Die Leitung des Geistes in den Zusammenkünften
1. Korinther 14

Willem Johannes Ouweneel

© SoundWords, online seit: 10.08.2001, aktualisiert: 29.10.2022

Leitverse: 1. Korinther 14

Die Leitung des Geistes in den Zusammenkünften

Beim Schreiben über dieses Thema bin ich mir bewusst, ein sehr heikles Thema anzurühren. Einige Brüder haben in der Vergangenheit sehr viel aus diesem Gegenstand gemacht, und es kommt in unserer Mitte auch häufig zur Sprache. Das fällt natürlich auch unseren jungen Leuten auf, und die sind dann sehr erstaunt, wenn sie entdecken, dass im Neuen Testament darüber eigentlich keine einzige Schriftstelle zu finden ist. So etwas ist stets ein schlechtes Zeichen! Wir laufen Gefahr, dasselbe zu tun, was wir so oft bei kirchlich Gläubigen tadeln: nämlich außerordentliche Betonung auf ein bestimmtes Thema zu legen, das zwar aus Tradition geliebt, jedoch tatsächlich in der Bibel so nicht vorkommt.

Ich habe viele Bücher von Brüdern über den Heiligen Geist, und in einem davon wird ein ganzes Kapitel der Leitung des Heiligen Geistes in den Zusammenkünften gewidmet. Aber in ebendiesem Kapitel gibt es keinen einzigen Verweis auf eine Bibelstelle! Das ist doch sehr merkwürdig. Ist die Idee von einer Leitung des Heiligen Geistes in den Zusammenkünften denn überhaupt nicht biblisch? Aber halt, das wäre wieder das andere Extrem! So liegen die Dinge nun auch nicht! Oft aber ist wohl ein überzogener und einseitiger Nachdruck auf die Leitung des Heiligen Geistes in den Zusammenkünften gelegt worden, wodurch vor allem jüngere Menschen dann ein falsches Bild gewinnen. Dieses Kapitel ist ein bescheidener Versuch, diesen Gegenstand ausgewogen und in seinen rechten Proportionen darzustellen.

Die „positiven“ Schriftstellen

Wenn auch die Schrift nicht konkret über die Leitung des Heiligen Geistes in den Zusammenkünften spricht, so redet sie natürlich wohl von der Leitung des Geistes im Allgemeinen. Wir lesen vom Herrn Jesus: „Jesus nun, voll Heiligen Geistes, kehrte zurück vom Jordan und wurde durch den Heiligen Geist (in der Kraft desselben) in die Wüste geleitet“ (Lk 4,1; vgl. auch Lk 4,14; Mt 4,1; Mk 1,12).

Von den Gläubigen lesen wir in Römer 8,4, dass sie „nach (dem) Geist wandeln“, und in Römer 8,14: „Alle, die durch (den) Geist Gottes geleitet werden, diese sind Söhne Gottes.“ In Galater 5 finden wir: „Wandelt durch (den) Geist …, wenn ihr aber durch (den) Geist geleitet werdet, so seid ihr nicht unter Gesetz … Wenn wir durch den Geist leben, so lasst uns auch durch (den) Geist wandeln“ (Gal 5,16.18.25).

Aus diesen Schriftstellen wird deutlich, dass die Leitung des Heiligen Geistes eine äußerst bedeutungsvolle Sache für jeden Gläubigen ist. Wir können entweder durch unser eigenes Fleisch oder durch den Heiligen Geist, der in uns wohnt, geleitet werden. Werden wir durch das Fleisch geleitet, dann dienen wir der Sünde; werden wir durch den Geist geleitet, dann dienen wir Gott. Diese Leitung des Heiligen Geistes ist natürlich auch in den Zusammenkünften der Gläubigen von großer Bedeutung, aber sie ist dort prinzipiell nicht wichtiger als im restlichen Leben des Gläubigen. Der Christ hat die Leitung des Heiligen Geistes nötig beim Vorschlagen eines Liedes, beim Sprechen eines Gebetes, beim Vorlesen eines Bibelabschnittes und auch beim Sprechen über die Schrift in den Zusammenkünften. Aber er hat die Leitung ebenso sehr nötig im gewöhnlichen Leben!

Und dabei denke ich nicht allein an die großen Entscheidungen im Privatleben, zum Beispiel dem Auswählen eines Ehepartners oder der Entscheidung für einen Beruf oder einen Wohnort. Dass wir dabei die Leitung des Heiligen Geistes nötig haben, begreift jedermann. Aber wir laufen große Gefahr, diese Leitung auf die Dinge der Versammlung und eventuell auf die großen Entscheidungen in unserem Leben zu beschränken. Wer sie derart beschränkt, wird nicht viel von der Leitung des Heiligen Geistes begreifen und deshalb eben auch nicht von der Leitung des Heiligen Geistes in den Zusammenkünften. Wir können erst etwas davon verstehen, wenn wir auch einsehen, dass wir die Leitung des Heiligen Geistes in unserem Familien- und Eheleben, in der Ausübung unserer täglichen Arbeit sowohl im Haushalt als auch im Beruf, im Straßenverkehr, beim Einkaufen, in der Bank und im Postamt, beim Umgang mit den Nachbarn usw. nötig haben.

Dem Leser sollte klar sein, dass dies mein voller Ernst ist. Es gibt in unserem Leben kein neutrales, graues Terrain, wo wir ganz gut mit unserem „gesunden Menschenverstand“ oder mit unserer Erziehung zurechtkämen, während wir in anderen Gebieten unseres Lebens dann die besondere Leitung des Heiligen Geistes nötig hätten. In jedem Gebiet des Lebens werden wir entweder durch das Fleisch oder durch den Heiligen Geist geleitet.

Der Kernpunkt meiner Argumentation, wie hoffentlich noch deutlich werden wird, ist dieser falsche Gegensatz, den sehr viele Gläubige zwischen dem „gesunden Menschenverstand“ einerseits und der „Leitung des Heiligen Geistes“ andererseits machen. Man meint dann, dass man in den Dingen, die man gelernt hat oder bei denen man seinen gesunden Menschenverstand gebrauchen kann, den Geist nicht nötig hätte und dass man andererseits in den Dingen, in denen die Ausbildung und der gesunde Menschenverstand keinen Platz haben sollten – zum Beispiel in den Zusammenkünften –, dann die Leitung des Heiligen Geistes nötig hätte.

Diese Auffassung ist vollkommen verkehrt. Für alles, wozu wir unser Wissen oder auch unseren gesunden Menschenverstand gebrauchen, haben wir auch die Leitung des Heiligen Geistes nötig, und überall, wo wir durch den Heiligen Geist geleitet werden, sollten Kenntnis und gesunder Menschenverstand niemals ausgeschaltet werden, auch nicht in den Zusammenkünften. Wir werden später die schriftgemäßen Beweise dazu anführen.

Zunächst geht es mir um meine eingangs getroffene Feststellung, dass es falsch ist, einen Gegensatz zwischen „Wissen“ / „gesundem Menschenverstand“ und „Leitung des Heiligen Geistes“ anzunehmen.

Vorweg will ich noch auf ein Schriftwort eingehen, das von besonderer Bedeutung für die Leitung des Heiligen Geistes in den Zusammenkünften ist, obwohl es streng genommen nicht davon redet: „Dies alles aber wirkt ein und derselbe Geist und teilt jedem besonders aus, wie er will“ (1Kor 12,11). Es geht hier um die Ausübung der Gnadengaben im Allgemeinen, und die ist ja bestimmt nicht beschränkt auf die Zusammenkünfte der Versammlung. Umgekehrt sind unsere Zusammenkünfte nicht beschränkt auf die Ausübung von Gaben. (Um zu beten, Lieder vorzuschlagen, Schriftstellen vorzulesen, sind beispielsweise keine Gnadengaben notwendig!) Aber trotzdem ist gerade dieser Vers von Bedeutung, weil er der einzige ist, der wenigstens etwas unserem Thema nahekommt. Es geht in diesem Abschnitt nicht allein darum, dass Gaben gegeben, sondern dass sie auch ausgeübt werden, wie es unter anderem aus den Worten „Dienste und Wirkungen“ hervorzugehen scheint (1Kor 12,5.6.10).

Dieses letzte Wort ist besonders wichtig. Es kommt nur hier vor und bedeutet etwa: „Ausübung von Kraft“. Das dazugehörige Verb finden wir dann in 1. Korinther 12,11. Es ist der Geist, der bei der Ausübung der Gaben bei den Gläubigen wirksam ist und ihnen seine Kraft verleiht. Das Wort „austeilen“ (1Kor 12,11b) hängt im Griechischen direkt zusammen mit „Verschiedenheiten (von Wirkungen)“ in Vers 6: Der Geist wirkt in jedem Gläubigen auf andere Weise und in anderem Maß, entsprechend seinem souveränen Willen (1Kor 12,6).

Die „negativen“ Schriftstellen

Mit „negativ“ meine ich hier, dass es Schriftstellen gibt, die sich ausdrücklich auf das Zusammenkommen als Versammlung beziehen, die aber auffallenderweise jede Erwähnung des Heiligen Geistes unterlassen. Siehe zum Beispiel 1. Korinther 10,16-21; 11,20-34 und vor allem natürlich 1. Korinther 14.

Das wäre nun doch wirklich ein Kapitel gewesen, wo wir erwartet hätten, dass Paulus ausführlich auf die Leitung des Heiligen Geistes eingeht. Wenn es ums Zungenreden geht – ob alle durcheinander, ob ohne Auslegung und sogar häufig so, dass selbst Frauen das Wort führten –, liegt es da nicht auf der Hand, zu sagen, wie nötig es ist, auf die Leitung des Heiligen Geistes zu warten?! Viele Brüder würden das jedenfalls in solch einem Fall tun, und ich selbst habe es auch oft getan.

Aber Paulus erwähnt den Geist mit keinem Wort. Stattdessen spricht er hier über den Verstand (1Kor 14,14.15.19.20)! „Verstand“ bedeutet hier „das Denken“ (so ist das auch in der niederländischen Telos-Übersetzung meist wiedergegeben) oder „das Denkvermögen“. Die bemerkenswerteste Stelle ist in Vers 19: „Aber in (der) Versammlung will ich (lieber) fünf Worte mit meinem Verstand reden, damit ich auch andere unterweise, als zehntausend Worte in einer (fremden) Sprache.“

Wir würden vielleicht sagen: Ob du in der Versammlung mit deinem Verstand sprichst oder in einer fremden Sprache (wobei der Verstand fruchtleer bleibt; 1Kor 14,14), ist eine Frage der Leitung des Heiligen Geistes. Aber Paulus sagt (mit meinen Worten ausgedrückt): Das ist eine Sache des gesunden Menschenverstandes! Jeder Mensch kann begreifen, dass es sinnvoller ist, in der Versammlung in verständlicher Sprache zu sprechen, wodurch die Gläubigen auferbaut werden, als in einer Sprache, die kein Mensch versteht.

Und wenn jemand antworten würde: Ja, aber ich konnte doch nichts dafür, dass ich in einer fremden Sprache redete (oder sagen wir getrost: dieses oder jenes Lied vorschlug, das Gebet sprach, diese oder jene Bemerkung machte …), denn der Heilige Geist trieb mich dazu – dann antwortet Paulus: Nein, hört zu, „(die) Geister (der) Propheten sind (den) Propheten untertan“ (1Kor 14,32)! Im Heidentum war es normal, dass ihr „zu den stummen Götzenbildern hingezogen, ja fortgerissen wurdet“ (1Kor 12,2). Die Dämonen beherrschen ihre Opfer so sehr, dass deren Wille und Verstand weitestgehend ausgeschaltet werden. Aber der Heilige Geist wirkt nicht dergleichen. Er wirkt in den Gläubigen und macht vollständigen Gebrauch von ihrem Willen und ihrem Verstand, so dass die Gläubigen ständig ihr Inneres unter Kontrolle haben und halten. Genau das ist die Bedeutung von 1. Korinther 14,32: Die Propheten haben völlige Kontrolle über ihren eigenen Geist, das heißt über ihr ganzes Inneres, ihren Willen und über ihren Verstand.

Der Leser könnte höchstens dann Probleme mit dem Gebrauch der Worte „Verstand“ oder „gesunder Menschenverstand“ haben, wenn er bis jetzt einen falschen Gegensatz zwischen der Leitung des Heiligen Geistes einerseits und dem Willen, dem Wissen und dem gesunden Menschenverstand andererseits gemacht hat.

In 1. Korinther 14 geht es um das aktive Beteiligen von Gläubigen in den Zusammenkünften als Versammlung, um geistliche Gläubige mit einem erleuchteten (gesunden) Verstand. Geistliche Gläubige verstehen, dass man in den Zusammenkünften der Versammlung nicht sitzt, um sich selbst zu erbauen, sondern um den anderen zu erbauen; dass man nicht da ist, um mit seinen Gaben zu prahlen, sondern um damit anderen zu dienen. Das ist eine Sache des erleuchteten (gesunden) Menschenverstandes, wobei die Leitung des Heiligen Geistes nicht extra angesprochen zu werden braucht. Geistliche Gläubige sind sozusagen per Definition Gläubige, die durch den Heiligen Geist geleitet werden; das braucht nicht eigens erwähnt zu werden. Wäre sie hier extra erwähnt worden, dann hätte es den Anschein gehabt, als ob die Leitung des Heiligen Geistes etwas Besonderes für die Zusammenkünfte wäre. Und genau so verhält es sich eben nicht, denn geistliche Gläubige sind sowohl innerhalb als auch außerhalb der Zusammenkünfte geistlich. Sie werden sowohl innerhalb als auch außerhalb der Zusammenkünfte durch den Heiligen Geist geleitet, das braucht überhaupt nicht mehr extra erwähnt [oder unterschieden; Anm. d. Üb.] zu werden.

Geistliche Gläubige haben einen erleuchteten (gesunden) Verstand, mittels dessen sie sehr gut wissen, was man in den Zusammenkünften tun und lassen kann. Sie verstehen sehr wohl, dass der Herr nicht jedes Mal denselben Bruder gebrauchen will, um das erste Lied vorzuschlagen; oder jedes Mal denselben Bruder, um für Brot und Wein zu danken; oder – in größeren Versammlungen – einen einzigen Bruder benutzt, um jeden Sonntagmorgen drei oder noch mehr Lieder vorzuschlagen, während Er anscheinend andere Brüder dazu nie gebraucht, usw.

Wir haben diese Dinge viel zu einseitig mit der Leitung des Heiligen Geistes in den Zusammenkünften in Verbindung gebracht. Das ist eigentlich nicht falsch, aber wir sehen, dass die Schrift das nicht tut. Sie stellt uns in 1. Korinther 14 den geistlichen Gläubigen mit einem erleuchteten Verstand vor. Das ist auch richtig, weil hier von einem Gegensatz gar keine Rede sein kann: die Leitung des Heiligen Geistes einerseits und der (Gottes Wort unterworfene) Wille und der erleuchtete Verstand (vgl. 1Joh 5,20) des geistlichen Gläubigen andererseits sind zwei Seiten derselben Medaille.

Wer durch den Heiligen Geist geleitet wird in seinem Leben, ist ein geistlicher Gläubiger; und der geistliche Gläubige, das heißt, der Gläubige, der seinen Willen und Verstand Gottes Wort unterwirft und gemäß seinem erleuchteten Verstand handelt, wird per Definition durch den Heiligen Geist geleitet. So kann Paulus zum Beispiel sagen: „Ich spreche als zu Verständigen“ (1Kor 10,15), das heißt zu einem geistlichen Gläubigen mit einem erleuchteten Verstand, der in einem geistlichen Entwicklungsprozess zu einer bestimmten Reife gelangt ist und in stets größere Gleichförmigkeit mit Gottes Wort und Geist gebracht wird.

Wie nüchtern ist Gottes Wort! Der erleuchtete (gesunde) Menschenverstand von Paulus sagt: Ich rede in der Versammlung lieber fünf Worte mit meinem Verstand als zehntausend Worte, die niemand versteht und bei denen auch mein eigener Verstand fruchtleer bleibt.

Fünf Worte! Das ist eine Sonntagnachmittagsansprache, von der keiner müde wird, bei der niemand denkt: Wann ist er denn endlich fertig?! Wir würden sagen: Du solltest nicht mehr sagen, als der Heilige Geist dir eingibt. Aber man kann genauso gut sagen: Der geistliche Gläubige ist verständig genug, um nicht mehr zu sagen, als er wirklich auf dem Herzen hat. Wenn er ausgeredet hat, ist er weise genug, sich hinzusetzen. Diese zwei Ausdrucksweisen bilden keinen Gegensatz, sondern sie sind die zwei Seiten derselben Medaille. Zu diesen Grundsätzen könnte man viele Beispiele anführen und vielleicht können einige davon die Sache noch weiter verdeutlichen:

Der eine Bruder denkt: Ich werde meinen Mund nicht auftun, bis der Heiligen Geist mir etwas eingibt, und – er tut seinen Mund nie auf. Er denkt, dass die Leitung des Heiligen Geistes in den Zusammenkünften eine Art besondere Eingebung oder Offenbarung sei, auf die er passiv warten müsste – und dann passiert natürlich nichts.

Ein anderer Bruder hat das große Verlangen, dem Herrn und der Versammlung mit einem Lied, einem Gebet oder einem Wort zu dienen. Er bringt dieses Verlangen vor den Herrn. Er fragt sich nicht, ob er überhaupt eine Gabe hat oder ob erst eine besondere Offenbarung von oben kommen muss, sondern er hat einfach eine Last auf seinem Herzen. Und wenn die Gelegenheit kommt, spricht er seine fünf (oder fünfhundert) Worte und entlastet sein Herz aus Liebe zum Herrn und den Geschwistern.

Oder ein Lied steht deutlich vor ihm, das ins Ganze der Zusammenkunft passt, oder er hat etwas, was daran anschließt, was ein anderer Bruder gesagt hat, und er fühlt sich gedrängt, dieses Lied vorzuschlagen oder jenes Wort auszusprechen. Er denkt dabei überhaupt nicht an die Leitung des Heiligen Geistes – genau wie ein gesunder Mensch nicht die ganze Zeit an seinen Herzschlag oder das Atmen denkt –, aber er ist geistlich, er möchte der Versammlung dienen. Er hat etwas auf dem Herzen, und er hat die Freimütigkeit, es zu äußern.

So einfach ist das. Keinen Augenblick bleibt sein erleuchteter Wille oder Verstand ausgeschaltet. Wenn er schon zweimal gebetet hat in der Anbetungs- oder Gebetsstunde, so sagt ihm sein erleuchteter Verstand: Hier sind so viele Brüder, sollen doch auch sie Gelegenheit haben, sich zu äußern. Der Heilige Geist will nicht, dass ich jedes Lied, jedes Gebet, jedes Wort, das mir durch den Kopf geht, ausspreche. Der erleuchtete Verstand sagt: Diene ich mir selbst? Gibt es keine anderen, die auch den Mund auftun könnten?

Die Geister der Propheten bleiben den Propheten stets untertan. Nie kann ein Bruder sich hinter dem Heiligen Geist verstecken. Der Bruder, der so „eifrig“ in den Zusammenkünften ist, kann nicht sagen: „Der Geist drängte mich!“, und der Bruder, der nie etwas sagt, kann sich nicht entschuldigen mit: „Der Geist gebraucht mich nie!“, oder (noch schlimmer): „Ich wage mich nicht an die Leitung des Heiligen Geistes“ (das habe ich schon einmal gehört! Man fragt sich, wie solche Brüder durch die Woche kommen, denn da kommt es genauso auf die Leitung des Heiligen Geistes an!).

Der geistliche Bruder sagt sich aufgrund seines erleuchteten Verstandes: Bist du heute nicht zu eifrig?, oder: Wie kommt es, dass du heute so still bist? – Er bringt es vor den Herrn in stillem Gebet: Herr, bewahre mich vor dem Fleisch, hilf mir, zur Erbauung der anderen da zu sein. Und das bedeutet immer genau dasselbe wie: Leite mich durch Deinen Geist.

In der Schrift finden wir nirgends das Gebet um die Leitung des Heiligen Geistes (obwohl es deshalb noch nicht verkehrt wäre), vielmehr finden wir da den geistlichen Gläubigen: gereift in den Schriften, beherrscht vom Geist der Liebe nach 1. Korinther 13, mit einem Geist absoluter Uneigennützigkeit und mit tiefem Verlangen, den Geschwistern zu dienen, gleichgültig, in welcher Zusammenkunft. Genau das ist der Kern von 1. Korinther 14. Es steht da nicht: „Strebt nach der Leitung des Heiligen Geistes“, sondern: „Eifert nach den geistlichen (Gaben)“ [oder: „Äußerungen“ nach der niederländischen Übersetzung; Anm. d. Üb.]; nicht: Äußerungen des Heiligen Geistes, sondern: Äußerungen des verständigen, geistlichen Gläubigen, das heißt nach schriftgemäßen Äußerungen zur Ehre des Herrn und zur Auferbauung der Mitgläubigen.

Sicher ist die Leitung des Heiligen Geistes in den Zusammenkünften wesentlich. Aber wer sich darauf konzentriert, zäumt das Pferd von hinten auf. Der geistliche Gläubige denkt am Sonntagmorgen überhaupt nicht an den Heiligen Geist, sondern denkt (durch die Kraft des Heiligen Geistes!) an den Vater und den Sohn; er ist voll Dank, Lob und Anbetung und äußert dies auch, wobei er als geistlicher Gläubiger immer seinen erleuchteten (gesunden) Verstand behält (seinen Geist in Unterwerfung hält).

Und auch im Dienst am Wort denkt er nicht zuallererst an den Heiligen Geist, sondern denkt (durch die Kraft des Heiligen Geistes!) an Gott und an Christus als den Herrn des Dieners. An Ihn wendet er sich mit einem inbrünstigen Verlangen, den Gläubigen zu dienen. Aber angesichts der Tatsache, dass nun einmal nicht alle gleichzeitig aufstehen können – auch mit der dringenden Bitte, dass der eigene Wille doch ganz dem Willen des Herrn unterworfen sein möge, dass Er den aufstehen lassen möge, den Er will –, dass es doch vollkommen klar sei für den Bruder, dass der Herr ihm Freimütigkeit gebe, das zu sagen, was er auf dem Herzen hat.

Wenn alle so beten, sind alle geistlich, werden alle durch den Heiligen Geist geleitet – sowohl der, der aufsteht, als auch der, der sitzen bleibt. Der aufsteht, wird, wenn er geistlich ist, so verständig sein (oder durch den Heiligen Geist geleitet sein, das ist hier wieder genau dasselbe), nicht mehr zu reden als die fünf (oder fünfhundert oder fünftausend) Worte, die er auf dem Herzen hat. Die sitzen bleiben, werden – wenn sie geistlich sind – so verständig sein (oder durch den Heiligen Geist geleitet werden), dem Bruder in wohlwollender und aufnahmebereiter Gesinnung bis zu Ende zuzuhören.

Die Leitung des Geistes im Alltag

Zum Schluss noch etwas über die Leitung des Heiligen Geistes im Alltag. Wir haben allesamt viel Wissen erworben, sowohl durch unsere Erziehung (zu Hause) als durch Ausbildung. Daneben verfügt jeder Mensch über eine mehr oder weniger große Portion gesunden Menschenverstandes (d.h. an angeborenem, praktischem Urteilsvermögen im Gegensatz zum angelernten Wissen).

All unser Wissen und unseren Verstand können wir fleischlich oder geistlich gebrauchen, entweder zugunsten der eigenen Interessen, des eigenen Besitzes, der eigenen Ehre oder zur Ehre des Herrn und zum Nutzen unserer Mitmenschen. Mit jedem Schritt, den wir gehen, selbst in den allergewöhnlichsten Dingen des Lebens, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Nehmen wir irdische und geistliche Segnungen an als aus der Hand des Herrn oder als Verdienst oder als Selbstverständlichkeit? Nehmen wir sie von Ihm aus Eigeninteresse, zum eigenen Nutzen oder zu seiner Ehre und zum Dienst an anderen? Suchen wir bei der Erfüllung unserer Pflichten unseren eigenen Ruhm, unser eigenes Interesse oder auch wieder die Ehre des Herrn und das Heil des Nächsten?

An welche alltäglichen Umstände Sie auch denken, Sie werden sehen, dass immer eine oder mehrere dieser Fragen dabei eine Rolle spielen. Und um genau dieselben Fragen geht es auch in unseren Zusammenkünften! Genau deshalb gibt es keinen prinzipiellen Unterschied zwischen der Leitung des Heiligen Geistes in den Zusammenkünften und im Alltagsleben.

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