Verraten von einem guten Freund
Psalm 55

David R. Reid

© SoundWords, online seit: 17.02.2016, aktualisiert: 03.12.2023

Leitverse: Psalm 55

Einleitung

Bist du jemals von einem engen Freund verraten worden – von jemand, dem du vertraut hast und mit dem du viel Schönes erlebt hast? Es ist hart genug, wenn jemand, der dich nicht mag, dich im Stich lässt oder verrät. Aber mit dem Verrat eines Menschen umzugehen, den du für einen loyalen Freund gehalten hast, ist sehr schwer. König David hat Psalm 55 in der Zeit kurz nach dem Verrat eines engen Freundes geschrieben. Jeder Gläubige, der dieselbe traurige Erfahrung macht, kann sich in den von David beschriebenen Empfindungen von Schmerz, Verletzung und Enttäuschung wiederfinden. Über den praktisch anwendbaren Inhalt hinaus enthält der Psalm auch prophetische Aussagen. Der Verrat eines engen Freundes an David ist sicherlich auch eine prophetische Vorschau auf den Verrat des Judas am Herrn Jesus Christus, nachdem er drei Jahre lang in enger Gemeinschaft mit Ihm gelebt hatte.

Hintergrund

Die Überschrift dieses Psalms verrät uns, dass er von David als ein „Maskil“ geschrieben wurde, was so viel heißt wie „Unterweisung“. Wir erfahren auch, dass er beim Tempelgesang mit der Begleitung von Saiteninstrumenten Verwendung fand. Anders als bei anderen Psalmen ist der Anlass seiner Entstehung hier nicht angegeben, das Thema Freundesverrat gibt jedoch konkrete Hinweise. Wir können uns nicht absolut sicher sein, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass David sich hier auf den Verrat Ahitophels bezieht, sein wichtigster Ratgeber, der sich bei Absaloms Rebellion gegen den König David stellte. Ahitophel ließ seinen König im Stich und unterstützte stattdessen Davids selbstsüchtigen und machthungrigen Sohn. Er schloss sich nicht nur Absaloms Verschwörung an, sondern er gab diesem sogar noch Ratschläge, wie er David am besten besiegen und die Königsmacht in Israel an sich reißen könnte! David war aufgrund der Rebellion dazu gezwungen, Jerusalem, die Hauptstadt seines Königreiches, zu verlassen und über die Jordangrenze hinweg zu fliehen. In 2. Samuel 15–19 kannst du die traurige Geschichte im Ganzen nachlesen. An irgendeinem Ort weit entfernt von Jerusalem – wahrscheinlich am gegenüberliegenden Jordanufer, als er sich auf die Schlacht mit Absaloms Heer vorbereitete – fand David die Zeit, seinen schmerzvollen Gedanken Ausdruck zu geben. Unter Leitung des Heiligen Geistes schrieb er Psalm 55.

Was wir lernen

1. Der Verrat eines engen Freundes an David hat praktische Dimensionen

Davids untreuer Freund stand ihm einmal sehr nahe: „Nicht ein Feind ist es, der mich höhnt, sonst würde ich es ertragen; nicht mein Hasser ist es, der gegen mich großgetan hat, sonst würde ich mich vor ihm verbergen; sondern du, ein Mensch wie ich, mein Freund und mein Vertrauter; die wir vertrauten Umgang miteinander pflegten, ins Haus Gottes gingen mit der Menge“ (Ps 55,13-15). Aber David kam zu der Einsicht, dass sein „Freund“ nie ein wahrer Freund gewesen war. In Psalm 55,21.22 beschreibt er ihn als einen unzuverlässigen Charakter, der seine Versprechen nicht einhält und seinen Freunden in den Rücken fällt. Die Worte dieses Menschen werden als „glatte Milchworte“ und „geschmeidiger als Öl“ bezeichnet – aber in Wirklichkeit ist sein Herz nur auf Eigennutz gerichtet!

Bist du jemals einer solchen Person begegnet? Leider können sich manchmal sogar bei Gläubigen hinter großer Redegewandtheit egoistische und trügerische Absichten verbergen. Diotrephes war ein Christ aus der Anfangszeit, der scheinbar zur Verleumdung von Glaubensgeschwistern bereit war, um sich selbst in den Mittelpunkt zu rücken (3Joh 9.10). Auch wenn wir vielleicht nie einen so tiefen Vertrauensbruch erlebt haben wie David, so haben wahrscheinlich doch die meisten von uns schon mindestens einmal die Erfahrung gemacht, von einer engen Vertrauensperson im Stich gelassen zu werden. Vielleicht hat ein „guter Freund“ hinter deinem Rücken schlecht über dich geredet, vertrauliche Informationen weitererzählt, dich in irgendeiner Weise betrogen, dich mit unwahren, verärgerten oder verbitterten Worten verleumdet – oder es waren seine Taten, die dir großen Kummer gemacht und dich enttäuscht haben. Vielleicht war es auch ein Familienmitglied, das nicht zu dir gehalten und dich betrogen hat – eins deiner Geschwister, ein Elternteil, ein Ehepartner oder ein Kind. Der Kummer und der Schmerz sind umso größer, wenn es ein nahestehendes Familienmitglied ist, das sich gegen uns stellt oder sich als nicht vertrauenswürdig und untreu erweist.

Psalm 55 bietet also einige praktische Hinweise für jeden, denn wir alle können uns, zumindest zu einem gewissen Grad, mit der seelischen Not identifizieren, die David durchgemacht hat: „Ich irre umher in meiner Klage und muss stöhnen … Mein Herz ängstigte sich in meinem Innern“ (Ps 55,3.5). Wie viele von uns können sich in Davids Ausruf wiederfinden: „O dass ich Flügel hätte wie die Taube! Ich wollte hinfliegen und ruhen. Siehe, weithin entflöhe ich … vor dem heftigen Wind, vor dem Sturm“ (Ps 55,7-9). Hast du dich schon einmal danach gesehnt, vor einer belastenden Situation oder vor aufgewühlten Emotionen fliehen zu können – auf einer einsamen Insel zu landen, wo dir niemand mehr Kummer bereiten kann? Aus Psalm 55,10-12 erfahren wir, dass der Sturz des Königs zu einer Zeit der Regierungslosigkeit und einem Zusammenbruch von Recht und Ordnung in Jerusalem geführt hatte. Bereits vor Davids Flucht waren Gewalt, Streit, Bosheit, Drohungen, Zerstörung und Lügen an der Tagesordnung: Folgen von Absaloms glattzüngiger Verführung des Volkes, als er „das Herz der Männer von Israel“ stahl und das Volk seinem wahren König den Gehorsam aufsagte.

Ebenso ziehen verschiedene Formen von Verrat unter Christen heute – wie zum Beispiel Untreue, Lügen, Verleumdung, üble Nachrede, Machtspiele – schwere Folgen nach sich: Familien werden gespalten und zerstört, Freundschaften zerbrechen, in der Gemeinde wird gestritten, junge Gläubige straucheln, und Ungläubigen wird ein Anlass dazu gegeben, den Herrn Jesus zu verachten und zu verhöhnen. Den ganzen Psalm hindurch, und zwar vom ersten Vers an, können wir sehen, dass David das Richtige tat. Er brachte im Gebet sein Problem zum Herrn. „Nimm zu Ohren, o Gott, mein Gebet … Horche auf mich und antworte mir! … Ich aber, ich rufe zu Gott, und der HERR rettet mich. … [Ich] muss … klagen und stöhnen, und er hört meine Stimme“ (Ps 55,2.3.17.18). Ich aber werde auf dich vertrauen“ (Ps 55,24). David musste damit rechnen, dass Absalom dem Rat des Verräters Ahitophel folgte und seine Armee jederzeit auftauchen konnte – dennoch setzte er sein Vertrauen auf den Herrn. Er war sicher, dass Gott ihm antworten und ihn retten würde. „Er hat meine Seele in Frieden erlöst aus dem Kampf gegen mich; denn mit vielen sind sie gegen mich gewesen“ (Ps 55,19). Davids vertrauensvolles Gebet schließt mit einer Aufforderung an alle Gläubigen, dem Herrn zu vertrauen, dass Er für Kraft und Gerechtigkeit sorgt: „Wirf auf den HERRN, was dir auferlegt ist, und er wird dich erhalten“ (Ps 55,23).

In 1. Petrus 5,7 finden wir dieselbe Botschaft: „All eure Sorge werft auf ihn; denn er ist besorgt für euch.“ Und in Philipper 4,6.7 lesen wir: „Seid um nichts besorgt, sondern in allem lasst durch Gebet und Flehen eure Anliegen vor Gott kundwerden.“ Was ist das Ergebnis davon, dass wir unsere Sorgen und Ängste dem Herrn bringen? Er wird uns Kraft geben und Herz und Gedanken mit Frieden erfüllen – auf eine Weise, die unseren menschlichen Verstand weit übersteigt, wird der Friede Gottes unsere Herzen und unseren Sinn in Christus Jesus bewahren!

2. Der Verrat eines engen Freundes an David hat prophetische Dimensionen

Man muss nicht erst lange nachdenken, um Parallelen zwischen dem Verrat eines vertrauten Freundes an David und dem Verrat des Judas an unserem Herrn zu erkennen. Drei Jahre lang gehörte Judas zu der engen Gemeinschaft der Jünger. Den größten Teil dieser Zeit war er kein Verräter. Er dachte wirklich, dass Jesus sich öffentlich zum König erklären und zur Errichtung seines Königreichs die römische Besatzungsmacht in Israel stürzen würde. Vermutlich glaubte Judas, dass er mit im Rampenlicht stehen würde, wenn der Herr Jesus sein Königreich aufbaute! Aber der Lauf, den die Dinge nahmen, gefiel Judas nicht, und darum beschloss er, einen Unschuldigen zu verraten. So, wie Ahitophels Verrat mit Selbstmord endete (2Sam 17,23), so beging auch Judas danach Selbstmord (Mt 27,5). In der kommenden Trübsalszeit werden weitere prophetische Aussagen dieses Psalms erfüllt werden. In dieser Zeit wird eine kleine Schar gläubiger Juden von einem falschen Messias und seinen Anhängern betrogen werden. Diese Gläubigen der Endzeit werden aus Jerusalem in die Wildnis fliehen, wo der Herr sie beschützt. Gott wird ihre Gebete um Gerechtigkeit mit der Wiederkunft des Herrn und seinem darauffolgenden Gericht an allen verdorbenen und bösen Menschen beantworten. Bei diesem Gericht wird auch der falsche Messias lebendig in den Feuersee geworfen werden (Off 19,20).

Praktische Anwendung: Wir können davonfliegen!

In Psalm 55,6-8 sahen wir, dass David sich danach sehnte, von seinen Problemen wegzufliegen, wie ein Vogel, der an einem ruhigen Ort Erholung und Zuflucht vor dem Sturm findet. Mit Hilfe des Glaubens können wir davonfliegen! Ein bekanntes [amerikanisches] Glaubenslied enthält die Zeile: „Da ist ein Ort der stillen Rast, nahe an Gottes Herz.“[1] Mitten in unseren Stürmen und Schwierigkeiten können wir diesen Ruheort finden, wenn wir uns zum Herrn wenden und ihm unser Herz ausschütten. Daran dachte Asaph, als er schrieb: „Ich aber, Gott zu nahen ist gut für mich; ich habe meine Zuversicht auf den Herrn, HERRN, gesetzt“ (Ps 73,28). Lasst uns also an diesen praktischen Hinweis denken, wenn wir uns überfordert fühlen und den Schwierigkeiten entfliehen wollen. Wir können davonfliegen!


Originaltitel: „Befriended Then Betrayed“ 
Quelle: www.growingchristians.org

Übersetzung: Tabea Schaebs

Anmerkungen

[1] Anm. d. Red.: Aus dem Lied „There is a place of common rest near to the heart of God“ (1903) von Cleland Boyd McAfee (1866–1944).

Weitere Artikel des Autors David R. Reid (102)


Hinweis der Redaktion:

Die SoundWords-Redaktion ist für die Veröffentlichung des obenstehenden Artikels verantwortlich. Sie ist dadurch nicht notwendigerweise mit allen geäußerten Gedanken des Autors einverstanden (ausgenommen natürlich Artikel der Redaktion) noch möchte sie auf alle Gedanken und Praktiken verweisen, die der Autor an anderer Stelle vertritt. „Prüft aber alles, das Gute haltet fest“ (1Thes 5,21). – Siehe auch „In eigener Sache ...

Bibeltexte im Artikel anzeigen