Der Jünger, den Jesus liebte
Johannes 13,21-25; 19,25-27; 20,1-4; 21,1‑7.15-22

Hamilton Smith

© SoundWords, online seit: 27.01.2018, aktualisiert: 17.07.2022

Leitverse: Johannes 13,21-25; 19,25-27; 20,1-4; 21,1‑7.15-22

Jeder wahre Gläubige liebt den Herrn

Wenn Petrus zu Gläubigen von dem Herrn spricht, dann kann er sagen: „Ihr liebt ihn, obgleich ihr ihn nicht gesehen habt“ (1Pet 1,8). In Gegenwart des stolzen Pharisäers kann der Herr von der Frau, die seine Füße küsste, sagen: „Sie hat viel geliebt“ (Lk 7,47). Auf solche Weise erkennt die Schrift diese Liebe an, und der Herr hat seine Freude an ihr. Überdies hat Liebe zum Herrn die Verheißung vieler Segnungen, nicht zuletzt die be­sondere Erfahrung der Gegenwart des Herrn und des Vaters (Joh 14,21-24).                                                   

Unterschiede in der Liebe zum Herrn

Doch die Schrift registriert auch, dass Liebe zum Herrn bei verschiedenen Jüngern zu verschiedenen Gelegenheiten in sehr unterschiedlichem Maß gefun­den wird. Die Liebe der Maria von Bethanien, die den Herrn mit „sehr kostbarer Salbe“ salbte, war gewiss größer als die der unwilligen Jünger, die sagten: „Wozu diese Verschwendung?“ (Mt 26,6-8). Die Liebe der Maria Magdalene – sie „stand bei der Gruft draußen und weinte“ – übertraf bei dieser Gelegenheit die Liebe der Jünger, die wieder heimgingen (Joh 20,10.11). 

Liebe ist nicht konstant

Außerdem kann unsere Liebe zunehmen und abneh­men. Unter Belastungen kann „die Liebe der Vielen erkal­ten“ (Mt 24,12). Angesichts der Verlockungen der Welt kann diese Liebe schwach werden, wie in dem Fall eines Gläubigen, von dem der Apostel sagt: „Demas hat mich verlassen, da er den jetzigen Zeitlauf liebgewonnen hat“ (2Tim 4,10).

Während also Liebe zum Herrn in seinen Augen sehr kostbar ist und von dem Gläubigen gepflegt und erstrebt werden soll, ist es dennoch klar, dass wir einer Liebe, die so sehr dem Wechsel unterworfen ist, nicht vertrauen können. Die Liebe, in der wir allein ruhen können, muss die Liebe sein, die keinen Wechsel kennt: die Liebe, die bleibt – die Liebe Christi zu den Seinen. 

Was unsere Liebe zu Ihm aufweckt, ist die Erfahrung und der Genuss der Liebe Christi. „Wir lieben“, sagt der Apostel, „weil er uns zuerst geliebt hat“ (1Joh 4,19). Daher wird unsere Liebe zu Christus dem Maß entsprechen, wie wir seine Liebe zu uns erfassen. Wenn wir dann den Herrn mit mehr Einfalt des Herzens lieben, lasst uns nicht auf unsere eigenen Herzen konzentrie­ren und nicht über unsere Liebe zu Ihm nachdenken, sondern lasst uns danach trachten, dass unsere Seelen sich seiner Liebe zu uns erfreuen.

Die Liebe des Herrn zu uns

Die Auswirkung davon, dass sich die Seele so der Liebe Christi erfreut, ist in wunderbarer Weise bei dem Apostel Johannes während der letzten Tage des Le­bens des Herrn dargestellt. Im Gegensatz dazu schil­dern die gleichen Szenen, wie traurig es sich auswirkt, wenn wir auf unsere Liebe zum Herrn vertrauen, wie das bei dem Apostel Petrus der Fall war. Beide Jünger liebten den Herrn mit einer wahren und tiefen Zu­neigung, die größer war als die der meisten, denn sie führte bei ihnen dazu, dass sie alles verließen und Ihm nachfolgten. Der eine Jünger jedoch vertraute auf seine Liebe zum Herrn, während der andere in der Liebe des Herrn zu ihm ruhte. Das ist der wesentliche Unterschied zwischen diesen beiden Männern, die bei jenen letzten Begebenheiten so oft in enger Verbin­dung miteinander gefunden werden.

Als der Herr in wunderbarer Gnade die Füße der Jünger wäscht, kann Petrus fragen: „Herr, du wä­schst mir die Füße?“ Und wenn er dann versteht, dass man ohne Fußwaschung kein Teil mit Christus haben kann, ruft er sogleich in brennender Liebe aus: „Herr, nicht meine Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt“ (Joh 13,6.9). Ein wenig später kann er mit echter Liebe zum Herrn sagen: „Mit dir bin ich bereit, auch ins Gefängnis und in den Tod zu gehen“ (Lk 22,33). Und wiederum: „Wenn alle an dir Anstoß nehmen werden, ich werde niemals Anstoß nehmen“ (Mt 26,33). Dann zog Petrus auf dem Schauplatz des Verrats in seiner großen Liebe zum Herrn sein Schwert, um seinen Meister zu verteidigen. Er scheint gewissermaßen durch Wort und Tat zu sagen: „Ich bin der Mann, der den Herrn liebt.“ Im Gegensatz zu Petrus sagt der Apostel Johannes gleichsam: „Ich bin der Mann, den der Herr liebt“, denn bei diesen letzten Begebenheiten nennt er sich fünfmal den „Jünger, den Jesus liebte“ (Joh 13,23; 19,26; 20,2; 21,7.20). Es ist in der Tat gesegnet, dass seine Liebe zu uns bewirkt, dass wir Ihn lieben; aber weit wunderbarer ist es, dass Er uns liebt. Dieser wun­derbaren Liebe erfreute sich Johannes, und in dieser grenzenlosen Liebe ruhte er. 

Der Obersaal

Joh 13,21-25: Als Jesus dies gesagt hatte, wurde er im Geist erschüttert und bezeugte und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer von euch wird mich überliefern. Da blickten die Jünger einander an, in Verlegenheit darüber, von wem er rede. Einer aber von seinen Jüngern, den Jesus liebte, lag zu Tisch in dem Schoß Jesu. Diesem nun winkt Simon Petrus, damit er frage, wer es wohl sei, von dem er rede. Jener aber, sich an die Brust Jesu lehnend, spricht zu ihm: Herr, wer ist es?

Die erste Gelegenheit, bei der Johannes „der „Jün­ger, den Jesus liebte“ genannt wird, ist im Obersaal, wie wir dies in Johannes 13 finden. Welch eine Szene ist das doch für unser Herz! Der Herr Jesus ist dort mit einer Liebe, die nie versagen kann, denn „da er die Seinen, die in der Welt waren, geliebt hatte, liebte er sie bis ans Ende“ (Joh 13,1). Johannes ist dort und erfreut sich der Liebe Christi, indem er sein Haupt an die Brust Jesu lehnt und sich als den Jünger bezeichnet, den Jesus liebte. Petrus ist dort mit echter und brennender Liebe zum Herrn, aber er vertraut mehr auf seine eigene Liebe zum Herrn, als dass er in der Liebe des Herrn zu ihm ruht. Schließlich ist auch Judas dort – ohne Liebe zum Herrn – mit der Kasse an seiner Seite und dem Teufel in seinem Herzen, bereit, den Herrn zu verraten und in die lange dunkle Nacht hinauszugehen. 

In dem Herrn Jesus sehen wir, wie sehr nahe seine Liebe Ihn den Menschen gleich uns gebracht hat, da Johannes sein Haupt an die Brust dessen lehnen konnte, der im Schoß des Vaters war. In Johannes sehen wir, was das Herz des Heilands für einen Sünder tun kann, indem Er ihn in vollkommener Liebe zur vollkommenen Ruhe bringt. In Judas sehen wir, was das Herz des Sünders mit dem Heiland tun kann – Ihn mit aller Liebesbeteuerung für dreißig Silberlinge verraten. 

Die Fußwaschung ist vorüber, und die Zeit ist ge­kommen, dass der Herr seine Abschiedsworte zum Ausdruck bringt; aber für den Augenblick ist sein Geist durch die Anwesenheit des Verräters betrübt. Der Herr schüttet sein Herz vor seinen Jüngern aus und sagt: „Einer von euch wird mich überliefern“ (Joh 13,21). Sogleich blicken die Jünger einander an, zweifelnd, von wem Er rede.

Einander anzusehen bringt niemals eine Lösung für Schwierigkeiten, die unter Gläubigen aufkommen. Wir müssen auf den Herrn blicken. Das aber ist nur möglich, wenn wir nahe beim Herrn sind. In dem Kreis auf dem Obersaal war der Jünger dem Herrn am nächsten, dessen Füße in den Händen des Herrn gewesen waren, dessen Haupt an der Brust Jesu ruhte und dessen Herz sich der Liebe des Herrn erfreute, der sich selbst beschreiben kann als „einer aber von sei­nen Jüngern, den Jesus liebte“. Petrus, der Mann, der auf seine Liebe zum Herrn vertraute, war dem Herrn nicht nahe genug, um seine Gedanken zu erfahren, er musste notwendigerweise Johannes zuwinken. 

Wir lernen also, dass Nähe zum Herrn und Vertraut­heit mit dem Herrn das glückliche Teil dessen ist, der in der Liebe des Herrn ruht. 

Das Kreuz

Joh 19,25-27: Bei dem Kreuz Jesu standen aber seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Kleopas, und Maria Magdalene. Als nun Jesus die Mutter sah und den Jünger, den er liebte, dabeistehen, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! Dann spricht er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm der Jünger sie zu sich.

Die zweite Gelegenheit, bei der Johannes als der Jünger beschrieben wird, den Jesus liebte, führt uns zum Kreuz. Die Mutter Jesu ist dort mit anderen treuen Frauen, und ein Jünger ist dort – der Jünger, den Jesus liebte. Wo ist nun der Jünger, der auf seine Liebe zu Christus vertraute? Ach, weit entfernt an einem einsamen Ort mit einem gebrochenen Herzen; er weint Tränen bitterer Scham. Wo ist der Jünger, der in der Liebe Christi ruhte? Wie im Obersaal, so jetzt am Kreuz, so nahe beim Herrn wie nur möglich. Und was ist das Ergebnis? Er wird zu einem geeigneten Gefäß, nützlich dem Hausherrn. Die Mutter Jesu wird seiner Fürsorge anbefohlen. Das Ruhen in der Liebe des Herrn befähigt zum Dienst. 

Die Auferstehung

Joh 20,1-4: Am ersten Tag der Woche aber kommt Maria Magdalene früh, als es noch dunkel war, zur Gruft und sieht den Stein von der Gruft weggenommen. Sie läuft nun und kommt zu Simon Petrus und zu dem anderen Jünger, den Jesus lieb hatte, und spricht zu ihnen: Sie haben den Herrn aus der Gruft weggenommen, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Da ging Petrus hinaus und der andere Jünger, und sie gingen zu der Gruft. Die beiden aber liefen zusammen, und der andere Jünger lief voraus, schneller als Petrus, und kam als Erster zu der Gruft.

Am Auferstehungsmorgen wird Johannes zum drit­ten Mal erwähnt als der Jünger, den Jesus lieb hatte; und wieder wird er in Verbindung mit Petrus gesehen. 

Die beiden Jünger, die von den Frauen erfahren hatten, dass das Grab leer ist, eilen zur Gruft. Dann folgt ein Bericht von scheinbar unbedeutenden Einzel­heiten, nämlich dass Petrus als Erster aufbricht, dass beide Jünger gemeinsam laufen und dass schließlich der Jünger, den Jesus liebte, schneller lief als Petrus. Nichts, was der Geist Gottes berichtet hat, kann un­wichtig sein, obwohl es, wie in diesem Fall, schwierig sein mag, die Bedeutung einer besonderen Einzelheit zu erfassen. Wenn wir jedoch diese Szene in geist­licher Weise auslegen dürfen, so können wir etwas sehen, was gewiss wahr ist: Wenn auch der Mann von feurigem Temperament in irgendeiner geistlichen An­gelegenheit oft die Führung in die Hand nimmt, so ist der eigentliche Führer doch schließlich der Mann, der sich auf die Liebe des Herrn stützt. 

Der See von Tiberias

Joh 21,1-7: Danach offenbarte Jesus sich wieder den Jüngern am See von Tiberias. Er offenbarte sich aber so: Simon Petrus und Thomas, genannt Zwilling, und Nathanael, der von Kana in Galiläa war, und die Söhne des Zebedäus und zwei andere von seinen Jüngern waren zusammen. Simon Petrus spricht zu ihnen: Ich gehe hin fischen. Sie sprechen zu ihm: Auch wir gehen mit dir. Sie gingen hinaus und stiegen in das Schiff; und in jener Nacht fingen sie nichts. Als aber schon der frühe Morgen anbrach, stand Jesus am Ufer; doch wussten die Jünger nicht, dass es Jesus war. Jesus spricht nun zu ihnen: Kinder, habt ihr nicht etwas zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz auf der rechten Seite des Schiffes aus, und ihr werdet finden. Da warfen sie es aus und vermochten es vor der Menge der Fische nicht mehr zu ziehen. Da sagt jener Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: Es ist der Herr. Simon Petrus nun, als er hörte, dass es der Herr sei, gürtete das Oberkleid um, – denn er war nicht bekleidet, – und warf sich in den See.

Bei dieser lehrreichen Begebenheit nehmen Petrus und Johannes aufs Neue einen vorrangigen Platz ein, und zum vierten Mal wird Johannes als der Jünger erwähnt, den Jesus liebte (Joh 21,7). Wie gewöhnlich übernimmt der energische und impulsive Petrus die Führung. Er kehrt zu seiner früheren Beschäftigung zurück. Er fordert die anderen nicht auf, das zu tun, sondern er sagt einfach: „Ich gehe hin fischen.“ Doch unter dem Einfluss seiner dominierenden Persönlichkeit sagen sie ihm: „Auch wir gehen mit dir“ (Joh 21,3). Sie gingen nun hinaus und mühten sich die ganze Nacht hindurch und fingen trotz aller Mühe nichts. 

Als der Morgen anbrach, „stand Jesus am Ufer; doch wussten die Jünger nicht, dass es Jesus war“ (Joh 21,4). Nachdem Er ihnen durch eine Frage gezeigt hatte, wie nutzlos Anstrengungen ohne seine Weisung sind, zeigt Er ihnen sodann, welche reichen Ergebnisse es bringt, wenn man unter seiner Führung handelt. Sofort erkennt der Jünger, den Jesus liebte: „Es ist der Herr“ (Joh 21,7). Der in der Liebe des Herrn ruht, ist es, der ein rasches geistliches Unterscheidungsvermögen hat. 

„Als sie nun gefrühstückt hatten“

Joh 21,15-22: Als sie nun gefrühstückt hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn Jonas, liebst du mich mehr als diese? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Er spricht zu ihm: Weide meine Lämmer! Wieder spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn Jonas, liebst du mich? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Er spricht zu ihm: Hüte meine Schafe! Er spricht zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn Jonas, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, dass er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und spricht zu ihm: Herr, du weißt alles; du erkennst, dass ich dich lieb habe. Jesus spricht zu ihm: Weide meine Schafe! Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wohin du wolltest; wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und hinbringen, wohin du nicht willst. Dies aber sagte er, andeutend, mit welchem Tod er Gott verherrlichen sollte. Und als er dies gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach! Petrus wandte sich um und sieht den Jünger nachfolgen, den Jesus liebte, der sich auch bei dem Abendessen an seine Brust gelehnt und gesagt hatte: Herr, wer ist es, der dich überliefert? Als nun Petrus diesen sah, spricht er zu Jesus: Herr, was wird aber mit diesem? Jesus spricht zu ihm: Wenn ich will, dass er bleibe, bis ich komme, was geht es dich an? Folge du mir nach!

Nach der Begebenheit am See finden die Jünger, als sie ans Land kommen, ein Kohlenfeuer und Fisch darauf liegen und Brot, und es ergeht an sie die Ein­ladung, zu kommen und zu frühstücken. Ohne jede Anstrengung von ihrer Seite war reiche Vorsorge für ihre Bedürfnisse getroffen worden. Als sie gefrühstückt hatten, folgt nun die abschlie­ßende Szene, bei der wiederum Petrus und Johannes einen besonderen Platz haben, und zum fünften Mal ist von Johannes als dem Jünger, „den Jesus liebte“ (Joh 21,20), die Rede. 

Zuerst sehen wir hier, wie zart der Herr mit dem handelt, der auf seine eigene Liebe vertraut hatte. Petrus, der gesagt hatte, er sei bereit, mit dem Herrn ins Gefängnis und in den Tod zu gehen, machte die Erfahrung, dass er nicht in der Lage war, vor der einfachen Frage einer Dienstmagd zu be­stehen. Bei dieser rührenden Begebenheit wird aber von der eigentlichen Verleugnung kein Wort gesagt. Über das ernste Versagen war bei einer Begegnung des Herrn mit seinem Diener gesprochen worden, wo­bei kein Fremder Zeuge sein sollte. Alles, was wir von dieser Begegnung wissen, ist die Aussage der elf Jünger: „Der Herr ist wirklich auferweckt worden und dem Simon erschienen“ (Lk 24,34). Dies wurde auch einige Zeit spä­ter durch den Apostel Paulus bestätigt, als er den Ko­rinthern schrieb, dass der auferstandene Christus dem „Kephas erschienen ist, dann den Zwölfen“ (1Kor 15,5). Wunder­bare Liebe, die mit zarter Barmherzigkeit dem am mei­sten gefallenen Jünger zuerst begegnete. 

Wenn jedoch bei der ersten Begegnung sein Gewis­sen erleichtert worden war, so wird hier sein Herz wiederhergestellt. Dort hatte der Herr es mit dem äußeren Versagen zu tun gehabt; hier behandelt Er die innere Wurzel, die zum Versagen geführt hatte. Die Wur­zel lag in dem Vertrauen auf seine Liebe zu Christus, und die dreimalige Frage legt diese Wurzel völlig bloß. Es ist gleichsam, als ob der Herr sagen würde: „Hältst du, Petrus, nach allem, was vorgefallen ist, immer noch aufrecht, dass du mich mehr liebst als diese?“ Bei der zweiten Frage spricht der Herr nicht von den ande­ren Jüngern; es geht jetzt einfach darum: „Liebst du mich?“ Bei der dritten Frage benutzt der Herr ein ande­res Wort und fragt: „Hast du mich lieb?“ Bei seiner drit­ten Antwort legt sich Petrus völlig in die Hände des Herrn und sagt: „Herr, du weißt alles; du erkennst, dass ich dich lieb habe“ (Joh 21,17). Es ist, als ob Petrus sagen würde: „Ich kann meiner Liebe nicht vertrauen, ich kann von meiner Liebe nicht reden oder von dem, was ich tun will, aber Du, Herr, weißt alles, und Du kennst mein Herz, ich will es Dir überlassen, meine Liebe einzu­schätzen und mir zu sagen, was ich tun soll.“ 

Jetzt sagt Petrus nicht länger im Selbstvertrauen dem Herrn, was er zu tun bereit ist, sondern der Herr sagt in unendlicher Gnade seinem wiederhergestellten Jünger, wozu Er ihn befähigen will. Der Herr sagt gleichsam: „Du vertraust nicht länger deiner Liebe, um große Dinge für mich zu tun, das hast du nun mir überlassen; so gehe nun hin und ,weide meine Schafe‘ (Joh 21,17), ,verherrliche Gott‘ (Joh 21,19) und ,folge mir nach‘“ (Joh 21,19). 

Der Herr scheint zu sagen: „Es gab eine Zeit, da dachtest du, du liebtest mich mehr als diese anderen Jünger; geh nun hin und zeige deine Liebe, indem du meine Schafe weidest, die ich liebe. Du dachtest, durch Gefängnis und Tod dich selbst vor allen anderen zu verherrlichen; gehe nun hin ins Gefängnis und in den Tod, um Gott zu verherrlichen, und wenn hienie­den alles vorüber ist, dann folge mir noch weiter in die Höhe der Herrlichkeit, wohin ich gehe.“ Können wir nicht sagen, dass von all den Wundern im Leben des Herrn es nicht das kleinste Wunder ist, wie Er mit einem Jünger handelt, der versagt hat? 

Was aber geschieht mit Johannes? „Petrus wandte sich um und sieht den Jünger nachfolgen, den Jesus liebte“ (Joh 21,20). Der Mann, der auf seine eigene Liebe vertraut und dann versagt hatte, brauchte wiederherstellende Gnade und die Ermahnung: „Folge mir nach.“ Jener aber, der in der Liebe des Herrn ruhte, hatte dies nicht nötig, denn er folgte nach. 

So sehen wir in dem Jünger, den Jesus liebte, die gesegneten Ergebnisse dargestellt, die sich bei denen zeigen, die in der Liebe des Herrn ruhen; nämlich: Sie befinden sich in inniger Nähe und Vertraut­heit bei dem Herrn; sie sind bereit, im Dienst des Herrn gebraucht zu werden; sie werden geistliche Fortschritte machen; sie werden geistliches Unterscheidungsvermögen haben; und sie werden dem Herrn nachfolgen, nicht in großer Distanz, sondern aus nächster Nähe. 

Möge es unser glückliches Teil sein, wie die Braut im Hohelied zu sagen: „Ich bin meines Geliebten, und nach mir ist sein Verlangen“ (Hld 7,11). Wenn wir nur wenig von un­serer Liebe für Ihn zu sagen vermögen, so können wir uns doch getrost seiner Liebe zu uns rühmen. Es ist das Vorrecht des jüngsten Gläubigen, zu sagen: „Ich bin ein Jünger, den Jesus liebt“, und der älteste und fortge­schrittenste Jünger kann nichts Größeres sagen, denn jeder Segen wird in seiner allumfassenden Liebe gefun­den, die Ihn dahin brachte, für uns zu sterben, damit auch wir in unserem kleinen Maß hingehen und seine Schafe weiden, Gott verherrlichen und Ihm in die Herr­lichkeit folgen, in die Er gegangen ist.


Originaltitel: „The Disciple Whom Jesus Loved“
aus Scripture Truth, Jg. 20, 1928, S. 104–107


Hinweis der Redaktion:

Die SoundWords-Redaktion ist für die Veröffentlichung des obenstehenden Artikels verantwortlich. Sie ist dadurch nicht notwendigerweise mit allen geäußerten Gedanken des Autors einverstanden (ausgenommen natürlich Artikel der Redaktion) noch möchte sie auf alle Gedanken und Praktiken verweisen, die der Autor an anderer Stelle vertritt. „Prüft aber alles, das Gute haltet fest“ (1Thes 5,21). – Siehe auch „In eigener Sache ...

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