Stellungnahme zur Hermeneutik einer Internetseite

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© SoundWords, online seit: 17.12.2005, aktualisiert: 18.02.2023

Der Betreiber der Internetseite www.betanien.de, H.-W. Deppe, hat in seinem Artikel „Eine – meines Erachtens – schriftgemäße Hermeneutik“ (siehe http://www.betanien.de/sola-scriptura/artikel/Stellungnahme.pdf) die Grundsätze aufgelistet, nach denen seiner Ansicht nach die Bibel – vor allen Dingen das Alte Testament – ausgelegt werden muss. Es sind quasi die für ihn maßgeblichen Grundlagen, auf denen alle seine theologischen Aussagen, ganz besonders auch die gegen dispensationale Wahrheit (Lehre von den Haushaltungen), aufbauen.

Wir haben versucht, diese Grundsätze anhand des Wortes Gottes zu beleuchten, und stellen unsere Ergebnisse nun allen Lesern zur Verfügung, damit sie sich fragen können, was von theologischen Aussagen zu halten ist, die auf solchen Grundsätzen aufbauen. (Die hermeneutischen Grundsätze von H.-W. Deppe sind jeweils grau unterlegt und eingerückt eingefügt.)

Punkt 1

1. Die Schrift ist vollständig von Gott inspiriert („gottgehaucht“), autoritativ, unfehlbar und irrtumslos. Dies ist zum Beispiel in der sogenannten „Chicago-Erklärung“ niedergelegt, zu der ich stehe.

Unser Kommentar

Auch wir glauben, dass die Heilige Schrift vollständig von Gott inspiriert („gottgehaucht“), autoritativ, unfehlbar und irrtumslos ist.

Punkt 2

2. Sola Scriptura – „Allein die Schrift“ – ist der höchste Grundsatz aller Theologie. Daher müssen sich alle unsere Lehraussagen exegetisch beweisen lassen. Eine dogmatische Vorentscheidung zugunsten einer Lehrvariante ist ebenso abzulehnen wie eine „Eisegese“ – ein Hineinlegen in die Schrift.

Unser Kommentar

Dieser Grundsatz ist natürlich höchst respektabel, nur müssen wir bedenken, dass, trotz gutem Grundsatz, die Wirklichkeit sich etwas schwieriger gestalten kann, weil einige Textpassagen recht schwierig sind und bibeltreue Ausleger zu unterschiedlichen Überzeugungen gekommen sind. Es bringt also nichts, dem anderen allzu schnell „Eisegese“ vorzuwerfen, wenn er sich nicht für die eigene Überzeugung entscheidet. Hier muss ein permanentes Vergleichen von Schrift mit Schrift unter Anrufung des Herrn im Gebet erfolgen, um eine Gesamtschau der Dinge zu erhalten (ein Bild gesunder Worte).
(Siehe „Grundsätze prophetischer Auslegung“, D. Schürmann.)

Punkt 3

3. Die biblische Offenbarung und die göttliche Heilsökonomie sind fortschreitend. Das heißt, im Neuen Testament sind Wahrheiten offenbart (z.B. sogenannte „Geheimnisse“), ohne die wir manche Aussagen des AT nicht richtig verstehen. Das AT muss im Licht des NT ausgelegt werden und nicht umgekehrt. Selbst die Propheten des AT haben den Geltungsbereich ihrer Aussagen nicht vollends erfasst (1Pet 1,10-12).

Unser Kommentar

Diese hermeneutische Regel müssen wir vom Grundsatz her völlig ablehnen. Die Geheimnisse im NT sind nicht nötig, um die Aussagen im AT zu verstehen. Sie erklären auch keine „Aussagen des AT“. Es heißt dreimal ausdrücklich von dem Geheimnis des Christus:

  • Röm 16,25.26: Das Geheimnis war ewige Zeiten hindurch verschwiegen, ist jetzt aber offenbart und durch prophetische Schriften, nach Befehl des ewigen Gottes, zum Glaubensgehorsam an alle Nationen kundgetan worden.

  • Eph 3,9: Das Geheimnis war von den Zeitaltern her verborgen in Gott, der alle Dinge geschaffen hat.

  • Kol 1,26: Das Geheimnis war von den Zeitaltern und von den Geschlechtern her verborgen, ist jetzt aber seinen Heiligen offenbart worden.

Der Inhalt dieses Geheimnisses war in Gott verborgen und nicht in den Aussagen des AT. Es sind nach Römer 16 gerade die „jetzigen“, das heißt neutestamentlich-prophetischen Schriften, die darüber Aussagen machen. Die Geheimnisse waren ebendeshalb Geheimnisse, weil sie im AT überhaupt keine Berücksichtigung fanden.

Natürlich legen auch wir das AT im Licht des NT aus, was aber bei uns nicht bedeutet, dass wir darin etwas suchen, wovon Gott klar gesagt hat, dass es nicht darin steht. Und auch wir glauben, dass die AT-Propheten nicht immer verstanden, wovon sie prophezeiten (siehe vor allem auch Daniel 12). Aber 1. Petrus 1,10-12 wollen wir hier doch einmal zitieren:

  • 1Pet 1,10-12: … eine Errettung, über welche die Propheten nachsuchten und nachforschten, die von der Gnade euch gegenüber geweissagt haben, forschend, auf welche oder welcherlei Zeit der Geist Christi, der in ihnen war, hindeutete, als er von den Leiden, die auf Christus kommen sollten, und von den Herrlichkeiten danach zuvor zeugte; denen es offenbart wurde, dass sie nicht für sich selbst, sondern für euch die Dinge bedienten, die euch jetzt verkündigt worden sind durch die, die euch das Evangelium gepredigt haben durch den vom Himmel gesandten Heiligen Geist – Dinge, in welche Engel hineinzuschauen begehren.

Geht es hier um „Geltungsbereich“? Gab es hierzu bei ihnen einen eingeschränkten Geltungsbereich, der jetzt neutestamentlich erweitert wird? Dieser Punkt steht in Widerspruch zu H.-W. Deppes eigenem hermeneutischen Punkt 2! Siehe hierzu Punkt 7 („Die Kirche ist nicht Gegenstand der Prophezeiung“) in „Grundsätze prophetischer Auslegung“, D. Schürmann).

Punkt 4

4. Allein der Literalsinn der biblischen Aussagen lässt auf die göttliche Bedeutung schließen. Das heißt, historische Texte zum Beispiel müssen historisch-buchstäblich und Lehrtexte müssen als buchstäbliche göttliche Wahrheit verstanden werden. Poetische und prophetische Texte können jedoch unter Umständen bildhaft gemeint sein. Doch auch ein solches Bild und seine Bedeutung ergibt sich aus dem Literalsinn des Textes und nicht aus einer verborgenen allegorischen oder anagogischen (geheimen) „Kodierung“.

Unser Kommentar

Mit dem Wort „jedoch“ in der Aussage „Poetische und prophetische Texte können jedoch unter Umständen bildhaft gemeint sein“ schließt H.-W. Deppe die Tür für eine auch allegorische Schriftauslegung historischer Texte. Was sagt nun aber die Schrift:

  • Gal 4,21-24: Sagt mir, die ihr unter Gesetz sein wollt, hört ihr das Gesetz nicht? Denn es steht geschrieben, dass Abraham zwei Söhne hatte, einen von der Magd und einen von der Freien; aber der von der Magd war nach dem Fleisch geboren, der aber von der Freien durch die Verheißung, was einen bildlichen [allegorischen] Sinn hat.

Paulus macht also gerade den Galatern den Vorwurf, dass sie die allegorische Schriftauslegung dieses Textes nicht kannten! (Zum Thema bildhafte Deutung prophetischer Texte siehe Punkt 5 [„Drei Varianten prophetischer Aussagen“] in „Grundsätze prophetischer Auslegung“, D. Schürmann.)

Punkt 5

5. Die Schrift muss allein durch die Schrift ausgelegt werden. Das heißt, keine menschlichen Grundsätze (auch kein überbetontes Buchstäblichkeits-Prinzip) dürfen unsere Hermeneutik bestimmen. Die Schrift muss in der Weise ausgelegt werden, wie sie es selbst lehrt. Auch ob eine Schriftstelle buchstäblich oder bildhaft zu verstehen ist, darf weder willkürlich noch durch menschliche Regeln entschieden werden, sondern muss sich aus der Schrift selbst ergeben.

Unser Kommentar

Dieser Regel können wir grundsätzlich zustimmen. Problematisch ist allerdings der Ausdruck „überbetontes Buchstäblichkeits-Prinzip“. Aus anderen Aussagen des Autors geht jedoch hervor, dass er von diesem Vorwurf derart drastisch Gebrauch macht, dass er keinerlei buchstäbliche Aussagen zulässt, die die Schrift über die Wiederherstellung Israels macht. Hier kommt also ein Willkürprinzip hinein, das wir daher entschieden ablehnen müssen.

Punkt 6

6. Die Schrift ist nicht durch unüberbrückbare Brüche zerteilt (wie die Dispensationalisten lehren), sondern die einzelnen Epochen der Heilsgeschichte bilden ein zusammenhängendes Ganzes. Für das richtige heilsgeschichtliche Verständnis sind sowohl Kontinuitäten als auch Diskontinuitäten zu beachten.

Unser Kommentar

Leider gibt es hier wieder einmal eine Behauptung über die Dispensationalisten ohne Quellenangabe. Auch hier haben wir bisher so etwas („unüberbrückbare Brüche“) von keinem Dispensationalisten gelesen. Selbstverständlich bieten die einzelnen Epochen der Wege Gottes mit dem Menschen ein zusammenhängendes Ganzes. Was H.-W. Deppe jedoch nicht anerkennen möchte und was er wohl mit den „unüberbrückbaren Brüchen“ meint, ist die Tatsache, dass es in diesen Wegen Gottes zwei Einschaltungen gibt: die irdische Einschaltung (siehe „Die irdische Einschaltung“, W. Kelly) und die himmlische Einschaltung (siehe „Ein himmlischer Christus, deswegen eine himmlische Gemeinde“, W.J. Hocking). Beide haben jedoch „dieses Zeitalter“, das seit Mose andauert, nicht verändert.

Der Herr Jesus sprach von „diesem Zeitalter“ zu seiner Zeit hier auf der Erde (Mt 12,32), und Er spricht auch von der „Vollendung dieses Zeitalters“ (Mt 13,37-50), eine Phase, die offensichtlich der Einführung des „zukünftigen Zeitalters“ direkt vorausgeht und unseres Erachtens eine zukünftige Komponente hat. Auch Stellen wie Epheser 1,21; 2. Korinther 4,4 unter anderem zeigen, dass wir jetzt immer noch in diesem Zeitalter leben.

Wir sehen damit, dass dieses Zeitalter

  • schon da war, als die irdische Einschaltung mit der Übertragung der Regierung auf die Nationen begann;
  • da war, als der Herr hier auf der Erde war;
  • weiterging, als zu Pfingsten die himmlische Einschaltung begann;
  • weitergehen wird, wenn die himmlische Einschaltung mit der Entrückung zu Ende sein wird,

und dann zeitgleich mit der irdischen Einschaltung enden wird, wenn der zermalmende Stein von Daniel 2,45 der Regierung der Nationen ein Ende machen und das zukünftige Zeitalter einläuten wird, das einen Fortschritt in den Wegen Gottes mit dem Menschen zeigen wird. (Siehe „Wird das Tausendjährige Reich ein Rückschritt sein?“, R.A. Huebner.)

Punkt 7

7. Christus ist der Schlüssel zur und der zentrale Inhalt der Bibel, so ist er zum Beispiel der wahre Same Abrahams und alle, die „in ihm“ sind, gehören zum erwählten Volk Gottes, dem wahren Israel. Denn er ist der Repräsentant der Erlösten in Gesetzeserfüllung, Erlösung, Auferstehung, geistlichem Priestertum und ewigem Heil. Christus, sein Kreuz und damit die ntl. Geistes-Ordnung sind das einzig richtige Weisheitsprinzip (1Kor 1–2). In diesem Sinne muss die Schrift „neutestamentlich-geistlich“ verstanden werden und nicht „alttestamentlich-irdisch-natürlich“ (1Kor 2,13.14).

Unser Kommentar

Dass Christus der Schlüssel zur Bibel und der zentrale Inhalt der Bibel ist, dem wollen wir uns gerne anschließen. Ansonsten enthält dieser Punkt derartig viel Eisegese und widerspricht damit H.-W. Deppes eigenem Punkt 2, dass wir hier gar nicht ausführlich auf alles eingehen können. Wir wollen aber kurz die Elemente der Eisegese auflisten:

  1. Die Formulierung „zum erwählten Volk Gottes“ impliziert, dass es keine zwei Völker Gottes gibt, was nichts anderes ist als das, was H.-W. Deppe selbst verurteilt – „eine dogmatische Vorentscheidung zugunsten einer Lehrvariante“ –, was wir aber in der Schrift nicht wiederfinden können. (Siehe „Ein himmlischer Christus, deswegen eine himmlische Gemeinde“, W.J. Hocking.)

  2. Wen H.-W. Deppe mit „alle“ meint, wird nicht ganz klar. Mose und David jedenfalls gehörten sicher zum erwählten irdischen Volk Gottes. Nirgendwo lehrt die Schrift allerdings, dass sie „in Christus“ waren. Wie konnten sie auch, da man doch, um in Christus zu sein, mit Ihm gekreuzigt sein und damit auch dem Gesetz gestorben sein muss, unter dem gerade die AT-Gläubigen verwahrt wurden!

  3. Keinesfalls ist Christus der Repräsentant der Gläubigen in der Gesetzeserfüllung. (Siehe „Der Wert des Todes Christi (8). Was ist die Grundlage unserer Rechtfertigung?“, D. Schürmann.)

  4. Selbst in Bezug auf Erlösung, Auferstehung, geistliches Priestertum und ewiges Heil spricht die Schrift nie davon, dass Christus uns darin repräsentiert. In der Erlösung und dem ewigen Heil kann Er uns auch gar nicht repräsentieren, denn Er brauchte selbst nicht erlöst und errettet zu werden.

  5. „Die ntl. Geistes-Ordnung“: mit diesem mystisch-philosophischen Ausdruck können wir leider nichts anfangen. Wir wollen einmal 1. Korinther 2,13.14 zitieren: „… die Dinge, die wir auch verkündigen, nicht in Worten, gelehrt durch menschliche Weisheit, sondern in Worten, gelehrt durch den Geist, mitteilend geistliche Dinge durch geistliche Mittel. Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was des Geistes Gottes ist, denn es ist ihm Torheit, und er kann es nicht erkennen, weil es geistlich beurteilt wird.“ Kann irgendeiner der Leser erkennen, dass es hier um einen Gegensatz von „neutestamentlich-geistlicher“ zu „alttestamentlich-irdisch-natürlicher“ Auslegungsweise geht?

Punkt 8

8. Schrift allein durch Schrift auszulegen bedeutet auch, die klaren Lehraussagen des NT zugrunde zu legen und mit diesem Grundverständnis an die schwierigeren Schriftaussagen heranzugehen. Klare Lehraussagen haben auch Vorrang vor indirekt gezogenen Schlüssen aus beschreibenden Schriftstellen. Auch darf ein unzutreffend buchstäbliches Verständnis atl. Aussagen (z.B. künftige Sündopfer in Hesekiel) nicht Lehraussagen des NT außer Kraft setzen (z.B. keine künftigen Opfer laut Hebräerbrief).

Unser Kommentar

Im Prinzip stimmen wir dem Gesagten zu. So kann man zum Beispiel die buchstäbliche Kettenverunreinigung im AT nicht im NT finden. Allerdings muss man beim letzten Satz ein wenig mehr differenzieren. Denn was das oben erwähnte Beispiel angeht, muss man sich fragen, ob das NT (in diesem Fall der Hebräerbrief) wirklich dem widerspricht, was das AT (in diesem Fall Hesekiel) sagt. Wir sind der Ansicht, dass der Hebräerbrief an keiner Stelle sagt, dass es nicht zukünftig in einer anderen Haushaltung durchaus wieder Opfer geben könnte. Allerdings Opfer mit einem ganz anderen Charakter. (Siehe „Buchstäbliche Opfer im Tausendjährigen Reich?“, D. Schürmann.)

Punkt 9

9. Auf die Frage, ob und wie Gott seine atl. Verheißungen an Israel erfüllt, geht das NT ausführlich und eindeutig ein. Schlüssel dafür sind zum Beispiel: Römer 9–11; Galater 3; Epheser 2,11–3,13; Hebräer 7–12, 1. Petrus 2 etc. und auch Einzelaussagen wie Matthäus 21,43; Apostelgeschichte 2,30ff.; 15,1ff.; 1. Thessalonicher 2,16 u.v.a.

Unser Kommentar

Wenn man all diese Stellen nachliest, wird man entdecken: Es kann hier in den allermeisten Fällen überhaupt nicht die Rede sein von „Erfüllung“, sondern die Apostel wenden einen AT-Grundsatz an, um vor allen Dingen gläubig gewordenen Juden etwas klarzumachen. Im Weiteren muss man auch unterscheiden zwischen Verheißungen, die speziell Israel gegeben, und bestimmten Verheißungen, die zum Beispiel Abraham gegeben wurden, die eine umfassendere, allgemeinere Bedeutung haben. Es gibt nun einmal den Bund, der mit Abraham geschlossen wurde und von dem im Galaterbrief vielfach die Rede ist, und den Bund vom Sinai, von dem der Hebräerbrief vielfach spricht und der dort im Gegensatz zum Neuen Bund steht. Eine saubere Differenzierung wäre hier wünschenswert.

  • Wie H.-W. Deppe bei Epheser 2,11–3,13 von alttestamentlicher Verheißung an Israel reden kann, ist uns schleierhaft (siehe „Das Geheimnis“).
  • In Apostelgeschichte 2,30-36 geht es doch nicht um eine Verheißung an Israel, dort geht es um Christus.
  • Zu Apostelgeschichte 15,16 siehe „Gibt es im Alten Testament Raum für eine ,himmlische Einschaltung‘?“, R.A. Huebner.
  • Bei 1. Thessalonicher 2,16 geht es nicht um eine Verheißung an Israel, sondern um Gericht.
  • Zu 1. Petrus 2 siehe „Der erste Petrusbrief (2)“, J.N. Darby.
  • In Hebräer 7–12 achtet der Geist Gottes sehr sorgsam darauf, die gläubigen Adressaten nicht mit Juda und Israel zu vermischen.

Punkt 10

10. „Vergeistlichen“ ist ein missverständlicher und als „Totschlagargument“ missbrauchter Begriff, da damit sowohl (a) ein willkürliches Allegorisieren gemeint sein kann oder aber (b) ein hermeneutisch richtiges Verstehen von AT-Stellen im Licht des NT. Ich lehne (a) entschieden ab, halte aber (b) für richtig und wichtig.

Unser Kommentar

„Vergeistlichen“ braucht nicht als „Totschlagargument“ angesehen zu werden. Es ist ganz richtig, das AT im Licht des NT auszulegen oder Anwendungen zu machen – siehe die Josephgeschichte oder die Opferung Isaaks. Dazu werden wir ja auch in Galater 4 und in Hebräer 7 angeleitet. Eine solche geistliche Anwendung ist auch für die prophetischen Schriften möglich. Vor einer willkürlichen Auslegung sollte tatsächlich gewarnt werden.

Doch das AT geistlich auf unsere Zeit anzuwenden, ist nicht alles. Man kann das AT „vergeistlichen“, wenn man nicht die Verheißungen und Segnungen Gottes an Israel damit aufhebt; das aber wird gerade vergessen. (Siehe hierzu „Dispensationalistische oder bundestheologische Sicht (1). Wörtlich oder übertragen?“, W.J. Ouweneel.) Man berücksichtigt den Vers in Römer 11,27 zu wenig oder legt etwas dort hinein, was dort nicht steht. Der Apostel zitiert dort kurz zuvor einen Vers aus dem AT, um anzuzeigen, wie „ganz Israel“ einst errettet wird, und fügt dann hinzu, dass die Berufungen und Gnadengaben Gottes unbereubar sind. Das zeigt uns, dass die zitierte Schriftstelle – nämlich dass aus „Zion der Erretter kommen wird“ – buchstäblich in Erfüllung gehen wird.

Punkt 11

11. Manche Inhalte atl. Prophetie werden im NT erneuert, so gibt es zum Beispiel ein himmlisches „Jerusalem, ein himmlisches „Zion“ (Heb 12,22) usw. Auch wird es eine neue Erde und einen neuen Himmel geben.
Somit können viele atl. Prophezeiungen tatsächlich „buchstäblich“ in Erfüllung gehen – aber an ihren himmlischen und neuschöpflichen Entsprechungen. Es ist auch keine unzulässige „Vergeistlichung“, den Tempel aus Hesekiels Vision (Hes 40ff.) als den wahren Tempel der Ewigkeit zu verstehen (Off 21,22; vgl. Joh 2,21; 1Kor 3,16 etc., vgl. die vielen Parallelen zw. Hes 40ff. und Off 21–22).

Unser Kommentar

„Manche Inhalte atl. Prophetie werden im NT erneuert“ – das können wir nicht so sehen. Wenn beispielsweise von dem „Jerusalem droben“ die Rede ist, dann steht es im Gegensatz zu dem jetzigen Jerusalem und ist gerade keine Erneuerung, wie Galater 4 uns zeigt. In Hebräer 12,22 können wir nichts von einem „himmlischen“ Zion finden.

„Somit können viele atl. Prophezeiungen tatsächlich ,buchstäblich‘ in Erfüllung gehen – aber an ihren himmlischen und neuschöpflichen Entsprechungen.“ Das ist reine Willkür – siehe dazu die vielen Beweise unter Thema 5 auf der Seite „Dispensationalismus / Bundestheologie“.
Siehe auch Punkt 10 (der Hermeneutik von H.-W. Deppe). Man möge berücksichtigen, dass man sicherlich – und das ist sogar sogar wünschenswert – Grundsätze von dem Tempel in Hesekiel auf den Tempel, wie er sich heute darstellt (in den Gläubigen einzeln und gemeinsam) ableitet. So wie zum Beispiel in Hesekiel 44,4 die Herrlichkeit Gottes Einzug in den Tempel hält, so kam der Geist Gottes zu Pfingsten auf die Gemeinde. Wer den Tempel von Hesekiels Vision als den „wahren Tempel der Ewigkeit“ verstehen will, muss damit auch zugestehen, dass im ewigen Zustand

  • noch Sühnung nötig ist (Hes 43,20)
  • Gläubige noch die Folgen ihrer Sünde tragen müssen (Hes 44,9-16)
  • es diverse Unterschiede im Nahen zu Gott gibt (Hes 44,9-16)
  • es noch immer keinen völlig freien Zugang zu Gott gibt (Hes 46,1)
  • noch Heilung notwendig ist (Heb 47,9)
  • es sogar noch Ecken geben wird, die nicht gesund werden (Heb 47,11).

Ob das der gesunden Lehre der Schrift entspricht, möchten wir dem Urteil des Lesers überlassen. Wenn der Leser aber wissen möchte, was wir unter einer zulässigen Vergeistlichung des Tempels von Hesekiel verstehen, möge er „Der Tempel Hesekiels“ von W.J. Ouweneel lesen.

Punkt 12

12. Atl. Prophezeiungen können sich in folgenden heilgeschichtlichen Zeiten erfüllen oder erfüllt haben:
1. in der Zeit vor dem ersten Kommen Christi,
2. in der Zeit des ersten Kommens Christi,
3. in der Zeit der Apostelgeschichte,
4. in der jetzigen Zeit der Kontinuität des in Christus, dem wahren Samen Abrahams, erwählten Gottesvolkes,
5. im fortschreitenden Abfall vor der Wiederkunft Christi,
6. bei der Wiederkunft Christi und seinem Gericht,
7. in dem neuen Himmel und der neuen Erde.
Die Möglichkeit einer Mehrfach- oder Teilerfüllung lehrt die Schrift aber nicht.

Unser Kommentar

Zu Punkt 4: „in der jetzigen Zeit der Kontinuität des in Christus, dem wahren Samen Abrahams, erwählten Gottesvolkes“ ist ein Konstrukt von H.-W. Deppe, das wir in der Schrift so nicht finden. Wenn er damit die Gemeinde meinen sollte, was wir vermuten, dann lehnen wir das ab; siehe dazu unsere Gründe in unserem Kommentar zu H.-W. Deppes Grundsatz 3.

Zu Punkt 7: Es fehlt vor diesem Punkt noch das an vielen Stellen verheißene Friedensreich.
Außerdem glauben wir nicht – wenn mit „neuen Himmel und der neuen Erde“ der ewige Zustand gemeint ist –, dass die AT-Prophezeihungen diesen Zustand irgendwo im Blick haben.
Zur Schlussaussage „Die Möglichkeit einer Mehrfach- oder Teilerfüllung lehrt die Schrift aber nicht“: Siehe hierzu Matthäus 17,10-12 und Punkt 3 („Die Wirksamkeit der Prophezeiungen“) in „Grundsätze prophetischer Auslegung“, D. Schürmann.

Punkt 13

13. Man nimmt nichts von der Schrift weg, wenn man AT-Stellen im Lichte des NT versteht, denn der (neutestamentliche) „Körper“ ist nicht weniger als der (alttestamentliche) „Schatten“, die Erfüllung nicht weniger als die Vorschattung – ganz im Gegenteil. Man fügt dabei auch nichts der Schrift hinzu, sondern fügt nur AT-Aussagen mit NT-Aussagen zusammen. Dabei muss auf spekulativ-detaillierte Auslegung verzichtet werden, wo dies ein „Über-die-Schrift-Hinausgehen“ wäre. Nicht alle Details lassen sich allein mit der Schrift konkret und mit letzter Gewissheit auslegen.

Unser Kommentar

Dies ist natürlich für viele Aspekte wahr. Doch weder Kolosser 2 noch Hebräer 9, die von der Gegenüberstellung Körper/Schatten reden, wenden diese Tatsache auf prophetische Aussagen an! Auch muss man berücksichtigen, dass die Gemeinde kein Thema alttestamentlicher Prophezeiungen ist. Sie ist Bestandteil des Geheimnisses – siehe Epheser 3 (siehe „Das Geheimnis“).

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