Tour de France – Tour der Leiden
Was wir von dem größten Radsportevent lernen können ...

Stephan Isenberg

© SoundWords, online seit: 18.07.2003, aktualisiert: 28.04.2023

Leitverse: Galater 6,1.2; Philipper 3,13.14; 1. Mose 13,8

Gal 6,1.2: Brüder, wenn auch ein Mensch von einem Fehltritt übereilt würde, so bringt ihr, die Geistlichen, einen solchen wieder zurecht im Geist der Sanftmut, wobei du auf dich selbst siehst, dass nicht auch du versucht werdest. Einer trage des anderen Lasten, und so erfüllt das Gesetz des Christus.

Phil 3,13.14: Vergessend, was dahinten, und mich ausstreckend nach dem, was vorn ist, jage ich, das Ziel anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus.

1Mo 13,8: Da sprach Abram zu Lot: Lass doch kein Gezänk sein zwischen mir und dir und zwischen meinen Hirten und deinen Hirten; denn wir sind Brüder!

Einleitung

Es ist immer wieder faszinierend, zu welchen Leistungen der Mensch fähig ist, wenn er nur ein Ziel vor Augen hat. Unglaubliche Schmerzen und Strapazen werden in Kauf genommen, um das Radsportevent des Jahres – die Tour de France – zu gewinnen. Jan Ullrich sagte einmal: „Die Realität holt einen am Berg ein, wenn man dort am Limit fährt und fast umfällt und schon Halluzinationen hat.“[1] Andere sind bereit, alles zu riskieren, und stürzen sich wagemutig die Berge hinab, so dass einer der ärgsten Konkurrenten des mehrfachen Toursiegers Lance Armstrong 2003 mit mehreren Knochenbrüchen im Krankenhaus lag.

Ich bin sicherlich kein Tourspezialist und verfolge die Tour höchstens mit einem Auge, aber doch sind mir so manche Parallelen zu unserem Alltag als Christen dazu aufgefallen.

Hingabe für ein bestimmtes Ziel

Wie oben erwähnt, ist da zuerst die „wahnsinnige“ Bereitschaft und Hingabe, um dieses eine für Radprofis größte Ziel zu erreichen: einmal Toursieger zu werden oder wenigstens einmal im gelben Trikot zu fahren. Und ich frage mich, welche Ziele wir als Christen so haben …? Da wäre einmal unser Berufsleben. Sicher, da wollen wir irgendwie auch weiterkommen, wollen uns verbessern, qualitativ und finanziell. Da ist die Familie, die Kinder brauchen eine gute Ausbildung, sie sollen die bestmögliche Unterstützung von uns erhalten. Das ist sicher ein sehr wichtiges Ziel. Und passiert es uns da nicht allen einmal ganz schnell, dass wir eigentlich den Blick für die wesentliche Aufgabe unseres Lebens aus dem Auge verlieren? Wollten wir da nicht eigentlich ganz dem Herrn Jesus gehören, hatten wir uns bei der letzten Freizeit, nach dem letzten zu Herzen gehenden Vortrag nicht ganz andere Ziele gesetzt? Wenn wir dann schon den Radprofis bei ihrer täglichen „Leibesübung“ zusehen, dann sollten wir uns doch einmal die Zeit nehmen, darüber nachzudenken, was diese Menschen eigentlich motiviert, was sie antreibt.

Vom Herrn Jesus lesen wir in Lukas 4 mehrmals, dass Er von dem Heiligen Geist getrieben und geleitet wurde. Sein Ziel war, „den Willen dessen zu tun, der ihn gesandt hat“ (Joh 4,34). Von Paulus lesen wir in Philipper 3, dass er „alles für Verlust geachtet hat wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu“ (Phil 3,8) – er hatte den Herrn gesehen und nun gab es nur noch eines: „Vergessend, was dahinten, und mich ausstreckend nach dem, was vorn ist, jage ich, das Ziel anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus“ (Phil 3,13.14). Ja, auch Paulus war bereit, Schmerzen und Strapazen auf sich zu nehmen, er ging mehrfach bis „zum Limit“ – wie Jan Ullrich so schön sagte –, und die Gefahren, die er bereit war, auf sich zu nehmen, die stehen einem Fahrer wie Beloki (der 2003 bei einer Abfahrt schwer stürzte und damals im Krankenhaus lag) in nichts nach. Dass Paulus für ein weitaus sinnvolleres Ziel diese Dinge auf sich nahm, brauche ich an dieser Stelle wohl kaum zu erwähnen.

Darf ich fragen, was wir bereit sind, für unseren Glauben zu wagen? Ist es uns nicht manchmal schon zu viel, in der Kantine die Hände beim Beten zu falten? Mir geht es manchmal so, und ich fühle mich dann nachher immer ziemlich jämmerlich, obwohl ich weiß, dass der Herr sehr gnädig und geduldig ist. Oder denke an deine Studienkollegen oder Arbeitskollegen. Wissen die eigentlich, dass du ein Christ bist? Stell dir vor, diese Leute sehen dich einst im Himmel und stellen dir dann die Frage: Warum hast du mir nichts davon erzählt? (Ich weiß, dass dies ein sehr konstruierter Fall ist, aber lies einmal Lukas 16; so weit weg ist das auch wieder nicht!)

Einer für alle – alle für einen

Mir ist noch etwas aufgefallen, was mir doch irgendwie gefallen hat an dieser Tour de France. Da gibt es nun verschiedene Teams, die jeweils einen Mannschaftsführer haben. Für diesen Kapitän wird alles getan, da wird Wasser und Verpflegung geholt, und wenn dieser Kapitän einmal ins Hintertreffen geraten ist, dann bringen ihn die Mannschaftskameraden wieder nach vorne (durch geschicktes Windschattenfahren).

Nun, ich dachte so dabei an Galater 6,1.2: „Brüder! Wenn auch ein Mensch von einem Fehltritt übereilt würde, so bringet ihr, die Geistlichen, einen solchen wieder zurecht im Geist der Sanftmut, indem du auf dich selbst siehst, dass nicht auch du versucht werdest. Einer trage des anderen Lasten, und also erfüllet das Gesetz des Christus.“ Die Übereinstimmung erkennt man, glaube ich, sofort. Wenn ein Christ gestrauchelt ist, also ins Hintertreffen geraten ist, dann ist es normal, dass andere ihn wieder zur Herde (Mannschaft) bringen, wie ein Hirte einem verlorenen Schaf in Liebe und Sanftmut nachgeht.

Die Frage ist nur, ob es in unseren Gemeinden noch Christen gibt, die als die „Geistlichen“ angesehen werden. Gibt es in deiner Gemeinde auch solche, die es fertigbringen, solche, die vom Weg abgekommen sind, wieder zurechtzubringen? Willst du nicht so jemand werden, der Glaubensgeschwistern nachgeht, die vielleicht etwas neben der Spur laufen? Ich wünschte mir, unsere Gemeinden wären auch solche Mannschaften (bitte nicht falsch verstehen, ich meine nicht, dass man die Gemeinde grundsätzlich mit irgendeiner Mannschaft gleichsetzen sollte!), wo es Leute gibt, die einen Blick haben für die, die nicht so schnell mitkommen, die im Umgang vielleicht auch etwas schwieriger sind. Es heißt: „Einer trage des anderen Lasten.“ So wie es bei der Tour solche gibt, die zum Verpflegungswagen zurückfahren und für die ganze Mannschaft Getränke holen, so muss es auch heute unter uns Christen solche geben, die den Dienst des Wasserträgers übernehmen, die dazu bereit sind, Lasten zu tragen, die dem anderen vielleicht zu schwer sind oder zu viel Energie kosten. Manche Geschwister haben vielleicht eine sehr lange Durststrecke und brauchen dringend jemand, der ihnen Wasser bringt (Wasser ist in der Bibel oft ein Bild des Wortes Gottes!).

Der Umgang miteinander

Noch eine Sache hat mich sehr bewegt. Bei einer Etappe vor dem Ruhetag (2003) setzten sich sehr früh einige Fahrer vom gesamten Feld ab. Zum Schluss waren es dann nur noch zwei Fahrer, die sich einig waren, das Tempo hochzuhalten. Sie hielten zusammen, indem sie sich durch geschicktes Windschattenfahren immer wieder abwechselten, und so musste nicht einer die ganze Arbeit machen. Nur so konnten sie sichergehen, vom Feld nicht wieder eingeholt zu werden (was bei den vorherigen Etappen regelmäßig geschah). Nun kam ein Kilometer vor dem Ziel die besagte Szene, die ich sehr sportlich und fair empfand. Nachdem sie viele Kilometer zusammengehalten hatten, kam natürlich nun der Punkt, wo jeder auf eigene Rechnung fahren musste, denn jeder der beiden wollte schließlich gewinnen. Doch bevor sie nur noch das eigene Ziel (den Etappensieg) vor Augen hatten, gab der eine Radprofi dem anderen die Hand und signalisierte: „Respekt Kollege, das war gute Arbeit, aber nun geht es um alles, jetzt trennen sich unsere Wege.“

Ich dachte dabei so daran, dass es auch unter Christen Augenblicke gibt, wo kein gemeinsamer Weg mehr möglich ist, warum auch immer. Wie verhalten wir uns da untereinander? Haben wir dann die geistliche Größe eines Abrahams, der einmal zu Lot sagte: „Da sprach Abram zu Lot: Lass doch kein Gezänk sein zwischen mir und dir und zwischen meinen Hirten und deinen Hirten; denn wir sind Brüder!“ (1Mo 13,8)? Daran erinnerte ich mich so bei dem Handschlag zwischen diesen beiden Radprofis, die ein gutes Stück gemeinsam den Weg gefahren waren und nun für die eigene Mannschaft das Beste herausholen mussten. Sicherlich hinkt dieses Beispiel auch ein wenig, aber beschränken wir es einfach auf die faire Geste des Radprofis und der sehr brüderlichen Geste Abrahams und wenden dies einmal auf unsere Zeit an. Können wir davon nicht auch etwas lernen? Wenn sich unsere Wege einmal trennen sollten oder wenn wir bereits getrennte Wege zwischen Christen vorfinden, ist es da unser wirkliches Bestreben, uns mit Verständnis und Liebe um den anderen zu bemühen? Was tun wir für die gewaltige Tatsache, dass Christus dafür gestorben ist, die zerstreuten Kinder Gottes in eins zu versammeln (Joh 11,52)? Ich denke, dass sich dies schon in solch kleinen Gesten zeigt – einem Handschlag, einem Blick des Vertrauens, einem Herzen mit Verständnis, einem Ohr, das zuhören will, usw. Es gibt viele kleine Dinge, um ein großes Ziel zu erreichen. Oder haben wir den Respekt vor dem anderen verloren, weil er nicht mehr den gemeinsamen Weg „mit uns“ geht?

Die Bergwertung

Zuletzt machte mir noch der Gedanke an das Bergtrikot Freude. Die Bergwertung in den Alpen und in den Pyrenäen nehmen bei der Tour einen ganz besonderen Stellenwert ein, und irgendwie dachte ich bei mir, das sollte bei uns Christen auch so sein.

Einmal waren es Petrus, Jakobus und Johannes, die eine besondere Erfahrung auf dem Berg machten, als der Herr Jesus vor ihnen umgestaltet wurde und sie seine Herrlichkeit sahen und außerdem noch Elia und Mose erblicken. Dort machten die drei Jünger die Erfahrung, dass Gott ein Gott der Lebendigen ist, denn sie sahen Elia und Mose lebendig, die einst hier auf erstaunliche Weise zum Herrn berufen wurden. Was für ein Erlebnis für die Jünger, das ihnen in späteren Zeiten sicher immer wieder Mut machte, für den Namen des Herrn zu leiden und auch zu sterben.

Aber auch der Herr Jesus war oft auf dem Berg, um zu beten; oftmals finden wir Ihn dort im Gebet für die Seinen. Schon im Alten Testament nahm der Berg Sinai einen besonderen Platz ein, indem Gott dort dem Volk Israel die Zehn Gebote gab.

Nicht zuletzt sollte Isaak auf einem Berg im Lande Morija geopfert werden. Allerdings wurde er verschont.

Jahrhunderte später sollte ein anderer Mensch, der Mensch Jesus Christus, ebenfalls auf einem Berg – genannt Golgatha – geopfert werden. „Gott, der doch seines eigenen Sohnes nicht geschont, sondern ihn für uns alle hingegeben hat; wie wird er uns mit ihm nicht auch alles schenken?“ (Röm 8,32). Wenn Jesus Christus einmal sichtbar wiederkommen wird, dann wird Er seine Füße auf den Berg Zion setzen.

Wir sehen also, auch für uns Christen ist die „Bergwertung“ nicht zu vernachlässigen. Immer und immer wieder werden wir dann besonders auf Christus hingewiesen. Manchmal sagt man so, dass man in der Stunde der Anbetung oder auch bei einem zu Herzen gehenden Vortrag eine Stunde auf dem Berg verbracht hat und dass man nachher wieder ins Alltagsleben zurückfinden muss, so wie auch Christus mit den Jüngern einige schöne Stunden auf dem Berg verbrachte, um dann aber anschließend wieder ins Alltagsleben zurückgehen zu müssen. Aber wie schön war es für die Jünger – als die Vision auf dem Berg verblasste, die Wolke entwich, die Stimme verstummte –, Christus zuletzt allein dort stehen zu sehen. Das musste ihnen einfach Mut machen. Christus blieb und wollte nun mit ihnen durch ihr Alltagsleben gehen – Er ging den langen Weg mit in ihre Umstände. Das ging so weit, dass der Prophet Jesaja von dem Herrn Jesus sagte: „In all ihrer Bedrängnis war er bedrängt.“ So ist es auch noch heute. Nach einer Stunde auf dem Berg, nach dem Genuss der schönen Aussicht, müssen wir auch wieder hinunter – aber nicht ohne Christus. Gott sei Dank.

Die Sprintwertung

Das waren einige Gedanken, die mir so im Blick auf die Tour de France kamen. Es gibt sicher noch manches, was zu erwähnen wäre, so zum Beispiel die „Sprintwertung“. Auch wir Christen werden aufgefordert, uns zu beeilen. Wenn es zum Beispiel um das Evangelisieren geht, dann sagt Paulus einmal sinngemäß: Lasst euch nicht aufhalten, die Zeit ist gedrängt. Also, auch die „Sprintwertung“ sollten wir natürlich nicht aus dem Auge verlieren.

Die richtigen Prioritäten?

Ich bin sicher, dass es viele Christen gibt, die diese Tour aufmerksam verfolgen, und wir wollen uns gemeinsam daran erinnern, dass es etwas gibt, was für unser Christenleben wesentlicher und wichtiger ist. Es ist eigentlich nichts dagegen einzuwenden, wenn wir diese Tour hin und wieder verfolgen oder uns dafür interessieren. Aber wir sollten uns doch auch ehrlich die Frage stellen: Wie viel Zeit verbringe ich vor dem Fernseher oder dergleichen, und wie viel Zeit verbringe ich im Dienst für den Herrn? Kennen wir noch die richtigen Prioritäten?

Anmerkungen

[1] Till Schwertfeger (16.72003), „Ullrich und die Pyrenäen: ,Die Realität holt einen am Berg ein‘“ in DER SPIEGEL. Online auf: www.spiegel.de.

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