Der Morgenstern
Offenbarung 2,26-28

Stephan Isenberg

© SoundWords, online seit: 02.11.2017, aktualisiert: 12.01.2021

Leitvers: Offenbarung 2,26-28

Off 2,26-28: Und wer überwindet und meine Werke bewahrt bis ans Ende, dem werde ich Gewalt über die Nationen geben; und er wird sie weiden mit eiserner Rute, wie Töpfergefäße zerschmettert werden, wie auch ich von meinem Vater empfangen habe; und ich werde ihm den Morgenstern geben.

Wir haben wir uns bereits mit dem „verborgenen Manna“ und mit dem „Baum des Lebens“ beschäftigt. In diesem Artikel soll es nun um den „Morgenstern“ gehen, der dem Überwinder aus Thyatira gegeben wird. Nur so viel vorweg: So wie das „verborgene Manna“ und der „Baum des Lebens“ auf den Herrn Jesus hinweisen, so weist auch der „Morgenstern“ auf den Herrn Jesus hin.

Die Sendschreiben

Die sieben Sendschreiben in Offenbarung 2 und 3 ergeben ein eindrückliches Bild von der Kirchengeschichte. Die Offenbarung ist ein durchweg prophetisches Buch (vgl. Off 1,3). Die Briefe an die sieben Gemeinden sollten „in ein Buch“ (Off 1,11) geschrieben werden, und die Zahl Sieben weist, wie immer in Gottes Wort, auf die vollkommene Darstellung einer Sache hin. So bekommen die sieben Briefe an die sieben Gemeinden besonders dann einen tieferen Sinn, wenn man sie im Ganzen betrachtet. Das wird auch durch den Satz zum Ende jedes Sendschreiben unterstützt: „Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Versammlungen sagt!“, der am Ende eines jeden Briefes steht. Hier steht das Wort „Versammlungen“ in der Mehrzahl; es war geradezu gewünscht, dass jede Gemeinde jeden Brief lesen sollte.

Wenn die sieben Gemeinden nicht einen kirchengeschichtlichen Abriss gäben, dann bliebe der Anfang des 4. Kapitels unverständlich; dort lesen wir davon, was „nach diesem“ geschehen sollte: nach dem letzten Zustand der Kirche auf der Erde. Wäre der Brief an Laodizea allein für die Gläubigen der damaligen Zeit von Bedeutung gewesen, dann würde man sich fragen, was mit „Nach diesem sah ich …“ (Off 4,1) am Anfang des Kapitels gemeint ist. Sieht man hingegen den kirchengeschichtlichen Zusammenhang, wird schnell klar, dass sich das „Nach diesem“ auf die Zeit nach der letzten Phase der Kirchengeschichte bezieht.

Die Sendschreiben sind aber nicht nur ein Bild der Kirchengeschichte; wir sollten jedes Sendschreiben auch auf die örtliche Gemeinde anwenden, zu der wir gehören, und auf uns persönlich. Darin liegt ein großer Segen. Nicht zuletzt sind ja die Verheißungen für den Überwinder auch sehr persönlich.

Was ist ein Überwinder?

Das griechische Wort für „überwinden“ wird an einigen Stellen im Neuen Testament auch mit „siegen“ oder „besiegen“ übersetzt (vgl. Off 6,2; Lk 11,22). Das Gegenteil ist also „unterliegen“ oder „verlieren“. Keiner von uns verliert gerne oder ist in irgendeiner Sache der Unterlegene. Der Apostel Johannes fragt: „Wer ist es, der die Welt überwindet, wenn nicht der, der glaubt, dass Jesus der Sohn Gottes ist?“ (1Joh 5,5). Glaubst du an den Herrn Jesus als den Sohn Gottes? Dann stehst du auf der Seite des Siegers. Bist du wiedergeboren? Dann kann von dir gesagt werden: „Denn alles, was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt; und dies ist der Sieg, der die Welt überwunden hat: unser Glaube“ (1Joh 5,4).

Geht es dir auch manchmal so, dass du etwas unruhig wirst, wenn du solche Bibelstellen liest? Sind wir denn immer diese Überwinder? Ist das unsere Erfahrung im täglichen Leben? Wir sollten uns nichts vormachen! Der Apostel Johannes geht die Sache vom göttlichen Standpunkt aus an. Er redet manchmal etwas abstrakt; das hat aber den Vorteil, dass uns eine Belehrung möglichst klar vor Augen gestellt wird. In unserem Fall sagt Johannes: „Schaut mal, wenn wir jetzt nur von dem göttlichen Leben ausgehen, das du hast, dann ist das das Leben des Herrn Jesus, und das hat die Welt überwunden – das ist Fakt, daran gibt es nichts zu rütteln –, und dieses Leben wohnt jetzt auch in dir.“ Johannes lässt es völlig außen vor, dass in uns noch die alte Natur wohnt, die das neue Leben in Christus ersticken möchte. Je mehr wir nämlich der alten Natur erlauben zu wirken, desto mehr wird es nur eine theoretische Wahrheit bleiben, dass der aus Gott Geborene die Welt überwindet (1Joh 5,4).

Ein Überwinder ist jemand, der im Geist und nicht im Fleisch wandelt, der sich nicht von irdischen oder gar fleischlichen bzw. weltlichen Dingen verführen lässt. Ich möchte nicht falsch verstanden werden, es gibt durchaus Dinge, die uns Gott „reichlich darreicht zum Genuss“ (1Tim 6,17). Diese Dinge sind zwar irdisch (weil sie von der Erde sind), sicherlich aber nicht fleischlich oder weltlich. So schenkt Gott uns zum Beispiel gute Gemeinschaft, Freundschaften und Dinge, die wir über unsere Sinne wahrnehmen können wie gute Musik. Er lässt uns staunen über die Herrlichkeiten in der Schöpfung. Doch gerade in unserer Zeit besteht die Gefahr, dass wir die himmlischen Dinge aus dem Auge oder zumindest den Geschmack an ihnen verlieren und uns – wenn nicht auf weltliche, so doch – zu sehr auf irdische Dinge konzentrieren. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns immer und immer wieder mit himmlischen und geistlichen Dingen beschäftigen (vgl. Eph 1,3). „Was wäre der Himmel ohne Dich und alle Herrlichkeit?“ Wenn der Herr Jesus unsere Freude im Himmel ist – warum dann nicht schon hier auf der Erde?

Die Verheißung für Überwinder

Es gibt im Sendschreiben an Thyatira gleich mehrere Verheißungen für Überwinder. Alle Verheißungen haben jedoch eines gemein: Sie weisen allesamt auf den Herrn Jesus hin. Interessanterweise heißt es hier im Zusammenhang mit dem Überwinder: „Wer überwindet und meine Werke bewahrt bis ans Ende …“ (Off 2,26). Nachdem von „deinen Werken“, „ihren Werken“ und „euren Werken“ (Off 2,19.22.23) die Rede war, spricht der Vers 26 nun von „meinen Werken“. Thyatira zeichnete sich zwar nicht dadurch aus, dass sie das Wort Gottes bewahrt hätten wie Philadelphia („Du hast mein Wort bewahrt“, Off 3,8). Doch sie hatten Werke; allerdings waren es ihre eigenen Werke, keine Werke praktischer Heiligkeit, die also in Übereinstimmung mit Gott gestanden hätten. Deshalb wird der Überwinder in Thyatira aufgefordert, die Werke des Herrn Jesus zu bewahren (Off 2,26), also Werke, die von Ihm aufgetragen und in seiner Kraft ausgeführt werden.

Was hat der Herr Jesus uns aufgetragen? Was hat Er uns nicht alles geschenkt, was es zu bewahren gilt! Ich denke da zum Beispiel an die biblischen Wahrheiten, die vor zweihundert Jahren wiederentdeckt wurden, nachdem sie lange Zeit in Vergessenheit geraten waren.

Der Überwinder in Thyatira hatte die Verheißung, zu herrschen: Er sollte „Gewalt über die Nationen“ bekommen und sie „mit eiserner Rute zu weiden“. Tatsächlich beherrschte die Kirche zur (kirchengeschichtlichen) Zeit Thyatiras die Welt; das Mittelalter war wohl die dunkelste Epoche der Kirchengeschichte – wie viel Blut wurde durch die Kirche vergossen! Wie trieb man Hurerei mit der Welt, wie spielte man mit der Macht! Der Überwinder sollte wissen, dass die Zeit des Herrschens erst noch kommen sollte, und zwar nur insoweit, als er nicht allein, sondern gemeinsam mit Christus regieren würde. Wenn die Kirche ohne Christus regiert, kann das Ergebnis nur katastrophal sein, wie uns die Kirchengeschichte lehrt.

Die Überwinder mussten sich also gedulden, sie mussten damit zufrieden sein, zurückgezogen, bescheiden und in der Einsamkeit zu leben – wie viel beeindruckende Zeugnisse gibt es aus dieser finsteren Zeit der Kirchengeschichte; denken wir nur an die Waldenser, die böhmischen Brüder oder an einzelne Gläubige wie John Wycliff, Franz von Assisi und Johannes Hus.

Der Morgenstern

Für die Überwinder gab es jedoch noch eine besondere Verheißung: den Morgenstern: „Und wer überwindet …; und ich werde ihm den Morgenstern geben“ (Off 2,28). Der Morgenstern ist ein direkter Hinweis auf den Herrn Jesus: „Ich, Jesus, … bin die Wurzel und das Geschlecht Davids, der glänzende Morgenstern“ (Off 22,16). Hier steht der Morgenstern mit dem Kommen des Herrn für seine Braut in Verbindung. Tatsächlich ist das eine großartige Ermunterung für jene, die in solch finsteren Zeiten leben: Sie werden in der Finsternis auf die Hoffnung des hellsten Lichtes vor dem Aufgang der Sonne hingewiesen.

Auch wir können persönlich in sehr widrigen und dunklen Umständen sein. In manchen Versammlungen ist es so finster, dass das Licht kaum noch zu sehen ist. Der Überwinder braucht dann die Ermutigung, dass die finstere Nacht bald zu Ende ist und der Morgenstern im Begriff steht aufzugehen – das erste und größte Licht nach einer dunklen Nacht. Thyatira erlebte wohl die dunkelste Nacht der Geschichte der Kirche; doch dem Treuen wird Christus im dunkelsten Augenblick als helles Licht und als der Vorbote des kommenden Tages verheißen. So spricht die Verheißung des Morgensterns auch zu allen in der heutigen Zeit, die persönlich oder in ihrer Gemeinde eine düstere Zeit erleben. Überwinder warten gespannt auf die Ankunft des Herrn.

Wenn wir den Herrn Jesus in all unseren Umständen nur mehr vor Augen hätten, dann würden wir vor dem Götzendienst Thyatiras bewahrt – denn nur der Sohn Gottes als der „wahrhaftige Gott und das ewige Leben“ ist in der Lage, uns vor dem Götzendienst zu bewahren („Und wir sind in dem Wahrhaftigen, in seinem Sohn Jesus Christus. Dieser ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben. Kinder, hütet euch vor den Götzen!“; 1Joh 5,20.21).

Wir neigen von Natur zum Götzendienst und trachten nach etwas Ansehen und Ehre in der Welt (wie einst Thyatira), und wenn wir das nicht in der Welt erreichen können, dann wollen wir es wenigstens in der Gemeinde zu etwas bringen. Es gibt kein Übel in der Christenheit, dessen Keim wir nicht ebenso in unserem Herzen entdecken können. Nur wenn „der Morgenstern [schon heute] aufgeht in unseren Herzen“ (2Pet 1,19), wird unser Innerstes mit dem beschäftigt sein, was dem kommenden Tag angehört, und wir werden bewahrt vor den Einflüssen, über die Thyatira gefallen ist. Die Beschäftigung mit dem Morgenstern würde uns demütig und nicht stolz machen.

So wie die Verheißung vom „Baum des Lebens“ und vom „verborgenen Manna“ nicht allein zukünftig ist, so ist auch die Verheißung an die Überwinder von Thyatira nicht allein zukünftig; schon heute sollte der „Morgenstern“ in unseren Herzen aufgehen (vgl. 2Pet 1,19).

John Nelson Darby schrieb:

Er [der Herr Jesus] spricht von sich selbst, wenn Er sich darstellt als den „glänzenden Morgenstern“. Er selbst wird jetzt kommen, um alles in Ordnung zu bringen. Ist dir Christus kostbar? Wenn nicht, so befindest du dich nicht auf Gottes Seite, und auch als Gläubiger bist du in einem schlechten Zustand, wenn Er dir nicht kostbarer ist als alles andere. Wenn du es überdrüssig wirst, von Ihm zu hören, so verleidet dir ja das, worin Gott Seine größte Freude findet, und der Himmel kann ja dann keinen Reiz für dich haben. Der Himmel selbst kann dich nicht glücklich machen, wenn Christus nicht deine Freude ist, denn Er ist dort der Mittelpunkt aller Glückseligkeit. Hat Er für dich immer noch kein Ansehen, dass du Seiner begehren möchtest? In Gottes Augen ist Er voller Schönheit, „alles an ihm ist lieblich“ [Hld 5,16], und wo irgendetwas von Gott Gewirktes in einer Seele ist, da ist auch der Wunsch nach Ihm vorhanden. Und wir wünschen Ihn nicht nur zu sehen wie ein schönes Bild, um uns einen Augenblick an Ihm zu freuen, sondern wir möchten Ihn mehr kennen, mehr lieben. Ihm gehören unsere Zuneigungen; und wenn auch diese Wünsche noch lange nicht erfüllt sind, so ist doch dieses Verlangen, dieser Durst nach Ihm vorhanden, den Er allein stillen kann. Ist dies nicht der Fall und kannst du auch ohne Christus auskommen, dann ist dein Herz noch fern von Gott, der in Ihm allein Seine ganze Freude findet, und es besteht keine Gemeinschaft zwischen dir und Ihm. Er sagt: „Dies ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen gefunden habe.“ Du aber freust dich Seiner nicht noch kennst du Ihn als das Verlangen deines Herzens. Ich spreche hier nicht von Pflichten oder vom Überwinden dieser oder jener Sache. Ich frage nur, ob Christus es ist, was dein Herz begehrt, Tag für Tag?[1]

Zum Schluss sollten wir noch Folgendes beachten: Mit der Gemeinde wird nie die Verheißung der „Sonne der Gerechtigkeit“ verbunden, sondern immer die Verheißung des Morgensterns, der vor Tagesanbruch sichtbar ist. Die aufgehende „Sonne der Gerechtigkeit (vgl. Mal 3,20) entspricht dem Kommen des Herrn in Macht und Herrlichkeit, aber der Morgenstern ist das hellste Licht vor Tagesanbruch, also bevor die Sonne aufgeht, und spricht von dem Kommen des Herrn zur Entrückung seiner Gemeinde (vgl. 1Thes 4,13-18).

Der Überwinder wird vor Tagesanbruch mit Christus verbunden sein, um dann seine Herrschaft und Herrlichkeit zu teilen, wenn Er als die „Sonne der Gerechtigkeit“ kommt. Was ist deine und meine Antwort darauf, wenn Christus uns als der „glänzende Morgenstern“ vorgestellt wird?

„Ich bin die Wurzel und das Geschlecht Davids, der glänzende Morgenstern. Und der Geist und die Braut sagen: Komm!“ (Off 22,16.17)

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