Bruderliebe
1. Korinther 13,1; Galater 6,10

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© SoundWords, online seit: 03.10.2012, aktualisiert: 08.02.2023

Leitvers: 1. Korinther 13,1

1Kor 13,1: Wenn ich mit den Sprachen der Menschen und der Engel rede, aber nicht Liebe habe, so bin ich ein tönendes Erz geworden oder eine schallende Zimbel.

Wenn Gott uns durch sein Wort und seinen Geist das Herz aufgeschlossen hat für seine große Liebe zu uns und wenn die Liebe zu Ihm, der uns bis in den Tod geliebt hat, nicht nur in Gefühlen und Worten, sondern in Taten bestehen soll, so müssen wir auch das Wort als unumstößlich für uns geschrieben annehmen: „Geliebte, wenn Gott uns so geliebt hat, sind auch wir schuldig, einander zu lieben. Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir einander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollendet“ (1Joh 4,11.12).

Ein Gebot unseres Herrn

Es gibt manchen Prüfstein, ob unsere Liebe zu Gott wahr und aufrichtig ist; aber der sicherste Prüfstein, den uns das Wort Gottes immer wieder vor Augen stellt, der untrügliche Beweis, dass wirklich neues, göttliches Leben in uns wohnt, ist und bleibt die Bruderliebe. Nicht nur dem kleinen Kreis seiner Jünger, sondern uns allen gilt des Meisters Wort: „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander liebet, damit, wie ich euch geliebt habe, auch ihr einander liebet. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt“ (Joh 13,34.35; vgl. Joh 15,17). An diesen letzten Willen unseres Herrn erinnert der Apostel Johannes die Empfänger seiner Briefe, wenn er schreibt: „Dies ist die Botschaft, die ihr von Anfang an gehört habt, dass wir einander lieben sollen … Und dieses Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, auch seinen Bruder liebe“ (1Joh 3,11; 4,21).

Kennzeichen für das neue Leben

Die Bruderliebe ist so untrennbar von dem neuen Leben, das ein Mensch in seiner Wiedergeburtsstunde empfängt, dass sie geradezu zum Beweis der Gotteskindschaft wird. Deshalb schreibt Johannes: „Wir wissen, dass wir aus dem Tod in das Leben hinübergegangen sind, weil wir die Brüder lieben; wer den Bruder nicht liebt, bleibt in dem Tod“ (1Joh 3,14). Und: „Wer sagt, dass er in dem Licht sei, und hasst seinen Bruder, ist in der Finsternis bis jetzt. Wer seinen Bruder liebt, bleibt in dem Licht, und kein Ärgernis ist in ihm“ (1Joh 2,9.10). Und: „Hieran sind die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels offenbar. Jeder, der nicht Gerechtigkeit tut, ist nicht aus Gott, und wer nicht seinen Bruder liebt. Denn dies ist die Botschaft, die ihr von Anfang an gehört habt, dass wir einander lieben sollen sollen … Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, so ist er ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er gesehen hat, wie kann der Gott lieben, den er nicht gesehen hat?“ (1Joh 3,10.11; 4,20). Vielleicht sind diese Worte von Jugend auf in unser Gedächtnis eingebrannt. Aber haben wir immer danach gehandelt? Wir werden wohl alle zu unserer Beschämung bekennen müssen: Nein.

Kein Ansehen der Person

Aber kann man denn allezeit und überall diese Bruderliebe üben? Nun, alle Bedenken und Einwände müssen wohl fallen angesichts der angeführten Schriftworte, die wir kaum auszulegen brauchen. Gottes Wort fordert nichts Unmögliches von uns, auch wenn wir meinen, dass es schwer und oft sogar unmöglich sei, so allumfassend und bedingungslos Bruderliebe zu üben. Wir begehen hier wohl oft den Fehler – und wir erschweren uns dadurch den Gehorsam gegen Gottes Wort –, dass wir zu viel auf Äußerlichkeiten schauen: auf gesellschaftliche Stellung und Beruf, auf Kleidung und Lebensart, Bildung und gesellschaftliche Verhältnisse derer, die doch mit uns verbunden sind durch die Liebe Gottes, die „ausgegossen ist in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben worden ist“ (Röm 5,5). So wie man von den Kindern einer Familie es fordert oder eigentlich als ganz selbstverständlich ansieht, dass sie einander herzlich lieben, so ist es auch eine Naturnotwendigkeit, dass Brüder und Schwestern in Christus sich lieb haben: „Jeder, der glaubt, dass Jesus der Christus ist, ist aus Gott geboren; und jeder, der den liebt, der geboren hat {nämlich Gott}, liebt auch den, der aus ihm geboren ist“ – nämlich Brüder und Schwestern, die der gleichen Gnade teilhaftig geworden sind.

Wie schon gesagt, erschweren wir uns dieses Liebhaben selbst oft dadurch, dass wir auf äußere Umstände schauen. Damit erschweren wir aber auch zugleich den anderen, dass sie wiederum uns lieb haben. Wenn ich abweisend oder weniger freundlich und liebevoll bin gegen einen Bruder aus einfachen Verhältnissen oder mit wenig Bildung, gegen eine Schwester mit einem einfachen Beruf, in ärmlicher Kleidung usw. – ist es dann verwunderlich, wenn ihre Liebe zu mir sich abkühlt, statt dass sie zunimmt, wie es doch nach Gottes Wort und Wille sein sollte? Darf ich mich beklagen, wenn solch ein Bruder oder eine Schwester bei sich denkt oder gar sagt, ich sei hochmütig und stehe nicht recht zu meinem Gott und Heiland? Die „Wurzeln der Bitterkeit“, die da aufsprießen und hin und her so viel Unfrieden anrichten und die auch so manches hoffnungsvolle Pflänzchen ersticken, haben ihren Ursprung meist wohl in mangelnder Bruderliebe. Jakobus schreibt: „Meine Brüder, habt den Glauben unseres Herrn Jesus Christus, des Herrn der Herrlichkeit, nicht mit Ansehen der Person“, und einige Verse weiter sagt er: „Wenn ihr wirklich das königliche Gesetz erfüllt nach der Schrift: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst‘, so tut ihr recht“ (Jak 2,1.8).

Wenn wir uns an den Eigenarten mancher Geschwister stoßen, bedenken wir dann aber, dass wir selbst auch unsere Eigenheiten haben, die anderen nicht gefallen und an denen sie leiden, ohne dass wir es vielleicht wissen und merken?

Wer von uns hätte nicht auch schon Einwände gehört oder selbst gemacht wie diese: Dieser Bruder oder jene Schwester ist mir unsympathisch; ihr Reden fällt mir auf die Nerven; ihre Umgangsformen sind so wenig angenehm; ihre Taktlosigkeiten führen allerlei Unannehmlichkeiten herbei; man kann wirklich kaum Umgang mit ihnen haben usw.?

Täter des Wortes werden

Das „Darstellen“ der Bruderliebe ist auch heute nicht leicht. Theorie und Praxis wollen sich nicht recht in Einklang bringen lassen. Und doch darf ohne Frage auch hier uns nur das als Richtschnur und als Ziel vor Augen stehen, was Gottes Wort darüber sagt. Je mehr wir uns aber darum bemühen, dem Wort Gottes zu gehorchen und Täter des Wortes zu werden, desto mehr werden wir auch erkennen, dass das Wort Gottes nichts Unmögliches von uns verlangt. Und je mehr wir wirklich „in Liebe gewurzelt und gegründet sind, damit wir mit allen Heiligen völlig zu erfassen vermögen, welches die Breite und Länge und Tiefe und Höhe sei, und zu erkennen die die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus“ (Eph 3,17-19) – desto leichter und selbstverständlicher wird es auch sein, die Geschwister lieb zu haben.

Ja, Schwierigkeiten und Hindernisse sind gewiss vorhanden; und die angeführten Einwände und Urteile sind leider oft berechtigt. Es gibt unter den Geschwistern nicht nur „sonderbare Heilige“, sondern auch viele Schwache und Unmündige. Aber wenn wir „Starke“ zu sein meinen, so sollten wir die Schwachheiten der Schwachen tragen und „nicht uns selbst gefallen“ (Röm 15,1). Und als „Geistliche“ sind wir berufen, im Geist der Sanftmut die Irrenden zurechtzubringen und einer des anderen Lasten zu tragen. Auf diesem Weg „erfüllen wir das Gesetz des Christus“ (Gal 6,1.2).

Ablegen und anziehen

Um das aber zu können, müssen wir gewisse Dinge „ablegen“ und „anziehen“, so wie der Apostel es in Kolosser 3 sagt: „Jetzt aber legt auch ihr das alles ab: Zorn, Wut, Bosheit, Lästerung, schändliches Reden aus eurem Mund“ (Kol 3,8), das heißt alle Wirkungen und Äußerungen des ungebrochenen Willens, und: „Zieht nun an, als Auserwählte Gottes, als Heilige und Geliebte: herzliches Erbarmen, Güte, Demut, Sanftmut, Langmut“ (Kol 3,12), das heißt den Charakter Christi. Nun hat man wirklich den aufrichtigen Wunsch, den anderen von Herzen immer besser verstehen, immer mehr schätzen und lieben lernen; doch weil man dabei auch immer besser die Fehler und Schwächen des anderen kennenlernt, will die herrliche Pflanze der Bruderliebe nicht recht gedeihen. Da ist es denn nötig, bei sich selbst zu beginnen und mit dem Ablegen und Anziehen ernst zu machen. Ich denke dabei an die Dinge des täglichen Lebens, an unser Reden und Verhalten in der Familie, im Beruf, in der Gemeinde, an besondere Veranlagungen und Gewohnheiten und so manches andere auf diesem Gebiet.

Gewiss lassen sich nicht alle Menschen gleichmachen. Charakter- und Bildungsunterschiede bleiben bestehen, und immer wird es Brüder und Schwestern geben, deren Auftreten und Sichgehenlassen es anderen oft recht schwermacht, sie so zu lieben, wie sie es gern möchten. Aber wenn wir zunächst bei uns selbst anfangen und das göttliche „Schermesser über unser ganzes Fleisch gehen lassen“ (4Mo 8,7), wird es uns leichter werden, dem Gebot unseren Herrn und Heilandes zu folgen. Wenn wir dieses „Ablegen“ und „Anziehen“ fleißig üben, werden wir dem Wachstum der Liebe zueinander immer mehr Raum schaffen.

Sich vom anderen etwas sagen lassen

Dazu gehört es auch, dass man sich demütig und ohne Empfindlichkeit von anderen etwas sagen lässt, auch wenn der andere sich vielleicht nicht immer in Liebe äußert und das nötige Feingefühl vermissen lässt oder wenn solche Äußerungen gar von einer Seite kommen, von der wir es am allerwenigsten erwarten und am schlechtesten ertragen können.

Geschieht das Reden in der Liebe, so wird es in den meisten Fällen in Dankbarkeit hingenommen und in die Tat umgesetzt werden. Warum sollte ich auch nicht dankbar sein dem Bruder oder der Schwester, die mir sagen, dass irgendetwas in meinem Reden und Verhalten, an meiner Kleidung oder in meiner Wohnung Missfallen oder gar Ärgernis erregt? Und ist es nicht viel besser und richtiger, man sagt dem anderen solche Dinge offen und ehrlich, anstatt zu Dritten darüber zu reden? Auch unter Gläubigen steht dieses „Nachreden“ leider oft noch sehr in Blüte. Und es gibt keinen besseren Weg, schlechtes Nachreden siegreich abzuwehren, als solch ein offenes, vertrauliches Reden in Demut und Liebe. Die ersten Christen waren sehr darauf bedacht, einander keine Ursache zur Klage und zum Ärgernis zugeben. Welch ein Ausdruck brüderlicher Liebe begegnet uns in den Worten des Apostels: „Darum, wenn eine Speise meinem Bruder Anstoß gibt, so will ich für immer kein Fleisch essen, um meinem Bruder keinen Anstoß zu geben“ (1Kor 8,13), und: „Wenn dein Bruder wegen einer Speise betrübt wird, so wandelst du nicht mehr nach der Liebe“ (Röm 14,15). „Also lasst uns nun dem nachstreben, was zum Frieden und was zur gegenseitigen Erbauung dient“ (Röm 14,19).

Den anderen höher achten als sich selbst

Zur Bruderliebe gehört dazu auch das „Seid gastfrei gegeneinander ohne Murren“ (1Pet 4,9), das Sichmitfreuen und das Mitweinen (Röm 12,15), das „Haltet euch zu den Niedrigen“ (Röm 12,16) und: „In der Demut achte einer den anderen höher als sich selbst“ (Phil 2,3). „In der Bruderliebe seid herzlich zueinander; in Ehrerbietung geht einer dem anderen voran“ (Röm 12,10).

Wohltun und Mitteilen

Wir wollen auch nicht vergessen, Liebe zu erweisen an denen, die in Not sind, und an denen, die bedürftig sind und das Wort Gottes verkündigen. Hier sind besonders diejenigen Haushalter Gottes gefordert, denen mehr irdische Güter anvertraut sind als anderen. Der Hinweis auf 1. Korinther 9,14 ist sicher hier auch am Platz. Tun wohl alle Brüder und Schwestern hierin ihre Pflicht? Ist der Opfersinn fürs Reich Gottes, für die Verkündigung des Evangeliums und die Verbreitung des Wortes Gottes und guter Schriften auch gestiegen entsprechend den Preisen für die allgemeine Lebenshaltung? Ich fürchte, dass in diesem Punkt nicht alles so steht, wie es stehen sollte. Wir wollen nicht vergessen, gemäß unserem Können und Vermögen zu geben, so wie das Wort Gottes uns dazu auffordert: „An den Bedürfnissen der Heiligen nehmt teil“, und: „Das Wohltun aber und Mitteilen vergesst nicht, denn an solchen Opfern hat Gott Wohlgefallen“ (Röm 12,13; Heb 13,16). „Wer aber irgend irdischen Besitz hat und sieht seinen Bruder Mangel leiden und verschließt sein Herz vor ihm, wie bleibt die Liebe Gottes in ihm?“ (1Joh 3,17).

Liebe zu allen Heiligen

Zum Schluss möchte ich noch auf ein anderes, leider viel verbreitetes Sündigen gegen die Bruderliebe hinweisen. Ich meine, dass man es an der Liebe zu allen Heiligen fehlen lässt, nicht nur zu denen in unseren eigenen Kreisen und Gemeinden. Alle wahren Gläubigen haben dieselbe Barmherzigkeit empfangen, sind Kinder desselben himmlischen Vaters, sind Glieder an demselben Leib, dem Leib Christi. Auch wenn wir mit ihnen nicht auf demselben Weg gehen können, weil wir in einigen Dingen eine andere Erkenntnis haben, so sollten wir sie doch alle mit gleicher Liebe umfassen. Mit anderen Worten: Wir sollten den schmalen Pfad der Wahrheit gehen mit weitem Herzen, indem wir, soweit es geht, Personen und Sache unterscheiden.

Die Bruderliebe soll immer mehr zunehmen

„Die Wahrheit festhaltend in Liebe, lasst uns in allem heranwachsen zu ihm hin, der das Haupt ist, der Christus“ (Eph 4,15). Zu diesem „allem“ gehört gewiss auch die Bruderliebe. Sie ist wachstumsfähig und sollte immer mehr zunehmen, so wie der Apostel die Thessalonicher ermahnt: „Euch aber mache der Herr völlig und überströmend in der Liebe zueinander und zu allen … Ihr selbst seid von Gott gelehrt, einander zu lieben … Wir ermahnen euch aber, Brüder, reichlicher zuzunehmen“ (1Thes 3,12; 4,9.10). Dass die Thessalonicher diese Ermahnung beherzigt hatten, geht aus dem zweiten Brief hervor, wo der Apostel sie mit folgenden Worten lobt: „Wir sind schuldig, Brüder, Gott allezeit für euch zu danken, wie es angemessen ist, weil euer Glaube überaus wächst und die Liebe jedes Einzelnen von euch allen zueinander überströmend ist“ (2Thes 1,3).

Wie schön wäre es, wenn das auch heute von uns gesagt werden könnte! Dass es oft nicht leicht ist, die Geschwister so zu lieben, haben wir gesehen, aber dem Kind Gottes ist es Freude und Lebensbedingung. In der Verbindung mit dem Vaterherzen droben können wir gar nichts Schöneres tun, als die Liebe, die wir von dem Vater empfangen haben, ausstrahlen zu lassen in eine Umgebung, die ohne Liebe ist und doch so sehr nach Liebe hungert!

„Also nun, wie wir Gelegenheit haben, lasst uns das Gute wirken gegenüber allen, am meisten aber gegenüber den Hausgenossen des Glaubens“ (Gal 6,10).


Originaltitel: „Bruderliebe“
aus Botschafter des Heils in Christo, Jg. 71, 1923, S. 197–206


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