Ist Israel doch in der Kirche aufgegangen?
Römer 9,25; Hosea 2,23

Willem Johannes Ouweneel

© SoundWords, online seit: 26.11.2005, aktualisiert: 01.06.2020

Leitverse: Römer 9,25; Hosea 2,23

Röm 9,25: Wie er auch in Hosea sagt: „Ich werde Nicht-mein-Volk mein Volk nennen, und die Nicht-Geliebte Geliebte“ {Hos 2,23}.

Dieses Zitat ist einer der wichtigsten Stützpfeiler für EB. Paulus zitiert hier Hosea 2,23 und 1,10 – Verse, bei denen es nach dem Kontext um Israel geht, die aber durch Paulus auf die Heiden angewandt werden. Für EB ist dies ein deutlicher Beweis, dass das, was im Alten Testament prophetisch über Israel gesagt wird, heutzutage in der Kirche der neuen Haushaltung als erfüllt angesehen werden kann. Will Paulus nicht gerade beweisen, dass Gott sein Volk nicht allein aus Israel ruft, sondern auch aus den Völkern? Sie, die „Nicht-sein-Volk“ waren, die Heiden, sind nun durch Glauben auch „sein Volk“ geworden. Ist dies kein deutlicher Beweis, dass die Kirche, bestehend aus messiasgläubigen Juden und Heiden, nun das Volk Gottes geworden ist  und dass die alttestamentlichen Prophezeiungen dann auch in diesem Sinn ausgelegt werden müssen?

D antwortet darauf eindeutig: Nein. Diese Verse bilden dafür überhaupt kein Beweis und dies aus folgenden Gründen:

  1. Genau in demselben Abschnitt finden wir verschiedene, zitierte Prophezeiungen, die auf Israel Bezug nehmen und durch Paulus auch noch immer auf Israel angewandt werden. In den Römer 9,27-29 zitiert er Jesaja 10,22.23 und in Römer 9,33 zitiert er Jesaja 8,14; 28,16. In beiden Fällen bezieht der Apostel die Prophezeiung ausdrücklich auf dasselbe Volk, für das die Prophezeiung auch ursprünglich gegeben wurde: Israel. […]

    Worum es hier nun geht, ist, dass die Zitate von Paulus in Römer 9,25.26 nicht beweisen, dass die Prophezeiung nicht mehr auf das buchstäbliche Israel angewandt werden können, denn Paulus tut dieses selbst auch immer noch.

  2. Wenn man die Römer 9,25.26 begreifen will, muss man doch zuallererst die Prophezeiung von Hosea in ihrem eigenen Zusammenhang studieren. Allein dann kommt man dahinter, ob es um die wirkliche Erfüllung gehen kann oder ob Paulus nur eine Anwendung macht (so wie er das öfter tut). Nun, auch EB kann nicht abstreiten, dass es einen großen Unterschied zwischen den Worten Hoseas und dem Gebrauch, den Paulus davon macht, gibt. Damit meine ich nun nicht allein, dass es bei Hosea um Israel geht und bei Paulus um die Heiden – denn nach EB ist die Kirche aus den Völkern gerade das neue „Israel“ –, sondern ich meine dies: Hosea hat über ein Volk, das Lo-ammi („Nicht-mein-Volk“) durch eigene Schuld geworden ist, prophezeit, während Paulus über ein Volk spricht, das überhaupt nicht Gottes Volk gewesen ist. Allein aufgrund dieser einfachen Tatsache kann Paulus nicht meinen, dass er eine Auslegung der Prophezeiung gibt. Hosea beschreibt die große Schuld Israels, wodurch Gott es nicht länger als sein Volk anerkennt, aber er beschreibt auch die Gnade Gottes, die sich einmal wieder über dasselbe abtrünnige Volk erbarmt. Paulus hingegen hat es mit den Heiden zu tun, die niemals Gottes Volk waren und als solche dann auch nicht von Gott abfallen konnten – wenn sie auch von Natur aus genauso sündig sind wie Israel –, die aber schließlich auch „Volk Gottes“ und „Kinder des lebendigen Gottes“ aufgrund des Glaubens werden können. Paulus kann also nicht eine Auslegung von Hosea 1 und 2 geben wollen, sondern er macht hier nur eine Anwendung.

  3. Aber wenn Hosea 1 und 2 so wenig mit dem zu tun haben, was Paulus sagen will, warum zitiert er dann diese Prophezeiung? Weil es doch eine bestimmte Parallele gibt, auch wenn Hosea über Israel und nicht über die Heiden spricht. Gott hat die Völker seit der Berufung Abrahams „auf ihrem eigenen Weg gehen lassen“ (Apg 14,16), aber einmal wird Er sich über sie erbarmen. Paulus findet in der Annahme Israels zur Liebe und Gunst des Herrn die „Schablone“ für die Annahme der Heiden in dieselbe Gnade. Dabei hat es hier auch nichts zu sagen, ob es nun um die Annahme der Heiden in die Gemeinde der gegenwärtigen Zeit geht oder um die Annahme der Heiden in das kommende messianische Friedensreich. Der Grundsatz ist in beiden Fällen derselbe.


Übersetzt aus Israël en de Kerk, oftewel: Eén of twee volken van God? Confrontatie van de verbondsleer en de bedelingenleer, Vaassen (Medema) 1991, S. 104ff.

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