Wer sind die Hutterer?
... und wie sind sie zu beurteilen?

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© SoundWords, online seit: 05.12.2001, aktualisiert: 11.01.2021

Frage

In den letzten Wochen habe ich in verschiedenen Büchern die faszinierende Geschichte der Hutterer (Bruderhöfe in Kanada und Amerika) gelesen. Ihre Lebensart und Konsequenz beeindrucken mich. Was haltet ihr von dieser religiösen Gemeinschaft?

R.Z.

Antwort

Lieber Leser,

vielen Dank für deine Frage.

Es ist wirklich faszinierend, dass sich diese Bruderhöfe nun schon seit fast fünfhundert Jahren halten. Die (Deutsch sprechenden) Hutterer leben seit 1874 vor allem in Kanada und den USA, und zwar in absoluter Zurückgezogenheit. Oft liegen zwischen einem Bruderhof und der nächsten Stadt bis zu 60 Meilen. Bis vor wenigen Jahrzehnten war das Auto dort noch verpönt und so waren 60 Meilen für einen Hutterer eine „halbe Ewigkeit“. Das hutterische Leben kann man mit den Worten beschreiben: arbeiten, beten, essen, schlafen. So ähnlich wie die Hutterer leben übrigens auch die sogenannten Amischen.

In der Zeit der sogenannten Wiedertäufer (1520–1530), zu denen sich auch die Hutterer zählten, mussten viele Menschen ihr Leben lassen, weil sie es für nötig erachteten, sich „wieder“ oder ein zweites Mal taufen zu lassen, und damit ihre Kindstaufe nicht anerkannten. Diese Wiedertäufer sprachen von dem „Suhlbad“ der Kindstaufe. Somit verstießen sie aber bewusst gegen das erlassene Gebot von Kaiser Karl V., der auf dem Reichstag 1529 zu Speyer Folgendes festgelegt hatte: „Keiner so einmal nach christlicher Ordnung getaufft worden ist / (darf) sich widerumb oder zum zweytenmal taufen lassen / bey Straff des Tods.“ So starben bis zum Jahr 1530 über zweitausend Täufer den Märtyrertod.

Aber zwischen zwölf- und fünfzehntausend Brüdern und Schwestern gelang die Flucht nach Mähren (im Osten des heutigen Tschechien), wo man ihnen Schutz gewährte. Hier tauchte auch zum ersten Mal der Name Jakob Hutter auf ein Hutmacher aus dem Südtiroler Dorf Moss bei Bruneck im Pustertal. Er hatte auf seinen Wanderungen die Schweizer Brüder kennengelernt und sich ihnen angeschlossen. Schon bald traf man auf eine Gruppe von Gleichgesinnten, die zudem noch die Gütergemeinschaft praktizierten (siehe Apg 2,44), was seitdem auch das typische Kennzeichen der Hutterer wurde. Alles wurde im Blick auf die Gemeinschaft getan. (Später bekundete man durch die Aufnahme in die Brudergemeinschaft [durch Taufe] für alle sichtbar, dass nicht mehr das „Ich“, sondern das „Wir“ zählte.) In drei Jahren gelang es Jakob Hutter, die vertriebenen Brüder und Schwestern aus den verschiedenen Gemeinschaften zu einen. Diese neue Gemeinschaft sollte dann viele Jahrhunderte und manchen mächtigen Verfolger überdauern. Im Anfang war diese Bewegung noch sehr missionarisch veranlagt. Sie wurde dann um 1670 nach Russland vertrieben, wo man hundert Jahre ohne äußere Bedrängnis lebte, bis der Nationalismus das Zarenreich erreichte und die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde. Da die Hutterer friedliche Menschen sind, die niemals zur Waffe greifen würden, wanderten sie 1874 nach Kanada aus, wo sie sich über die Jahre stark vermehrten.

Ein Bruderhof besteht aus höchstens einhunderfünfundzwanzig Personen, und eine Familie hat durchschnittlich zehn Kinder. Wird die Gemeinde größer, erwirbt man neues Land und baut einen neuen Bruderhof, sogenannte Kolonien. Diese gibt es jetzt sowohl in Kanada als auch in den USA. Die Hutterer leben streng nach ihrem Verständnis der Bibel. Das Gemeinschaftsleben wird durch Regeln und Ordnungen ihrer Väter bestimmt (in vielen, vielen überlieferten Bänden, die immer wieder neu abgeschrieben werden). So sind die Gepflogenheiten seit vierhundsiebzig Jahren fast gleich geblieben. Noch immer tragen die Männer schwarze Einheitskleider und die Frauen lange Röcke bis zu den Knöcheln und tagsüber ein Kopftuch. Die Frauen sind mit häuslichen Arbeiten beschäftigt, während die Männer die Landwirtschaft besorgen und handwerkliche Berufe ausüben. Die Hutterer leben einen „christlichen Kommunismus“: Jeder hat den gleichen Besitz (wenn man Kleidung, Wohnung mit Bett und mit einer Truhe als „Besitz“ bezeichnen kann). Dies ist vielleicht auch der größte Anziehungspunkt für Christen, die im Materialismus groß geworden sind. Die Hutterer sind durchweg sehr fleißige, zufriedene Menschen, denen Geld so gut wie nichts bedeutet.

Durch ihre Abgeschiedenheit von der Welt sind sie nicht so sehr den Versuchungen vieler Christen ausgesetzt (sie gehen höchstens einmal zum Arztbesuch in die Stadt), die „inmitten eines verdrehten und verkehrten Geschlechts“ als Himmelslichter leuchten wollen. Auch irdische Wünsche kommen durch mangelnde Vergleichsmöglichkeiten nicht so schnell auf. Trotzdem ist auch bei den Hutterern die sündige Natur nicht ausgeschaltet. Und so kann man feststellen, dass, wenn die Hutterer einmal gesehen haben, was die Welt „bietet“, ihr Fall manchmal schlimmer ist als bei anderen Christen, die ständig von diesen bösen Dingen umgeben sind. Ein Hutterer hat aber wesentlich weniger Möglichkeiten, auf „dumme Gedanken“ zu kommen, da sich das Leben in der Gemeinschaft abspielt. Es wird gemeinsam gegessen; es wird gemeinsam gebetet; es wird gemeinsam hart gearbeitet. Es bleibt also kaum Zeit, um einer sündigen Sache nachzugehen.

Hier muss man klar sagen, dass dies vielleicht eine der größten Herausforderungen unserer Zeit ist: Die Menschen haben heutzutage so viel Freizeit wie in keiner anderen Zeit jemals zuvor, aber Einsamkeit war auch noch nie so groß wie heute. Immer weniger besuchen sich die Christen untereinander, immer mehr steht das persönliche oder wenigstens das Familienleben im Vordergrund und man hat kaum noch Zeit füreinander. Fragen wir uns, wo wir überhaupt noch Kontakt haben mit unseren Glaubensgeschwistern! Kann man eigentlich von einer lebendigen Gemeinde reden, wenn man sich lediglich zu den Gottesdienststunden trifft?

Doch eigentlich ist das, was diese Hutterer leben, modernes Eremitentum. Nun, die Schrift kennt eine derartige Absonderung nicht. Der Herr hat diejenigen, die Er berufen hat, zu sich gerufen. Die Gläubigen sind seit diesem Moment nicht mehr von der Welt, wohl aber noch in der Welt. Die Jünger zur Zeit des Herrn Jesus waren genauso Menschen ihrer Zeit (vor und nach ihrer Bekehrung), wie wir es heute im 21. Jahrhundert ebenfalls sind. Erwartet der Herr von uns, dass wir, weil wir jetzt Christen geworden sind, einen Lebensstil einer anderen vergangenen Zeit annehmen sollen? Der Grund für solche Bestrebungen liegt darin, dass man den Einflüssen der Welt und der Zeit entfliehen will – und welcher Christ hätte diesen Wunsch nicht schon gehabt? Vielleicht mag es durch ein solches Zurückziehen in gewisser Weise auch eine Zeitlang gelingen. Allerdings ist dies nur in einem weiten Land wie zum Beispiel den USA oder Kanada möglich. In Europa oder gar in Deutschland scheint uns dies nicht realisierbar oder die Mauern eines solchen Ortes müssten extrem hoch sein.

Ein weiterer Gedanke ist hier auch der, dass man sich durch ein solches Zurückziehen nicht nur von den Bestrebungen der Welt absondert, sondern auch von den anderen Gläubigen, die einen solchen extremen Schritt nicht für nötig halten und die ganz deutlich sehen, dass wir inmitten dieser Welt (Phil 2,15) ein Zeugnis sein sollten. So trennt man sich also auch von Gläubigen und verurteilt sie eigentlich damit und gibt den Gedanken des einen Leibes auf – zugunsten eines abgeschotteten Systems, einer scheinbaren Elite-Einheit inmitten der Christenheit; man möchte so etwas sein wie ein Überrest im Überrest. Allerdings kann man diese Gefahren heute auch in anderen christlichen Gruppierungen feststellen.

Damit kommen wir zu einem weiteren Gedanken. Zu jeder Zeit gab es solche Bestrebungen, sich zurückzuziehen. Denken wir nur an das Mönchtum im Mittelalter. Vielleicht mag man sich manchen verderblichen Einflüssen entziehen können, aber vor den Neigungen des Herzens können wir nicht fliehen oder uns ihnen entziehen. Und so hat schon die Geschichte gezeigt, dass bereits nach kurzer Zeit an solchen Orten Sünde erkennbar war und manchmal sogar Sünde zum Vorschein kam (Ausschweifung, Unzucht, Hurerei, Inzest, Heuchelei u.v.a.m.), die noch schrecklicher war als vorher. Vor diesen Gefahren sind auch die Hutterer nicht gefeit.

Solche Bestrebungen wie die der Hutterer sind verlockend – besonders auch für das religiös angehauchte Fleisch. Denn hier kann man nach außen hin etwas tun. Man kann ganz fromm und für den Herrn abgesondert erscheinen. Man kann alle Regeln befolgen – ohne dass das Herz nur irgendwie mitmacht oder mitzumachen braucht. Aber der Herr will es genau anders herum: Der Herr möchte die Hingabe unserer Herzen. Der Herr will unsere Herzen ganz ausfüllen, damit wir dann aus dieser Fülle unserer Herzen leben und ein Zeugnis geben. Der Herr Jesus hätte uns ja auch direkt nach unserer Bekehrung zu sich in den Himmel holen können. Das hat Er nicht getan. Warum nicht? Er möchte, dass wir seine Zeugen sind. Er möchte, dass wir unter weltlichen Arbeitnehmern ein Zeugnis sind von Ihm, indem wir andere Arbeitnehmer sind, die zum Beispiel nicht mobben oder den Chef hintergehen. Er möchte, dass wir unter den vielen, vielen „kaputten“ Ehen ein wenig von Ihm, von seiner Treue, Liebe und Hingabe zeigen, indem wir „bessere“ Eheleute sind. Er möchte, dass wir gerade unter den vielen zerbrochenen Familien, wo Eltern die Kinder und Kinder die Eltern nicht mehr verstehen, etwas von Ihm, von seiner Fürsorge auf der einen Seite und seinem Gehorsam auf der anderen Seite zeigen. Er ist jetzt nicht mehr auf dieser Erde, aber Er hat seine Zeugen hier. Wir wollen zunächst uns selbst, aber auch unsere Leser ermuntern, Ihn dadurch zu ehren und zu verherrlichen, dass wir gerade in einer bösen Umgebung etwas von Ihm offenbaren. Dann wird auch ein mündliches Zeugnis effektiv sein und Menschen erreichen, die um uns her ins ewige Verderben rennen.

Falls sich jemand noch mehr mit den Hutterern beschäftigen möchte: Es gibt ein sehr interessantes Buch über die Hutterer (Das vergessene Volk) von Michael Holzach. Er war ehemals Reporter bei der ZEIT in Hamburg und ab 1978 freier Schriftsteller; 1983 verunglückte er tödlich. 1978 besuchte Holzach die deutschstämmigen Hutterer in Kanada, um ein ganzes Jahr bei ihnen zu leben. Er unterwarf sich allen Regeln, machte alles mit und erlebte ganz Erstaunliches und für ihn auch Faszinierendes. In seinem Buch berichtet er viel Lobenswertes von den Hutterern, aber auch manches Fragwürdige. Trotz tiefer Eindrücke bekehrte sich dieser Reporter leider nicht zu dem lebendigen Gott. Dennoch vermittelt sein Buch den Eindruck, dass Holzach ehrlich und authentisch geschrieben hat, und es bringt einem den Lebensstil der Hutterer näher. Inzwischen ist es vergriffen und nur noch antiquarisch erhältlich: Michael Holzach, Das vergessene Volk, dtv, ISBN 3-423-30008-3.

Mit herzlichen Grüßen
die SoundWords-Redaktion

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