Gemeindezucht
Einige Fragen, die im Zusammenhang mit Gemeindezucht auftreten

Stephan Isenberg

© SoundWords, online seit: 24.05.2017, aktualisiert: 22.04.2022

Ausschluss trotz Rückzug?

Muss jemand aus der Mitte der Gläubigen hinausgetan werden, obwohl er seit seinem Fall in die Sünde nicht mehr die Zusammenkünfte besucht?

Es ist immer schwierig, Fragen dieser Art pauschal zu beantworten, weil jeder Fall für sich betrachtet werden muss. Deshalb können hier auch nur gewisse Grundsätze aufgezeigt werden. Wenn ein Christ in einer Sünde lebt, die nach 1. Korinther 5 zu einem Hinaustun aus der Mitte der Gläubigen führt, und er früher die Zusammenkünfte der Gläubigen regelmäßig besucht hat, dann sollte er auch offiziell hinausgetan werden.

Man könnte einwenden, dass er doch sowieso nicht mehr gekommen sei und dass die Sache sich damit auch erledigt hätte. Wir denken, dass dieser Ansatz zu kurz greift, denn „diese Tat“, wie sie in 1. Korinther 5,2 genannt wird, ist in der Mitte der Gläubigen geschehen, und die Gemeinde ist verpflichtet, nicht nur den Bösen, sondern auch das Böse aus der Mitte der Gläubigen zu entfernen; deshalb erwähnt der Apostel Paulus das Bild vom Ausfegen des Sauerteiges (1Kor 5,7.8).

Die Korinther waren offensichtlich eine „verunreinigte Masse“, und das in doppelter Hinsicht: zum einen, weil sie sich über die Sünde der Hurerei gleichgültig hinwegsetzt hatten (1Kor 5,2), und zum anderen, weil sie das Böse nicht aus ihrer Mitte ausgefegt hatten. Diese Verunreinigung konnten sie nur durch ein konsequentes Handeln mit dem Bösen wieder aufheben. Der zweite Korintherbrief ist ein zu Herzen gehendes Zeugnis davon, dass die Korinther selbst über diesen Vorfall traurig geworden waren und dann auch entsprechend gehandelt hatten (2Kor 2,1-11). So konnte der Apostel Paulus in 2. Korinther 7,11 schreiben: „Ihr habt in allem bewiesen, dass ihr an der Sache rein seid.“ Offensichtlich waren sie zuvor wegen des Vorfalls verunreinigt gewesen und kamen dann der Aufforderung nach, den Sauerteig auszufegen.

Auch wenn ein in Sünde lebender Christ das Zusammenkommen der Gläubigen nicht mehr besucht, muss dennoch mit ihm gehandelt werden. Er wird immer noch zu denen gezählt, die zu der Versammlung Gottes des jeweiligen Ortes gehören, so wie auch Kranke, die vielleicht eine gewisse Zeit am Besuch der Gemeindestunden gehindert sind, immer noch zu dem örtlichen Zusammenkommen der Versammlung gehören. Es muss vor der sichtbaren und unsichtbaren Welt klarwerden, ob ein Christ als „drinnen“ oder „draußen“ anzusehen ist. Nebenbei hat jede örtliche Versammlung auch Verantwortung für den ganzen Leib Christi. Jemand, der in A nach „draußen“ getan wurde, kann nicht einfach nach B gehen und dort als „drinnen“ aufgenommen werden. Wenn A also den Bösen nicht hinaustut, dann könnte dieser nach B gehen und dort aufgenommen werden.

Zudem muss auch der ganzen örtlichen Gemeinde klar sein, dass jemand als „hinausgetan“ gebrandmarkt ist, weil damit auch die Aufforderung einhergeht, „mit einem solchen nicht einmal zu essen“ (1Kor 5,11). Wenn der Böse aber nicht offiziell nach „draußen“ gestellt wurde, gibt es für die örtlichen Geschwister keinen (offiziellen) Grund, mit jener bösen Person die Gemeinschaft abzubrechen.

Zumindest muss dem örtlichen Zusammenkommen der Versammlung kundgetan werden, dass dieser oder jener in der Sünde verharrt und Gemeinschaft unter diesen Umständen nicht möglich ist (vgl. 1Kor 5,11).

Ausschluss trotz Schuldbekenntnis?

Muss ein Christ, der in einer Sünde lebt, auch dann noch ausgeschlossen werden, wenn er seine Schuld sofort bekennt?

Auch hier handelt es sich um eine sehr schwierige Frage, weil nicht alle Fälle gleich sind und auch die Glaubwürdigkeit und die Umstände solch eines Bekenntnisses sicher eine Rolle spielen.

Grundsätzlich sollte gelten: Eine vorgefallene Sünde sollte immer im kleinstmöglichen Rahmen gehalten werden. Vielleicht wurden schwerwiegende Sünden nur einer Handvoll Leuten bekannt, und dann kann man diese Angelegenheit auch diskret behandeln. Wir sprechen in der Folge von Sünden, die allen offenbar geworden sind.

Der biblische Befund besagt: „Und ihr seid aufgebläht und habt nicht vielmehr Leid getragen, damit der, der diese Tat begangen hat, aus eurer Mitte weggetan würde“ (1Kor 5,2). Der Apostel schreibt von einer „Tat“, die zur Folge haben sollte, das jener „aus eurer Mitte weggetan würde“. Er fragt die Korinther nicht erst, ob der Übeltäter bereits Buße getan hat. Er fordert sie auch nicht auf, doch erst einmal seelsorgerlich mit dieser Person zu reden, sondern er hat seine Entscheidung schon aus der Ferne getroffen, und zwar „den, der dieses so verübt hat, im Namen unseres Herrn Jesus Christus (wenn ihr und mein Geist mit der Kraft unseres Herrn Jesus versammelt seid) einen solchen dem Satan zu überliefern zum Verderben des Fleisches, damit der Geist errettet werde am Tag des Herrn Jesus“ (1Kor 5,3-5). Es scheint zuerst einmal überhaupt nicht um die Frage zu gehen, in welchem Zustand der Übeltäter ist, sondern es wird allein die „Tat“ behandelt. Der Apostel Paulus sagt auch nicht: „damit der, der nicht bereit ist, Buße zu tun, aus eurer Mitte weggetan würde“, sondern: „der diese Tat begangen hat“. Es gibt für gewisse schwere Sünden eine Strafe, die von der Gemeinde auferlegt wird, ohne dass seelsorgerliche Gespräche nötig wären.

Wenn wir das mit Matthäus 18,15-20 vergleichen, dann sehen wir hier einen anderen Weg. Hier geht es um Geschwister, die Probleme untereinander haben. Hier sollte man zuerst allein versuchen, die Sache aufzulösen; hat dies keinen Erfolg, sollte man jemand mitnehmen, und wenn auch das erfolglos war, sollte man es der Versammlung sagen.

In 1. Korinther 5 geht es jedoch um schwerwiegende Sünden, die grundsätzlich mit einer Strafe der Versammlung belegt wird. Das wird auch durch den zweiten Korintherbrief bestätigt. In 2. Korinther 2 greift der Apostel das Thema von 1. Korinther 5 wieder auf und schreibt, nachdem der Übeltäter zur Umkehr gelangt war: „Genügend ist einem solchen diese Strafe, die von den Vielen ist“ (2Kor 2,6). Es gibt also eine „Strafe, die von den Vielen ist“.

Liegt also eine Sünde vor, die von der Schwere her mit den Sünden aus 1. Korinther 5 zu vergleichen ist (siehe 1Kor 5,11; hier geht es nicht um eine vollständige Liste, denn Mord fehlt in dieser Aufstellung), dann wird ein zumindest vorübergehendes Hinaustun aus der Mitte der Gläubigen unvermeidbar sein. Derjenige, der diese Tat begangen hat, wird sich gern unter diese Strafe, „die von den Vielen ist“, beugen. Er wird sich darunter demütigen und damit allen zeigen, dass seine Reue und Betrübnis gottgemäß ist: „Denn die Betrübnis Gott gemäß bewirkt eine nie zu bereuende Buße zum Heil; die Betrübnis der Welt aber bewirkt den Tod“ (2Kor 7,10). Obwohl es in dieser Bibelstelle um die Buße der Korinther ganz allgemein ging und nicht speziell um die Buße des Übeltäters, kann man diese Bibelstelle doch auch sehr allgemein auffassen.

Jedoch müssen wir vielleicht noch zwei Dinge beachten, wenn wir als Gemeinde solche Handlungen durchführen:

  • Zu schnell passiert es, dass wir in einem falschen Geist handeln. Wenn der Apostel Paulus im ersten Brief an die Korinther sehr hart geschrieben und konsequentes Handeln eingefordert hatte, so lesen wir doch im zweiten Brief, mit welcher Herzenshaltung er diesen Brief geschrieben hatte: „Denn aus vieler Bedrängnis und Herzensangst schrieb ich euch mit vielen Tränen“ (2Kor 2,4). Das hätten wir beim Lesen von 1. Korinther 5 vielleicht nicht gedacht. Das ist der erste Punkt, an den wir uns immer wieder erinnern sollten: Wir sollten uns als Gemeinde unter diese Dinge beugen und Leid tragen. Wir sollten uns demütigen, wenn diese schlimmen Sünden unter uns vorkommen. Nie sollten wir so eine Person hinaustun nach dem Motto: „Das könnte uns nicht passieren.“

  • Der andere Punkt ist, dass wir die Strafe, „die von den Vielen ist“, nicht überziehen. Denn der Böse aus 1. Korinther 5 hatte seine Schuld eingesehen und bereut, und nun standen die Korinther in Gefahr, zu lange mit der Wiederaufnahme in die Mitte der Gläubigen zu warten. Denn der Apostel musste den Korinthern schreiben: „Genügend ist einem solchen diese Strafe, die von den Vielen ist, so dass ihr im Gegenteil vielmehr vergeben und ermuntern solltet, damit nicht etwa ein solcher durch die übermäßige Traurigkeit verschlungen werde. Darum ermahne ich euch, ihm gegenüber Liebe zu üben“ (2Kor 2,6-8). Der Weg eines Bruders mag eindeutig falsch gewesen sein, und doch gibt es auch klar festgesetzte Grenzen für die Strafe. Das war im Alten Testament auch nicht anders: „Mit vierzig Schlägen darf er ihn schlagen lassen, nicht mehr; damit nicht, wenn er fortführe, ihn über diese hinaus mit vielen Schlägen zu schlagen, dein Bruder verächtlich werde in deinen Augen“ (5Mo 25,3). Wir haben hier ein Prinzip, das sogar unter dem Gesetz vor überzogener Härte schützte.

Eine Zuchtmaßnahme hat demnach die Aufgabe einer Wiederherstellung und zum anderen auch der Strafe. Der zweite Punkt wird oftmals nicht gesehen, ist aber ebenso, wie oben gezeigt, Bestandteil des Wortes Gottes. Es gehört viel Weisheit bei den Verantwortlichen dazu, nach der Schrift zu handeln und die Strafe auszuführen, aber es gehört ebenso viel Weisheit dazu, nicht über das Maß der Strafe hinauszugehen.

Noch etwas anderes: Wir finden in der Schrift verschiedene Sündenbekenntnisse. Leider waren die wenigsten davon wirklich gottgemäß. Das Bekenntnis von Saul ist ein Beispiel dafür: „Ich habe gesündigt! Nun ehre mich doch“ (1Sam 15,30). In einem solchen Fall ist ein schnelles Bekenntnis immer mit Vorsicht zu genießen – es wurde möglicherweise eher deswegen abgelegt, um den Zuchtmaßnahmen zu entgehen, als dass man echtes Leid über die Sünde empfand. Dazu muss man immer bedenken, dass eine solche Sünde immer eine Vorgeschichte hat. Da hat sich schon längere Zeit vorher jemand vom Herrn entfernt, so dass deshalb eine solche Sünde dann später möglich wurde.

Eine Wiederherstellung ist ein längerer Prozess und geschieht nicht von jetzt auf gleich. Das sehen wir an vielen Beispielen der Schrift (z.B. bei der Wiederherstellung des Petrus, der Brüder Josephs und des gläubigen Überrestes in der Zukunft sowie bei der Reinigung des Aussätzigen).

Wer schließt aus?

Wer kann ein Hinaustun aus der Mitte der Gläubigen beschließen? Können das auch einige Brüder, Älteste oder ein Leitungsgremium tun?

Nein. Ein Ausschluss aus der Gemeinde darf nie von einer Brüdergruppe, Ältesten oder einem Leitungsgremium beschlossen werden. Der Ausschluss kann von den verantwortlichen Brüdern vorbereitet werden und muss dann der Versammlung vorgeschlagen werden. Es heißt in Matthäus 18,17: „So sage es der Versammlung.“

Ein Ausschluss muss unabdingbar mit dem Wort Gottes begründet werden. Es muss genügend Raum gelassen werden, dass Geschwister einen Einwand erheben können. Dieser Einwand muss dann mit der Schrift begründet sein und sollte von den Verantwortlichen der Gemeinde ernst genommen und anhand des Wortes Gottes überprüft werden. Für einen Ausschluss ist nicht zwingend erforderlich, dass alle Geschwister darin übereinstimmen, auch wenn dies das angestrebte Ziel sein sollte. In 2. Korinther 2,6 heißt es: „Genügend ist einem solchen diese Strafe, die von den Vielen ist.“ Wenn eine große Zahl der Versammelten gegen einen Ausschluss ist, sollte man sich vorerst darunter beugen und versuchen, die Geschwister weiter zu belehren und mit den nötigen Informationen zu versorgen, wenn man nicht Parteiungen und Spaltungen in der Gemeinde provozieren will.

Schuldbekenntnis vor der Gemeinde?

Muss ein Böser, der aus der Mitte der Gläubigen weggetan wurde, seine Schuld vor der Gemeinde bekennen oder reicht ein persönliches Schuldbekenntnis?

Wenn eine Sünde in der Öffentlichkeit begangen worden ist und alle davon erfahren haben, dann sollte eine Sünde auch in der Öffentlichkeit wiedergutgemacht werden. Das hat schon mit dem Grundsatz zu tun, dass alles in dem Rahmen geordnet werden muss, in dem es vorgefallen ist. Jakobus schreibt: „Bekennt nun einander die Sünden und betet füreinander, damit ihr geheilt werdet; das inbrünstige Gebet eines Gerechten vermag viel“ (Jak 5,16). Ein öffentliches Bekenntnis in der Gemeinde ist auch eine Befreiung für die Seele, die gesündigt hat. Natürlich ist der wichtigste Schritt, die Sünde vor Gott zu bekennen und die Vergebung Gottes in Anspruch zu nehmen. Das nimmt die größte Last von dem, der gesündigt hat. Seine Sache zwischen ihm und Gott ist wiederhergestellt. Dennoch gibt es auch eine Vergebung, die hier auf der Erde durch die Versammlung verwaltet wird und von der wir in 2. Korinther 2,10 lesen: „Wem ihr aber etwas vergebt, dem vergebe auch ich.“ Paulus konnte und wollte nicht eine persönliche Vergebung aussprechen, solange die Versammlung nicht gehandelt hatte. Dieser Art der sogenannten administrativen (verwaltungsmäßigen) Sündenvergebung begegnen wir auch an anderen Stellen der Schrift; sie stellt keine Ausnahme dar:

  • Mt 16,19: Ich werde dir die Schlüssel des Reiches der Himmel geben; und was irgend du auf der Erde binden wirst, wird in den Himmeln gebunden sein, und was irgend du auf der Erde lösen wirst, wird in den Himmeln gelöst sein.

  • Joh 20,23: Welchen irgend ihr die Sünden vergebt, denen sind sie vergeben, welchen irgend ihr sie behaltet, sind sie behalten.

  • Mt 18,18: Wahrlich, ich sage euch: Was irgend ihr auf der Erde binden werdet, wird im Himmel gebunden sein, und was irgend ihr auf der Erde lösen werdet, wird im Himmel gelöst sein.

Die Gemeinde hat die Verwaltung übertragen bekommen, Sünden an jemand zu binden, womit der Ausschluss aus der Gemeinde verbunden ist, und etwas zu lösen, womit die Vergebung durch die Gemeinde verbunden ist. Deshalb ist ein öffentliches Bekenntnis unumgänglich. Es hilft auch dem, der wieder aufgenommen werden soll, so dass alle Geschwister ihn wieder von Herzen in die Gemeinschaft aufnehmen und alle Vorbehalte ausgeräumt sind.

Wie behandelt man Ausgeschlossene?

Wie geht man mit jemand um, der aus der Mitte der Gläubigen hinausgetan wurde?

Ist jemand aus der Mitte der Gläubigen hinausgetan worden, so ist eine Gemeinschaft mit dieser Person nicht mehr möglich. Der Apostel schreibt an die Korinther: „Nun aber habe ich euch geschrieben, keinen Umgang zu haben, wenn jemand, der Bruder genannt wird, ein Hurer ist oder ein Habsüchtiger oder ein Götzendiener oder ein Schmäher oder ein Trunkenbold oder ein Räuber, mit einem solchen nicht einmal zu essen“ (1Kor 5,11). Essen bedeutet in erster Linie einmal „Gemeinschaft haben“. Jede Gemeinschaft mit einem Ausgeschlossenen muss vermieden werden. Die Sünde ist so schwerwiegend, dass sogar in Zweifel gezogen werden muss, dass so jemand wirklich gläubig ist.

Die Bibelstelle spricht davon: „wenn jemand, der Bruder genannt wird“, und in Matthäus 18,17 heißt es: „Wenn er aber auch auf die Versammlung nicht hört, sei er dir wie der Heide und der Zöllner.“ Der Apostel Johannes schreibt in 2. Johannes 10.11 in Bezug auf einen Irrlehrer: „Wenn jemand zu euch kommt und diese Lehre nicht bringt, so nehmt ihn nicht ins Haus auf und grüßt ihn nicht. Denn wer ihn grüßt, nimmt teil an seinen bösen Werken.“ Auch hier geht es um die Gemeinschaft: Wenn man einen Bösen ins Haus aufnimmt, dann nimmt man teil an seinen bösen Werken.

All diese Stellen zeigen, dass der persönliche Umgang mit einem Bösen nicht möglich ist und dass man sogar Teil bekommt an der Sünde des anderen, wenn man sich in Gleichgültigkeit über dieses Gebot hinwegsetzt.

Ausschluss ohne Bedeutung in der Familie?

Wie geht man in der eigenen Familie mit einem Ausgeschlossenen um?

Wie sieht es denn mit Familienangehörigen aus? Weder 1. Korinther 5 noch 2. Johannes 10.11 noch 2. Timotheus 2 und auch nicht Matthäus 18 zeigen irgendeine Möglichkeit auf, dass es hinsichtlich der Trennung vom Bösen eine Ausnahme geben könnte. Der Grundsatz der Absonderung vom Bösen gilt uneingeschränkt. Es gilt allerdings in der Familie auch einen anderen Grundsatz zu berücksichtigen: In Ehe und Familie gibt es Pflichten, die mit der Schöpfungsordnung in Verbindung stehen und durch einen Ausschluss nicht aufgehoben werden. So kann man ein ausgeschlossenes Kind, das auf Versorgung angewiesen ist, sicher nicht aus dem Haus stoßen. 1. Korinther 7 erwähnt Pflichten in der Ehe; dennoch wird auch hier der Kontakt nicht mehr so sein wie früher, und die Familienangehörigen müssen zwangsläufig dem Ausgeschlossenen deutlich anders gegenüberstehen als vor dem Ausschluss.

Auch Bibelausleger vergangener Jahrhunderte, die über die Notwendigkeit einer Trennung vom Bösen geschrieben haben, haben deutlich gemacht, dass Stellen wie 1. Korinther 5,11 grundsätzlich immer zu beachten sind:

  • 1Kor 5,11: Nun aber habe ich euch geschrieben, keinen Umgang zu haben, wenn jemand, der Bruder genannt wird, ein Hurer ist oder ein Habsüchtiger oder ein Götzendiener oder ein Schmäher oder ein Trunkenbold oder ein Räuber, mit einem solchen nicht einmal zu essen.

Sie haben aber auch darauf hingewiesen, dass es aufgrund von Abhängigkeiten in Ehe und Familie selbstverständlich Pflichten gibt, denen man weiter nachkommen muss. So findet sich das auch in dem Artikel „Grenzen der Zucht“ von Samuel Ridout, wo es heißt:

Und doch gibt es auch hier gewisse Grenzen der Zucht, die wir ansprechen wollen. Wenn ein Ausgeschlossener zu einer christlichen Familie gehört, ein Ehemann oder Bruder ist, wäre es ein Fehler, das Wort „mit einem solchen nicht einmal zu essen“ buchstäblich anzuwenden. Eine Frau würde es nicht ablehnen, mit ihrem unter Zucht stehenden Mann an einem Tisch zu sitzen. Wenn sie das täte, würde sie ihre Pflicht als Ehefrau verletzen. Sie zeigt ihre Verweigerung der Gemeinschaft auf andere Weise. Es käme einer Schikanierung gleich, würde man darauf bestehen, sie sollte ihre Pflichten im Haushalt nicht mehr erfüllen.

Um die Sache zu vereinfachen, hat man es vielerorts aufgegeben, zwischen Pflichten und freiwilligen Handlungen, die nicht zwingend notwendig sind, zu unterscheiden, und hat die einfache Devise ausgegeben: „1. Korinther 5 gilt nicht für die Familie!“ So hat man jetzt nicht einmal mehr Probleme damit, mit solchen in Urlaub zu fahren und Feste zu feiern. Es sollte genügen, festzustellen, dass sich diese Ausnahmeregelung in der Heiligen Schrift nicht findet. Dennoch wollen wir zwei Zitate von J.N. Darby wiedergeben, die deutlich machen, wie sehr man die Hinweise jener Bibelausleger aufgegeben hat:

Hier steht: „Nun aber habe ich euch geschrieben …, mit einem solchen nicht einmal zu essen“ (1Kor 5,11). Ich würde nicht mit so jemand essen; ich würde ihm etwas zu essen geben, wenn er Hunger hat, aber nicht mit ihm essen. Nehmen wir eine Frau, deren Mann ausgeschlossen ist. Es mag befremdlich klingen, aber ihr Verhalten sollte zeigen, dass sie nicht aus eigenem Antrieb den Umgang mit ihm aufrechterhält, sondern dass es eine Frage der Unterordnung unter die Autorität ist.[1]

Darby anerkannte natürlich, dass eine Ehefrau nach dem Wort Gottes Pflichten gegenüber ihrem Mann hat und ihm auch weiter untergeordnet bleibt, auch wenn der Mann als Böser aus der Gemeinschaft der Kinder Gottes ausgeschlossen wurde. Doch durch ihr Verhalten muss deutlich werden, dass sie nur die Pflichten einer Ehefrau erfüllt und dass sie nicht vorsätzlich und aus eigenem Antrieb mit ihrem ausgeschlossenen Mann Umgang hat, selbst wenn sie am selben Tisch isst wie er.

Ein anderes Beispiel finden wir in einem Brief von Darby, in dem er von einem Sohn schreibt, der aus der Gemeinschaft der Kinder Gottes ausgeschlossen wurde. Es ist interessant, zu lesen, dass Darby schon damals mit seinem konsequenten Denken und Verhalten hierüber angeeckt ist:

Mein lieber Bruder, ich halte es für sehr wichtig, die Zucht des Hauses Gottes unversehrt zu halten: Wir sollten nicht mit denen essen, die unter Zucht stehen. Ich bekam eine furchtbare Schelte von jemand, weil ich nach diesem Grundsatz gehandelt habe. Ich werde mich auch hüten, X zu tadeln. Es ist sehr gut, dass der Sohn das Empfinden hat, dass sein Vater nicht leichthin darüber hinweggegangen ist, dass sein Sohn ausgeschlossen worden ist. Ich sollte [als Vater] nicht mit ihm essen, und wenn er [der Sohn] am selben Tisch speiste, würde ich kein Gespräch mit ihm führen, und wenn Y das tat, würde ich da nicht gern am Tisch sitzen wollen. Wenn der Junge völlig niedergeschlagen ist und man Sorge hat, ihn durch Härte zu entfremden, könnte ich ihn am Tisch essen lassen und ihm sagen, dass ich keinen freien Umgang mit ihm haben kann. Aber da er nun einmal im Haus war, würde ich mich nicht weigern, ihn am selben Tisch essen zu lassen. Aber ich könnte ihm nicht Gesellschaft leisten [indem ich mit ihm normalen Umgang pflege], bis er gedemütigt ist. Das würde die sorgenvolle Liebe zu ihm und die Versicherung dieser Liebe nicht behindern; aber Vertrautheit und Gesellschaft am Tisch, als ob nichts geschehen wäre, das dürfte ich nicht dulden. Ich gebe meinem Sohn sein Abendessen, wenn nötig; ich zeige ihm, dass sich mein Herz nach ihm sehnt, aber ich könnte nicht vertraut und unbefangen mit ihm sein. Ich sollte nicht mit ihm essen, sogar dann nicht, wenn ich zur selben Zeit essen würde. Es wäre sicher abhängig davon, wie alt der Sohn ist und wie weit er unter der Autorität des Vaters steht. Wenn er jung ist und unter [der Abhängigkeit des Vaters] steht, muss ich ihn essen lassen und ihn so behandeln, wie ich jemand behandeln würde, der unter Tadel steht. Wenn er erwachsen und unabhängig ist, sollte ich weniger geneigt sein, [noch] so zu handeln.[2]

Ausschluss ohne vorherige Teilnahme am Brotbrechen?

Was ist, wenn jemand mit Bösem in Verbindung steht, aber noch gar nicht am Brotbrechen teilgenommen hat?

Wenn wir diesen Fall betrachten, denken wir natürlich nicht an Weltmenschen, sondern an solche – meistens Jugendliche oder junge Erwachsene –, die bisher noch nicht am Brotbrechen teilgenommen haben. Sie haben sich zu einem früheren Zeitpunkt deutlich zu Jesus Christus bekannt und vorgegeben, Kinder Gottes zu sein, oder sie halten sich in einer christlichen Gruppe auf, wo sie wegen moralisch oder lehrhaft Bösem nicht ausgeschlossen werden, weil in dieser Gruppe der Ausschluss von Bösen grundsätzlich nicht praktiziert oder sehr lasch gehandhabt wird.

Natürlich kann man jemand, der noch nicht am Brotbrechen teilgenommen hat, auch nicht davon ausschließen. Leider wird dieses Argument immer wieder dafür benutzt, um der vollen Konsequenz von 1. Korinther 5,2; Johannes 10.11; 2. Timotheus 2 und Matthäus 18 auszuweichen, und zwar nach dem Motto: Es hat doch gar kein Ausschluss stattgefunden! Warum soll man also so jemand wie einen Ausgeschlossenen behandeln? – Das führt dann dazu, dass manche junge Leute mittlerweile dreißig Jahre geworden sind und immer noch nicht am Brotbrechen teilnehmen, möglicherweise mit dem Gedanken: Wenn ich dann mal einen sündigen Weg gehe, hat das für mich nicht so schlimme Konsequenzen. – Aber auch diejenigen, die all die Jahre mit solchen Christen in Verbindung standen, fühlen sich nicht verpflichtet, eine so drastische Trennung der Gemeinschaft zu vollziehen, wenn jene in der Sünde leben.

Wer so argumentiert, hat nicht bedacht, dass es in 1. Korinther 5,11 nicht heißt: „Nun aber habe ich euch geschrieben, keinen Umgang zu haben, wenn jemand ausgeschlossen wurde, mit einem solchen nicht einmal zu essen.“ Vielmehr heißt es: „Nun aber habe ich euch geschrieben, keinen Umgang zu haben, wenn jemand, der Bruder genannt wird, ein Hurer ist oder ein Habsüchtiger oder ein Götzendiener oder ein Schmäher oder ein Trunkenbold oder ein Räuber, mit einem solchen nicht einmal zu essen.“

Es heißt auch nicht: „wenn jemand, der Bruder ist“. Es geht nicht darum, ob jemand ein Gläubiger ist oder nicht – das können wir letztendlich sowieso nicht beurteilen –, sondern es geht darum, ob die Person sich dieser Kategorie zugehörig fühlt, das heißt, ob die Person als Bruder bzw. Schwester angesehen werden möchte bzw. angesehen wird/wurde.

Und in 2. Johannes 10 heißt es nicht: „Wenn jemand zu euch kommt und wegen böser Lehre ausgeschlossen ist, so nehmt ihn nicht ins Haus auf und grüßt ihn nicht.“ Vielmehr heißt es: „Wenn jemand zu euch kommt und diese Lehre nicht bringt, so nehmt ihn nicht ins Haus auf und grüßt ihn nicht“ (2Joh 1,10).

Und in 2. Timotheus 2 geht es gerade um einen Zustand, wo einzig persönliches Abstehen erforderlich ist.

Seelsorge an Ausgeschlossenen?

Wie ist es mit der Seelsorge an Ausgeschlossenen? Muss man diesen verirrten Menschen denn nicht nachgehen?

Wenn man jemand aus der Mitte der Gläubigen hinaustun musste, dann hat man damit auch gezeigt, dass man den Ausgeschlossenen ganz in die Hände Gottes übergeben hat. Ein Hirtendienst wird in dieser Zeit nicht angebracht sein, denn mit dem Ausschluss hat man ja ausgedrückt, dass aller Hirtendienst zu Ende gekommen ist. Es ist wahr, dass der gute Hirte dem Verlorenen nachgeht, bis Er es gefunden hat (vgl. Lk 15,4-6). Aber in dieser Stelle geht es  nicht um die Zucht in der Gemeinde, sondern um die Sorge des guten Hirten, der den verlorenen Menschen nachgeht. Natürlich geht der gute Hirte auch einem Schaf nach, das früher auf dem richtigen Weg war und jetzt vom Weg abgekommen ist, aber Er erreicht sein Ziel gerade dadurch, dass die Gemeinde jene Zucht ausübt, die der gute Hirte ihr aufgetragen hat.

Wir dürfen mit diesen Bibelstellen nicht klare neutestamentliche Lehre aushebeln. Dennoch sollte man auf die ersten Anzeichen von Reue und Buße (das könnte zum Beispiel der Besuch der Stunden zur Wortverkündigung sein) reagieren, wenn ein Ausgeschlossener der Gemeinde oder einigen Verantwortlichen signalisiert, dass der Herr an ihm gewirkt hat. Es ist gut, wenn es dann geistliche Brüder gibt, die einem Ausgeschlossenen den Weg zurück in die Gemeinschaft mit Gott und den Kindern Gottes aufzeigen können. Auch ein Kontakt zu dem Ausgeschlossenen sollte nicht mit Hirtendienst im eigentlichen Sinn verwechselt werden. So ein Kontakt kann nur geschehen, wenn es Anzeichen gibt, dass der Betroffene Buße getan hat, dass also Grund besteht, das zu überprüfen (s. 3Mo 14,2.3). Wir müssen immer im Blick haben, dass man mit einem Ausschluss nicht lästige Personen loswerden möchte, sondern dass sie eine Maßnahme ist, den Uneinsichtigen auch durch Verlust von Beziehungen zur Einsicht zu bringen.

Anmerkungen

[1] Collected Writings of J.N. Darby, Bd. 26, S. 220.

[2] Letters of J.N. Darby, Bd. 3, S. 63; Datum ungewiss.

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