Muss ich die Erlaubnis von Brüdern abwarten?
Aus der Praxis des Gemeindelebens

William Kelly

© EPV/SoundWords, online seit: 03.06.2004, aktualisiert: 24.10.2022

Vorwort der Redaktion
In manchen Gemeinden hat sich eine Lehre breitgemacht, es sei erst dann möglich, eine Gemeinde zu verlassen, in der Böses geduldet wird, wenn (Nachbar-)Gemeinden oder Brüder aus (Nachbar-)Gemeinden dieser Gemeinde den Gemeindestatus abgesprochen haben. Umgekehrt habe man solch eine Gemeinde zu verlassen, wenn (Nachbar-)Gemeinden oder Brüder aus (Nachbar-)Gemeinden dieser Gemeinde den Gemeindestatus abgesprochen haben, unabhängig davon, ob man persönlich überzeugt davon ist, dass in dieser Gemeinde wirklich das Böse geduldet wird. Diese Lehre bringt den Gläubigen nicht nur dazu, sich möglicherweise mit Bösem zu verbinden oder Sektiererei zu unterstützen, sondern leugnet auch die persönliche Verantwortung für den gemeinsamen Weg der Gläubigen nach zum Beispiel 2. Timotheus 2. Dadurch wird der Gläubige dazu gebracht, gegen seinen persönlichen Glauben zu handeln und damit nach Römer 14,23 zu sündigen!
Bruder Kelly sah beide Gefahren. Auf die erste Variante – „Auf Entscheidungen aus Nachbargemeinden warten“ – weist er in unten angeführten Textpassagen hin. Die zweite Seite – „Die Gemeinde verlassen, wenn ihr der Gemeindestatus abgesprochen wurde“ – betraf ihn selbst, als seine Heimatgemeinde von einer sektiererischen Gruppe von Brüdern bzw. Nachbargemeinden „außer Gemeinschaft“ gestellt wurde. Hier weigerte er sich standhaft, diesen Beschluss anzuerkennen, da ein Dulden von Bösem für ihn nicht erkennbar war. Die Ausgewogenheit von Bruder Kelly zeigt sich in diesen Aussagen auch weiter darin, dass er das bloße Vorhandensein von Bösem nicht als Grund anerkennt, um von einer Gemeinde wegzugehen. Er sieht es genauso wie Bruder J.N. Darby, den man einmal fragte, wie groß denn das Böse in einer Gemeinde sein müsse, damit er dort weggehen würde. Darauf antwortete er, dass es ihm überhaupt nicht darauf ankäme, wie groß das Böse sei, sondern allein darauf, ob man noch bereit sei, auch das kleinste Böse wegzutun, wenn es eingetreten sei.

Wann hat man das Recht, sich von einer Gemeinde zu trennen?

Jede Art von Bösem kann in jeder Versammlung Eingang finden. Jedoch ist der Mangel an aufrichtigem Eifer, dieses Böse um Christi willen schriftgemäß zu richten, so verhängnisvoll, dass keine Versammlung als solche anerkannt werden darf, die deutlich diese größte Pflicht vernachlässigt. Vorsätzliches Hinnehmen von Bösem und dauerhaftes Versagen, sich davon zu reinigen, muss zum Ausschluss[1] einer solchen Versammlung führen. Diejenigen, die in gutem Gewissen vor Gott solch eine verunreinigte Versammlung verlassen, sind das genaue Gegenteil von Schismatikern[2], wenn sie an der Einheit des Leibes festhalten. Die Entscheidungsgewalt hat in diesen Dingen weder eine Art von „Klerus“ (bestimmte Männer, die sich selbst das Exklusivrecht herausnehmen, in solchen Fragen ein Urteil zu fällen) noch andere Nachbarversammlungen, sondern die Heiligen, die sich in den Umständen befinden. Sie haben in eigener Pflicht und Verantwortung für Gott zu handeln, und zwar mit den Interessen Christi und denen der Versammlung in ihrem Herzen.“[3]

 

Man darf nicht schweigen!

Genauso ist es hinsichtlich der Behausung Gottes im Geiste Gott sieht seine ganze Kirche vor sich, jeden, der den Namen des Herrn nennt. Hier in Epheser 2 haben natürlich nur die, die seinen Namen in Wahrheit tragen, Teil daran; niemand von denen, die einen falschen Christus bekennen. Bei dem heutigen Zustand der Christenheit sind viele Gefäße zur Unehre dabei. Bin ich nun verpflichtet, mich mit ihnen zu verbinden? Der Heilige Geist verbietet mir das, denn Er sagt: „Wenn sich nun jemand von diesen (weg)-reinigt …“ Gemeinschaft mit irgendwelchen Gefäßen zur Unehre ist verkehrt. Wenn es nicht möglich ist, sie von dem, was den Namen des Herrn trägt, hinauszutun, dann werde ich aufgefordert, mich von ihnen zu trennen. Andernfalls unterstütze ich das Geheimnis der Gesetzlosigkeit, denn wenn ein Christ die Gemeinschaft mit etwas, was er als böse erkannt hat, aufrechthält, so ist das gleichbedeutend damit, dass man sagt, Christus habe Gemeinschaft mit Belial. In manchen Fällen duldet man Böses in der Lehre oder im Wandel. In anderen Fällen ist es Gleichgültigkeit gegenüber der Tatsache, dass der Heilige Geist gegenwärtig ist; dadurch wird seine Wirksamkeit innerhalb der Versammlung, die hier auf der Erde seinen Namen trägt, verhindert.

Ganz gleich aber, welcher Art das ungerichtete Böse ist, der Gläubige hat sich davon zu reinigen. Dazu ist er ganz unzweideutig verpflichtet. Wenn du das tust, bist du durchaus nicht anmaßend. Du bist einfach nur gehorsam. Es ist die Pflicht eines jeden, der den Namen des Herrn nennt, von der Ungerechtigkeit abzustehen. Statt also die Sache unentschieden liegen zu lassen, statt es dem Urteil des Herzens oder des Verstandes eines Christen zu überlassen, wovon er sich trennen muss, haben wir das klare Gebot des Herrn, uns von den Gefäßen zur Unehre zu trennen, ganz gleich welcher Art und wo sie sind. Wenn Menschen, die den Namen des Herrn tragen, sich mit Sünde einsmachen, dann werden sie zu Gefäßen der Unehre, und jeder Christ hat sich von ihnen zu reinigen und sich unbefleckt zu halten. In dem gegenwärtigen verderbten Zustand der Christenheit ist dies der klar vorgeschriebene Weg; andere Schriftstellen belehren uns darüber, wie in der Versammlung im Einzelfall Zucht ausgeübt werden muss. Rücksicht auf Frieden und Einheit darf nicht den Vorrang haben vor der Aufrechterhaltung der Charakterzüge Christi; seine Ehre und seine Ansprüche dürfen unter keinen Umständen aufs Spiel gesetzt werden. Kein Gläubiger kann sich von seiner Verantwortung in dieser Beziehung freisprechen. Unsere vornehmste Pflicht ist immer, was wir dem Namen Christi schuldig sind. Niemals können wir Böses gutheißen oder dulden.

Es geht dabei nicht nur um ganz schwerwiegend böse Dinge. Die Versammlung, die Behausung Gottes, kann nichts zulassen, was sich nicht für seine Gegenwart geziemt. Zwar müssen wir Geduld haben, denn wer ist so geduldig wie Gott selbst? Doch will Er geheiligt werden in allen, die Ihm nahen, unter denen Er wohnt; sie haben alles, was seinem Wort zuwider ist, zu verurteilen. Angenommen, das Böse ist nur, wie man sagt, klein – soll ich dann den Namen und die Gegenwart des Herrn, ganz abgesehen von mir selbst, mit diesem kleinen Übel verbinden? Ganz bestimmt nicht! Natürlich erfordert nicht jeder beliebige Fehler, der gemacht wird, dass wir uns trennen; und doch dürfen wir uns nie einsmachen mit irgendetwas, was Gott zuwider ist. Durch Gottes Gnade sollten wir uns stets rein erhalten. Auch die Art und Weise, wie wir das tun, sollte immer dem Wort Gottes entsprechen. Zum Beispiel muss nicht gerade jeder tadelnswerte Bruder aus der Versammlung ausgeschlossen werden, sondern nur solche, die wirklich als Böse zu bezeichnen sind (1Kor 5). Unter keinen Umständen aber darf ein Christ Dinge dulden, von denen er weiß, dass sie für Gott unerträglich sind. Doch müssen wir auch sehr vorsichtig sein, um nicht irgendjemand voreilig etwas Böses zuzuschreiben. Gott erwartet von seinen Kindern, dass sie in solchen Lagen einen Verdacht nicht schnell aufkommen lassen und dass sie behutsam sind im Handeln und im Reden. Wie sind wir alle doch leider so schnell dabei, bei anderen Böses zu vermuten, weil wir selbst uns dieses Bösen bewusst sind.[4]

 

Um welche Einheit geht es?

Ihr seht also, dass weder das Vorhandensein großer Schwachheit noch das Eindringen von Bösem irgendwelcher Art ein Grund ist, wegzugehen, wie groß auch die Beschämung und der Schmerz für unsere Herzen sein mag. Was verhängnisvoll ist, ist die Weigerung, gegen die Unreinigkeit vorzugehen, das praktische Beiseitesetzen des Geistes Gottes, wenn Er durch das Wort auf das Böse aufmerksam macht und zeigt, wie gefährlich es ist. Dass menschlicher Eigenwille vorherrscht und gutgeheißen wird, um Bequemlichkeit, Ruhe und den Anschein von Einheit aufrechtzuerhalten, obwohl alles, was echte Einheit kostbar macht, verlorengegangen ist – das ist so verhängnisvoll. Was haben wir mit einer Einheit zu tun, die nicht durch den Willen Gottes gewirkt und aufrechterhalten wird? Ist es nicht die Einheit, auf die der Heilige Geist sein Siegel drückt, die zur Ehre des Herrn Jesus beiträgt, dann ist sie Sünde und ein Gräuel und hat kein Anrecht auf meine Treue. Darum ist letzten Endes nichts einfacher als die praktische Anwendung dieser Grundsätze, obwohl der Unglaube laut schreit, das sei unmöglich, und wir hätten die Freiheit, alle diese Gräuel zu tun. Gewiss gibt es auf dem Pfad mit Christus Schwierigkeiten, aber der Glaube überwindet sie. Wir wissen wohl, dass die Kirche aus Menschen besteht, die, wenn sie auch den Geist Gottes haben, auch noch das Fleisch in sich haben. Deshalb ist der Keim des Bösen vorhanden, und Satan ist bemüht, ihn sprossen zu lassen, damit der Ehre Gottes so viel Schaden wie möglich zugefügt wird. Wenn der Herr in unserer Mitte ist, sollte uns das nicht erschrecken; noch weniger sollten wir von einer so ehrenvollen und gesegneten Stellung fliehen, wenn sie auch Schwierigkeiten und Gefahren in sich birgt. Lasst uns die Lenden umgürten und auf Ihn blicken! Es ist seine Versammlung, und Er hat alle Macht und Gewalt in seinen Händen. Er wird seine Macht in Gnaden zu unseren Gunsten entfalten und mit dem, was Er hasst, handeln.[5]

Anmerkungen

[1] Anm. d. Üb.: Ausschluss, wörtlich: Exkommunikation.

[2] Anm. d. Üb.: Schismatiker = Verursacher einer Spaltung.

[3] Auszug aus „To Correspondents. The Invercargill Circular of April 1878“ in The Bible Treasury, Jg. 12, 1878–9, S. 143.

[4] Aus Die Lehre des Neuen Testamentes über den Heiligen Geist, Neustadt/Weinstraße (Ernst-Paulus-Verlag) 1975, S. 282–284.

[5] Aus Die Lehre des Neuen Testamentes über den Heiligen Geist, Neustadt/Weinstraße (Ernst-Paulus-Verlag) 1975, S. 249–250.

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