Israel, die Braut Christi?
Fragenbeantwortung im Anschluss an Vorträge über das Hohelied

Willem Johannes Ouweneel

© SoundWords, online seit: 04.07.2023, aktualisiert: 26.04.2024

Es ist eine Reihe von Fragen über das Hohelied eingegangen, und weil sie größtenteils von allgemeinem Charakter sind und Bezug haben auf das Buch als Ganzes, möchte ich sie gerne in einer allgemeinen Übersicht über die Geschichte Israels behandeln. Wir haben in diesen Vorträgen gesehen, dass es neben einer wörtlichen und einer praktischen Anwendung auch eine prophetische Anwendung gibt. Diese prophetische Anwendung ist nicht so, wie wir sie in den Prophezeiungen finden, denn dort finden wir eine historische Übersicht des Bevorstehenden. Natürlich ist solch eine Übersicht nicht in der Weise objektiv, wie das in einem Geschichtsbuch der Fall ist. Es ist der Geist Gottes, der uns diese Dinge geistlich und als Ermahnung mitteilt, und das ist subjektiv. Aber sie sind doch viel objektiver als das Hohelied, denn dort kommen die Personen zu Wort, die selbst der Gegenstand der Geschehnisse sind. Dort spricht die Braut, die Gegenstand der Prophetie ist. Dort spricht der Bräutigam, der sich mit seinem Volk beschäftigen wird. Deshalb kann man das Hohelied nur verstehen, wenn wir es vor dem Hintergrund der prophetischen Voraussagen sehen, wie die Propheten sie uns gegeben haben. In der Schrift ist die Rede von drei bildlichen Hochzeiten, und diese drei Hochzeiten möchte ich als Leitfaden für eine Beschreibung der Geschichte Israels nehmen. Ich möchte sie aus der Sicht betrachten, wie das Hohelied es tut: in dem Verhältnis zwischen Gott und seinem Volk, im Bild des Verhältnisses zwischen einer Braut und einem Bräutigam.

In Jeremia 2 sehen wir, auf welche Weise Gott seine Beziehungen zu diesem Volk angeknüpft hat. Gott erlöste das Volk so, wie jemand um die Hand eines Mädchens anhält, um es sich zur Frau zu nehmen. Wir lesen dort:

  • Jer 2,1-3: Das Wort des HERRN erging an mich, indem er sprach: Geh und rufe vor den Ohren Jerusalems und sprich: So spricht der HERR: Ich gedenke dir die Zuneigung deiner Jugend, die Liebe deines Brautstandes, dein Wandeln hinter mir her in der Wüste, im unbesäten Land. Israel war heilig dem HERRN, der Erstling seines Ertrags; alle, die es verzehren wollten, wurden schuldig: Unglück kam über sie, spricht der HERR.

Hier sehen wir, dass es eine Zeit gegeben hat, an die Gott mit Freuden zurückdenkt, an die Zeit der Verlobung, an die Brautzeit. Das war nicht die Zeit, als Jerusalem die Frau Gottes war, sondern die Brautzeit, die dieser Zeit vorausging und begann, als Gott Israel aus Ägypten rief und es in die Wüste brachte. Das ist die Zeit, auf die hier der prophetische Geist anspielt. Gott denkt an diese Zeit zurück, weil Jeremia in einer Zeit lebte, in der das Volk sich von Gott abgewendet hatte. Es ist wie bei einem Mann, der von seiner Frau im Stich gelassen wird und der mit Wehmut an die Zeit zurückdenkt, als sie ihm noch nachfolgte und ihn liebte. So denkt Gott an die Zeit zurück, als Israel Ihm in der Wüste nachfolgte. Er vergisst alles, was Israel Ihm in der Wüste angetan hat. Er denkt nur an die erste Zuneigung zurück, die zwischen Ihm und diesem Volk bestand, und wie Er alle seine Feinde erschlagen hat. Aber das war noch nicht die Zeit, in der Jerusalem die Frau Gottes wurde. Das Volk war noch nicht einmal nach Jerusalem gebracht. In 2. Mose 15 sagen sie schon unmittelbar, nachdem sie durch das Rote Meer hin erlöst sind, dass sie hinaufziehen zu dem Berg des Erbteils Gottes, zu seiner heiligen Wohnung. Das Endziel der Wüstenreise (es ist sehr wichtig, das in 2. Mose 15 festzustellen) ist der Berg Zion, nicht nur das Land, sondern ein Berg und ein Heiligtum, dessen Name und Lage sie noch nicht kannten. Es war ein Ort, von dem Gott in 5. Mose 12 sagt, dass sie ihn in dem Land suchen müssten. Doch im Glauben und durch den Geist Gottes geleitet, sahen sie ihn schon im Voraus. Das ist die Brautzeit, die Zeit der Verlobung.

In Hesekiel 16 sehen wir, wie Jerusalem zuerst die Braut war und danach die Frau Gottes wurde. Ebenso wie in Jeremia greift Gott auch in Hesekiel auf die Vergangenheit zurück, um zu zeigen, wie es früher war und welche Segnungen Er dem Volk und der Stadt gegeben hatte. Er will den Gegensatz zu ihrem gegenwärtigen verdorbenen Zustand deutlich hervorheben. In Hesekiel 16 steht:

  • Hes 16,1-3: Das Wort des HERRN erging an mich, indem er sprach: Menschensohn, tu Jerusalem seine Gräuel kund {das ist also der Grund, weshalb Gott auf die Vergangenheit zurückgreift} und sprich: So spricht der Herr, HERR, zu Jerusalem: Dein Ursprung und deine Abstammung ist aus dem Land der Kanaaniter; dein Vater war ein Amoriter und deine Mutter eine Hethiterin.

Das war die Abstammung der Stadt. Jerusalem war eine der Städte der Könige Kanaans, wie wir das in der Zeit Josuas finden, als Adoni-Zedek König dieser Stadt war. Die Jebusiter, ein kanaanitischer Volksstamm, der von Gott ausgetilgt werden sollte, waren zuletzt die Bewohner diese Stadt.

  • Hes 16,4: Und was deine Geburt betrifft – an dem Tag, als du geboren wurdest, wurde dein Nabel nicht abgeschnitten, und du wurdest nicht in Wasser gebadet zur Reinigung und nicht mit Salz abgerieben und nicht in Windeln gewickelt.

Das sind alles geistliche Ausdrücke, die zeigen, was Gott später mit dieser Stadt getan hat und was Er übrigens mit jedem Sünder tut. Die Erlösung wird hier mit dem „Abschneiden des Nabels“ verglichen, was auf die Geburt eines Kindes hinweist. „In Wasser gebadet“ ist die Reinigung, „mit Salz abgerieben“ ist ein Mittel gegen Verderben. Gott fährt fort:

  • Hes 16,5.6: Kein Auge blickte mitleidig auf dich, um dir eines dieser Dinge zu tun, um sich deiner zu erbarmen; und du wurdest auf das freie Feld geworfen, vor Abscheu an deinem Leben, an dem Tag, als du geboren wurdest. – Da ging ich an dir vorüber und sah dich zappeln in deinem Blut; und ich sprach zu dir: In deinem Blut lebe!

Es kam eine Zeit in der Geschichte Jerusalems, in der Gott diese Stadt zum Leben rief. Es ist wie in Römer 7 bei einem Sünder, der neues Leben von Gott empfangen hat, aber noch nicht zu der Befreiung gekommen ist, von der Römer 8 sagt, dass keine Verdammnis für die ist, welche in Christus Jesus sind. Wir haben hier den Anfang der Beziehungen Gottes zu Jerusalem. Das fand zur Zeit Melchisedeks, des ersten Königs von Jerusalem, statt. Wir lesen von ihm, dass er als ein Diener Gottes, als Priester Gottes, des Höchsten, in Jerusalem war. Das war eine Zeit, als Leben in Jerusalem war, aber noch keine gefestigte Verbindung zwischen dieser Stadt und Gott bestand, das heißt, Gott hatte diese Stadt noch nicht auserwählt über alle Städte der Erde. Dann folgen die Verse 7 bis 14:

  • Hes 16,7-14: Zu Zehntausenden, wie das Gewächs des Feldes, machte ich dich; und du wuchsest heran und wurdest groß, und du gelangtest zu höchster Anmut; die Brüste rundeten sich {wir haben die Bedeutung schon kennengelernt: zu geistlichem Erwachsensein und geistlicher Reife kommen}, und dein Haar wuchs {das ist ein Bild der Unterwürfigkeit dieser Stadt gegenüber Gott}; aber du warst nackt und bloß. Und ich ging an dir vorüber und sah dich, und siehe, deine Zeit war die Zeit der Liebe; und ich breitete meinen Zipfel über dich aus und bedeckte deine Blöße; und ich schwor dir und trat in einen Bund mit dir, spricht der Herr, HERR, und du wurdest mein. Und ich badete dich in Wasser und spülte dein Blut von dir ab und salbte dich mit Öl. Und ich bekleidete dich mit Buntgewirktem und beschuhte dich mit Seekuhfellen, und ich umwand dich mit Byssus und bedeckte dich mit Seide; und ich schmückte dich mit Schmuck: Ich legte Armringe an deine Hände und eine Kette um deinen Hals und legte einen Reif in deine Nase und Ringe in deine Ohren und setzte eine Prachtkrone auf dein Haupt. Und so wurdest du mit Gold und Silber geschmückt, und deine Kleidung war Byssus und Seide und Buntgewirktes; du aßest Feinmehl und Honig und Öl. Und du warst überaus schön und gelangtest zum Königtum. Und dein Ruf ging aus unter die Nationen wegen deiner Schönheit, denn sie war vollkommen durch meine Herrlichkeit, die ich auf dich gelegt hatte, spricht der Herr, HERR.

Wir sehen also, dass, nachdem Gott in Jerusalem Leben erweckt hatte, die Stadt erst zu geistlicher Reife kommen musste, zu dem Stadium, in dem Gott sich über sie erbarmte. Dieses Stadium war erst erreicht, als der Mann nach dem Herzen Gottes König über Israel wurde. Als Gott ihn über das ganze Volk setzte, war die Zeit gekommen, die Gott in 5. Mose 12 und die das Volk in 2. Mose 15 angekündigt hatte: Der Ort, wo Gott in der Mitte seines Volkes wohnen würde, sollte nun bekanntgemacht werden. David entriss die Stadt der Macht der Jebusiter. Die Zeit der Liebe kam, und Gott erbarmte sich über diese Stadt und machte sie zu der „Stadt des großen Königs“ (Ps 48,3). Das war nicht David, sondern das ist sein Sohn, der Messias. Doch von dem Zeitpunkt an, als David in die Stadt kam und dort seinen Palast baute, und vor allem von der Zeit an, als David die Lade aus dem Haus Obed-Edoms nach Jerusalem brachte, war das Haus Davids unverbrüchlich mit dem Haus des HERRN verbunden und diese beiden wiederum mit der Stadt Jerusalem. Wir sehen das sehr deutlich in den Psalmen, vor allem in Psalm 132, wo wir lesen, dass die Stadt Davids bis in Ewigkeit die Stadt ist, wo Gott seine Ruhe hier auf der Erde finden wird, solange die gegenwärtige Erde besteht. Von dieser Zeit an also, als David die Lade in die Stadt brachte und dort selbst wohnte, ist Jerusalem die Frau Gottes. Das war die Zeit der Liebe. Gott breitete seine Flügel über sie aus (Hes 16,8) wie Boas bei Ruth, nachdem sie ihn darum gebeten hatte und sie sich dadurch dazu bereiterklärt hatte, seine Frau zu werden (Rt 3,9). So breitete auch Gott seine Flügel über Zion aus, erlöste sie und erwarb sie sich zur Frau.

Ich habe jedoch gesagt, dass sowohl Jeremia als auch Hesekiel über diese erste Brautzeit, diese Verbindung zwischen Gott und der Stadt Jerusalem berichten, um auf den Zustand in ihrer Zeit hinzuweisen, als Jerusalem von Gott abgewichen war. Gerade wenn wir diesen Zustand mit der Brautzeit zwischen Gott und der Stadt vergleichen, verstehen wir, was dieses Abweichen Israels für das Herz Gottes bedeutete. Es war Hurerei. Es war eine Verbindung mit fremden Göttern und mit fremden Völkern, ein Abkehren von Gott. Das finden wir in Hohelied 1,6, wo die Braut sagt, dass sie als Hüterin der Weinberge ihren eigenen Weinberg nicht gehütet hat. Jerusalem hat seiner Aufgabe nicht entsprochen und hat alles auf abscheuliche Weise vor Gott verdorben. Deshalb musste Gott sich radikal von diesem Volk trennen, nachdem es alles verdorben hatte. Hierzu ist eine Frage gestellt worden, und deshalb will ich ausführlicher darauf eingehen.

In Hosea 2 spricht Gott zu dem Volk hierüber. Wir wissen unter anderem aus Maleachi 2,16, dass Gott die Ehescheidung hasst. Aber es gibt eine Sache, die für Gott ein noch größerer Gräuel ist, was die Ehe nämlich in ihrem Wesen antastet: die Hurerei. Obwohl Er also die Ehescheidung hasst, musste Er, als Israel durch eine abscheuliche Hurerei vollkommen verdorben war, sich von diesem Volk scheiden lassen. Wir finden das deutlich in Hosea 2,4-7, wo Gott sagt:

  • Hos 2,4-7: Rechtet mit eurer Mutter, rechtet – denn sie ist nicht meine Frau, und ich bin nicht ihr Mann –, damit sie ihre Hurerei von ihrem Angesicht wegtue und ihren Ehebruch zwischen ihren Brüsten weg, damit ich sie nicht nackt ausziehe und sie hinstelle wie an dem Tag, als sie geboren wurde {ein Hinweis auf Hesekiel 16,4}, und ich sie der Wüste gleich mache und sie setze wie ein dürres Land und sie sterben lasse vor Durst. – Und über ihre Kinder werde ich mich nicht erbarmen, weil sie Hurenkinder sind. Denn ihre Mutter hat gehurt, ihre Gebärerin hat Schande getrieben; denn sie sprach: Ich will meinen Liebhabern nachgehen, die mir mein Brot und mein Wasser geben, meine Wolle und meinen Flachs, mein Öl und mein Getränk.

Im Hohenlied haben wir mehrere Male gesehen, dass die Mutter Israel ist, so wie Gott sie ursprünglich gesehen hat. Von diesem Volk, aus dem Gott Kinder erweckt hatte, denen wir gleich begegnen werden, sagt Er nachdrücklich, dass Er nicht mehr ihr Mann ist und sie nicht mehr seine Frau. Ich weiß wohl (und komme gleich darauf zurück), dass Gott in der Zukunft dieses Volk wieder mit sich verbinden wird, aber genauso sicher ist es, dass es jetzt nicht die Frau Gottes ist. Allein die Tatsache, dass in der Zukunft wieder eine Hochzeit stattfinden wird, beweist das. Wenn sie als seine Frau nur unter Zucht stehen und bleiben würde, brauchte nicht aufs Neue eine Hochzeit stattzufinden, wenn der Herr Jesus wieder auf die Erde kommt.

Den Beweis dafür finden wir in Jeremia 3, wo wir sehen, dass Gott seine Trennung von diesem Volk dadurch bekräftigte, dass Er ihm einen Scheidebrief mitgab. Wir wissen aus dem Alten Testament, dass das Gesetz Mose zugestand, dass ein Mann seine Frau entließ, sofern er ihr einen Scheidebrief mitgab (5Mo 24,1). Aber wir wissen auch, dass der Herr Jesus in Matthäus 5 und 19 sagt, dass dies wegen ihrer Herzenshärte geschah und dass Gott in Wirklichkeit keinen anderen Grund für eine Trennung anerkennen kann als allein Hurerei, die die Ehe in ihrem Wesen antastet. So hat Gott hier das Volk entlassen, nachdem es sich durch Hurerei von Ihm abwandte, indem es den Götzen nachlief. In Vers 1 lesen wir:

  • Jer 3,1: Er spricht: Wenn ein Mann seine Frau entlässt und sie von ihm weggeht und die Frau eines anderen Mannes wird, darf er wieder zu ihr zurückkehren? Würde jenes Land nicht entweiht werden? Du aber hast mit vielen Liebhabern gehurt, und doch solltest du zu mir zurückkehren!, spricht der HERR.

Hier sagt Gott zuerst, dass Er nicht wie andere Männer handelt, denn es ist etwas Schreckliches für Ihn, wenn Männer, deren Frauen Ehebruch getrieben haben, ihre Frauen ohne weiteres verstoßen, ohne ihnen Zeit zur Gnade, Wiederherstellung und Vergebung zu geben. Wer hat das Volk mehr um Reue und Rückkehr angefleht als Gott? Doch der Augenblick kam, von dem wir in den Versen 6 bis 10 lesen:

  • Jer 3,6-10: Der HERR sprach zu mir in den Tagen des Königs Josia: Hast du gesehen, was die abtrünnige Israel {das sind die zehn Stämme} getan hat? Sie ging auf jeden hohen Berg und unter jeden grünen Baum und hurte dort. Und ich sprach: Nachdem sie dies alles getan hat, wird sie zu mir zurückkehren. Aber sie kehrte nicht zurück. Und ihre treulose Schwester Juda sah es; und ich sah, dass trotz all dem, dass ich die abtrünnige Israel, weil sie die Ehe gebrochen, entlassen und ihr einen Scheidebrief gegeben hatte, doch die treulose Juda, ihre Schwester, sich nicht fürchtete, sondern hinging und selbst auch hurte. Und es geschah, wegen des Lärms ihrer Hurerei entweihte sie das Land; und sie trieb Ehebruch mit Stein und mit Holz {das heißt, dass sie den Götzen aus Stein und Holz nachging}. Und selbst bei all diesem ist ihre treulose Schwester Juda nicht zu mir zurückgekehrt mit ihrem ganzen Herzen, sondern nur mit Falschheit, spricht der HERR.

Wir finden also hier, dass Gott in jedem Fall den zehn Stämmen einen Scheidebrief mitgegeben hat und dass Er sie, seitdem sie von dem Assyrer weggeführt worden sind, nicht mehr als einen Teil seines Volkes anerkennen kann.

Wir lesen in Hesekiel 23 von den beiden Schwestern Israel und Juda, die dort nach ihren Hauptstädten Jerusalem und Samaria genannt werden, Töchtern einer Mutter. Die Mutter Ist Israel. Sie hat zwei Töchter hervorgebracht, das Zehnstämmereich und das Zweistämmereich. Von beiden hat Gott sich scheiden lassen; was Juda betrifft, finden wir das In Jesaja 50. Dabei müssen wir bedenken, dass dort von dem zukünftigen Zeitpunkt, zu dem Gott Zion wieder annehmen wird, die Rede ist. Dort steht in Vers 1:

  • Jes 50,1: So spricht der HERR: Wo ist der Scheidebrief eurer Mutter, mit dem ich sie entließ? Oder welchem von meinen Gläubigern habe ich euch verkauft? Siehe, um eurer Ungerechtigkeit willen seid ihr verkauft, und um eurer Übertretungen willen ist eure Mutter entlassen.

Das bedeutet, dass in dem Augenblick, wenn Gott das Volk wieder zu sich zurückkehren lässt, Er sagen wird: „Wo ist nun dein Scheidebrief?“ Er hat dann sozusagen den Scheidebrief rückgängig gemacht. Aber wir dürfen meines Erachtens aus diesem Vers nicht folgern, dass Er ihr seinerzeit keinen Scheidebrief mitgegeben hat. Er spricht hier von dem „Scheidebrief, mit dem ich sie entließ“, und am Ende dieses Verses sagt Er: „Um eurer Übertretungen willen ist eure Mutter entlassen.“ Er musste ihr einen Scheidebrief mitgeben, als Er sie nicht länger anerkennen konnte. Das ist mit der babylonischen Gefangenschaft Wirklichkeit geworden. Aber genauso wird Er in der Zukunft diesen Scheidebrief rückgängig machen, wenn Er Zion wieder mit sich verbinden wird. Wir dürfen keine dieser beiden Tatsachen abschwächen. Wir dürfen nicht vergessen, dass Zion zur Zeit nicht die Frau Gottes ist, und ebenso wenig dürfen wir vergessen, dass diese Stadt es in der Zukunft wieder werden wird.

Wir sehen also in diesen Abschnitten, dass wegen ihrer Hurerei eine Scheidung zwischen Gott und Zion stattgefunden hat. Wenn eine Frau ihrem Mann untreu wird, hat diese böse Tat eigentlich zwei Seiten. Auf der einen Seite hat sie Gemeinschaft mit jemandem gehabt, mit dem sie nicht verheiratet war. Das ist huren, wie das Volk es tat, indem es den Götzen nachging. Aber das zweite Böse ist eigentlich noch schlimmer, nämlich das, was sie dem angetan hat, mit dem sie verheiratet war, und das ist es, was das Volk Gott angetan hat, im Besonderen dem Messias, in dem Gott zu ihnen kam. Die Sünden des Volkes Israel sind zweifach, und zweifach ist also der Grund, weshalb Gott sich von diesem Volk scheiden ließ. Der erste Grund ist Abgötterei und der zweite die Verwerfung des Messias. Das finden wir auch im zweiten Teil des Buches Jesaja. In Jesaja 40–48 finden wir Israels Verhältnis zu den Götzen und in Jesaja 49–57 Israels Verhältnis zu dem Messias. Es ist sehr wichtig, zu sehen, dass der zweite Grund, weshalb Gott dieses Volk verworfen hat und Jerusalem zum zweiten Mal verwüstet wurde (im Jahr 70), der ist, dass es den Messias verworfen hat.

Den Beweis dafür finden wir in Jesaja 54. Das vorangehende 53. Kapitel enthält den Schlüssel, um die wunderschönen ersten Verse von Jesaja 54 zu verstehen. Denn Israel wird die Erfüllung von Kapitel 54 erst erleben, wenn es zuvor das Bekenntnis von Kapitel 53 ausgesprochen hat und anerkannt hat, dass serjenige, den es verworfen hat, für seine Sünden gestorben ist und dass der leidende Knecht des HERRN der von Gott Gesandte war. Erst wenn es mit Reue zu Gott zurückkehrt und seine Untreue Ihm gegenüber bekennt, die es Ihm erzeigte, indem es seinen Knecht verstieß, erst dann wird Gott sich wieder über das Volk erbarmen können, wie ein Mann seine untreue Frau erst wieder annehmen kann, nachdem sie ihm ihre Sünden bekannt hat. Dann erst können wir die ersten Verse von Jesaja 54 verstehen:

  • Jes 54,1: Juble, du Unfruchtbare, die nicht geboren {das ist Zion}, brich in Jubel aus und jauchze, die keine Wehen gehabt hat! denn der Kinder der Vereinsamten sind mehr als der Kinder der Vermählten, spricht der HERR.

Zion war ehemals die Ehefrau Gottes und hat in dieser Zeit viele geistliche Kinder gehabt. Aber in der ganzen Zeit, in der Zion die Frau des HERR war, hat sie nicht so viele Kinder gehabt wie jetzt in dieser Zeit, wo sie von Gott verstoßen ist. Wir werden gleich in Galater 4 die tiefere Bedeutung hiervon sehen. In der jetzigen Zeit ist Zion nicht die Frau Gottes. Sie ist jetzt die Einsame, eine Witwe, eine Frau ohne Mann. Aber in dieser Zeit wird das Wunder geschehen, dass sie, die nun eine Witwe ist, mehr Kinder hat (nicht nur aus Israel, sondern aus allen Völkern der Erde), als sie jemals gehabt hat in der Zeit, als sie die Frau Gottes war. Das ist der Segen Gottes, den Er dieser Stadt schenkt trotz ihrer Untreue. Dann steht dort weiter:

  • Jes 54,2-10: Mache den Raum deines Zeltes weit, und man spanne die Behänge deiner Wohnstätte aus; spare nicht! Mache deine Seile lang, und deine Pflöcke stecke fest! Denn du wirst dich ausbreiten nach rechts und nach links; und deine Nachkommenschaft wird die Nationen in Besitz nehmen und die verödeten Städte bevölkern. Fürchte dich nicht, denn du wirst nicht beschämt werden, und schäme dich nicht, denn du wirst nicht zuschanden werden; sondern du wirst die Schmach deiner Jugend vergessen und dich an die Schande deiner Witwenschaft nicht mehr erinnern. Denn der dich gemacht hat, ist dein Mann {derselbe, der in Hosea 2 gesagt hat: „Ich bin nicht dein Mann“, sagt hier: „Der dich gemacht hat, ist dein Mann“) – HERR der Heerscharen ist sein Name –, und der Heilige Israels ist dein Erlöser: Er wird der Gott der ganzen Erde genannt werden. Denn wie eine verlassene und im Geist betrübte Frau ruft dich der HERR – und wie eine Frau der Jugend, wenn sie verstoßen ist, spricht dein Gott. Einen kleinen Augenblick habe ich dich verlassen, aber mit großem Erbarmen will ich dich sammeln. Im Zornesausbruch habe ich einen Augenblick mein Angesicht vor dir verborgen, aber mit ewiger Güte werde ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser. Denn dies soll mir sein wie die Wasser Noahs, als ich schwor, dass die Wasser Noahs die Erde nicht mehr überfluten sollten; so habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich ergrimmen und dich nicht mehr schelten werde. Denn die Berge mögen weichen und die Hügel wanken, aber meine Güte wird nicht von dir weichen und mein Friedensbund nicht wanken, spricht der HERR, dein Erbarmer.

Wir sehen, dass die Zwischenzeit, von dem Zeitpunkt an, wo Zion verstoßen wurde, bis es wieder angenommen wird, für Gott nur eine kleine Zeit ist, ein Augenblick. „Einen kleinen Augenblick habe ich dich verlassen, aber mit großem Erbarmen will ich dich sammeln.“ Das kann erst in Erfüllung gehen, wenn das Volk Israel Reue empfinden wird über das, was es dem Messias angetan hat. Das lesen wir auch in Micha 4 und 5, wo wir schon sahen, dass die Stadt in große Drangsale kommen wird für das, was sie dem Messias angetan hat, und dass Gott sie für eine Zeit beiseitestellen musste. In Micha 4 lasen wir:

  • Mich 4,14: Nun dränge dich zusammen, Tochter des Gedränges {das ist der Assyrer, den Gott aufruft, die Stadt zu belagern; siehe Micha 5,41}: Man hat eine Belagerung gegen uns gerichtet {antwortet das Volk}; mit dem Stab {sagt der Prophet dann} schlagen sie den Richter Israels auf die Wange.

Das ist der Grund für die Drangsal, die das Volk durchmachen wird: Sie haben den Richter Israels geschlagen. Micha 5,1 zeigt, wer der Richter ist, so dass jeder Israelit Ihn wiedererkennen kann:

  • Mich 5,1: Und du, Bethlehem-Ephrata, zu klein, um unter den Tausenden Judas zu sein, aus dir wird mir hervorkommen, der Herrscher über Israel sein soll; und seine Ausgänge sind von der Urzeit, von den Tagen der Ewigkeit her. Darum {das bezieht sich auf Micha 4,14, weil sie den Richter Israels geschlagen haben} wird er {Gott} sie dahingeben bis zur Zeit, da eine Gebärende geboren hat; und der Rest seiner Brüder wird zurückkehren zu den Kindern Israel.

Gott hat also das Volk sich selbst überlassen, weil sie den Richter Israels auf die Wange geschlagen haben, aber Er tut das bis zu dem Zeitpunkt, wo „sie“ Wehen bekommen wird. Denn dann wird Israel in großem Schmerz einen Überrest hervorbringen, über den Gott sich erbarmen wird. Dann werden sie den Richter Israels, Ihn, der aus Bethlehem-Ephrata hervorgekommen ist, als ihren Messias annehmen.

Nun sind wir also, und darauf will ich hinaus, in einer Zwischenperiode angekommen, in der Zion als eine Witwe beiseitegestellt ist. Gott musste sich von ihr zurückziehen, und der Herr Jesus ist als König von dieser Stadt verworfen worden und „in ein fernes Land“ gereist, um dort für sich ein Königreich in Empfang zu nehmen (Lk 19,12). Wir könnten fragen: Hat Gott denn in der Zwischenzeit gar nichts auf dieser Erde? Gott hat Israel zerstreut, Er kann Jerusalem nicht mehr anerkennen und dort nicht mehr auf der Erde wohnen. Hat Gott denn hier auf der Erde kein einziges Zeugnis mehr vor seinem Angesicht? Doch, Gott hat ein Zeugnis. Um das zu verstehen, müssen wir Jesaja 8 lesen, wo wir sehen, wie trotz der Tatsache, dass Israel Gott verworfen hat und Gott Israel verworfen hat, doch noch ein Zeugnis auf dieser Erde ist.

  • Jes 8,13.14: Den HERRN der Heerscharen, den sollt ihr heiligen; und er sei eure Furcht, und er sei euer Schrecken. Und er wird zum Heiligtum sein, aber zum Stein des Anstoßes und zum Fels des Strauchelns den beiden Häusern Israels, zur Schlinge und zum Fallstrick den Bewohnern von Jerusalem.

In Römer 9,33 sehen wir deutlich die Anwendung dieses Verses. Es geht um den Herrn Jesus, der als der HERR nach Jerusalem ging und zur gleichen Zeit als der Knecht des HERRN hier auf der Erde war, wo Er „ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses“ für die Bewohner Jerusalems wurde. In der Tat, wir wissen, wie Jerusalem über diesen Stein gestrauchelt ist und wie sie, die Frau Gottes, zu der Stadt geworden ist, die Offenbarung 11,8 „die große Stadt“ nennt, „wo auch ihr Herr gekreuzigt wurde“. Dort wurde der gekreuzigt, der als der Bräutigam zu ihnen kam. Er hatte sich seinem Volk vorgestellt und gesagt: „Können etwa die Gefährten des Bräutigams trauern, solange der Bräutigam bei ihnen ist?“ (Mt 9,15). Es hätte eine Zeit der Freude für das Volk sein müssen, doch dieser selbe Bräutigam wurde für Jerusalem ein Stein des Anstoßes, über den sie gefallen sind. Deshalb sagt Jesaja 8,15: „Viele unter ihnen werden straucheln und werden fallen und zerschmettert und verstrickt und gefangen werden.“ Das ist geschehen. Der Herr Jesus selbst hat in Matthäus 24 angekündigt, dass ein schreckliches Gericht über diese Stadt kommen würde und dass der Tempel, dessen sie sich rühmten, verwüstet würde. Viele sind gefangen worden; viele wurden gekreuzigt rund um die Tore Jerusalems. Viele sind, wie Mose bereits in 5. Mose 28,68 angekündigt hatte, weggeführt worden, um in Ägypten als Sklaven gehandelt zu werden. Das ist die Folge davon, dass sie den Richter Israels auf die Wange geschlagen haben.

Doch dann kommt das Wunder:

  • Jes 8,16: Binde das Zeugnis zu, versiegle das Gesetz unter meinen Jüngern {das Wort Gottes ist für das Volk ein verschlossenes Buch geworden, so dass sie nicht verstehen, was Gott in der heutigen Zeit zu sagen hat. Eine Decke liegt auf diesem Volk}. – Und ich will {sagt der Prophet als ein Vorbild des verworfenen Messias} auf den HERRN harren, der sein Angesicht verbirgt vor dem Haus Jakob, und will auf ihn hoffen. Siehe, ich und die Kinder, die der HERR mir gegeben hat, wir sind zu Zeichen und zu Wundern in Israel vor dem HERRN der Heerscharen, der auf dem Berg Zion wohnt.

Nachdem Jerusalem den Messias verworfen hat, sagt Er: Ich ziehe Mich von dieser Stadt zurück, aber Ich werde auf der Erde doch Kinder haben, und die werden Mir hier zu einem Zeugnis anstelle von Jerusalem sein. – Denn die Tatsache, dass es hier auf der Erde doch Gläubige gibt, aus Israel und sogar aus den Völkern, ist für Jerusalem ein gewaltiges Zeugnis davon, dass Gott treu ist und derselbe bleibt, dass Er, wenn Er seine Verheißungen an Jerusalem nicht erfüllen kann, sie an anderen erfüllt, sogar an solchen aus anderen Völkern. Es gibt ein Zeugnis hier auf der Erde für diese Stadt, damit sie zur Eifersucht gereizt würden (wie Paulus in Römer 9–11 sagt) durch diejenigen, die nun zum Glauben gekommen sind. Gott hat also doch ein Zeugnis auf der Erde, um einige aus der Gesamtheit zu retten, auf die der Herr eine Decke gelegt hat. Das wird uns hier in Jesaja 8 vorgestellt; siehe als Beweis Hebräer 2,9-13.

Es ist gut, darüber nachzudenken, dass auch wir einen Teil dieses irdischen Zeugnisses ausmachen. Wir gehören nicht nur zu der himmlischen Versammlung, sondern sind auch Untertanen des Königreiches der Himmel in seiner gegenwärtigen Form auf der Erde. Das ist im Besonderen das Thema in Matthäus. In diesem Evangelium sehen wir zuerst, wie der Herr Jesus als Bräutigam zu seinem Volk kommt, um ihm Frieden und Freude zu bringen. In Matthäus ist jedoch keine Rede von der Braut, weil die Braut Ihn verworfen hatte. Matthäus 9 zeigt, in welchem Zustand die Braut war: Sie glich dem Töchterchen des Jairus, das im Sterben lag und das erst in der Zukunft von dem Herrn auferweckt werden wird. Aber der Bräutigam selbst war anwesend, und das war der Herr Jesus. Als Messias war Er der König, der Bräutigam der Königin, der Stadt Jerusalem. Auch in Matthäus 22 wird über eine Hochzeit gesprochen, bei der der Herr Jesus der Bräutigam ist, wo jedoch die Braut ebenfalls nicht genannt wird, weil sie beiseitegesetzt worden ist. Israel ist von Gott beiseitegesetzt worden, und deshalb hat das Königreich der Himmel eine andere Gestalt angenommen. In Matthäus 22,2 lesen wir: „Das Reich der Himmel ist … gleich geworden.“ Es war nicht das Königreich, wie der Herr es angekündigt hatte, als Er hier auf die Erde kam. Wäre das Königreich angenommen worden, wie Er es angekündigt hatte, dann hätte das Volk Ihn als König angenommen, und Er hätte das Friedensreich auf der Erde unter ihnen aufgerichtet. Doch als das Volk nicht wollte, musste das Königreich zwangsläufig seine Gestalt verändern, denn Er würde als König „außer Landes“ reisen und das Königreich den Händen der Menschen überlassen (vgl. Mt 25,14.15). Es würde also ein sehr merkwürdiges Königreich werden: ein Königreich, dessen König abwesend ist und dessen ursprüngliche Untertanen, Israel, diesen König verworfen hatten. Deshalb steht hier: „Das Reich der Himmel ist einem König gleich geworden, der seinem Sohn die Hochzeit ausrichtete“ (Mt 22,2). Diese Hochzeit ist nicht die Hochzeit der Versammlung. Die Versammlung als solche hat überhaupt keinen Platz in den Gleichnissen vom Königreich der Himmel. Es ist die Hochzeit des Königs, und der König heiratet nicht die Versammlung, sondern Jerusalem. Der Herr Jesus als Messias ist der Bräutigam der irdischen Stadt Jerusalem. Die Braut wird hier nicht genannt, sondern es geht darum, wer die Gäste sein werden. Gott hat eine Hochzeit für seinen Sohn bereitet und seine Knechte ausgesandt, die Geladenen zur Hochzeit zu rufen; die aber wollten nicht kommen. Die ursprünglich Geladenen (die Israeliten) haben die Einladung abgelehnt und die Knechte des Königs getötet (Apg 7). Deshalb lesen wir in Matthäus 22,7: „Der König aber wurde zornig und sandte seine Heere aus, brachte jene Mörder um und steckte ihre Stadt in Brand.“ Gott hat auf ihre Weigerung geantwortet, indem Er Jerusalem im Jahr 70 in Brand stecken ließ und dadurch Israel als Nation ein Ende bereitete. Dann sehen wir, dass die Gestalt des Königreiches der Himmel in der Tat verändert wird, denn der König sagt: „Die Hochzeit ist zwar bereit, aber die Geladenen waren nicht würdig; so geht nun hin auf die Kreuzwege der Landstraßen, und so viele irgend ihr findet, ladet zur Hochzeit“ (Mt 22,8.9). Nachdem Jerusalem das Heil Gottes abgewiesen hat, geht es aus zu den Enden der Erde. So verstehen wir, dass Jerusalem in dieser Zeitperiode weitaus mehr „Kinder“ hat, als es je im Alten Testament gehabt hat, als diese Stadt noch die Frau Gottes war. In dieser Zeit erwirbt Gott seine Kinder aus allen Völkern der Erde und rechnet sie alle Jerusalem zu.

In Matthäus 25 wird zum dritten Mal über den Bräutigam gesprochen. Auch dort hat es dieselbe Bedeutung wie in Matthäus 9 und 22. Dazu ist ebenfalls eine Frage gestellt worden, deshalb will ich gerne näher darauf eingehen.

  • Mt 25,1: Dann wird das Reich der Himmel zehn Jungfrauen gleich geworden sein {beachten wir wieder das Wort „geworden“; auch hier wird das Königreich in seiner veränderten Gestalt gesehen, nachdem Israel es abgewiesen hatte}, die ihre Lampen nahmen und ausgingen, dem Bräutigam entgegen.

Wer ist hier der Bräutigam? Denken nicht viele unbewusst, weil sie nicht genau genug lesen, dass es hier um den Bräutigam der Versammlung geht? Aber es handelt sich hier überhaupt nicht um die Versammlung, es geht um das Königreich der Himmel. Wenn du hier unbedingt die Versammlung sehen willst, dann im Bild der fünf klugen Jungfrauen. Die sind die Christen, die wirklich Öl in ihren Lampen haben und also den Heiligen Geist besitzen. Das ist die Versammlung. Nicht diese fünf Jungfrauen heiraten den Bräutigam; sie gehören zu den Geladenen der Hochzeit, wie wir in Matthäus 22 gelesen haben. Sie sind Gäste, aber nicht die Braut; die Braut wird hier überhaupt nicht genannt, denn die Braut (Zion) ist beiseitegestellt. Doch wenn der Bräutigam auf die Erde kommt, dann ist die Braut sehr wohl da. Die Braut kann niemand anders sein als die, die es immer gewesen ist: die Stadt Jerusalem. Wenn es um das Königreich geht, geht es um diese Erde. Es ist ein himmlisches Königreich, doch auf der Erde. Wenn es um den König der Erde geht, dann muss die Königin Jerusalem sein. Haben wir diesen Gedanken nicht vielleicht etwas vernachlässigt? Wenn wir an das Wiederkommen des Herrn denken, dann denken wir an den Augenblick, wo Er die Versammlung zu sich nehmen und im Himmel die Hochzeit des Lammes feiern wird. Das ist die zweite Hochzeit, über die die Schrift spricht, wenn der Herr Jesus als das Lamm (nicht als der König) sich mit der himmlischen Braut, der Versammlung, verbinden wird (Off 19,6-9). Ist es so, dass wir auch die Erscheinung des Herrn lieben, wie 2. Timotheus 4,8 sagt? Also nicht nur sein Kommen, wenn Er die Versammlung zu sich nimmt, sondern auch seine Erscheinung hier auf der Erde, wenn Er seine Rechte antritt und endlich hier auf der Erde von Zion als König in seinem Königreich anerkannt wird und die Völker der Erde zu Ihm hinaufziehen werden nach Jerusalem? Lieben wir auch seine Erscheinung? Dann erst haben wir den Charakter dieser fünf Jungfrauen, die begehrten, dem Bräutigam auf dem Weg zum Haus der Braut zu begegnen, Ihm dorthin zu folgen und dort das Fest mitzufeiern. Ist auch das unsere Erwartung, Ihm zu folgen, wenn Er aus dem Himmel auf diese Erde zurückkehrt und hier die Hochzeit als König feiert? Warten wir darauf, dass Er sich mit Jerusalem verbindet und wir die glücklichen Gäste sein dürfen? Wir erwarten nicht nur, dass wir ins Vaterhaus gehen, sondern wenn wir uns bewusst werden, dass wir Untertanen des Königreiches der Himmel sind, dann erwarten wir auch, dass wir mit dem Bräutigam auf diese Erde zurückkehren (denn der Hochzeitssaal des Königs ist nicht im Himmel, sondern hier auf der Erde), wenn Er sich hier mit der Stadt Jerusalem verbinden wird.

Wir finden das auch in Lukas 12,36. Das ist ebenfalls ein Vers, der sehr häufig falsch verstanden wird. Wir lesen ab Vers 34:

  • Lk 12,34-36: Wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein. Eure Lenden seien umgürtet und die Lampen brennend; und ihr, seid Menschen gleich, die auf ihren Herrn warten, wann irgend er aufbrechen mag von der Hochzeit, damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm sogleich öffnen.

Es geht hier nicht um den Überrest Israels, sondern um Christen, was aus dem Zusammenhang deutlich ist. Besonders bemerkenswert ist der Vers 36: „Wann irgend er aufbrechen mag von der Hochzeit, damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm sogleich öffnen.“ Wenn man sagt, dass es hier um den gläubigen Überrest geht, müsste man annehmen, dass der Überrest wartet, bis der Herr Jesus von der Hochzeit des Lammes im Himmel auf die Erde zurückkehrt. Was weiß jedoch der Überrest von der Hochzeit des Lammes? Kann also ihre Erwartung sein, dass Er von dieser Hochzeit zurückkehrt? Kennen sie Ihn als den Bräutigam der Versammlung? Und drittens, steht die Versammlung als Braut im Zusammenhang mit dem Hauptgedanken in Lukas 12? Wenn wir jedoch annehmen, dass es sich hier um Christen handelt, dann müssten wir daraus folgern, dass wir als Gläubige auf der Erde warten, bis der Herr Jesus von der Hochzeit zurückkehrt. Das ist ebenfalls nicht einleuchtend, denn es findet keine Hochzeit statt, bevor der Herr Jesus wiederkommt, um die Versammlung aufzunehmen. Die Lösung kann allein darin bestehen, dass hier ein Fehler in der Übersetzung steckt. Darauf haben tatsächlich schon viele Brüder hingewiesen. Das Wörtchen „von“ lautet im Grundtext „aus“ mit der Bedeutung von „wegen“ oder „im Blick auf“. Wir sind Menschen, die auf ihren Herrn warten, und zwar im Blick auf die Hochzeit, die gefeiert wird, wenn Er zurückkommt. Das ist ein Teil der Erwartung des Christen. Es ist derselbe Gedanke wie in Matthäus 25. Wir warten als Untergebene dieses Reiches auf der Erde auf den Augenblick, wo der Herr Jesus auf diese Erde zurückkehrt. Wir werden dazu zwar vorher in den Himmel aufgenommen, aber das tut nichts zur Sache. Danach werden wir mit Ihm auf die Erde wiederkommen (1Thes 3,13; 4,14Kol 3,4Off 19,14), um hier auf der Erde die Hochzeit des Königs mit Jerusalem zu feiern. Das ist für uns ein wichtiger Gedanke, der nichts mit unseren Segnungen als Gläubige der Versammlung zu tun hat. Einerseits müssen wir als Glieder des Königreiches begreifen, dass in dieser Zeit Jerusalem eine Witwe ist und von Gott nicht anerkannt wird und dass wir also mit Gott nicht dadurch in Verbindung gekommen sind, dass wir Israeliten wurden. Wenn jemand im Alten Testament Gottes Verheißungen empfangen wollte, musste er ein „Israelit“, ein Proselyt werden. Gott hat in der heutigen Zeit keine einzige Verbindung mit Israel, so dass die Situation nun umgekehrt ist. Wenn ein Israelit errettet werden will, muss er gerade Israel verlassen. Er muss dann, wie Petrus in Apostelgeschichte 2,40 sagt, von einem verkehrten Geschlecht errettet werden. Er muss von dem Herrn Jesus aus dem Schafshof nach draußen gerufen werden (Joh 10). Gott hat in dieser Zeit keine einzige Verbindung mit Jerusalem. Andererseits müssen wir auch verstehen, dass Gott in der Zukunft Zion wieder als Braut annehmen wird und dass dann alle Gläubigen aus der jetzigen Haushaltung Jerusalem als Kinder zugerechnet werden. Wenn Gott auch jetzt keine Verbindung mit Jerusalem hat, ist es doch so, dass unser „Heil aus den Juden“ ist (Joh 4,22). Unser Heil ist aus Israel hervorgekommen, und wir haben sogar in gewissem Sinn unsere Versöhnung der Tatsache zu verdanken, dass Jerusalem verworfen ist: „Durch ihren Fall ist den Nationen das Heil geworden … ihr Verlust der Reichtum der Nationen … ihre Verwerfung die Versöhnung der Welt“ (Röm 11,11-15).

Um diese beiden Seiten zu verdeutlichen, zitiere ich zuerst Galater 4; auch hierüber liegt eine Frage vor. Dort sehen wir tatsächlich auf der einen Seite, dass wir unsere christliche Stellung verleugnen, wenn wir zum Gesetz zurückkehren, zu dem, worunter das irdische Jerusalem von jeher gebeugt war und was schließlich die Ursache ihres Strauchelns geworden ist. Denn Römer 9 sagt: Warum hat Israel die Gerechtigkeit nicht erreicht? Weil es diese Gerechtigkeit durch Werke des Gesetzes empfangen wollte. Israel ist über dieses Gesetz gestrauchelt, und jeder Christ, der zum Gesetz zurückkehrt, verlässt die Stellung, die er einnimmt, und versteht nicht, dass Gott in der jetzigen Zeit nichts mit Jerusalem zu tun hat. Andererseits hat jeder Gläubige, der nicht anerkennen will, dass Gott sich in der Zukunft wieder mit Jerusalem verbinden wird, die zweite Belehrung dieses Abschnittes nicht verstanden, nämlich dass Gott ihn Jerusalem als ein Kind zurechnen wird. So hoch achtet Gott diese Stadt! In Galater 4,21-28 steht:

  • Gal 4,21-28: Sagt mir, die ihr unter Gesetz sein wollt, hört ihr das Gesetz nicht? Denn es steht geschrieben, dass Abraham zwei Söhne hatte, einen von der Magd und einen von der Freien; aber der von der Magd war nach dem Fleisch geboren, der aber von der Freien durch die Verheißung, was einen bildlichen Sinn hat; denn diese sind zwei Bündnisse: eins vom Berg Sinai, das zur Knechtschaft gebiert, welches Hagar ist. Denn Hagar ist der Berg Sinai in Arabien, entspricht aber dem jetzigen Jerusalem, denn sie ist mit ihren Kindern in Knechtschaft; aber das Jerusalem droben ist frei, welches unsere Mutter ist. Denn es steht geschrieben {und dann folgt der Vers aus Jesaja 54}: „Sei fröhlich, du Unfruchtbare, die du nicht gebierst; brich in Jubel aus und rufe laut, die du keine Geburtswehen hast! Denn die Kinder der Einsamen sind zahlreicher als die Kinder derjenigen, die den Mann hat! Ihr aber, Brüder, seid wie Isaak Kinder der Verheißung.

Da sehen wir, dass es zwei Grundsätze gegeben hat und noch gibt, nach denen Gott mit dem Menschen in Verbindung steht. Gott hat Abraham eine bedingungslose Verheißung in Gnade gegeben, die Er auch sicher erfüllen wird, eben weil Er keine Bedingung daran geknüpft hat: „In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde!“ (1Mo 12,3). Galater 3 lehrt uns, wie Gott diese Verheißung trotz der Tatsache erfüllen kann, dass alle Völker, und im Besonderen Israel, von Ihm abgewichen sind. Das ist möglich aufgrund der neuen Formulierung, die wir in 1. Mose 22,18 finden: „In deinem Nachkommen werden sich segnen {oder: gesegnet werden} alle Nationen der Erde.“ Der Nachkomme Abrahams ist Isaak, das ist der Sohn und Erbe, den der Vater auf Morija opferte. Das bedeutet, dass die Verheißungen an Abraham nur erfüllt werden können aufgrund dessen, was der Herr Jesus, der Sohn Gottes, auf dem Kreuz zustande gebracht hat. Das ist die Grundlage, auf der Gott diese Verheißungen erfüllen kann, denn Galater 3,16 sagt, dass der Nachkomme Christus ist. Da haben wir den Schlüssel.

Doch bevor die Verheißung in Christus erfüllt würde, sollten mehr als tausendachthundert Jahre vergehen, und es konnte sein (und das ist auch geschehen), dass Israel sich auf die Verheißung etwas einbilden würde, ohne zu begreifen, dass sie vor Gott Sünder waren, dass sie diese Verheißung nur durch Gnade empfangen könnten und dass dafür sogar ein Opfer auf Morija nötig war. Um zu verhindern, dass das Volk auf diese Weise hochmütig wurde, gab Gott dem Volk außerdem das Gesetz. Nicht anstelle der Verheißung, sagt Galater 3,17-19, sondern hinzu! Gott hielt die Verheißung aufrecht, fügte aber das Gesetz hinzu, um sie, bis Christus (und in Ihm die Verheißung) käme, unter einem Zuchtmeister zu halten, so dass sie stets im Gesetz sehen konnten, dass sie jedes Recht auf die Verheißung verwirkt hatten. Wenn sie die Verheißung empfangen würden, wäre das nichts anderes als Gnade. Das heißt, dass, bis Christus kam, Jerusalem unter dem Joch des Gesetzes lag, so dass, wenn nun ein Christ unter das Gesetz zurückkehren will (und das ist ein schrecklicher Standpunkt, denn alle, die sich unter das Gesetz stellen, „sind unter dem Fluch“, sagt Galater 3,10, ob sie gläubig oder ungläubig sind), er den Fluch des Gesetzes erfahren muss, es sei in den Regierungswegen Gottes hier auf der Erde oder bis in Ewigkeit, wenn es sich um einen Ungläubigen handelt. Das Gesetz kann nichts als Fluch bringen. Nicht, weil das Gesetz schlecht wäre, sondern weil unser Herz von Natur böse ist. Deshalb ist für uns kein Platz in dem irdischen Jerusalem, denn es entspricht, wie hier steht, dem Berg Sinai. Der Berg Sinai erinnert an das Gesetz, das dort gegeben wurde. Hebräer 12,18 sagt, dass ein Feuer von dem Berg ausging, weil Gott sich nur auf solch eine Weise dem Volk als ein gerechter Richter in Heiligkeit offenbaren konnte. So standen sie dort als Sünder vor Gott, und Gott gab ihnen das Gesetz, um ihnen das zu beweisen. Der Berg Sinai wird gleichgesetzt mit Hagar. Hagar war eine Sklavin, die Nicht-Freie. Sie war also unter einem Gesetz und brachte so Ismael hervor. Hagar entspricht dem Berg Sinai und dem irdischen Jerusalem. Die Gläubigen dieser Haushaltung sind aber nicht unter dem Gesetz, sondern haben die Gnade der Verheißung empfangen. Das Gesetz hatte seine Aufgabe, bis die Verheißung käme (Gal 3,23-25); als jedoch die Verheißung kam, endete die Aufgabe des Gesetzes, und die Verheißung erstreckte sich auf alle, die im Glauben diese Verheißung annahmen. Glücklicherweise war das Gesetz auf ein Volk beschränkt, denn das Gesetz ist für den natürlichen Menschen etwas Schreckliches. Aber ebenso glücklich war es, dass Gott die eintreffende Verheißung nicht beschränkte, sondern es heißt: „Die Gnade Gottes ist erschienen, Heil bringend für alle Menschen“ (Tit 2,11). Gott hat die Gnade auf alle ausgedehnt, und alle können nun diese Gnade empfangen, und zwar nicht durch Werke des Gesetzes (das Gesetz hat ja gerade gezeigt, dass wir die Verheißung nicht verdienen konnten), sondern durch Glauben (Gal 3,2.5.14.22-26). Wir sind also nun zu der Zeit des Glaubens gekommen, und das ist der Berg Zion in seiner geistlichen Bedeutung. In Hebräer 12 sagt der Apostel ja, dass wir nicht zu dem Berg Sinai gekommen sind (wir stehen also nicht durch die Werke des Gesetzes mit Gott in Verbindung), sondern „zum Berg Zion und zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem“ (Heb 12,22), dem „Jerusalem droben“ (Gal 4,26). Das sind diese gnädigen himmlischen Grundsätze, diese himmlischen Verheißungen, die Gott vom Himmel her in dem Nachkommen Abrahams, das ist Christus, erfüllt hat. Dadurch ist Abraham nicht nur der Vater der Beschnittenen, derer, die durch die Beschneidung zu Israel gehören, sondern auch der Vater der Unbeschnittenen geworden. Römer 4 lehrt, dass Abraham der Vater aller Gläubigen ist, denn in seinem unbeschnittenen Zustand glaubte er Gott, und das wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet. Deshalb sind wir, du und ich, obwohl wir keine Israeliten sind, Kinder des unbeschnittenen Abraham und haben die Verheißung empfangen, die Gott geschenkt hat. Wir dürfen nicht die Versammlung da hineinziehen; die Versammlung geht noch darüber hinaus. Hier handelt es sich allein um die Tatsache, dass, als Israel durch die Gesetzeswerke alles verdarb, Gott danach die Verheißung nicht nur an Israel erfüllte, sondern an allen denen aus den Völkern, die durch denselben Glauben wie der unbeschnittene Abraham gerechtfertigt worden sind.

Nun kommt das Wunder Gottes. In Vers 27 steht:

  • Gal 4,27: Es steht geschrieben: „Sei fröhlich, du Unfruchtbare, die du nicht gebierst; brich in Jubel aus und rufe laut, die du keine Geburtswehen hast!“

Das ist nicht, wie man irrtümlich denkt, eine Anspielung auf Sara, die auch unfruchtbar war und doch geboren hat, sondern, wie deutlich aus Jesaja 54 hervorgeht, ein Hinweis auf Jerusalem. Jeder, der sich in der jetzigen Zeit mit dem irdischen Jerusalem verbindet, indem er sich unter das Gesetz stellt, stellt sich auch unter den Fluch des Gesetzes und verleugnet die christliche Stellung. Aber ebenso wahr ist es, dass alle Gläubigen der jetzigen Haushaltung Jerusalem als Kinder zugerechnet werden, wenn auch das „Jerusalem droben“ (diese gnädigen, himmlischen Grundsätze) herabkommen wird zu dem irdischen Jerusalem, das dann den Messias annehmen, zum Glauben kommen und die Verheißung empfangen wird. Das irdische Jerusalem wird dann sagen: „Wer hat mir diese geboren, da ich doch der Kinder beraubt und unfruchtbar war?“ (Jes 49,21). Das bezieht sich vor allem auf die Gläubigen aus den zehn und den zwei Stämmen, doch hier sehen wir, dass der Heilige Geist es nachdrücklich auf alle Gläubigen aus den Völkern der jetzigen Haushaltung ausweitet. Sind wir uns dessen bewusst, dass wir dem Jerusalem, das Gott in der Zukunft als seine Frau annehmen wird, als Kinder zugerechnet werden? Sind wir uns dessen bewusst, dass nicht nur die alttestamentlichen Gläubigen Gäste auf unserer Hochzeit im Himmel sind (Off 19), sondern dass wir andererseits Gäste bei der Hochzeit auf der Erde sein werden, wohin der Herr Jesus wiederkommt und Jerusalem „heiratet“? Das ist das Jerusalem, von dem Gott sich trennen musste, das aber aufs Neue mit Ihm verbunden werden wird! Dann werden wir hier auf der Erde zu dem Hochzeitsmahl geladen sein, das Er mit Zion feiern wird.

Es besteht natürlich auch ein großer Unterschied. Sicher sind wir, ebenso wie Israel, Kinder der Verheißung geworden, und zwar durch den Glauben. Darin besteht also Übereinstimmung. Das „Heil ist aus den Juden“ (Joh 4,22); wir werden Jerusalem zugerechnet werden. Wir sehen aber auch unendlich große Unterschiede, wenn wir die Versammlung einbeziehen. Das ist die andere Seite der Wahrheit, die leider oft gerade in kirchlichen Kreisen vernachlässigt wird. Denn sicher ist es so, und wir können niemals genug darüber nachdenken, dass wir Teilhaber der Verheißung an Abraham geworden sind. Aber wer könnte dabei vergessen, dass wir daneben und darüber hinaus noch viel herrlichere Verheißungen empfangen haben? Um das deutlich zu machen, schlagen wir den Epheserbrief auf, weil auch darüber eine Frage vorliegt. Ich spreche also nun nicht von dem Übereinstimmenden zwischen uns als Versammlung dieser Haushaltung und den Gläubigen früherer Tage, sondern ich spreche von dem Unterschied zwischen der Versammlung als Braut des Lammes und dem Überrest als Braut des Königs. Der Fragesteller weist darauf hin, dass wir im Epheserbrief im besonderen das Verhältnis der Liebe zwischen dem Herrn Jesus und seiner Versammlung finden; in diesem Brief kommt das Wort „Liebe“ häufig vor. Hier wird, wie im Hohenlied, ein wunderschönes Verhältnis zwischen einer Braut und einem Bräutigam dargestellt, nämlich zwischen dem Herrn Jesus und der Versammlung. Doch wenn wir in diesem Brief dem Wort „Liebe“ nachgehen (ich werde einige Beispiele dafür nennen), sehen wir in der Tat, welch ein gewaltiger Unterschied zwischen dem Verhältnis besteht, das wir aus Gnaden zu dem Herrn einnehmen dürfen, und dem, das der Überrest der Zukunft zu Ihm haben wird. Und welch ein glückliches Verhältnis wird allein das schon sein! Wir haben im Hohenlied gesehen, wie entzückt sowohl die Braut als auch der Bräutigam in ihrer vertrauten Beziehung sind. Das wird auf solch eine herrliche Weise geschildert, wie wir das selbst im Neuen Testament nirgends finden. Ich habe auch gesagt, weshalb wir solch eine Schilderung nicht im Neuen Testament finden, weshalb wir dort nicht ein Buch wie das Hohelied haben, nämlich weil wir das nicht brauchen. Durch den Heiligen Geist sind wir in der Lage, selbst solche Gefühle für den Herrn Jesus hervorzubringen, und haben deshalb kein geschriebenes Buch nötig, um diese Gefühle auszudrücken. Wir brauchen auch keine neutestamentlichen Psalmen, um unsere Gefühle vor Gott zu äußern. Wir besitzen den Geist Gottes, der diese Gefühle in unseren Herzen wirkt. Doch wenn wir tatsächlich ein Buch aus dem Neuen Testament mit dem Hohenlied vergleichen wollen, dann kommt der Epheserbrief in Frage.

Wir lesen zum Beispiel in Epheser 1,3:

  • Eph 1,3: Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christus, wie er uns auserwählt hat in ihm vor Grundlegung der Welt, dass wir heilig und untadelig seien vor ihm in Liebe.

Siehst du den großen Unterschied? Es ist zwar so, dass wir die Früchte dessen genießen, was Gott Abraham verheißen hat. Doch wie alt sind diese Verheißungen? Abraham lebte ungefähr tausendneunhundert Jahre vor Christus, also vor beinahe viertausend Jahren. Und wie alt sind die Verheißungen, über die hier gesprochen wird – Verheißungen von vor Grundlegung der Welt. Titus 1,2 sagt zum Beispiel, dass Gott das ewige Leben vor ewigen Zeiten verheißen hat. Wem hat Gott denn vor allen Zeiten etwas verheißen können? Es gab damals weder Engel noch Menschen. Doch da hat Gott seinem Sohn verheißen, Ihn als das ewige Leben Menschenkindern zu schenken. Das ist nicht mit dem zu vergleichen, was der Überrest in der Zukunft von dem Herrn Jesus empfangen wird. Auserwählt zu sein von Grundlegung der Welt an, ist das Teil derer, die in das Königreich eingehen werden: „Kommt her, Gesegnete meines Vaters, ert das Reich, das euch bereitet ist von Grundlegung der Welt an“ (Mt 25,34). Dazu gehört auch der Überrest. Doch es ist etwas völlig anderes, vor aller Ewigkeit auserwählt zu sein; nicht dazu auserwählt, hier auf der Erde einen Platz des Segens zu haben („die Sanftmütigen werden das Reich ererben“; Mt 5,5), sondern um in himmlischen Örtern geistliche Segnungen zu besitzen, auserwählt (wie hier steht), „dass wir heilig und untadelig seien vor ihm in Liebe“. Das bedeutet, auserwählt, um die „göttliche Natur“ zu empfangen (2Pet 1,4), die Licht und Liebe ist, damit wir „Licht würden im Herrn“ (Eph 5,8), also heilig und untadeling, denn das sind die Kennzeichen des Lichtes; aber dann heilig und untadelig in Liebe, weil Gott selbst Liebe ist. Das kann nicht von einem Gläubigen aus anderen Haushaltungen gesagt werden. Gewiss, der Überrest des Hohenliedes darf wissen, dass er der Gegenstand der Liebe des Bräutigams ist, doch das ist nicht dasselbe wie heilig und untadelig zu sein „vor Gott in Liebe“.

Das ist das Teil der Versammlung, das wir hier finden.

  • Eph 1,5.6: Er hat uns zuvorbestimmt zur Sohnschaft durch Jesus Christus für sich selbst, nach dem Wohlgefallen seines Willens, zum Preise der Herrlichkeit seiner Gnade, womit er uns begnadigt hat in dem Geliebten.

Kolosser 1,12.13 sagt, dass wir fähig gemacht sind, teilzuhaben an dem Erbe der Heiligen in dem Licht und dass wir in das Reich des Sohnes seiner Liebe versetzt sind. Dieses Teil hat der Überrest im Hohenlied nicht. Sie werden als Gerechte leuchten im Reich ihres Vaters und des Sohnes des Menschen auf der Erde, aber sie sind nicht in das himmlische Reich des Sohnes der Liebe Gottes versetzt. Als Sohn des Menschen wird man Ihn auf der Erde kennen, aber als den Sohn, der der Gegenstand der ganzen Liebe des Vaters ist, werden die Gläubigen im Himmel Ihn kennen. Der Überrest wird auch nicht angenehm gemacht in dem Geliebten, wie das hier bei der Versammlung der Fall ist. Wenn Gott auf den Herrn Jesus sieht, kann sein Herz nur von Liebe zu dieser geliebten Person überströmen, nicht nur, weil Er der Sohn des Vaters ist, sondern um all dessen willen, was Er hier auf der Erde gewesen ist, im Besonderen auf dem Kreuz. Ist der Gedanke nicht höchst erstaunlich, dass wir in dem Geliebten angenehm gemacht sind (Eph 1,6)? Wenn Gott uns sieht, sieht Er uns in Christus und hat dieselben Gefühle in seinem Herzen, als wenn Er auf seinen geliebten Sohn blickt. Diesen Platz nehmen wir ein. Israel kann niemals einen höheren Platz erlangen als den, den der König empfangen hat: Es ist ein Platz der Herrschaft über diese Erde und lediglich für tausend Jahre. Danach gibt der Herr Jesus Gott das Reich zurück. Die höchste Stellung des Überrestes im Hohenlied ist die, dass er die Königin zu seiner Rechten sein wird, die dort in feinem Gold von Ophir steht. Doch eine höhere Stellung als diese irdische wird der Überrest niemals erreichen. Wir dagegen sind angenehm gemacht in dem Geliebten selbst, in allem, was Er für das Herz Gottes ist, aufgrund dessen, was Er auf der Erde zustande gebracht hat. Alle Verdienste seines Kreuzes, den ganzen Lohn, den Er von Gott empfangen hat, nachdem Er das Werk der Verherrlichung vollbracht hatte, hat Gott uns zugerechnet. Die Gerechtigkeit, die Israel empfangen wird, gründet sich gewiss auf das Kreuz; ja, alle Segnungen, die es empfangen wird, sind eine Folge dieses Kreuzes. Doch wir dürfen von dem Kreuz wissen, dass Gott aufs höchste verherrlicht worden ist und dass der Herr Jesus die Herrlichkeit, die Er als der ewige Sohn Gottes besaß, nun als Mensch empfangen hat und dass Er nichts davon zurückgehalten hat, sondern diese ganze Herrlichkeit uns geschenkt hat (Joh 17,22). Das ist allein das Vorrecht der Versammlung, und zu diesem Vorrecht sind wir auserwählt, nicht von Grundlegung der Welt an, wie Israel, sondern von vor Grundlegung der Welt.

Epheser 3,17 bestätigt das:

  • Eph 3,17: … dass der Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne, indem ihr in Liebe gewurzelt und gegründet seid.

Welche gewaltigen Worte! Gewurzelt und gegründet in Liebe. Das ist unser Fundament; unsere Wurzeln haben sich tief in seine Liebe und in das, was seine Liebe zustande gebracht hat, hineinversenkt. Der Herr Jesus wohnt in unseren Herzen. Bei dem Überrest wohnt Er nicht auf diese Weise. Sie haben nicht den Heiligen Geist, um die Gedanken Gottes zu verstehen. Der Bräutigam wohnt nicht in ihren Herzen. In unseren Herzen wohnt Christus jedoch durch den Geist persönlich, und zwar durch die Kraft des Glaubens. Durch den Heiligen Geist und das völlig offenbarte Wort Gottes will Er in unseren Herzen größer werden, bis wir zu dem vollen Wachstum gekommen sind, das heißt, bis wir den Herrn Jesus in seiner Größe sehen, wie Er wirklich von Gott offenbart worden ist (Eph 4,13). Dann werden wir vollkommen seine Liebe erkennen (Eph 3,19) und mit allen Heiligen verstehen, welches „die Breite und Länge und Höhe und Tiefe“ dieser Liebe ist (Eph 3,18). Das bezieht sich auf Epheser 3,10 und 11, wo wir Gottes Vorsatz hinsichtlich der Versammlung finden. Das bezieht sich auf die wunderbaren Ratschlüsse Gottes, von denen der Überrest in der großen Drangsal nichts weiß und von denen er niemals etwas wissen wird, nicht einmal im Tausendjährigen Reich. Denn der Überrest wird niemals den Heiligen Geist in sich wohnend haben, um diese Gedanken ergründen zu können. Wir selbst können das in der Praxis nur schwer, aber wir dürfen geistlich wachsen, um zu verstehen, was der volle Umfang dieses Ratschlusses ist, aufgrund dessen Gott all das an uns erfüllt hat. Das ist „die die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus, damit ihr erfüllt sein mögt zu der ganzen Fülle Gottes“ (Eph 3,19). Welch ein Platz ist für uns in dieser Liebe, und welch ein Gegensatz ist das zu all den Herrlichkeiten, die der Überrest empfangen wird! Wie weit gehen doch unsere Segnungen darüber hinaus!

In Epheser 5 schließlich lesen wir in den ersten Versen:

  • Eph 5,1.2: Seid nun Nachahmer Gottes, als geliebte Kinder, und wandelt in Liebe, wie auch der Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch.

Die Israeliten können keine Nachahmer Gottes sein als geliebte Kinder, einfach deshalb nicht, weil sie keine Kinder Gottes sind. Sie sind von Gott geliebt, aber nur wir kennen das Kindschaftsverhältnis zu dem Vater, weil wir an den Namen des Herrn Jesus, der das Leben ist, geglaubt haben. Deshalb haben wir das Recht empfangen, uns selbst „Kinder Gottes“ zu nennen (Joh 1,12). Wir haben „den Geist der Sohnschaft empfangen“, den Israel niemals empfangen wird; dieser Geist zeugt in unseren Herzen mit unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind und dass wir Gott „Abba, Vater“ nennen dürfen (Röm 8,15). Nur wir können also in diesem Verhältnis wandeln, weil wir darin zu Gott gebracht sind. Weich ein Unterschied ist das zu der Stellung des Überrestes, der bis zu dem Augenblick, wo der Herr Jesus wiederkommt, niemals völlige Sicherheit haben wird, dass Gott ihn angenommen und die Sünden vergeben hat. Erst wenn der Herr Jesus wieder auf die Erde kommt, werden sie das sehen; erst wenn Er als der Hohepriester aus dem Heiligtum zurückkehrt, werden sie den Beweis empfangen, dass ihre Sünden weggetan sind (vgl. Dan 9,24). Dann erst wird „eine ewige Gerechtigkeit eingeführt“ werden und wird ihren „Sünden ein Ende gemacht“ werden, nicht früher. Sie werden niemals geliebte Kinder sein, selbst nach diesem Zeitpunkt nicht. Sie haben nicht das volle Bewusstsein der Liebe Christ!, der sich selbst vollkommen geopfert hat, denn sie haben nicht den Geist, durch den allein sie den vollen Umfang des Werkes Christi überschauen könnten. Dieses Werk hat ja übrigens vor allem Bezug auf die Versammlung. Er hat ja gerade „die Versammlung geliebt und sich selbst für sie hingegeben“ (Eph 5,25.26). Das tat Er nicht nur auf dem Kreuz, sondern Er gibt sich dort als Hoherpriester vor Gott und als Sachwalter bei dem Vater Tag und Nacht für uns hin, um uns zu reinigen und zu heiligen durch die Waschung mit Wasser durch das Wort. Israel weiß davon nichts. Ich glaube, dass wir sagen können, dass Er auch als Hoherpriester für das Volk Israel dienen wird (Off 8,3.4), aber sie wissen nicht, dass Er dort diesen Dienst für sie ausübt; so kennen sie Ihn nicht. Erst wenn Er wiederkommt, werden sie zu vollem Frieden und voller Ruhe gelangen. Welch ein Unterschied ist das zu unserer Stellung! Wir brauchen unsere Fremdlingschaft nicht in Ungewissheit zu verbringen, sondern in der Ruhe und in der Sicherheit eines vollbrachten Werkes und in der Gewissheit, dass Er Tag und Nacht dort oben ist, um sich für uns hinzugeben, für uns zu bitten, uns zu heiligen (das ist abzusondern) und uns durch die Waschung mit dem Wasser des Wortes zu reinigen.

Welch eine wunderbare Gnade, dass wir nicht nur Untertanen im Königreich geworden sind (obwohl das wichtig ist und häufig übersehen wird), sondern dass Er die Versammlung geliebt hat, wie Männer ihre Frauen lieben sollen. So ist die Versammlung seine Frau geworden. Während der Zeit, wo Er die Braut aus Israel beiseitestellen musste, hat Er hier als das geschlachtete Lamm eine Braut, mit der Er sich verbinden wird bei der Hochzeit des Lammes. Dann wird die Versammlung tatsächlich seine Frau werden (Off 19), für ewig mit Ihm verbunden, um als seine Frau, als das neue Jerusalem, hier auf die Erde zurückzukommen (Off 21). Das ist nicht das himmlische Jerusalem aus Galater 4 und Hebräer 12. Wir haben gerade gesehen, dass das himmlische Jerusalem ein symbolischer Hinweis auf die Grundlage ist, auf der wir zu Gott gebracht sind, nämlich die himmlische Erfüllung der Verheißung in Christus. Er ist herabgekommen, um uns diese Verheißung zu schenken, und wir dürfen daran durch den Glauben teilhaben. Das neue Jerusalem sind wir selbst, das ist die Versammlung, die wie eine Braut (die für ihren Mann geschmückt ist) und wie eine Stadt aus dem Himmel herabkommen wird (Off 21,2.9.10). Das wird auch die Zeit sein, in der das irdische Jerusalem wiederhergestellt werden wird. Wenn das Tausendjährige Reich angebrochen ist, wird das neue Jerusalem aus dem Himmel herabkommen, nicht, um auf die Erde zu kommen (das lesen wir nirgends), sondern um aus dem Himmel über diese Erde zu regieren. Dann wird hier auf der Erde zur gleichen Zeit das alte Jerusalem wiederhergestellt, und Gott wird diese Stadt annehmen.

Dann wird sich erfüllen, was wir in Hosea 2 weiterhin lesen. Als Gott sagte, dass Er Israel in dieser Zeit nicht mehr anerkennen konnte (dass sie nicht seine Frau und dass Er nicht ihr Mann ist) und dass Er sie wegsenden musste, weil sie gehurt hatte, kündigte Er an, dass eine Zeit kommen würde, wo Er mit ihr handeln würde, wie ab Vers 16 steht:

  • Hos 2,16-25: Darum siehe, ich werde sie locken und sie in die Wüste führen und zu ihrem Herzen reden; und ich werde ihr von dort aus ihre Weinberge geben und das Tal Achor zu einer Tür der Hoffnung. Und sie wird dort singen wie in den Tagen ihrer Jugend und wie an dem Tag, als sie aus dem Lande Ägypten heraufzog. Und es wird geschehen an jenem Tag, spricht der HERR, da wirst du mich nennen: Mein Mann; und du wirst mich nicht mehr nennen: Mein Baal. Und ich werde die Namen der Baalim aus ihrem Mund wegtun, und sie werden nicht mehr mit ihrem Namen erwähnt werden. Und ich werde an jenem Tag einen Bund für sie schließen mit den Tieren des Feldes und mit den Vögeln des Himmels und mit den kriechenden Tieren der Erde; und ich werde Bogen und Schwert und den Krieg aus dem Lande zerbrechen und werde sie in Sicherheit wohnen lassen. Und ich will dich mir verloben in Ewigkeit; und ich will dich mir verloben in Gerechtigkeit und in Gericht und in Güte und in Barmherzigkeit, und ich will dich mir verloben in Treue; und du wirst den HERRN erkennen. Und es wird geschehen an jenem Tag, da werde ich erhören, so spricht der HERR: Ich werde den Himmel erhören, und dieser wird die Erde erhören; und die Erde wird das Korn und den Most und das Öl erhören; und sie, sie werden Jisreel er hören. Und ich will sie mir säen im Land und will mich über Lo-Ruchama {das bedeutet: Nicht-Begnadigte} erbarmen Und ich will zu Lo-Ammi {das bedeutet: Nicht-mein-Volk} sagen: „Du bist mein Volk“; und es wird sagen: „Mein Gott“.

Nun ist Israel in das Land zurückgekehrt und hat einen Staat errichtet, aber das ist im Unglauben geschehen. Gott kann keine Verbindung mit diesem Staat haben. Wir laufen Gefahr, dass wir zu sehr von den israelischen Kraftanstrengungen gefesselt werden, ohne zu erkennen, was Gott in Jesaja 18 und 57 sagt: Er beschäftigt sich nicht mit diesem Volk, Er hält sich still und wartet auf die Zeit der Ernte (das Gericht), wenn Er mit seiner brennenden Sonne auf dieses Volk scheinen wird und sie in die Wehen bringen wird, wovon wir in Micha 4 und 5 gelesen haben. Vor und in dieser schrecklichen Zeit wird ein Überrest zum Vorschein kommen, der im Hohenlied (Hld 1) sozusagen seine Verlobung mit seinem Gott feiert. Danach haben wir ab Hohelied 2,7 gesehen, wie „der Anfang der Wehen“ (Mt 24,8) gekommen ist und wie Gott dieses Volk in geistliche Übungen bringt. Im dritten Teil des Buches (ab Hld 3,6), sehen wir, wie die Braut von dem Herrn vorbereitet wird, in große Drangsale kommt und wie ihr Glaube geprüft wird, ob sie an Ihm festhalten wird. Die Wächter der Stadt schlagen sie. Doch gerade dadurch wird sie näher zu dem Herrn gebracht, und Er seinerseits anerkennt, was sie in dieser schrecklichen Zeit für Ihn hervorbringt. Sie wird viele Segnungen missen müssen, die wir haben: Es wird großenteils eine Decke auf ihrem Angesicht liegen, denn sie wird den Geist Gottes nicht besitzen und nicht das Bewusstsein einer sicheren Verbindung mit Ihm und der Vergebung ihrer Sünden haben. Aber Er wird ihr seine Liebe versichern und ihre Zuneigung, ihren Eifer und ihre Treue auch inmitten dieser Gefahren würdigen. Sie wird Ihn immer besser kennenlernen, bis sie in Hohelied 5 zu dieser wunderschönen Beschreibung kommt, in der sie Ihn in all seiner Schönheit besingt. Dann finden wir zum Schluss einen Ausblick auf ihre Erlösung und auch auf die anderen, die in das Friedensreich eingeführt werden: die zwölf Stämme und sogar die Völker bis an die Enden der Erde. In Hohelied 8 ab Vers 5 folgt dann der letzte Teil des Buches, die endgültige Bestätigung der Segnungen. Darin wird sie die Grundlage für ihre Verbindung mit dem Herrn erkennen, nämlich seine Liebe bis in den Tod. Die kleine Schwester (die zehn Stämme) wird zurückgebracht, und Salomo wird wieder einen Weinberg unter allen Völkern haben. Welch eine Zeit wird das sein, wenn all das, was hier noch als zukünftig, als ein abwartendes Vorausschauen, vorgestellt wird, erfüllt werden wird!

Zum Schluss wollen wir noch etwas von dieser Erfüllung in Jesaja 61 und 62 lesen, damit wir den herrlichen Zustand sehen, in den Jerusalem dann kommen wird, wenn Gott sie wieder zu seiner Frau gemacht hat. Der Gott, der das tun wird, ist unser Herr Jesus Christus. Er ist „Gott, gepriesen in Ewigkeit" (Röm 9,5), und zugleich der Messias seines Volkes, der als König zu dieser Stadt herabkommen wird, um sich mit ihr zu verbinden. In Jesaja 61 sagt der Überrest in Vers 10:

  • Jes 61,10: Hoch erfreue ich mich in dem HERRN; meine Seele soll frohlocken in meinem Gott! Denn er hat mich bekleidet mit Kleidern des Heils, den Mantel der Gerechtigkeit mir umgetan, wie ein Bräutigam den Kopfschmuck nach Priesterart anlegt und wie eine Braut sich schmückt mit ihrem Geschmeide. Denn wie die Erde ihr Gewächs hervorbringt und wie ein Garten sein Gesätes aufsprossen lässt, also wird der Herr, HERR, Gerechtigkeit und Ruhm aufsprossen lassen vor allen Nationen.

Das haben wir auch in Hohelied 8 gefunden, wo Salomo nicht nur einen Weinberg unter allen Völkern haben wird und die Häupter der Nationen Ihm Frucht bringen werden, sondern wo Zion selbst sagt, dass ihr Weinberg vor dem Angesicht Salomos ist und dass er seine Frucht für Ihn bringen wird. So sehen wir hier, dass es auf der Erde einen sprießenden Garten für den Herrn geben wird. Dann sagt der Geist:

  • Hes 62,1-4: Um Zions willen will ich nicht schweigen, und um Jerusalems willen will ich nicht still sein, bis ihre Gerechtigkeit hervorbricht wie Lichtglanz und ihre Rettung wie eine lodernde Fackel. Und die Nationen werden deine Gerechtigkeit sehen und alle Könige deine Herrlichkeit; und du wirst mit einem neuen Namen genannt werden, den der Mund des Herrn bestimmen wird. Und du wirst eine prachtvolle Krone sein in der Hand des HERRN und ein königliches Diadem in der Hand deines Gottes. Nicht mehr wird man dich „Verlassene“ nennen und dein Land nicht mehr „Wüste“ nennen; sondern man wird dich nennen: „Mein Gefallen an ihr“. 

So wie die Braut sagt: „Ich bin meines Geliebten, und nach mir ist sein Verlangen“ (Hld 7,11), so sagt der Herr selbst:

  • Jes 62,4-7: „Mein Gefallen {mein Begehren} an ihr“, und dein Land: „Vermählte“; denn der HERR wird Gefallen an dir haben, und dein Land wird vermählt werden. Denn wie der Jüngling sich mit der Jungfrau vermählt, so werden deine Kinder sich mit dir vermählen; und wie der Bräutigam sich an der Braut erfreut, so wird dein Gott sich an dir erfreuen. Auf deine Mauern, Jerusalem, habe ich Wächter bestellt; den ganzen Tag und die ganze Nacht werden sie keinen Augenblick schweigen. Ihr, die ihr den HERRN erinnert, gönnt euch keine Ruhe und lasst ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem befestigt und bis er es zum Ruhm macht auf der Erde!

Aus Das Lied der Lieder, Schwelm (Heijkoop) 1976, S. 319–356; 
nach Vorträgen aus dem Jahr 1971

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