Leitvers: 3. Mose 16,4
3Mo 16,4: Er soll einen heiligen Leibrock aus Leinen anziehen, und leinene Beinkleider sollen auf seinem Fleisch sein, und mit einem leinenen Gürtel soll er sich umgürten und einen Kopfbund aus Leinen sich umbinden: das sind heilige Kleider. Er soll sein Fleisch im Wasser baden und sie anziehen.
In der Stiftshütte gab es damals zehn Vorhänge aus Leinen, die zusammen die eine Stiftshütte formten. Am großen Versöhnungstag legte der Hohepriester seine normale Kleidung von Herrlichkeit und Schönheit ab und trug nur fleckenloses Weiß (weißes Leinen). Er ging als Träger des Versöhnungsblutes in die Gegenwart Gottes, und der Gedanke, der bei dem Volk hervorgebracht werden sollte, war die absolute Notwendigkeit der fleckenlosen Reinheit in dieser heiligen Gegenwart (3Mo 16,4).
Als Gott in der Zeit Hesekiels so weit war, sein abtrünniges Volk zu richten, und als Er nicht länger mit ihrem Bösen weitermachen konnte, sandte Er, wie der Prophet in seiner Vision es sah, einen Mann gekleidet in weißer Leinwand, mit dem Schreibzeug eines Schreibers, der durch Jerusalem ging, um jeden zu markieren, der seufzte und stöhnte über alle die Gräuel, die getan wurden (Hes 9,3.4). Die Bedeutung der weißen Leinwand in diesem Zusammenhang war offensichtlich. So finden wir diesen Gedanken im ganzen Alten Testament.
Im Neuen Testament haben wir die Verklärung auf dem Berg als eine sehr eindrucksvolle Darstellung der Bedeutung dieser weißen Kleidung. Die Herrlichkeit unseres Herrn – sein wesentlicher Charakter – sollte auf diesem heiligen Berg hervorscheinen, nicht als Er durch das Land im niedrigen Gewand ging, in dem keine Gestalt oder Schönheit in den Augen des Unglaubens war, aber auf dem Berg wurde die äußere Hülle, die den Wohnort Gottes verhüllte, weggenommen. „Sein Angesicht strahlte wie die Sonne“, „seine Kleider wurden glänzend, sehr weiß wie Schnee, so wie kein Walker auf der Erde sie weiß machen kann“ (Mk 9,3). So zeigte Er die vollkommene Reinheit seiner Natur.
Die Bedeutung der feinen Leinwand ist wahrscheinlich am genauesten definiert im 19. Kapitel der Offenbarung. Es wird über die Braut, die Frau des Lammes, gesagt: „Und ihr wurde gegeben, dass sie sich kleide in feine Leinwand, glänzend, rein, denn die feine Leinwand sind die gerechten Taten der Heiligen“ (Off 19,8). Diese feine Leinwand darf nicht verwechselt werden mit dem „besten Kleid“, das Christus ist, unsere Gerechtigkeit (Lk 15,22). Dieses Kleid wird dem Sünder gegeben in dem Moment, wo er sich in echter Umkehr und Glauben zu Gott wendet. Aber die „feine Leinwand“ (in Off 19,8) ist die persönliche Heiligkeit und Gerechtigkeit der Gläubigen im tatsächlichen Leben, gewirkt durch die Kraft des Heiligen Geistes. Daher kann es keine Frage geben über die Bedeutung dieser feinen Leinwand in den Vorhängen der Stiftshütte. Es zeigt uns die fleckenlose Heiligkeit, Reinheit, Gerechtigkeit des Herrn Jesus Christus, manifestiert in jeder Tat, in jedem Wort und in jedem Gedanken seines täglichen Lebens.
Fragen wir uns nun, in welchem Evangelium der Herr Jesus besonders in seiner Menschheit und seinem Leben als Mensch auf dieser Erde beschrieben wird. Wo wird uns die Menschheit unseres Herrn und seine fleckenlose Reinheit mehr herausgestellt als im Lukasevangelium?
Im ersten Kapitel wird die Geburt des Herrn vorhergesagt. Es ist nicht die Geburt einer gewöhnlichen Person, sondern das Wort wurde Fleisch. „Darum wird auch das Heilige, das geboren werden wird, Sohn Gottes genannt werden“ (Lk 1,35). Sein Menschsein war wirklich heilig, ohne den geringsten Makel von Sünde. David musste bekennen: „Siehe, in Schuld bin ich geboren, und in Sünde hat mich meine Mutter empfangen“ (Ps 51,7). Davids Herr war „das Heilige“!
Im zweiten Kapitel hat das Kind Jesus das Alter von zwölf Jahren erreicht – bei vielen Eltern verursacht diese Lebensperiode besondere Ängstlichkeit, wenn der Wille des Jungen anfängt, sich in einer bestimmteren Art und Weise zu behaupten, und wenn die Beschränkung durch elterliche Autorität ärgerlich ist und Kameradschaft außerhalb des Heimes gesucht wird. Es ist das Alter von vielen Versuchungen und Gefahren: Es braucht die souveräne Gnade Gottes, um „auf den rutschigen Wegen der Jugend“ aufrechtgehalten zu werden. Betrachte das Kind Jesus in diesem Alter. Er war nach Jerusalem gebracht worden, und als Joseph und Maria nach Nazareth zurückkehren, verlieren sie Ihn drei Tage lang aus den Augen. In welcher Gesellschaft war Er gewesen? Sie finden Ihn im Tempel mitten unter den Lehrern und als Antwort auf die ängstliche Frage seiner Mutter sagt er: „Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?“ (Lk 2,49). Sein ganzes Interesse war, in den Dingen seines Vaters zu sein. War da je ein Kind wie dieses, zu dem Gott in solch einer Weise Vater war, dass Er sein Denken völlig ausfüllte?
Spüren wir Ihm ein wenig weiter nach und wir sehen mehr von der feinen Leinwand. Er geht zurück nach Nazareth und ist seinen Eltern untertan. Die Schrift nennt sowohl Joseph als auch Maria seine Eltern und anerkennt damit die Stellung der Verantwortlichkeit, die Joseph innehatte. Unser Herr ging auf in den Angelegenheiten seines Vaters und ordnete sich denen unter, die den Platz der irdischen Verantwortung hatten. Da war nichts außergewöhnlich Altkluges, nur vollkommene Reinheit in jeder Beziehung. „Und Jesus nahm zu an Weisheit und Alter und Gunst bei Gott und Menschen“ (Lk 2,52). Da wird das Gewebe aus fleckenloser Leinwand vor den Augen Gottes gewoben.
Folgen wir Ihm durch das Evangelium und wir sehen überall den vollkommenen Menschen. In der Synagoge von Nazareth verwunderte man sich vielleicht über seine niedrige Herkunft – denn sie fragten: „Ist dieser nicht der Sohn des Josephs?“ –, aber sie sind gezwungen, den gnadenvollen Worten von Liebe und Wahrheit, die von seinen Lippen kommen, zuzustimmen (Lk 4,16-22).
Schauen wir ein wenig weiter und wir sehen Ihn im Haus des Pharisäers, wo alles außer feiner Leinwand zugegen war. Da ist der Pharisäer, aufgebläht mit Stolz und Selbstgerechtigkeit, und niedergeworfen zu den Füßen unseres Herrn ist eine arme Sünderin voller Schande und mit beschmutzten Kleidern. Aber wenn der Stolz des Pharisäers und die „Frau, die eine Sünderin war“, den Zustand der Menschheit in seinen gegensätzlichen Extremen zeigen – Selbstgerechtigkeit und Elend –, was sollen wir über den Vollkommenen am Tisch sagen, der Frieden und Vergebung zu dem Kind der Schande (der Sünderin) bringt und demütigenden Tadel zu dem Pharisäer? Wie die fleckenlose Reinheit herausstrahlt! Die Vorwürfe seiner Feinde betonten dies nur. „Dieser nimmt Sünder auf und isst mit ihnen“ (Lk 15,2). Sie wollen Ihn zu den Sündern zählen, um womöglich sein weißes Kleid zu besudeln.
So bring Ihn in engsten Kontakt mit dem Bösen, lass Ihn an der Seite eines armen Sünders niedersitzen und was bewirkt es? Hinterlässt es einen Flecken auf Ihm – etwas, auf das Gott nicht mit Freude schauen kann? Natürlich nicht! Es bringt nur seine vollkommene Fleckenlosigkeit zum Vorschein. Hier ist ein Mensch, in dem Reinheit so absolut ist, dass sein Glanz nur noch deutlicher hervorgebracht wird durch die Schwärze der Selbstgerechtigkeit in den Pharisäern oder den schmutzigen Kleidern der Sünderin. Wie muss es dem Herzen Gottes gutgetan haben, auf diese fleckenlose weiße Leinwand zu blicken! Er hatte auf dieser von Sünde verfluchten Erde all diese Jahrhunderte Ausschau gehalten nach einem, auf den sein Auge ruhen konnte, jemand, der von Gehorsam und Hingabe gekennzeichnet wäre. Ach, selbst in den Treuesten, einem Abraham oder David, war das Kleid in bestimmten Maß „vom Fleisch befleckt“ (Jud 23). Aber hier war Einer, dessen Kleidung keine Beschmutzung annahm, als Er durch diese Welt von Sünde ging.
Betrachte Ihn wieder und wieder in diesem Evangelium im Gebet, sich wegwendend vom Beifall derjenigen, die seine Wunder bestaunten und davon profitierten, um allein zu sein mit seinem Gott und seine Seele vor Ihm auszuschütten. Sein schuldloses Leben wurde durch beständige Abhängigkeit und Gehorsam charakterisiert.
Wenn wir zu seinem Tod kommen, sehen wir das fleckenlose Weiß in all seiner Reinheit scheinen. Die Welt hängt Ihn zwischen zwei Diebe, so dass der Herr klagen muss: „Eine Rotte von Übeltätern hat mich umzingelt“ (Ps 22,17). So sagt Satan: Ich werde schließlich seine „weiße Weste“ doch noch besudeln, ich werde Ihn den Übeltätern zugesellen und den Pöbel gegen Ihn loslassen, der Ihn schmäht und Staub in die Luft wirft. Wir werden sehen, was aus seiner Fleckenlosigkeit wird. Ja, lasst uns sehen, was aus seiner Fleckenlosigkeit wird! – Gott lässt sie inmitten der Schwärze von menschlicher und satanischer Bosheit umso deutlicher hervortreten. Pilatus erklärt dreimal, dass er keine Schuld in Ihm finde. Sogar der Dieb an seiner Seite sieht sich genötigt, seine Sündlosigkeit zuzugeben: „Auch du fürchtest Gott nicht, da du in demselben Gericht bist? Und wir zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsere Taten wert sind“ – unsere Kleidung ist beschmutzt – „dieser aber hat nichts Ungeziemendes getan“ (Lk 23,40.41). Auch der Hauptmann, der die Kreuzigung leitete, erklärte Ihn zum Gerechten.
Dies und vieles mehr schließen wir aus dem Lukasevangelium – dem Evangelium (sollen wir es nicht so nennen?) von feiner weißer Leinwand.
Auszug aus „The Building of the Tabernacle, Lecture 3: The Linen Curtains and Colors“
in Lectures on the Tabernacle;
erstmals veröffentlicht im Englischen 1914
Übersetzung: Birgit Herbst