Todesstrafe und biblische Bündnisse
1. Mose 9,6

David R. Reid

© SoundWords, online seit: 26.06.2001, aktualisiert: 15.07.2020

Leitvers: 1. Mose 9,6

1Mo 9,6: Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll auch durch Menschen vergossen werden; denn Gott hat den Menschen nach seinem Bild gemacht.

Einleitung

Gibt es eine zeitgemäße biblische Grundlage für die Todesstrafe oder sollte die Todesstrafe nur in alttestamentlichen Zeiten praktiziert werden? Da Römer 10,4 sagt, dass „Christus des Gesetzes Ende ist“, gibt es da noch irgendeine Grundlage, die Todesstrafe zu rechtfertigen? Schiebt nicht das Gebot Jesu „Liebe deine Feinde“ die Forderung des mosaischen Gesetzes „Auge um Auge, Zahn um Zahn, Leben um Leben“ beiseite? Ist nicht die restaurative Rechtsprechung eher mit der Lehre des Neuen Testamentes in Übereinstimmung?

Contra Todesstrafe

Christen haben zu diesen Fragen die unterschiedlichsten Antworten. Einige Christen glauben, dass es niemals gerechtfertigt sein kann, das Leben irgendeines Menschen zu nehmen, egal, wie schwerwiegend sein Verbrechen sein mag. Die Todesstrafe, so meinen sie, wurde im alten Israel angewendet, als die Nation noch theokratisch war, also von Gott selbst regiert wurde. Seit Gott nicht mehr direkt der Regierung eines Landes vorsteht, gibt es keine Grundlage mehr für die Todesstrafe. Es ist nach dieser Auffassung undenkbar, dass Gott die Macht über Leben und Tod in die Hand eines unvollkommenen Menschen legt. Man denke an die vielen Ungerechtigkeiten, die sich unvermeidlich entwickeln würden. Die Armen und Minderheiten hätten dann keine gerechte Behandlung zu erwarten. Das Leben unschuldiger Menschen würde einfach „ausgepustet“, wenn ein korruptes Rechtssystem die Wahrheit pervertieren würde. Die Reichen und Mächtigen könnten sich von der Todesstrafe freikaufen. Außerdem würde der Mord als Verbrechen niemals ganz ausgerottet, selbst wenn die Todesstrafe strikt durchgeführt werden würde. Dies ist die Argumentationskette der Christen, welche die Todesstrafe ablehnen.

Pro Todesstrafe

Christen, die die Todesstrafe befürworten, erkennen bereitwillig an, dass überall, wo die Todesstrafe praktiziert wurde, Fehler und Rechtsbeugung vorkamen, dass unschuldige Menschen getötet wurden und auch dass der Mord nie ausgerottet werden konnte. Aber sie machen auch deutlich, dass, wo immer die Todesstrafe praktiziert wurde, die Bedrohung durch die Todesstrafe mit dazu beitrug, dass die Öffentlichkeit eher vor Gewaltverbrechen geschützt war und dass die Zahl der mutwilligen Morde sich senkte. In islamischen Ländern beispielsweise, wo man dahin tendiert, das Gesetz „Auge um Auge, Zahn um Zahn, Leben um Leben“ wortwörtlich zu nehmen, ist die Rate der Verbrechen definitiv niedriger als in westlichen Ländern, in denen man das Todesurteil nur selten ausführt. Solange die Todesstrafe als Abschreckung mit allen Arten von Statistiken diskutiert und debattiert wird, wird diese spezielle Frage allerdings nie beantwortet. Der Grundgedanke ist trotz aller bedauerlichen Fällen von Rechtsverdrehung, Fehlern und mangelnder Effektivität, dass die biblische Grundlage für die Todesstrafe nie geändert oder beiseitegesetzt worden ist.

Biblische Bündnisse

Eines der Prinzipien zum Verstehen und richtigen Anwenden der „Gesetze der Bibel“ ist das korrekte Verstehen und Unterscheiden der biblischen Bündnisse. Durch die ganz menschliche Geschichte hindurch machte Gott Bündnisse, „Verträge“ mit der Menschheit. Beginnend mit dem Bündnis von Eden vor dem Sündenfall setzt Gott seine Bemühungen um die Menschen fort, mit dem adamitischen Bündnis nach dem Sündenfall und dem Bund mit Noah nach der Flut. Es folgt der Bund mit Abraham, das mosaische Bündnis und der Bund mit David, die alle speziell mit jüdischen Menschen geschlossen wurden. Letztendlich brachte Gott den Neuen Bund, der auf dem Tod Christi beruht. Um jedes biblische Bündnis richtig anzuwenden, ist es sehr wichtig zu wissen, ob dieses Bündnis mit der gesamten Menschheit oder mit einer bestimmen Volksgruppe geschlossen wurden. Es ist ebenso bedeutungsvoll zu wissen, ob dieses Bündnis fortdauernd und bedingungslos war oder ob zeitlich begrenzt oder an bestimmte Bedingungen geknüpft wurde. So enthält beispielsweise 3. Mose 19,19 Gesetze, die gegeben wurden, um gottesdienstliche und soziale Handlungen klar von den heidnischen Praktiken der umliegenden Völker abzugrenzen. Als Christen glauben wir nicht, dass wir diese Gesetze bezüglich Vieh, Früchten und Kleidung halten müssen, da sie Teil des mosaischen Bündnisses sind. Dieses Bündnis wurde von Gott vor dem Kommen Christi mit den Juden geschlossen. Das Wort „Altes Testament“ bedeutet also „Alter Bund“ und bezieht sich auf den „alten“ mosaischen Bund, der mit Christus endet. Der Bund mit Mose war auf die Zeit des Alten Testamentes beschränkt, da er an den Gehorsam Israels geknüpft war. Beachte die Klausel „Wenn du gehorchen wirst“, die in diesem Bund zwischen Gott und Israel den Segnungen vorangehen (5Mo 28,1). Weil die Nation Israel nicht gehorchte, wurde dieses Bündnis beiseitegesetzt, als Gott den auf dem Tod Jesu basierenden Neuen Bund bildete.

Wir sehen also, dass die Regelungen aus 3. Mose 19,19 betreffend Vieh, Früchte und Kleidung Teil des mosaischen Bundes waren und nicht bindend für den heute lebenden Christen sind. Andererseits sehen wir, dass der Vers, der 3. Mose 19,19 vorausgeht, das moralische Gesetz enthält, „seinen Nächsten wie sich selbst zu lieben“, was heute noch dieselbe Gültigkeit wie zu Zeiten der Einsetzung des mosaischen Bundes hat. Mit anderen Worten, wir Christen im 21. Jahrhundert sollten uns schuldig fühlen, wenn wir unsere Nachbarn kurz abfertigen oder ungerecht behandeln, brauchen das aber nicht, wenn wir ein T-Shirt aus Baumwolle und Polyester tragen. Heißt das, dass wir uns die Gesetze aussuchen können, die wir befolgen wollen und den Rest beiseitelassen können? Nein, natürlich nicht! 3. Mose 19,18 ist ein moralisches Gesetz, Gott hat es nie aufgehoben oder seine moralischen Standards und Prinzipien geändert, die Er im mosaischen Gesetz gegeben hat. Gottes moralische Grundsätze ändern sich nie! Es waren die bürgerlichen und gottesdienstlichen Aspekte, die mit Christus endeten. Beauftragt, das „Wort der Wahrheit recht zu teilen“ (2Tim 2,15), müssen wir immer richtig unterscheiden zwischen Gottes moralischen Gesetzen, die auf ewigen Grundlagen beruhen, und den bürgerlichen und zeremoniellen Gesetzen, die mit den Bedingungen des jeweiligen Bündnisses verbunden sind. Dies alles ist wichtig, wenn wir die biblischen Bündnisse richtig begreifen wollen.

Alle göttlichen Moralgesetze des mosaischen Bundes sind übrigens im Neuen Testament wiederholt. Es ist daher nicht allzu schwierig für uns, zu unterscheiden, was noch immer maßgeblich für uns ist und was an die israelische alttestamentarische Theokratie (Gottesherrschaft) gebunden war. Mit der Ausnahme der Sabbatheiligung sind die Zehn Gebote moralische Gesetze. Mit der Ausnahme des Sabbats finden wir alle diese Zehn Gebote im Neuen Testament wieder. Sie wurden nicht mit dem Kommen Christi überflüssig. Ein weiteres Beispiel: Kein Christ glaubt, dass das biblische Gesetz des Tieropfers für die Sünde in 3. Mose 5,5-7 für den heutigen Christen Gültigkeit hat. Warum nicht? Weil es ein zeremonieller Teil des mosaischen Bündnisses war und darum nicht für den heute lebenden Christen Gültigkeit hat. Das Opfern von Tieren war zu jener Zeit ein Zeichen dafür, dass die Menschen ihrer Verantwortung an dem Bündnis Genüge taten. Wir wissen aber, dass selbst damals diese Opfer nicht die Sünden wegnehmen konnten (s. Heb 10,1-18). Wir wissen ebenso, dass alle diese Tieropfer geistlicherweise ein Vorbild darstellten auf das kommende große Opfer des Lammes Gottes. So ist Christus das vorgezeichnete und beabsichtigte Ziel oder „das Ende des Gesetzes“. Dieses ist die wesentliche Bedeutung von Römer 10,4. Anders ausgedrückt: Das Gesetz konnte mit seinen Opfern uns nicht die Gerechtigkeit verschaffen, die wir nötig brauchten, aber Christus rechtfertigt jeden, der glaubt. Die Tieropfer waren buchstäblich auszuführen, bis das mosaische Bündnis „offiziell“ durch das Opfer Christi beendet wurde. Würden wir 3. Mose 5,5-7 noch heute beachten und Tiere in unsere Gemeinden bringen, wäre sehr offensichtlich, dass wir die biblischen Bündnisse nicht gut verstanden hätten.

Was haben biblische Bündnisse mit der Todesstrafe zu tun?

Nun, was haben alle diese Ausführungen über moralische, zivile und zeremonielle Gesetze des Mosaischen Bündnisses mit der Todesstrafe zu tun? Es liefert tatsächlich eine wichtige Hintergrundinformation. Die Tatsache, dass die Todesstrafe ein Zivilgesetz des mosaischen Bündnisses war, ist eines der Argumente, die Christen benutzen, die gegen die Todesstrafe sind. Als Theokratie (Gottesherrschaft) hatte Israel die Verantwortung die bürgerlichen Gesetze und Ordnungen aufrechtzuerhalten, die Todesstrafe fiel also auch unter diese Verantwortung. Aber die zivilen Bedingungen des mosaischen Bündnisses sind beendet, wie kann also weiterhin eine biblische Basis für die Todesstrafe existieren? Gute Frage! Es könnte argumentiert werden, dass das bürgerliche Gesetz der Todesstrafe das Moralgesetz „Du sollst nicht töten“ verstärken sollte und dass sie also noch heute angewendet werden sollte, selbst nach Ende des mosaischen Bündnisses.

Diese Argumentation jedoch führt uns zu einem ernsten Problem derer, die das mosaische Gesetz als Basis benutzen, um die Todesstrafe zu unterstützen. Denn unter dem mosaischen Gesetz wurde die Todesstrafe auch bei anderen Verbrechen ausgeführt als nur bei Mord. Unter dem Gesetz wurde auch Ehebruch, Inzest, Homosexualität, Sodomie, Zauberei und Götzendienst mit dem Tod bestraft (s. 3Mo 20). Sogar ein rebellischer Teenager, der sich nicht der elterlichen Autorität unterordnen wollte, war zu töten (s. 5Mo 21,18-21). Obwohl es Christen geben mag, welche die Todesstrafe auf einige dieser zusätzlich angeführten Verstöße unterstützen würden, würden nur wenige Christen wirklich derart weit gehen, sondern würden die Todesstrafe auf den Mord allein beschränken. Aber ist es dann nicht biblisch inkonsequent, die Todesstrafe nur für den Mord zu fordern? Nein! Warum nicht? Weil die biblische Basis für die Todesstrafe nicht das mosaische Bündnis ist!

Der Bund mit Noah ist entscheidend

Die eigentliche biblische Basis für die Todesstrafe lässt sich in 1. Mose 9 finden, in dem Bündnis mit Noah. Dieses Bündnis beschränkt sich nicht auf die Nation Israel – Israel existierte zu dieser Zeit noch nicht. Gott schloss dieses Bündnis mit den Nachkommen Noahs (1Mo 9,9), und deshalb umschließt es die ganze Menschheit. Darüber hinaus ist das Bündnis mit Noah unbegrenzt und an keine Bedingung geknüpft. Nach 1. Mose 9,12 galt es für alle nachfolgenden Generationen. Das Zeichen für dieses Bündnis war und ist der Regenbogen (1Mo 9,13). Solange der Regenbogen am Himmel ist, ist das Bündnis mit Noah in Kraft (1Mo 9,14-17). Ein Punkt dieses Bündnisses war die Todesstrafe. Wir können aus 1. Mose 9,6 ersehen, dass der Tod Strafe für den Mord allein war, nicht für alle die anderen Sünden, die im mosaischen Bündnis aufgelistet werden. Dieser besondere Grund für die Todesstrafe war, dass Gott den Menschen „im Bild Gottes erschaffen“ hat. Die Todesstrafe war also eingesetzt, weil Gott dem menschlichen Leben einen hohen Wert beimisst. Gott sieht das menschliche Leben tatsächlich als so wertvoll an, dass Er verfügte, dass jeder, der menschliches Leben nimmt, die allerletzte Strafe erleiden sollte: die Todesstrafe. Deswegen zeigt ein Christ, der die Todesstrafe abschaffen will, nicht nur Unkenntnis der biblischen Bündnisse, sondern misst auch dem menschlichen Leben einen geringeren Wert bei als Gott selbst. Die Grundlage für die Todesstrafe, die im Bündnis mit Noah aufgestellt wurde, ist von Christus oder durch das Neue Testament nicht beiseitegesetzt worden. Tatsächlich ist es das Recht einer souveränen Regierung, „das Schwert“ zu benutzen (Röm 13,1-7), um Recht und Ordnung zu erhalten. Als der Heilige Geist Paulus inspirierte, diesen Brief zu schreiben, war das Römische Reich mit Nero auf dem Thron keine Theokratie (Gottesherrschaft), selbst im weitesten Sinne nicht! Das zerstört dieses Argument sicherlich, dass eine Nation zu ungöttlich sein kann, die Todesstrafe zu praktizieren.

Es gibt keine biblische Basis für eine Regierung, die Todesstrafe für irgendein Verbrechen außer Mord einzusetzen. Zudem sollte die Exekution eines Mörders immer mit einem Gefühl der Ehrfurcht verbunden sein, niemals mit einem Gefühl der Rache. Es sollte nie eine „Genugtuung“ sein, einen Mörder zu töten, und man sollte seine Schuld wirklich über jeden Zweifel erhaben darlegen können. Aber die Todesstrafe abzuschaffen – und einen Menschen, der das Leben eines anderen vorsätzlich beendet hat, nicht zu Recht zu töten –, würde bedeuten, einen biblischen Bund zu brechen, den der Schöpfer mit der menschlichen Rasse geschlossen hat.


Originaltitel: „Capital punishment and Biblical covenants“
Quelle: www.growingchristians.org

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