Leitverse: 1. Johannes 3,6-9
1Joh 3,6-9: Jeder, der in ihm bleibt, sündigt nicht; jeder, der sündigt, hat ihn nicht gesehen noch ihn erkannt. Kinder, dass euch niemand verführe! Wer die Gerechtigkeit tut, ist gerecht, wie er gerecht ist. Wer die Sünde tut, ist aus dem Teufel, denn der Teufel sündigt von Anfang an. Hierzu ist der Sohn Gottes offenbart worden, damit er die Werke des Teufels vernichte. Jeder, der aus Gott geboren ist, tut nicht Sünde, denn sein Same bleibt in ihm; und er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist.
Frage
Diese Bibelstelle besagt, dass derjenige, der „die Sünde tut“, „aus dem Teufel“ ist und Gott „nicht gesehen noch ihn erkannt“ hat. Außerdem heißt es, dass „jeder, der aus Gott geboren ist, nicht Sünde tut“. Es heißt sogar, dass er „nicht sündigen kann“, wenn er „aus Gott geboren ist“.
Wie ist das zu verstehen? Und was ist, wenn jemand zum Beispiel im Bereich der Pornographie vielleicht über Jahre hinweg immer wieder sündigt? Muss dann nicht von ihm gesagt werden, dass er „in der Sünde lebt“? Und kann so jemand behaupten, dass er Gott „erkannt“ hat? Und wenn er Gott nicht erkannt hat, geht er dann für ewig verloren?
Antwort
Diese Verse betonen, dass Sünde und ein Leben mit Gott unvereinbar sind. Aber sie lehrt nicht – selbst wenn es oberflächlich betrachtet vielleicht so aussehen mag –, dass ein Christ den Zustand der Sündlosigkeit erreichen könnte.
Um die Frage beantworten zu können, müssen wir uns zuerst den Kontext dieser Bibelstelle anschauen. Der Apostel Johannes schrieb den Brief am Ende des ersten Jahrhunderts, nachdem sich verschiedene böse Lehren bezüglich der Person des Sohnes Gottes entwickelt hatten. Weil böse Lehrer die Gottheit des Herrn Jesus leugneten, schrieb er sein Evangelium, und weil andere wiederum seine Menschheit leugneten, schrieb er seinen ersten Brief. In diesem Brief spricht er von Verführern (1Joh 2,26) und warnt: „Kinder, dass euch niemand verführe!“ (1Joh 3,7). Offensichtlich behaupteten einige dieser bösen Lehrer, geistliches Leben zu besitzen, leugneten jedoch die Notwendigkeit praktischer Heiligung. Einerseits behaupteten sie von sich selbst, „keine Sünde“ zu haben (1Joh 1,8), und andererseits waren sie durch Sünde geradezu gekennzeichnet (1Joh 3,4-9). Ihnen schien gar nicht bewusst zu sein, dass sie in der Sünde lebten – so wenig Unterscheidungsvermögen hatten sie. Nach Johannes waren sie nicht aus Gott geboren, sondern „Kinder des Teufels“ (1Joh 3,10). Es geht im Kontext also um gläubig oder ungläubig, um neue Natur oder alte Natur und darum, ob jemand „aus Gott geboren“ oder „aus dem Teufel“ ist (1Joh 3,8-9).
Wenn man dies beachtet, wird schnell klar, was Johannes meint, wenn er sagt: „Jeder, der sündigt, hat ihn nicht gesehen noch ihn erkannt“ (1Joh 3,6b), oder: „Wer die Sünde tut, ist aus dem Teufel“ (1Joh 3,8a). Er spricht nicht von solchen, die in die Sünde fallen (vgl. Jak 3,2: „straucheln“), sondern von solchen, die in der Sünde leben, das heißt die von der Sünde gekennzeichnet sind und nicht aus Gott geboren sind. Die Empfänger des Briefes sollten wissen: Wer von sündigem Verhalten gekennzeichnet war, konnte niemals aus Gott geboren sein, selbst wenn er noch so fromm redete. Das Gegenteil ist wahr, wie der Apostel schreibt: Jemand, „der aus Gott geboren ist, tut nicht Sünde“ (1Joh 3,9). Er mag vielleicht in Sünde fallen, aber er ist nicht fortwährend davon gekennzeichnet.
Beachten wir die Zeitform der Verben in den folgenden Ausdrücken: „der die Gerechtigkeit tut“ (1Joh 2,29), „der sündigt“ (1Joh 3,6), „wer die Sünde tut“ (1Joh 3,8). Hier steht im griechischen Grundtext jeweils das Partizip Präsens, das eine fortwährende, andauernde oder wiederholte Handlung beschreibt, nicht eine abgeschlossene Handlung in der Vergangenheit. Entweder ist jemand fortwährend und grundsätzlich durch die Gerechtigkeit gekennzeichnet oder durch die Sünde. Wir könnten diese Ausdrücke im Deutschen auch übersetzen mit „die Gerechtigkeit Tuenden“ bzw. „die Sünde Tuenden“. Was heißt das nun genau? Der Apostel schreibt hier sehr abstrakt. Er beschreibt den Charakter einer Sache und lässt andere Punkte außen vor. Das ist hilfreich, um den Kern einer Sache zu verstehen.
Johannes schreibt ebenfalls, dass jemand, der „nicht seinen Bruder liebt“, „nicht aus Gott ist“ (1Joh 3,10). Auch dieser Vers beschreibt abstrakt nur die grundsätzliche Eigenschaft eines Menschen, der aus Gott geboren ist. Er lässt unberücksichtigt, dass es Fälle gibt, wo es uns sehr schwerfällt, die Geschwister zu lieben (weshalb die Schrift uns auch wiederholt dazu auffordert, siehe 1Joh 4,7.21). Dem Apostel geht es hier also um Grundsätze.
Ein Grundsatz enthält nicht alle Eventualitäten, die eintreten könnten, sondern nur das, was zum Erfassen des eigentlichen Gegenstandes nötig ist. Wir könnten zum Beispiel sagen: „Ein Gasluftballon steigt nach oben.“ Das ist grundsätzlich so. Was dieser Grundsatz nicht erwähnt: Jemand könnte den Ballon festhalten, so dass er nicht nach oben steigen kann, oder der Ballon steigt in einem Raum nur bis zur Deckenhöhe auf. Es kann also von außen eine Kraft einwirken, die den Ballon an dem, was grundsätzlich gilt, hindert. Es könnten also Eventualitäten eintreten, so dass etwas von dem allgemeingültigen Grundsatz abweicht.
Ebenso verhält es sich in den zitierten Bibelversen. Wenn jemand aus Gott geboren ist, hat er eine neue Natur erhalten, und diese Natur „kann nicht sündigen“ (1Joh 3,9). Es ist ein Grundsatz der neuen Natur, dass sie „die Gerechtigkeit tut“ (1Joh 3,7). Das ist das Naturell der neuen Natur, davon ist die neue Natur gekennzeichnet. Die neue Natur „kann nicht sündigen“, weil sie die Natur ist, die Christus selbst auf der Erde hatte, und Christus hat nie gesündigt. Die alte Natur hingegen, die wir bei unserer menschlichen Geburt erhalten haben, handelt nach einem anderen Grundsatz: Sie „tut die Sünde“; das ist ihr Naturell, davon ist sie gekennzeichnet. Das ist grundsätzlich so.
Was bedeutet das nun ganz praktisch für unser Leben und für die obige Frage, ob so jemand in Sünde lebt; ob er Gott erkannt hat, und wenn nicht, ob er dann für ewig verloren geht? Wer aus Gott geboren ist, wird grundsätzlich von der Gerechtigkeit gekennzeichnet sein (1Joh 3,7). Das heißt jedoch nicht, dass er nie mehr sündigen kann. Es heißt lediglich, dass er nicht mehr von der Sünde gekennzeichnet ist, sondern von der Gerechtigkeit. Er lebt nicht fortwährend in der Sünde. Im Gegenteil, er wird fortwährend damit beschäftigt sein, das Gute zu wirken und, wenn er gesündigt hat, seine Schuld zu bekennen (vgl. 1Joh 1,9). Das ist eben das Gegenteil davon, in der Sünde zu leben (siehe auch Röm 6,2).
Wir müssen hier sehr genau lesen! Es heißt in 1. Johannes 3,6 nicht: „wer einmal gesündigt hat“; ebenso wenig heißt es in 1. Johannes 3,8: „wer eine Sünde tut“. Denn andernfalls könnte man die Schlussfolgerung ziehen, dass jemand, der einmal gesündigt hat, Gott nicht gesehen und auch nicht erkannt hat, ja dass er gar nicht aus Gott geboren, sondern aus dem Teufel ist. Doch es geht nicht darum, ob jemand einmal, zehnmal oder hundertmal sündigt, das heißt, ob jemand in Sünde fällt – oder „oft strauchelt“, wie Jakobus schreibt (Jak 3,2) –, sondern ob jemand gewohnheitsmäßig und fortwährend in der Sünde lebt und sich nicht einmal etwas dabei denkt wie scheinbar die oben erwähnten bösen Lehrer. Wie wir weiter oben gesehen haben, zeigt ja die griechische Zeitform des Partizip Präsens in 1. Johannes 3,6 und 8 eine fortwährende Handlung an: „Jeder, der {fortwährend, immerzu} sündigt …“, bzw.: „Wer die Sünde {fortwährend, immerzu} tut …“
Johannes spricht hier nicht davon, dass wir ein sündloses Leben leben könnten, denn er hatte bereits vorher deutlich gemacht: „Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns“ (1Joh 1,8), und: „Wenn jemand gesündigt hat – wir haben einen Sachwalter bei dem Vater, Jesus Christus, den Gerechten“ (1Joh 2,1). Auch wenn es für uns Christen keinen Grund gibt, sündigen zu müssen, da wir nicht nur ein neues Leben empfangen haben, sondern auch eine übernatürliche Kraftquelle durch den Heiligen Geist, so ist es doch leider unsere Erfahrung, dass wir immer noch sündigen (vgl. Jak 3,2a). Deshalb kann der Apostel in 1. Johannes 3 also nicht auf einmal meinen, dass ein aus Gott geborener Christ nie mehr in die Sünde fallen kann. Wenn wir den Kontext und die griechische Zeitform (siehe die Anmerkung dazu oben) berücksichtigen, dann stellen wir fest: Es geht hier gar nicht um eine oder zehn oder hundert Sünden, sondern um einen Zustand des Sündigens. Es geht um einen fortwährenden Zustand.
Ein Beispiel: Wenn ein Christ über die biblische Bedeutung der Ehe unterrichtet ist und dennoch mit einem Ungläubigen unverheiratet zusammenlebt, in diesem Zustand verharrt und keinerlei Maßnahmen ergreift, diese widergöttliche Verbindung zu beenden, dann ist nicht erkennbar, dass er aus Gott geboren ist, denn er lebt nicht in der neuen Beziehung zu Gott, die er durch die neue Geburt erhalten hat. Er „tut nicht Gerechtigkeit“, sondern „tut die Sünde“. Johannes spricht sehr ernst über so jemand: „Jeder, der sündigt, hat ihn nicht gesehen noch ihn erkannt“ (1Joh 3,6b). So jemand kennt Gott nicht, weder, dass Gott Licht ist (1Joh 1,5) und vollkommen heilig, noch, dass Er Liebe ist (1Joh 4,8) und uns gern von jeder Ungerechtigkeit reinigen will (vgl. 1Joh 1,9).
Jetzt können wir uns die oben gestellte Frage vielleicht schon selbst beantworten. Wer immer wieder in eine bestimmte Sünde fällt, wie zum Beispiel in die Pornographie, kämpft möglicherweise mit einer tiefverwurzelten Gewohnheit oder Sucht. So jemand benötigt Seelsorge und nicht, dass man das Damoklesschwert über ihn schwingt: „Du bist bestimmt nicht bekehrt und gehst für ewig verloren.“ Er hat in einem bestimmten Bereich seines Lebens noch nicht die vollständige Freiheit und Heilung erfahren, die Gott bietet – womit ich nicht den Zustand völliger Sündlosigkeit in diesem Bereich meine.
In der Regel wird jemand, der aus Gott geboren ist, diese Sünde hassen; falls nicht, dann sollte er sich wirklich ernsthaft Sorgen um sein Seelenheil machen. Wer wirklich aus Gott geboren ist, wird versuchen, Wege zu finden, diese Sünde unter die Füße zu bekommen. Er wird sich bewusst sein, dass diese Sünde zerstörerische Auswirkungen hat: Sie zerstört die Gemeinschaft mit Gott dem Vater; sie zerstört die Beziehung zum Ehepartner und weckt falsche Erwartungen an einen zukünftigen Ehepartner; sie zerstört eine gesunde Wahrnehmung der Sexualität, führt möglicherweise wortwörtlich zum Ehebruch oder zur Hurerei; und sie nimmt uns die Freude und die Kraft im Dienst für den Herrn. Ich sage dies bewusst, weil ich nicht den Eindruck erwecken möchte, dass man mit dieser (oder auch jeder anderen) Sünde leichtfertig umgehen dürfte. Aber es geht zu weit, wenn wir allen, die an diesem Punkt kämpfen und auch fallen, ihre Situation noch verschärfen und ihnen sagen, sie wären für ewig verloren, wenn sie diese Sünde nicht unter die Füße bekämen.
Natürlich kann man die Selbstzweifel verstehen, die jemand hat, und auch die Sorge, dass der Herr es am Ende so wertet, als würde man in dieser Sünde leben. Wenn jemand in so einer Situation ist, dann sieht er oft nur diese eine Sünde. Er sieht nicht mehr, dass er grundsätzlich an einem reinen und heiligen Leben Freude hat, dass er gern mit anderen Christen zusammen ist, sich für andere einsetzt und die Gerechtigkeit grundsätzlich liebt. Die eigene Sünde ist so groß und so präsent, dass der Eindruck entsteht, man wäre durch diese Sünde durch und durch gekennzeichnet.
Ich möchte dir Mut machen: Gib nicht auf und bleib dran, die Schuld immer wieder zu bekennen, sobald du gesündigt hast, und dir klarzumachen, welch hohen Preis Christus für dich gezahlt hat. Doch nicht von jedem sündigen Verhalten werden wir so schnell frei, wie wir uns das manchmal wünschen. Manche Christen werden von heute auf morgen frei, andere werden durch Online-Kurse frei, und wieder andere haben auf diesem Gebiet zu kämpfen und müssen mit dem Fragezeichen leben, warum ernsthafte Versuche, diese Sünde zu überwinden, immer wieder scheitern. Wenn du dazugehörst, dann möchte ich dir den Rat geben, dich jemand anzuvertrauen und gemeinsam dafür zu beten. Ich möchte dich ermutigen, die Sünde immer wieder zu bekennen und nicht aufzugeben: „Der Gerechte fällt siebenmal und steht wieder auf“ (Spr 24,16).
Der Herr Jesus lehrte seine Jünger ein Gleichnis über Vergebung und forderte sie auf, siebenmal siebzigmal zu vergeben (vgl. Mt 18,21-22). Wenn der Herr diese Vergebungsbereitschaft von seinen Jüngern erwartet, meinst du, Er wäre nicht bereit, auch dir so oft zu vergeben?
Es ging mir in diesem Artikel nicht darum, das Thema Pornographie umfassend zu besprechen. Dazu gibt es mittlerweile viele hilfreiche Bücher und Online-Angebote. Ich wollte zeigen, dass ein Unterschied besteht, ob jemand in die Sünde fällt, und sei es auch sehr häufig, oder ob jemand in der Sünde lebt und gar nicht bereit ist, an der Situation etwas zu ändern. (Denke noch einmal an den, der mit einem Ungläubigen unverheiratet zusammenwohnt, oder an die bösen Lehrer und Verführer, an die der Apostel Johannes denkt.)