Traditionalismus – eine Droge gegen die Angst!?
Wenn Traditionalismus uns den Blick für die Wirklichkeit verdirbt ...

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© SoundWords, online seit: 10.09.2001, aktualisiert: 17.11.2022

Leitvers: 2. Thessalonicher 2,15

2Thes 2,15: Also nun, Brüder, stehet fest und haltet die Überlieferungen, die ihr gelehrt worden seid, sei es durch Wort oder durch unseren Brief.

Wir leben im Jahr 2001 nach Christus, und die Geschichte der christlichen Kirche ist nur unbedeutend jünger. Viele Christen sind uns vorangegangen und haben bereits das Ziel erreicht. Was haben sie uns hinterlassen? Wie haben sie uns geprägt? Sind diese Fragen eigentlich wichtig?

Diese fast 2000 Jahre Kirchengeschichte haben jedenfalls gezeigt: Der Mensch ist nicht in der Lage, das zu bewahren, was ihm anvertraut ist. Schon die Apostel wiesen am Ende ihrer Tage immer wieder auf das hin, was „von Anfang war“ (vgl. 1Joh 1,1). Zu weit hatte man sich damals schon von den Anfängen wegbewegt.

Man hat sich daran gewöhnt, dass Christen wegen jeder Lehrmeinung einen getrennten Weg gehen, und man kann übersichtlich klar unterschieden in jedem Telefonbuch nachschauen, welche „Gemeinde“ man einmal gern kennenlernen möchte.

Wie gehen wir als Christen heute mit diesem Problem um? Bauen auch wir Mauern von selbst aufgestellten Geboten und Verboten auf und achten penibel darauf, dass die selbst erdachten Mauern auch ja nicht eingerissen werden? Haben wir vielleicht schon längst aufgehört, danach zu fragen, was eigentlich wirklich biblische und damit zeitlose Grundsätze sind und was zeitbedingt und veränderbar ist? Empfindest du diese Frage vielleicht schon als provokativ?

Dann lies bitte weiter. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass du ein Christ bist, der von Traditionen beherrscht wird, liegt sehr nahe. Wenn du eine andere Meinung gleich als Bedrohung empfindest, dann brauchst du jemand, der dir die Augen öffnet für das Wort Gottes und dich ruhig macht, mit anderen Meinungen progressiv umzugehen, das heißt, den Bruder erst einmal als Glied am Leib Christi und daher als Hilfe anzusehen – vielleicht nur, damit du ein ausgewogeneres Urteil bekommst. So ist es übrigens auch mit diesem Artikel, der nicht in die Tiefe gehen kann, sondern lediglich zum Nachdenken und Überdenken anregen soll.

Vielleicht bist du älter geworden und siehst, dass die Zeit, in der du lebst, so wahnsinnig schnelllebig geworden ist und dass vieles so anders ist als früher. Du kommst gar nicht mehr hinterher, und das macht dir unbewusst Angst, weil damit für dich die Richtigkeit des „Alten“ in Frage gestellt wird. Und menschlich ist dies auch sehr gut zu verstehen. Was kann denn da helfen? Nur eines: indem man sich an das zeitlose Wort Gottes hält, seine Traditionsbrille abnimmt und fragt: Herr, was bedeutet dieses Wort im Jahr 2001 für mich?

Wenn du siehst, dass deine Mitchristen es „anders“ machen, so frage immer wieder: Stimmt das mit dem Wort Gottes überein? Aber frage genauso: Stimmt das, wie ich mich verhalte, wohl auch mit dem Wort Gottes überein? Du wirst überrascht sein. In vielen Punkten wirst du vielleicht spontan sagen: Aber das geht doch nicht! – Dann hast du deine Bibel aufgeschlagen und eigentlich nichts darüber gefunden. Vielleicht hast du auch gewisse Dinge im Wort gefunden und musst aber doch sagen: Na ja, für mich selber würde ich es so nicht tun wie dieser oder jener. – Vielleicht hast du auch gedacht: Na ja, hier steht doch ein ganz klares Gebot. Und dann ist es natürlich unsere geschwisterliche Pflicht, dem anderen weiterzuhelfen. Dabei ist natürlich auch noch die Frage, wie ich so etwas mache. Die Liebe wird uns aber auch hier unterweisen, denn es muss mein innigster Wunsch sein, den anderen zu gewinnen. Nebenbei: Wenn jemand sowieso gerade auf einem geistlichen Tiefpunkt steht, dann muss auch meine Vorgehensweise daran angepasst sein. Vielleicht muss man dann auch bestimmte Dinge erst einmal laufen lassen, weil wichtigere Dinge noch vorher dran sind. Sind doch manche Schwachpunkte bei unseren Geschwistern auch nur Folgeerscheinungen, weil etwas anderes im christlichen Leben nicht stimmt. – Man kann nicht immer alles auf einmal regeln und sollte daher vor dem Herrn die Prioritäten ernstlich erwägen.

Wichtig scheint uns aber die Unterscheidung, ob etwas eindeutig und ohne Zweifel im Wort steht oder ob man eine bestimmte (vielleicht sogar richtige) Lehrmeinung aus dem Wort über bestimmte Schlussfolgerungen erreicht hat. Auch der Herr Jesus deutet diese Unterscheidung an, wenn Er spricht: „Blinde Leiter, die ihr die Mücke seiht, das Kamel aber verschluckt!“ (Mt 23,24). Zum Beispiel ist ein Kleidungsproblem im Vergleich zu einem geistlichen Tiefpunkt (Krise) bei einem Mitbruder oder einer Mitschwester sicher eine Mücke.

Ist es nicht oft so: Wir wissen, dass wir einander lieben sollen. Aber stattdessen rempeln wir uns oft nur gegenseitig an, ohne den anderen wirklich weiterzubringen. Vielleicht treibt uns auch fleischlicher Eifer (siehe Mose, als er den Ägypter erschlug) und wir sehen die Gemeinde Gottes als Betätigungsfeld, um eigene Frömmigkeit zur Schau zu stellen. Man hat schon manchmal den Eindruck, dass solche, die sehr schnell dabei sind, andere zu maßregeln, dieses tun, um anderen zu zeigen, wie geistlich sie selbst sind. Muss man wirklich immer sagen, was man persönlich denkt? Muss ich den anderen wirklich immer gleich so erziehen, damit er meinen Prinzipien genügt? Wollen wir nicht lieber endlich damit anfangen, den anderen Mitchristen zu tragen und ihn weiter zu lieben, ohne ihn gleich maßregeln zu müssen? Wir sind vielleicht persönlich der Überzeugung, dass „im Freibad schwimmen zu gehen“ Sünde ist, haben aber kein direktes Schriftwort dafür. Oder wir sehen eine Schwester, die etwas trägt, was der eine als anzüglich empfindet und ein anderer als gerade noch zulässig. Manche haben ein Liederbuch, das uns nicht passt! Ziehen wir daraus gleich unsere übereilten Schlussfolgerungen? Du bist erzogen (aus Tradition – auch wenn du das vielleicht im Moment als absolute Forderung der Schrift ansiehst), dass eine Schwester keine Hosen anzuziehen hat. Schließt du gleich deine übereilten Schlussfolgerungen und machst deinen Stempel „ungeistlich“ darauf? Es gibt Grauzonen, und wir spüren das. Sollten wir dann gleich mit „Maßregeln“ beginnen? Haben nicht endlose Diskussionen schon zu Zwiespalt und Ärgernis geführt? Sind nicht ganze Gemeinden schon an solchen Themen kaputtgegangen?

Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist diese: Ist es wert, wegen einer Sache, die nicht wirklich direkt und eindeutig aus der Schrift hervorgeht, den Frieden unter Christen zu zerstören? Bilden sich nicht gerade dadurch Grüppchen und bekommen ganze Gemeinden dadurch nicht eine ganz eigenwillige Identität, die vielleicht für einen Hundezüchterverein normal, aber für die Kirche Gottes völlig fehl am Platz ist?

Wenn wir in Epheser 4,3 aufgefordert werden, die „Einheit des Geistes zu bewahren in dem Band des Friedens“, dann gilt das nicht zuerst für die Beziehungen verschiedener Gemeinden untereinander, sondern dann gilt das zuallererst einmal für die örtliche Gemeinde. Dann bin ich berufen, den anderen mit Sanftmut, Langmut, Demut zu umgeben und ihn zu ertragen in Liebe, davon ausgehend, dass er mich ganz genauso trägt und liebt. Übrigens: Wenn der Apostel zum Ertragen auffordert, dann setzt das zwingend unterschiedliche Auffassungen über bestimmte Themen voraus. Warum sollte ich auch etwas ertragen, wenn ich sowieso mit dem anderen völlig eins bin? Wir sind sogar berufen, soviel an uns liegt, mit jedem Menschen in Frieden zu Leben (Röm 12,18), und die Apostel Paulus und Petrus wiederholen sich, wenn es darum geht, „in Frieden untereinander“ (z.B. 1Thes 5,13) zu sein. Warum? Weil sie wussten, wie wir dazu neigen, uns gegenseitig vor den Kopf zu stoßen, wenn wir nicht wirklich in der Nähe Gottes leben.

Wir haben die Ermunterung des Philipperbriefes, dass wir den anderen höher achten sollten als uns selbst, und daran müssen wir besonders denken: unsere Meinung auch einmal unterordnen zu können und nicht – weil wir vielleicht einige Leute oder vielleicht auch einen begabten Lehrbruder hinter uns haben – auf unserer Meinung zu beharren und den anderen zu maßregeln.

Halte einmal still und frage dich, ob es nicht nur Traditionen und die bestimmte Identität deiner Gruppe ist, die dich in der Beurteilung verschiedener Dinge leitet.

Wie viel Leid könnte vermieden werden, wenn wir wirklich die Gesinnung unseres Herrn hätten, der, obwohl Er Gott war, Knechtsgestalt annahm und sich selbst zu nichts machte. Schlimm genug, dass wir Ihn für nichts geachtet haben (Jes 53,3) und dass prophetisch von Ihm sogar gesagt wurde: „Er wird nichts haben“ (Dan 9,26). Von Ihm heißt es: „Ein geknicktes Rohr wird er nicht zerbrechen, und einen glimmenden Docht wird er nicht auslöschen“ (Jes 42,3; Mt 12,20). Stünde es uns da nicht gut, wenn wir besonders in Punkten, die nicht wirklich eindeutig sind, einmal etwas leiser und vorsichtiger auftreten, als dem anderen zu sagen: Pass mal auf, das macht man nicht?

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