Verraten von einem Freund
1. Korinther 11,23.24; Johannes 13,8; Psalm 41,9

David R. Reid

© SoundWords, online seit: 22.06.2001, aktualisiert: 03.12.2023

Leitverse: 1. Korinther 11,23.24; Johannes 13,18; Psalm 41,10

1Kor 11,23.24: Ich habe von dem Herrn empfangen, was ich auch euch überliefert habe, dass der Herr Jesus in der Nacht, in der er überliefert wurde, Brot nahm, und als er gedankt hatte, es brach und sprach: Dies ist mein Leib, der für euch ist; dies tut zu meinem Gedächtnis.

Joh 13,18: Ich rede nicht von euch allen, ich weiß, welche ich auserwählt habe; aber damit die Schrift erfüllt würde: „Der mit mir das Brot isst, hat seine Ferse gegen mich aufgehoben.“

Ps 41,10: Sogar der Mann meines Friedens, auf den ich vertraute, der mein Brot aß, hat die Ferse gegen mich erhoben.

Einleitung

Sind Sie jemals verraten worden? Von einem Freund? Von einem engen Freund, von einem, dem Sie rückhaltlos vertraut haben? Eine solche Erfahrung liegt für viele von uns jenseits des Verstehens. Wir alle wissen, wie es ist, wenn andere Menschen uns übervorteilen oder wenn skrupellose Menschen uns überrollen. Aber von einem vertrauten Freund verraten zu werden, verletzt uns doch mehr. Wenn wir über das Leid einer hingebungsvollen und treuen Ehefrau nachdenken, die von ihrem Mann hintergangen wurde, wenn wir über ein unschuldiges kleines Kind nachdenken, das von seinen Eltern verraten wurde, so können wir vielleicht ein wenig von diesen seelischen Wunden verstehen, die Verrat mit sich bringt. Diese Art von Leiden ist tiefer und schmerzlicher als physisches Leid. Normalerweise gibt es Grenzen der physischen Schmerzen, aber es gibt unendliche geistige und emotionale Qualen, die durch Verrat verursacht wurden.

Der Herr wurde verraten

Der Herr Jesus wurde auch verraten. Er wurde von einem engen „Freund“ verraten. Er wurde in einer Nacht verraten, die eine Zeit der persönlichen Freundschaft zwischen Ihm und seinen treuesten Begleitern war. Jesus wusste genau, dass dieser Verrat am folgenden Tag auf seinen Kreuzestod hinauslaufen sollte (s. Lk 9,22.23 und Joh 13,1.2.11). Stellen Sie sich vor, was wir in der Nacht vor unserem absolut sicheren Tod empfinden würden, wenn wir wüssten, dass man uns das Leben in den besten Jahren nehmen will. Was würden wir empfinden, wenn wir wüssten, dass wir durch den Verrat eines Freundes einem gewaltsamen Tod entgegengehen? Unsere Gefühle würden wahrscheinlich von Hilflosigkeit und Furcht bis hin zu Verbitterung und Wut reichen. Unsere Gedanken würden vermutlich Ideen von Vergeltung und Überbordwerfen unseres Glaubens, nicht zuletzt Pläne der rechtzeitigen Flucht umfassen.

Aber all diese Gedanken und Gefühle waren unserem Herrn fremd. 1. Korinther 11,23.24 zeigt uns, dass Er in der Nacht, in der verraten wurde, dankte. Der Herr dachte nicht daran, sein Leben für sich zu retten, Er wollte es für uns geben. Er floh nicht voller Angst. Er wollte bis zum Ende aushalten und seinen Auftrag ausführen. Wenn wir uns daran erinnern, dass die Ereignisse des ersten Karfreitags auf dem dunklen Hintergrund seines Verrats stattfanden, dann sehen wir die große Würde des Mutes, des Ausharrens und des Pflichtbewusstseins unseres Herrn, genauso wie die wunderbare Liebe des Herrn zu uns.

Judas – „der Mann meines Friedens“

Der Umfang der Tat des Verräters unseres Herrn kann in Johannes 13 gesehen werden. Während des „letzten Abendmahls“ sagte Jesus seinen Jüngern, dass einer von ihnen Ihn verraten würde. In Johannes 13,18 leitet der Herr dieses Thema mit dem Zitat aus Psalm 41 ein: „Sogar der Mann meines Friedens, auf den ich vertraute, der mein Brot aß, hat die Ferse gegen mich erhoben.“ Bald nach dieser Feststellung bezeugt der Herr persönlich dem Petrus und Johannes, dass Judas der Verräter sei.

Judas! Wer würde Judas verdächtigt haben? Er war der fest ernannte Finanzverwalter der Gruppe. Vielleicht den impulsiven Petrus, aber doch sicherlich nicht den verantwortungsbewussten Judas! Religiöse Maler stellen Judas gewöhnlich als verschlagenen und listigen Charakter dar, aber das ist nicht das Bild von Judas, das die Bibel zeigt. Sein Unglaube und sein verräterischer Wesenszug werden bis zum Ende verborgen. Über drei Jahre hinweg war er fähig, das Geld anderer zu stehlen, ohne den geringsten Verdacht zu erwecken (Joh 12,6). Selbst nachdem er zu den Autoritäten gegangen war, um das Blutgeld auszuhandeln, und heimlich ein Komplott gegen Jesus schmiedete, stellte sich Judas weiterhin als vorbildlicher Jünger dar. Mit dem Rest der Jünger beim Passah fragt auch er ganz unschuldig: „Ich bin es doch nicht, Herr?“ (s. Mt 26,15.16.25; Mk 14,19; Joh 13,2). In Johannes 13,26 sehen wir, dass Judas leichtfertig die freundliche Geste des Herrn, der sein Brot mit ihm teilt, ohne die leichteste Sorge erwidert, dass sich offenbaren könnte, was in seinem Herzen war. Diese Geste Jesu, der als Gastgeber Judas als seinem Gast einen Ehrenbissen (nach der damaligen Sitte) gibt, verstärkt noch die Heuchelei des Judas. Und als Judas den Obersaal verließ, um sein ruchloses Werk zu vollenden, dachten einige der übrigen Jünger, Jesus sende ihn, um „zu kaufen, was sie noch für das Fest benötigten“ (Joh 13,29). Was für eine außerordentliche Deckung konnte Judas seinem entsetzlichen Verrat geben!

Die Empfindungen des Herrn

Im Licht dieser Einzelheiten stehen wir verwundert und ehrfürchtig vor der Geduld und der Milde unseres Erlösers und vor seiner bereitwilligen Erniedrigung. Der Herr wurde nicht von Judas getäuscht. Er kennt die Herzen aller Menschen (Joh 2,24.25). Er wusste von Anfang an, dass Judas der Verräter sein würde (Joh 6,64.71). Und schon seit drei Jahren duldete der Herr Jesus Judas gnädig, einen Menschen, von dem Christus selbst sagt: „Es wäre besser für jenen Menschen, wenn er nicht geboren wäre“ (Mt 26,24). Denken Sie an alle Momente der Freude und auch der Trauer, die Jesus mit den Seinen – und auch mit Judas – verbracht hatte. Denken Sie an die langen Stunden, in denen unser Herr seine Nachfolger – auch Judas – lehrte. Denken Sie an die übernatürliche Macht, die Christus den Zwölfen – einschließlich Judas – übertrug (Mt 10,1). Denken Sie an die Fußwaschung, als der Herr den Jüngern die Füße wusch (Joh 13,5.12). Denken Sie an die vielen für den Osten typischen Umarmungen, die der Herr mit Judas gehabt haben musste. (Vorher mag der Kuss die normale Begrüßung zwischen Jesus und seinen Jüngern gewesen sein, so dass Judas es als sicheres Zeichen für seinen Verrat nutzen konnte.) Denken Sie auch daran, wie der Herr Jesus diese letzte Umarmung und diesen letzten Kuss des Verrates von Judas hinnahm (Mk 14,43-46). Wie muss es die unendlich feinfühlige, sanfte und empfindsame Seele des Herrn getroffen haben, direkt in die Augen seines Verräters zu sehen und zu sagen: „Judas, überlieferst du den Sohn des Menschen mit einem Kuss?“ (Lk 22,48).

Warum das alles? Warum diese Langmut und Duldung vonseiten Christi? Warum zeigte der Herr eine solch willige Bejahung seiner Erniedrigung? Es mag einige Gründe geben. Alle stehen in Verbindung mit der Verwirklichung der Heilsgedanken Gottes. So wird beispielsweise die brutale und sündige Verderbtheit des Menschen ganz klar gezeigt, nicht allein durch den Spott, den Speichel und die Geißelung durch die heidnischen römischen Soldaten, nicht nur durch die Verachtung und Verwerfung durch die religiösen Juden, sondern auch durch den Verrat durch einen der Jünger.

Außerdem haben wir eine bemerkenswerte Demonstration davon, wie Gott mit einem jeden von uns handelt. Welch eine unbeschreibliche Langmut erweist der Herr auch uns! Wie lange beschäftigte sich der Herr mit unseren rebellischen Herzen, bis wir sein Heil annahmen? Wie viel Erniedrigung können wir auf uns nehmen gegenüber dem, der sein Leben für uns gegeben hat? Wie sehr verletzen wir das Herz unseres Heilands durch unsere Taten – oder sogar durch unsere Trägheit? Wie oft haben wir geheuchelt und unseren Herrn im übertragenen Sinn für noch weniger als 30 Sekel weltlichen Silbers verleugnet? Denken wir nur über die Todsünden des Stolzes, der Habgier, der Eifersucht, des Geizes und des Eigensinns nach, die tief in unseren Herzen liegen (Jer 17,9). Wir können der wunderbaren Gnade unseres Herrn nur immer wieder danken. Ein jeder von uns hätte den Platz dieses Judas einnehmen können.

Das alttestamentliche Vorbild Ahitophels

Psalm 41 gibt uns weitere Einsicht in den Verrat und die Erniedrigung unseres Herrn. In diesem Psalm reflektiert David die Zeit, als sein Sohn Absalom das Königreich an sich riss und die Herrschaft beanspruchte. David floh mit seinem loyalen Gefolge aus Jerusalem, aber ein enger Freund und vertrauter Berater, Ahitophel, verriet David und unterstützte Absalom. Er gab Absalom sogar Ratschläge, wie man David völlig vernichten könnte. (Lesen Sie 2. Samuel 15–18.) Die Tatsache, dass unser Herr Psalm 41,10 zitierte, beweist, dass Ahitophel prophetisch auf Judas hinweist. Es ist hinsichtlich dieser Parallele bemerkenswert, dass Ahitophel, wie Judas auch, sich erhängte, als er erkannte, dass seinem Rat betreffs David nicht stattgegeben wurde (2Sam 17,23). Ebenso signifikant ist es, dass unser Herr, als Er dieses Schriftwort auf Judas anwendete, den ersten Teil des Psalms nicht mitzitierte. Jesus ließ die Worte „Sogar der Mann meines Friedens, auf den ich vertraute“ aus, und das aus offensichtlichen Gründen. Wenn der Herr Jesus nur die zweite Hälfte des Psalms zitiert, so zeigt Er, dass Er sich des Hasses und der Schwärze dieses Verrats zutiefst bewusst war. Wie auch Ahitophel sich unter dem Schutz der orientalischen Gastfreundschaft in Augenwischerei an Davids Tisch Platz nahm, so auch Judas am Tisch des Herrn im Obersaal. Wie auch Ahitophel heuchlerisch am Brot seines Herrn teilhatte, so nahm auch Judas am Passahfest und an der Einsetzung des Mahles des Herrn teil (s. „War Judas beim ersten ,Mahl des Herrn‘ anwesend?“). Genau wie Ahitophel seinen König in beschämender Weise verriet und ein Komplott schmiedete, um David zu beseitigen, verriet auch Judas seinen Herrn mit irreführender Offenheit. Ahitophel erhob in böser Absicht seine Ferse und „trat“ seinen Herrn; auch Judas tat dies mit plötzlicher und schockierender Brutalität durch den infamsten Verrat, den die Welt je gesehen hat.

Wenn wir über den Verrat an unserem Herrn nachdenken, sollten unsere Herzen Ihm in mehr Liebe und Demut gegenüberstehen für all das, was Er für uns litt. Sein Weg zum Kreuz für unser Heil war gesäumt von schrecklichen Leiden. Lasst uns mit unserem allzu häufigen Verrat an unserem Heiland um weltlicher Popularität und Profitgier willen Schluss machen. Lasst uns mit seiner Hilfe ein klares Glaubensleben in unserem Herrn Jesus Christus führen.


Engl. Originaltitel: „Betrayed“
Quelle: www.growingchristians.org

Weitere Artikel in der Kategorie Anbetung (37)

Weitere Artikel des Autors David R. Reid (102)


Hinweis der Redaktion:

Die SoundWords-Redaktion ist für die Veröffentlichung des obenstehenden Artikels verantwortlich. Sie ist dadurch nicht notwendigerweise mit allen geäußerten Gedanken des Autors einverstanden (ausgenommen natürlich Artikel der Redaktion) noch möchte sie auf alle Gedanken und Praktiken verweisen, die der Autor an anderer Stelle vertritt. „Prüft aber alles, das Gute haltet fest“ (1Thes 5,21). – Siehe auch „In eigener Sache ...

Bibeltexte im Artikel anzeigen