Bauen ohne Selbsttäuschung
2. Könige 6,1-7

Philip Nunn

© SoundWords, online seit: 01.05.2003, aktualisiert: 22.04.2022

Leitverse: 2. Könige 6,1-7

2Kön 6,1-7: 1 Und die Söhne der Propheten sprachen zu Elisa: Sieh doch, der Ort, wo wir vor dir wohnen, ist uns zu eng; lass uns doch an den Jordan gehen und von dort jeder einen Balken holen und uns dort einen Ort herrichten, um dort zu wohnen. Und er sprach: Geht hin. Und einer sprach: Lass es dir doch gefallen und geh mit deinen Knechten! Und er sprach: Ich will mitgehen. Und er ging mit ihnen; und sie kamen an den Jordan und hieben die Bäume um. Es geschah aber, als einer einen Balken fällte, da fiel das Eisen ins Wasser; und er schrie und sprach: Ach, mein Herr! Und es war geliehen! Und der Mann Gottes sprach: Wohin ist es gefallen? Und er zeigte ihm die Stelle; da schnitt er ein Holz ab und warf es hinein und brachte das Eisen zum Schwimmen. Und er sprach: Hol es dir herauf. Und er streckte seine Hand aus und nahm es.

Einleitung

Wir wissen, dass Christus während der letzten 2000 Jahre seine Kirche gebaut hat. Er sagte, dass Er bauen würde (Mt 16,18), und Er baut auch heute noch aktiv daran. Man sagt uns, dass heute mehr Christen leben als zu irgendeiner Zeit in der Geschichte! Als wiedergeborene Gläubige sind du und ich ein Teil dieses Hauses, aber – gebraucht Christus uns bei diesem Bauen? Betrachtet Christus dich und mich als seine „Mitarbeiter“ (1Kor 3,9)? Nachdem unsere vielen Zusammenkünfte, Seminare, Konferenzen, Besuche, Briefe, Kontakte und Bemühungen lange vergessen sind … wird etwas von Ewigkeitswert übrigbleiben? Haben wir unsere Energien eingesetzt, um eine Reihe religiöser Prozedere in Gang zu halten? Benutzten wir unsere Hilfsmittel, um unser eigenes religiöses Programm auszuführen? Könnte es sein, dass an „jenem Tag“ die traurige Wahrheit ans Licht kommt, dass wir die meiste Zeit uns selbst etwas vorgemacht haben (tatkräftigen christlichen Eifer zu betätigen … Kirche spielen … menschlichen Interessen dienen … ohne Liebe dienen …)? Wenn es ums Bauen geht, bin ich sicher, dass wir alle bestrebt sind, gut zu bauen. Ich finde die Umstände beim Bauprojekt Elisas und der Gruppe junger Propheten in 2. Könige 6,1-7 besonders lehrreich.

1. Abhängigkeit – um zu wissen, was und wann zu ändern ist

Die Ereignisse in der Geschichte von „Elisa und dem schwimmenden Beil“ stehen im Zusammenhang mit Segen und Wachstum. Der Herr berief mehr junge Männer, sich Ihm und dem prophetischen Dienst zu weihen. Sie kamen der Berufung nach, doch ihr Aufenthaltsort wurde zunehmend als zu eng empfunden. Einige meinten, es sei an der Zeit, weiteren Wohnraum zu schaffen, um das von Gott geschenkte Wachstum zu fördern, und sie selbst verhielten sich so, dass Gott fortfahren konnte zu segnen und hinzuzufügen.

Noch wirkungsvolle Arbeit?

Unverkennbar hatte Gott das gemeinsame Werk der jungen Propheten in der derzeitigen Lage gesegnet. Warum jetzt etwas ändern? Beachte, dass Dinge, die gestern wirksam und notwendig waren, es heute nicht mehr sind. Damit wird nicht die Tatsache verneint, dass sie seinerzeit wohl wirksam und notwendig waren. Das ist keine Kritik an Dienern Gottes in vergangenen Tagen. Evangelistische Methoden auf dem Missionsfeld machen dies besonders deutlich. Als Sohn eines Missionars in Kolumbien erinnere ich mich jener 16 mm breiten Filme über das „Leben Christi“, die mein Vater unter freiem Himmel benutzte, um große Mengen anzuziehen, das verkündigte Evangelium zu hören. Mit der Elektrifizierung bis zu entfernten Berggegenden, mit dem Aufkommen von Farb- und Kabelfernsehen, der Verfügbarkeit von Videos und Internet waren 16-mm-Filme nach und nach weniger effektiv. Es ist an der Zeit, sich weiterzubewegen, nach neuen Mitteln zu suchen. Es ist das gleiche Evangelium, doch in einer neuen äußeren Form vorgestellt.

Etwas ändern? Was? Wann?

Elisa war als Mann Gottes der Senior in der Gesellschaft der Prophetensöhne. Er hatte die Notwendigkeit von Veränderungen noch nicht bemerkt. Die Initiative kam von den jüngeren Propheten. Indem die Zeit hingeht, gewöhnen wir uns alle an den gegenwärtigen Zustand der Dinge. Wir fühlen uns zunehmend wohl bei einigen – vielleicht seltsamen – Verhaltensweisen in der örtlichen Gemeinde. Nicht ohne Selbstgefälligkeit sind wir mit qualitativ dürftiger biblischer Unterweisung zufrieden. Wir können untätig werden hinsichtlich unseres evangelistischen Zeugnisses (mögen die Sünder zu uns kommen!). Irgendwie sind wir kaum noch betroffen darüber, dass kein „frisches Blut“ zu Christus gekommen ist und sich unserer Gemeinschaft in den letzten fünf Jahren angeschlossen hat. Gewöhnlich sind es die jüngere Generation und Jungbekehrte, denen Bedürfnisse und seltsame Dinge auffallen, die unbequeme Fragen stellen und manchmal Veränderungen vorschlagen. Elisa hätte leichthin die jungen Propheten kritisieren können. Die vorhandenen Einrichtungen hatten doch viele Jahre gute Dienste getan, wozu denn etwas ändern? Vielleicht würde nächstes Jahr ihre Zahl zurückgegangen sein. Er könnte über ihre Beweggründe geurteilt haben: „Wollt ihr für die Dinge Gottes keine Unannehmlichkeiten auf euch nehmen“, oder: „Wer hat hier zu sagen, ihr oder ich?“, oder: „Ihr wollt nur größere Unterkünfte schaffen, um es dem Fleisch angenehm zu machen, um den Status der Propheten in Israel zu verbessern.“ Doch Elisa sagte statt dessen einfach: „Geht.“

Veränderungen erfordern Abhängigkeit

An sich ist eine Veränderung neutral. Weder gut noch schlecht. Wir müssen uns über den Grund einer Änderung sorgfältig klarwerden. Wird der Herr durch das Motiv zur Veränderung geehrt? Verletzt die angestrebte Veränderung deutlich die Schrift? Ist sie praktisch? Die Form und die Sache sind nicht dasselbe, aber beides ist wichtig. Die Bedeutung der Schrift bleibt unverändert, wohl mag sich ihre Anwendung ändern je nachdem, wie in unterschiedlichen und wechselnden Kulturen gebräuchliche Grundsätze effektiver werden. Gottes Strategie für morgen mag sich sehr wohl von der heutigen unterscheiden. Nach dem Sieg über Jericho hätte Josua den Schluss ziehen können: „Jetzt weiß ich, wie Gott Mauern niederreißt.“ Er hätte sich daranmachen können, die Mauern anderer Städte zu umziehen. Aber Gott hatte andere Pläne. Um in Übereinstimmung mit dem allmächtigen Gott zu handeln, können wir die Vergangenheit nicht einfach wiederholen. Wir müssen bereit sein zu hören, bereit sein für Neues, für die Führung des Herrn, für Veränderungen.

2. Führung – Bereitschaft zum Risiko

Als Senior ist Elisa zu bewundern. In der Gemeinschaft mit den enthusiastischen jüngeren Propheten lag für ihn ein Risiko. Es konnte auch schiefgehen. Wenn sie blieben, wo sie waren, konnte Elisa sich sicherer fühlen und die Führung in der Hand behalten. Auf Neues zuzugehen, darin lag auch die Gefahr, zu verlieren, was sich in vergangenen Tagen als Segen erwiesen hatte. Ging es schief, dann war Elisa als der Älteste die Hauptzielscheibe der Kritik in Israel. Doch er war bereit, dieses Risiko auf sich zu nehmen. Er sagte nicht nur „Ich will“, sondern er „ging mit ihnen“. Anscheinend nahm er ohne Vorbedingungen die Aufforderung an. Er machte sich mit dem neuen Plan offiziell eins.

Gibt es Gehorsam ohne Risiko?

Es ist eine riskante Sache, sich der Herrschaft Christi zu übergeben. Überlassen wir bei der Bekehrung nicht freiwillig dem Herrn Jesus die Führung in unserem Leben? Wird Er uns nur auf vertrauten Pfaden leiten, wo wir uns beständig sicher, bequem und ungefährdet fühlen? Hat Christus versprochen, uns jede seiner Erwartungen zu erklären und zu rechtfertigen? Als ich Student war, hing an meiner Schlafzimmertür ein Poster, worauf stand: „Schiffe sind sicher im Hafen. Aber dafür sind Schiffe nicht gebaut.“ Wir sind nicht erschaffen, berufen und erlöst, um auf der „sicheren Seite“ zu sein. Jeder neue Glaubensschritt, jeder neue Einsatz hat ein gewisses Maß an Ungewissheit. Wenn wir unsere Tätigkeit nur auf die „behagliche Zone“ begrenzen, wenn unser Dienst sich lediglich darauf beschränkt, „was immer schon getan worden ist“, dann würde mancher Gläubige seinen von Gott gegebenen Auftrag verfehlen. Noah hätte beispielsweise nie eine Arche gebaut. Mose hätte nie seinen Stab über das Rote Meer ausgestreckt. Petrus hätte nicht gewagt, Cornelius zu besuchen. Martin Luther hätte nie seinen Hals riskiert. William Carrey hätte nicht eine führende Rolle übernommen, der heidnischen Welt Indiens das Evangelium zu bringen. Hudson Taylor wäre kein Pionier geworden, in China unkonventionelle Methoden in der Mission anzuwenden. Jim Eliot wäre nicht beim Versuch, die Aucas zu evangelisieren, gestorben. Obwohl jeder dieser Männer in Übereinstimmung mit dem Herrn handelte, war jeder auch willig, das Risiko eines „scheinbaren Fehlschlags“ auf sich zu nehmen. Vergangenes zu wiederholen ist manchmal der Wille des Herrn für uns, aber das kann auch ein Schutzschild gegen mögliche Kritik sein. Wenn wir gut bauen wollen, müssen wir wie Elisa bereit sein, das „Risiko“ des Gehorsams auf uns zu nehmen. Der Herr führt nur die, die bereit sind, den mit dem Gehorsam verbundenen Gefahren zu begegnen. Es gehört zum Weg des Glaubens. Sind wir dazu bereit?

3. Teams – beim Herrn bevorzugt

Unser Herr ist souverän. Obwohl es Muster gibt, nach denen Er im Allgemeinen wirkt, ist Er an diese Muster nicht gebunden. Manchmal beruft und salbt Gott einen Einzelnen für eine besondere Aufgabe. Der Herr mag auch von uns verlangen, dass wir wie Jesaja und Johannes der Täufer alleinstehen und unserer Berufung treu nachkommen. Doch in der Schrift und in der Geschichte stellen wir fest, dass es dem Herrn Freude bereitet, sein Werk durch Teams zu tun. Ich denke, dass ein Christ, der es vorzieht, dem Herrn allein zu dienen und Teamwork vermeidet, das einschränkt, was Gott durch ihn oder sie tun kann. Lasst uns über die Dynamik zwischen dem weisen Elisa und den jüngeren Propheten nachdenken.

Weisheit der Jüngeren

Wie schon früher bemerkt, ist es gewöhnlich die jüngere Generation, die das Bedürfnis nach einer Veränderung zuerst wahrnimmt. Möglicherweise bemerkten die jungen Propheten, dass Zeit bei langem Anstehen zu Morgentoilette und Duschen vergeudet wurde. Vielleicht schliefen sie schlecht, weil alles zu eng und unbequem war. Wir können berechtigte Gründe für Änderungen haben, unsere Beweggründe mögen geistlich sein, aber wenn wir nicht behutsam vorgehen, können wir durch unsere kritische Haltung und die eigenmächtige Art bei der Durchführung von Änderungen sündigen. Wir beachten, dass die jungen Propheten den Dialog mit Elisa suchten. Der Vorschlag und die Gründe dafür wurden erörtert. Ihnen lag aufrichtig daran, dass Elisa den Plan guthieß. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie gesagt hätten: „Wir sind diesen alten Platz leid. Mit oder ohne Elisa gehen wir jetzt und bauen uns ein neues Camp!“ Druck dieser Art fördert keine gute gemeinsame Arbeit. Beachte, dass die Prophetensöhne mit der Zustimmung Elisas allein noch nicht zufrieden waren, sie wünschten, dass er mitging. Einer von ihnen fragte Elisa: „Willst du nicht bitte mit deinen Knechten kommen?“ Vielleicht verstand sich Elisa wenig aufs Bäumefällen. Vielleicht war er auch gar nicht von dem Erneuerungsplan begeistert. Vielleicht würde er auf dem Weg zum Jordan noch für Verzögerung sorgen. Aber ihnen lag doch daran, dass er dabei war. Die Jüngeren sind klug, wenn sie suchen, die Älteren zu beteiligen. Gereifte und geistliche ältere Brüder und Schwestern sind in jeder Arbeitsgemeinschaft wertvoll.

Weisheit der Älteren

Veränderung hat gewöhnlich etwas Bedrohliches, und das besonders für gewisse Temperamente und am meisten für die ältere Generation. Ältere Menschen neigen mehr dazu, eine Wand zu bemalen, statt sie niederzureißen. Ältere Leute starten sehr wenig neue geschäftliche Unternehmen. Wenn Elisa in den Jahren schon vorgerückt war, ist es sehr wohl möglich, dass ihm die Kraft oder die „Vision“ zu einer Neukonstruktion fehlte. Es wäre ein Leichtes gewesen, die Initiative zu unterdrücken. Er hätte argumentieren können: „Die jetzige Anlage hat uns doch gut gedient. Ihr seid undankbar vor dem Herrn angesichts seiner gegenwärtigen Versorgung.“ Oder er hätte sagen können: „Wir Propheten sind berufen, uns der geistlichen Auferbauung Israels zu widmen, nicht materiellen Bauwerken.“ Aber statt dessen sehen wir, dass Elisa die jüngeren Propheten anhört und sich ihnen dann ausdrücklich anschließt. Er unterstützt den Plan insgeheim und sagt: „Geht.“ Beachte, dass er nicht sagt: „Ich werde mitgehen und das Vorhaben überwachen.“ Jeder Konstruktionsplan hat seine Probleme. Doch Elisa vertraut den jüngeren Propheten. Er ist zuversichtlich. Als er gebeten wird mitzugehen, antwortet er: „Ich will“, und er geht mit ihnen. Lieber alter Bruder, liebe alte Schwester, eure persönliche Anwesenheit ist noch sehr wichtig. Nicht so sehr, um zu überwachen und zu bestimmen, aber um zu ermutigen, auszugleichen und Vertrauen bei denen zu wecken, die über mehr Voraussicht und Energie verfügen.

Weisheit in Krisenzeiten

Die meisten Bemühungen im Dienst für den Herrn haben ihre Krisen. Auch hier. Vielleicht als Folge von Unerfahrenheit, übertriebener Begeisterung oder sogar Unachtsamkeit. Einer der Prophetensöhne verliert sein Beil im Wasser, vermutlich irgendwo tief im Jordan. In kritischen Augenblicken fühlen wir uns alle unbehaglich, und es ist so natürlich, einen Schuldigen zu suchen. Wären wir doch nur vorsichtiger gewesen. Wenn er doch nur kein geliehenes Werkzeug benutzt hätte. Das davonfliegende Beil hätte leicht einen anderen töten können! Sollte dies ein göttliches Zeichen sein, um das Vorhaben abzubrechen? Ich bin sicher, dass Elisa dergleichen gedacht haben mag. Aber kein tadelndes Wort! „Wohin fiel es?“, fragte er, und dann fand er mit Gottes Hilfe eine Lösung der Krise. In deiner örtlichen Gemeinde, in deinem Dienst, in deiner Familie werden Krisen kommen. Krisenzeiten können entweder spalten oder vermehrt stärken und einen. Solche Zeiten bieten Gelegenheiten. In Krisen verhalte dich ruhig, bleibe geistlich und sei weise.

4. Geliehene Werkzeuge – wir haben, was wir brauchen

Einer verlor sein Beil, doch der Prophetensohn rief nicht: „O mein Herr, ich habe mein wertvolles Werkzeug verloren.“ Beim Fällen der Bäume muss er an etwas anderes gedacht haben: „Das Werkzeug in meiner Hand gehört mir nicht“, oder: „Ich kann hier nur etwas ausrichten, weil man mir das Beil geliehen hat.“ Als es im Wasser verschwand, war sein erster Gedanke: „O mein Herr, es war geliehen.“ Ein deutliche Lektion für christlichen Dienst. Als Christen arbeiten wir mit geliehenen Werkzeugen. Hast du ein Organisations- oder ein Musiktalent? Kannst du gut überlegen und dich klar ausdrücken? Fühlen sich Jung und Alt wohl bei dir? Sind dir ein Auto, ein Haus, finanzielle Reichtümer anvertraut? Was meinst du, warum der Herr dir solchen Besitz gibt? Sind wir wirklich Verwalter, die mit Geliehenem leben und wirken? Möge uns wie dem hart arbeitenden Propheten bewusst sein: „Das Gerät in meiner Hand gehört nicht mir.“

5. Verloren – haben wir noch, was wir hatten?

Verlorene Dinge kommen in der Schrift wiederholt vor. Ein Hirte verliert sein Schaf. Eine Frau verliert ein Geldstück. Joseph und Maria vermissten für ein paar Tage den Knaben Jesus. Die Gemeinde in Ephesus war in Gefahr, ihren „Leuchter“ zu verlieren. In unserer Geschichte arbeitete der junge Prophet angestrengt, in der rechten Gesellschaft und für ein gutes Unternehmen, doch er verlor sein Beil. So konnte er nichts mehr ausrichten.

Gemeinsamer Verlust

Nach unserer Heirat zogen wir um in einen anderen Stadtteil Londons und schlossen uns einer der Versammlungen im Süden Londons an. Wir besuchten die örtlichen Geschwister in ihren Häusern, glücklich darüber, einander kennenzulernen. Ich erinnere mich lebhaft an die Bemerkung einer älteren Schwester: „Wenn ihr vor fünfzig Jahren hier gewesen wäret“, so sagte sie, „hättet ihr schon früh kommen müssen, um noch einen Platz in der Versammlung zu bekommen.“ Bei dieser Gelegenheit empfand ich mal wieder, ich sei zu spät geboren! „Aber jetzt könnten wir an Sonntagen jedem vier Stühle anbieten, und dann blieben noch einige übrig.“ Liebe Geschwister, wir können als Versammlungen etwas verlieren. Vielleicht denkst du jetzt zunächst an den Verlust von „Lehre“. Das ist natürlich möglich. In den Unterweisungen und in der Praxis des Christentums können wir von der biblischen Orthodoxie abweichen. Dies kann geschehen, wenn wir nicht mehr zwischen einem Grundsatz und der Anwendung unterscheiden, zwischen Schrift und Tradition. Lehrmäßige Abweichungen können auch als Folge rechthaberischer und gedankenloser Nachahmung augenblicklicher „Trends“ eintreten, seien sie religiös oder weltlich. Doch wir können mehr als Lehre verlieren. Wenn wir auf einer gewissen Ordnung beharren, können wir Leben verlieren. Unsere Zusammenkünfte können der Form nach korrekt, zugleich aber tot sein. Wir können nach innen schauen und dabei den Eifer verlieren, die Verlorenen zu Christus zu führen. Wir können fromme „Staatsbeamte“ werden, mehr mit religiösen Verfahren und Bürokratismus befasst, dabei aber geistlich wenig wirklich und gesund. Wir können eine Subkultur schaffen und aufhören, die Menschen um uns herum noch zu beeinflussen und anzuziehen. Wir können überkritisch werden und beständig den Richter spielen und dabei die Freude an wahrer christlicher Gemeinschaft verlieren. Verlieren wir gemeinsam Dinge?

Persönliche Verluste

Es ist leichter, Fehler bei anderen zu entdecken, als das forschende Licht auf uns selbst zu richten. Vielleicht können wir auf Jahre eines christlichen Lebens zurückblicken und uns an glückliche Tage erinnern, als uns Begeisterung, Freude und Frische auf dem Weg mit dem Herrn erfüllte. Als Er uns gebrauchte, andere zu Ihm zu führen, als wir durch seine Gnade Werkzeuge in der Hand des Allmächtigen zur Auferbauung unserer Mitgläubigen waren. Aber dann kam etwas dazwischen. Vielleicht begannen wir selbstgefällig zu werden und auf uns selbst zu vertrauen. Vielleicht begannen wir, mit anderen Gläubigen zu konkurrieren, versuchten, sie zu übertreffen, „geistlicher“ oder „korrekter“ als sie zu sein. Vielleicht verletzten uns schwierige Geschwister und eine Wurzel der Bitterkeit keimte seitdem in uns auf. Vielleicht bekamen wir so manche Ungereimtheiten, Sünden und verdeckte Heimlichkeiten bei Gläubigen zu sehen, dass wir darüber etwas zynisch wurden. So findest du es jetzt schwierig, Mitgläubigen zu vertrauen. Es könnte auch etwas zu tun haben mit unerlaubtem Sex oder unkorrektem Umgang mit Geld oder einfach, dass wir zu Hause oder bei der Arbeit (oder sogar in der Gemeinde) zu geschäftig wurden und unser Eifer für Christus allmählich erkaltete. Wir wissen es. Unsere Hingabe und unser Dienst sind nicht mehr das, was sie waren. Wir haben unser Beil verloren. Die „scharfe Schneide“ kam uns abhanden. Trifft das eine oder andere auf dich zu?

6. Stillstand – Fluch der Selbsttäuschung?

Bei etwas Bedenkzeit und ein wenig Wirklichkeitssinn ist es nicht schwer, Punkte zu nennen, wo uns Gefahren von Verlusten drohen an Freude, an Diensten, an günstigen Gelegenheiten. Schwieriger ist schon abzuwägen, was dagegen zu tun ist. In den Fällen, wo der Hirte ein Schaf verliert, die Frau ein Geldstück und der Prophet sein Beil, ist es der erste Schritt, den Verlust zu erkennen. Die andere Möglichkeit wäre, die Wirklichkeit zu leugnen, sich etwas vorzumachen und Stillstand hinzunehmen. Stell dir vor, wie die jungen Propheten freudig ihre Äxte schwingen und die Arbeit im Wald gut weitergeht. Wir hören sie aus der Nähe scherzen, lachen und singen, während sie sich abmühen und unter der nahöstlichen Sonne schwitzen. Dann passiert etwas recht Unbedeutendes. Ein kaum hörbarer „Plumps“ im Jordan. Haben die anderen Propheten etwas gehört? Hat irgendjemand etwas bemerkt? Ja, ein junger Prophet schon, an dem Punkt war seine Mitarbeit am Ende. Wenn er das nicht zugab, hätte er sie nie wieder aufnehmen können. Er stand jetzt vor der Wahl: entweder den Stiel weiter zu schwingen (vielleicht indem er nach dünneren Stämmen oder Sträuchern ausschaute in dem Gefühl, es geht weiter) oder die Wirklichkeit seines Verlustes zuzugeben. Auch wir müssen mit Beschämung und Schmerz unseren Verlust eingestehen oder angestrengt in unserem Tun fortfahren, uns dabei aber selbst täuschen.

Selbsttäuschung ist nach wie vor harte Arbeit

Eine der größten Gefahren im christlichen Dienst besteht darin, ohne das Beil weiterzumachen. Wir halten den Stiel in der Hand und wir schwingen ihn so kräftig, wie wir es immer getan haben. Wir arbeiten hart, wir kommen ins Schwitzen, es geht geräuschvoll zu, aber unser Werkzeug ist stumpf. Wir haben die scharfe Schneide verloren! Wir setzen Bibelstudien, Konferenzen und Besuche fort … aber ohne die frühere Freude, ohne die gleiche Begeisterung, ohne viel auszurichten. In der Tat, bei unserer Selbsttäuschung sind wir zeitweise versucht, einen sichtbaren Erfolg zu erzwingen. Wir mögen versuchen, Bäume aufzuheben, die andere gefällt haben. Es kann sein, dass wir Gläubige bekritteln, die echte Freude in ihrem Leben als Christen zeigen. Eines Tages haben wir ein Urteil über den Reifegrad derer, die noch Hingabe in ihrem christlichen Dienst zeigen. Wenn wir ehrlich sind, empfinden wir irgendwann ein wenig Neid gegenüber denen, die noch Bäume fällen. Mein lieber Mitgläubiger, das braucht so nicht zu bleiben. Unser Gott tut ein Werk der Wiederherstellung. Doch wir müssen damit anfangen zuzugeben, dass etwas verlorenging. Wir müssen vor uns selbst und vor dem Herrn eingestehen, dass „unaussprechliche Freude“ nicht mehr das normale Kennzeichen unserer christlichen Erfahrung ist, sondern dass eher Pflicht als Eifer unseren christlichen Dienst antreibt und dass in unserem Dienst die Hand des allmächtigen Gottes jetzt wenig offenbar wird. Wiederherstellung setzt ein, sobald wir dem Herrn unser Versagen freimütig bekennen.

7. Wiederherstellung – die menschliche und die übernatürliche Seite

Der Mann Gottes fragte: „Wohin ist es gefallen?“ Gott stellt immer dann wieder her, wenn wir an den Punkt zurückkehren, wo wir abgewichen sind. Lasst uns zurückblicken. Wo haben wir die scharfe Schneide unseres Dienstes verloren? Seit wann versuchen wir, Gottes Werk mit dem Axtstiel zu tun? Wir müssen zurückgehen bis zu dem üblen Verhalten, dem eigenwilligen Vornehmen, dem ehrgeizigen Streben nach Neuem, das mein Herz fesselte, der unrechten Handlung, den kleinen Lügen, womit wir Gottes Werk fördern oder verteidigen wollten, der unbekümmerten Haltung, dem ungelösten zwischenmenschlichen Konflikt … und es dem Herrn bekennen. Erst nachdem der Prophet „ihm die Stelle zeigte“, begann Gott zu handeln und wiederherzustellen.

Die Notwendigkeit des Übernatürlichen

Wiederherstellung besteht nicht einfach darin, dass man Methoden verändert oder eine neue Strategie annimmt. Eine Wiederbelebung der örtlichen Gemeinde kommt noch nicht, weil wir unsere Sitzordnung verändert haben oder ein neues Liederbuch eingeführt haben, Musikinstrumente benutzen oder die Zusammenkünfte zeitlich anders ansetzen. Sie ergibt sich auch nicht daraus, dass wir schlicht das „tun“, was wir zuvor auch getan haben. Sie kommt auch nicht zustande, wenn wir häufiger zusammenkommen oder vermehrt die Bibel lesen. Die Propheten tauchten nicht mit Schutzbrillen ins Wasser ein noch versuchten sie, das Beil mit einem Haken oder Stock vom Flussbett heraufzuholen. Gesundung kann nicht durch menschliche Geschicklichkeit kommen. Wenn uns daran liegt, die übernatürliche Hand Gottes über unserem Leben, im persönlichen Dienst und in der Gemeinde erneut zu erfahren, müssen wir zu Gott schreien, Er möge eingreifen. Der Gott, den wir anbeten, ist ein Gott, der Wunder tut. Er allein kann uns unser „Beil“ wiedergeben.

Die Notwendigkeit des Menschen

Die meisten wunderbaren Ereignisse sind irgendwie merkwürdig. Warum schnitt Elisa ein Holz ab, warf es ins Wasser und brachte das Beil zum Schwimmen? Warum sagte er nicht einfach: „Beil, schwimm!“? Und wenn das Beil auf dem Wasser schwimmen konnte, warum erhob es sich nicht und flog in die Hand des Propheten oder noch besser, flog gleich auf den Axtstiel, wo es hingehörte? Selbst beim Wunder musste der Prophet noch ein Holz „hineinwerfen“ und das Beil aus dem Wasser „hochheben“. Dieses Zusammenwirken der übernatürlichen Hand Gottes, gepaart mit dem Gehorsam des Menschen, ist sehr auffallend: Wenn Mose seinen Stab nicht erhoben hätte, würde das Rote Meer sich wahrscheinlich nicht geteilt haben. Doch nicht der Stab teilte es. Es war die Hand Gottes. Wenn das Volk Jericho nicht umzogen hätte, würden die Mauern wahrscheinlich nicht eingestürzt sein. Aber das Umziehen und das laute Geschrei bewirkten das nicht. Es war die Hand Gottes. Hätte Naaman sich nicht siebenmal im Jordan gebadet, würde Gott ihn wahrscheinlich nicht von seinem Aussatz geheilt haben. Aber das Baden tat es nicht. Es war die Hand Gottes. Ohne dass Paulus und Apollos pflanzten und begossen, wäre das Wachstum ausgeblieben. Aber nicht das Pflanzen und Begießen ließen den Samen wachsen, es war die Hand Gottes.

Schluss

Wenn wir gebraucht werden, um etwas zu bauen, das ewigen Wert hat, müssen wir uns beständig dazu anhalten, uns nichts vorzutäuschen, sondern wahr und ehrlich zu sein. Um eine echte Erneuerung in unserer Seele und in der örtlichen Gemeinde zu erleben, mag es wohl einiger Änderungen bedürfen. Ohne diese Änderungen gibt es vielleicht nie eine Erweckung. Doch nicht die Änderungen an sich sind es, die ein Aufblühen bewirken. In unserer Ausweglosigkeit benötigen wir die Hand Gottes. Wir brauchen ein Wunder. Wir sind auf das Eingreifen Gottes angewiesen. Die frühe Kirche wuchs: „Und die Hand des Herrn war mit ihnen, und eine große Zahl glaubte und bekehrte sich zu dem Herrn“ (Apg 11,21). Wenn wir in freudiger christlicher Erfahrung leben wollen, wenn wir in Leidenschaft im Dienst für den Herrn brennen wollen, von Christus auf irgendeine Weise gebraucht werden wollen, um seine Gemeinde zu bauen, dann brauchen wir dringend eine veränderte Wahrnehmung Gottes in unserem Lebensstil, in geistlicher Jüngerschaft … doch wir brauchen vor allem die übernatürliche Hand des allmächtigen Gottes in unserem Leben. Verlangen wir wirklich danach? Das ist die einzige Alternative gegen Selbsttäuschung.


Originaltitel: „Building Without Pretending“;
April 2003; Armenia, Kolumbien
Quelle: www.philippnunn.com

Übersetzung: Walter Mücher

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