit der Herr in deinem Denken, in deinem Herzen, in meinem Denken genauso gut, Gelegenheit bekommt, ganz persönlich in der Stille, in unserem Kämmerlein einem jeden von uns einen begehbaren Weg zu zeigen. Ein begehbarer Weg ist nicht der leichte Weg, sondern ist der Weg, für den der Herr die Tür geöffnet hat. Und das ist eine Tür, die niemand schließen kann. Ich bete, dass der Herr euch alle reich segnen möge, ganz persönlich. Ich weiß durch die Gespräche und durch die Kontakte, die ich zu manchen von euch habe, dass viele hier in großer persönlicher Not sind. Ich bete, dass der Herr euch einen Ausweg zeigen möge.


Dieser zweite Teil eines Vortrages (1995) wurde von Michael Schneider zur Verfügung gestellt und von SoundWords leicht angepasst.

Anmerkungen

[1] C.H. Mackintosh, „Papers on Evangelization“ in Miscellaneous Writings, Bd. 3, Neptune, New Jersey, 1966, S. 10.

[2] J. N. Darby, Letters, Bd. 2, S. 324.

[3] A. Miller, aus Hilfe und Nahrung, 1979, S. 195.

[4] W.J. Hocking, aus Hilfe und Nahrung, 1979, S. 196.

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