Leitverse: 1. Samuel 16,1-3
1Sam 16,1-3: Und der HERR sprach zu Samuel: Wie lange willst du um Saul trauern, den ich doch verworfen habe, dass er nicht mehr König über Israel sei? Fülle dein Horn mit Öl und geh hin! Ich will dich zu dem Bethlehemiter Isai senden; denn ich habe mir unter seinen Söhnen einen zum König ausersehen. Und Samuel antwortete: Wie kann ich hingehen? Wenn Saul es hört, so wird er mich umbringen. Der HERR sprach: Nimm eine junge Kuh mit dir und sage: Ich bin gekommen, um dem HERRN zu opfern! Und lade Isai zum Schlachtopfer, und ich werde dir zu erkennen geben, was du tun sollst! Und du sollst mir den salben, den ich dir nennen werde.
(Lies außerdem 1. Mose 12,10-20; 20; 26,1-11; 2. Mose 1,15-22 und Josua 2.)
Ist Lügen vielleicht sogar gerechtfertigt? Ist Täuschen dasselbe wie Lügen? War der Prophet Samuel in Täuschung verwickelt? Diese und andere Fragen kommen unweigerlich auf, sofort nachdem wir die ersten paar Verse von 1. Samuel 16 gelesen haben. Auf einmal stecken wir mitten im Bereich der biblischen Ethik. Was genau lehrt uns die Bibel über Lügen und Täuschen? Eine schnelle und kurze Antwort ist nicht einfach. In der Tat, es ist eine ziemliche Übung in Ethik, eine gut durchdachte und auf die Bibel basierende Antwort zu geben.
Bevor wir diesen schwierigen Fall von Samuel analysieren, wird es hilfreich sein, kurz andere biblische Fälle zu betrachten, wo dieselben Fragen aufkommen. Die Lügen des Abraham (1Mo 12; 20) und des Isaak (1Mo 26) wegen ihrer Frauen werfen kein wirkliches Problem gegenüber dem biblischen Grundfels der Ethik „Du sollst nicht lügen“ auf. Abraham und Isaak logen, und es war ganz klar verkehrt. Die Bibel hat nicht nur die Glaubenstaten der Patriarchen aufgezeichnet, sondern ebenso ihre Fehler. Abraham und Isaak erhielten beide Eintritt in die „Hall of Faith“ in Hebräer 11, aber sicher nicht für ihre Lügen. Es ist nicht nötig, Abraham aus der Verantwortung zu nehmen, indem man seine Sünde eine „gute Lüge“ (oder Notlüge) nennt, denn Sarah war seine Halbschwester. Und damals wurde in der Bibel sicherlich nicht eine „Der-Zweck-heiligt-die-Mittel“-Ethik im Falle Abrahams und Isaaks gelehrt. Das Ende war die egoistische Befreiung von den eigenen Umständen auf Kosten der Reinheit der Ehefrauen. In jedem Fall endet das Lügen immer in tragischen Ergebnissen, und nur durch Gottes Gnade wurde das Desaster verhindert.
Was ist mit dem Fall Rahabs? Sie log definitiv, um die hebräischen Spione zu schützen, und Gott bewahrte sie und ihr ganzes Haus, als Jericho zerstört wurde. Wie auch immer, die Bibel sagt nicht, dass Rahab gesegnet wurde, weil sie gelogen hatte, sondern aufgrund ihres Glaubens an den HERRN, den Gott Israels (Jos 2,11). Ihre Glaubenstat, das Empfangen der Spione (Heb 11,31), deren Verstecken (Jos 6,25) und das Weitersenden (Jak 2,25) wurden gelobt und erhielten göttliche Anerkennung, aber nicht ihre Lüge. Rahabs Lüge wurde nicht gerechtfertigt aufgrund irgendeiner „Kriegszeit-Ethik“. Wenn wir das Anlügen der Feinde in Kriegszeiten gutheißen, dauert es nicht mehr lange, es ebenso gutzuheißen, irgendeinen unserer „Feinde“, der mit uns „Krieg“ führt, anzulügen. Manche Menschen rechtfertigen das Lügen bei ihrer Einkommensteuererklärung damit, weil sie den Staat mit den ungerechten Steuern und der sozialen Ungerechtigkeit als einen Feind im Krieg betrachten. Gott brauchte Rahabs Lüge nicht, auch wenn Kriegszeit war. Gott war nicht abhängig von dieser Alternative und Möglichkeit, die zwei Kundschafter vor dem König Jerichos zu retten! Die Einbeziehung der ehemaligen Hure in das Geschlechtsregister Christi ist nicht Gottes Stempel der Anerkennung von Rahabs Lüge, sondern ein Beweis für seine unglaubliche Gnade.
Der Fall der hebräischen Hebammen in 2. Mose 1,15-21 ist ein wenig komplizierter, denn da gibt es zwei Möglichkeiten. Die erste ist, dass die Hebammen nicht logen. Wenn dies der Fall ist, griff Gott zu diesem Zeitpunkt wunderbar ein, um die Mühen der Jüdinnen zu verkürzen. Die zweite Möglichkeit ist, dass die Hebammen logen, ihre Lügen aber laut der Heiligen Schrift nicht bestraft wurden. Das inspirierte Wort deutet darauf hin, dass die Hebammen von Gott gesegnet wurden. Allerdings nicht für ihre Lügen, sondern weil sie Gott fürchteten und aufhörten, bei der Kindstötung des Pharao mitzumachen.
Aber Moment mal! Waren die Hebammen nicht gezwungen zu lügen, weil das die einzige Alternative zu den Kindstötungen war? Nein! Sie hätten es zum Beispiel ablehnen können, darüber zu reden, und hätten die daraus resultierenden Konsequenzen tragen können. Dies hätte jedoch ihren eigenen Tod bedeuten können. Aber rechtfertigt die Bewahrung des eigenen Lebens die Unwahrheit? Was bedeutet eigentlich der biblische Ausdruck „Märtyrertum“? Auch wir werden uns selbst in sehr schwierigen und verwirrenden Situationen befinden, weil wir in einer gefallenen Welt leben. Gott wird uns aber nicht in Situationen bringen, wo wir gezwungen sind, Ihm ungehorsam zu sein. Kein Individuum ist gezwungen, das schlechtere von zwei Übeln zu wählen. Unser Herr Jesus lebte ebenfalls in dieser gefallenen Welt mit allen schwierigen Umständen. War Er Gottes Gesetz ungehorsam, weil Er gezwungen war, das kleinere Übel zu wählen? Nein! Er wählte immer den richtigen Weg, egal, wie schwierig oder unbeliebt die Wahl war. Im ganzen Neuen Testament werden wir ermahnt, heilig zu sein und dem Beispiel unseres HERRN zu folgen.
Wie bezieht sich das auf den klassischen Fall der Juden, als ihnen im Zweiten Weltkrieg vor den Nazis Unterschlupf gewährt wurde? Was würden wir den Behörden antworten, wenn sie uns fragen, ob wir Juden in unserem Haus verstecken? Würden wir die Wahrheit sagen und somit die Juden an sie verraten, oder würden wir lügen, um das Leben der Juden zu retten? Wären wir nicht gezwungen, uns für eines der zwei Übel zu entscheiden? Da gäbe es noch die Alternative des Schweigens, während unser Haus durchsucht wird, oder auch die Alternative, die Rechtmäßigkeit der Nazibehörden in Frage zu stellen. Ja, es kann sein, dass das die Verhaftung und den Tod für die Juden wie auch für uns selbst bedeuten würde, aber wir hätten sie nicht verraten und nicht gelogen. Wir wären Gott gehorsam und würden die Konsequenzen in seine Hände legen. Die Behörden anzulügen, bedeutet auch in keiner Weise Sicherheit. Ob wir unter solchen Umständen den Mumm und die Geistesgegenwart besitzen, das Richtige zu tun, ist eine andere Frage. Aber Gott verspricht uns in 1. Korinther 10,13, dass wir niemals in Situationen ohne den richtigen Ausweg kommen werden, und wir werden niemals ohne die nötige Kraft sein, den richtigen Ausweg zu gehen. Was für eine phantastische Verheißung!
Widmen wir uns wieder dem Fall der Hebammen und stellen wir eine weitere Frage. Ist ihre Lüge nicht deshalb gerechtfertigt und deshalb richtig, weil es der angenehmste Weg in dieser Situation war? Das ist es, was die Situationsethik lehrt. Obwohl diese Ethik christlich scheint, wie sie über Liebe spricht, ist sie es nicht. Warum nicht? Letztendlich setzt die Situationsethik den Menschen über Gott. Wer zum Beispiel entscheidet, was der „angenehmste Weg“ ist, wenn Ungehorsam gegen Gottes Gebote mit im Spiel ist? Dürfen wir es wagen, Gott zu „spielen“? Sogar Ehebruch wird im Namen der Liebe und Situationsethik begangen. Die Bibel lehrt keine Situationsethik. Mit unserem begrenzten Blickwinkel in jeder Situation müssen wir Gott lieben und gehorchen. Die „angenehme Lüge“ der Hebammen rettete die Lage auch nicht. Pharao ließ Babys ertränken, um seine bösen Absichten zu vollenden. Wir müssen in erster Linie in jeder Situation Gott gehorchen und Ihm vertrauen, dass Er ein unbegrenztes Wissen und den Gesamtüberblick hat.
Was ist aber nun mit dem Beispiel des Propheten Samuel? Das ist sicherlich der schwierigste aller Fälle, die wir bisher betrachtet haben – vielleicht der schwierigste der ganzen Bibel. Einerseits weil sowohl das Beispiel von Abraham und Isaak als auch das der Hebammen vor der Gesetzgebung stattfanden, und im Fall Rahab war sie als Heidin beteiligt, die das mosaische Gesetz nicht hatte. Sicher entschuldigt das ihre Lüge nicht oder setzt Gottes Anforderungen in keiner Weise herunter (sie hatte ihr gottgegebenes Gewissen!), aber diese Umstände mögen vielleicht Auswirkungen auf die Schwere ihrer Schuld oder die Bestrafung Gottes haben. Wie auch immer, der Prophet Samuel hatte die geschriebenen Zehn Gebote vor sich. Des Weiteren redete der HERR selbst zu Samuel, dass er Saul betrügen sollte. Das tat Er doch, oder? Ist das wirklich Täuschung? Täuschung enthält, laut Definition, Unehrlichkeit. Der HERR befahl Samuel nicht, etwas Unehrliches zu tun. Er sagte nicht zu Samuel, er solle erzählen, dass er nach Bethlehem gehe, um zu opfern, und dann doch nicht opfern. Samuel opferte, was seine Gewohnheit war, aber er ergriff die Gelegenheit, um David zum neuen König über Israel zu salben. Das ist ein Beispiel dafür, die Wahrheit vor denen zu verbergen, die das Recht hätten, die ganze Wahrheit zu kennen.
Lügen ist niemals gerechtfertigt, aber die Bibel verlangt nicht, jedem die ganze Wahrheit zu offenbaren. Das Verheimlichen der Wahrheit ist nur dann Sünde, wenn die Verpflichtung besteht, die verborgenen Tatsachen zu offenbaren, oder die Absicht besteht, jemand in die moralische Irre zu führen. Der Herr Jesus belog seine Feinde nicht ein einziges Mal, aber sehr oft gab Er ihnen keine klare Antwort, mit der Absicht, die ganze Wahrheit zu verbergen. Er sprach absichtlich in Gleichnissen, um den Skeptikern, die ihr Recht auf die Wahrheit verwirkt hatten, diese zu verbergen (s. Mt 13,10-13). Samuel lag damit verkehrt, als er Saul anlog, aber es war nicht verkehrt, seine ganzen Absichten zu verheimlichen. Bei Fragen sollen die Eltern ihre Kinder niemals anlügen, aber sie stehen nicht unter dem Zwang, alles zu enthüllen, wenn es nicht notwendig ist, dass es die Kinder wissen. Eltern sollten aber dennoch vorsichtig sein, was sie ihren Kindern verschweigen. Auf der anderen Seite handelt ein Kind definitiv verkehrt, das seinen Eltern Tätigkeiten verheimlicht, auf die die Eltern ein Recht haben, sie zu wissen.
Eine zeitgenössische Anwendung, die der von Samuels Fall sehr ähnlich ist, ist die Situation von Christen in kommunistischen Ländern, die sich geheim versammeln. Für sie wäre es nicht richtig, die Behörden anzulügen, aber es ist nicht verkehrt für sie, es so aussehen zu lassen, als gingen sie einkaufen (ähnlich der Situation von Samuel, als er die junge Kuh nahm), aber sich dann auf dem Weg zum Markt mit Christen zu treffen. Die Tatsache, dass sich die Behörden bezüglich aller Absichten der Christen irren kann, macht die Gläubigen moralisch nicht schuldig. Betrachte das Beispiel unseres HERRN in Lukas 24. Er verbarg zuerst seine wahre Identität vor den zwei Jüngern und fragte dann: „Was denn?“ (Lk 24,19), und „er stellte sich, als wolle er weitergehen“ (Lk 24,28). Die Absicht unseres HERRN war sicherlich, das Herz der zwei Jünger zu offenbaren. Auf keinen Fall wurde unser HERR falscher Rede oder Täuschung schuldig, auch wenn die zwei Jünger dadurch glaubten, dass Jesus nur ein unkundiger Fremder war.
Nicht zu lügen, sondern nicht die ganzen Fakten zu offenbaren, zeigen die biblischen Fälle von Ehud in Richter 3,12-30, von Elisa in 2. Könige 6,8-23 und von Jeremia in Jeremia 38,14-28. Ehud log nicht, weil er tatsächlich eine geheime Botschaft von Gott für den heidnischen König Eglon hatte – nämlich die Vollmacht, ihn zu töten! Elisa log nicht, weil uns der Kontext deutlich zeigt, dass das höchste Ziel der Syrer in der Tat der König von Israel war. Jeremia log die Obersten nicht an, die ihn nach seinen Handlungen beim König Zedekia fragten, weil er wirklich mit ihm über seine Gefangennahme gesprochen hatte, während er seine prophetische Nachricht überbrachte.
Dasselbe Prinzip, nicht zu lügen, sondern nicht die ganze Wahrheit zu offenbaren denen, die nicht den Bedarf und das Recht dazu haben, wurde auch in dem von Gott gelenkten Angriff in Ai in Josua 8 angewandt. Gott kann nicht dafür angeklagt werden, dass Er Israel gesagt hätte, sie sollten lügen oder betrügen, nur weil die Armee von Ai dachte, dass Josuas Taktiken dieselben seien wie in Josua 7. In diesem Fall ist es wichtig, anzumerken, dass Gott Josua nicht sagte, er solle eine unechte Friedensdelegation senden, hinter der sich die Angriffstruppen verbargen. Das wäre unehrlich gewesen, weil es nicht innerhalb der allgemeinen Verständnisses und der akzeptierten Regeln im Krieg liegt. (Ein abgefälschter Lauf beim Football täuscht die Gegner, aber nicht hinterlistig, weil es in den Regeln erlaubt ist. Aber einen zweiten Football zu nehmen, um diesen abgefälschten Lauf zu vollführen, ist Betrug!) Gleichermaßen ist die Anwendung von Täuschung in einem gerechten Krieg (eine weitere Übung in Ethik) nicht gekennzeichnet durch Lügen und Betrügen. Aber das Verwenden eines „Roten-Kreuz“-Symbols oder der weißen Friedensflagge als Köder liegt nicht innerhalb der allgemein akzeptierten „Spielregeln“ und ist an sich schon unehrlich und deshalb hinterlistig.
Die Anwendung von Ethik ist nicht einfach. Oft schließen wir mit mehr Fragen ab, als wir begonnen haben. Dennoch sind solche Übungen in Ethik gut für unsere geistliche Gesundheit, auch wenn die „losen Enden“ dadurch nicht gebunden werden. Obwohl nicht alle Christen zustimmen werden, ist unsere Zusammenfassung zu dieser kurzen Übung der Ethik folgende: Die Bibel lehrt uns, dass es immer falsch ist, zu lügen und zu täuschen, dass es aber manchmal richtig ist, die ganze Wahrheit zurückzuhalten.
Originaltitel: „Exercise in Ethics“
Quelle: www.growingchristians.org
Übersetzung: SM