Repräsentiert der Ölbaum den Leib Christi?
Römer 11; Epheser 2

Dirk Schürmann

© SoundWords, online seit: 02.07.2005, aktualisiert: 29.01.2024

Leitverse: Römer 11,16-26

Röm 11,16-26: Wenn aber der Erstling heilig ist, so auch die Masse; und wenn die Wurzel heilig ist, so auch die Zweige. Wenn aber einige der Zweige ausgebrochen worden sind, du aber, der du ein wilder Ölbaum warst, unter sie eingepfropft und der Wurzel und der Fettigkeit des Ölbaums teilhaftig geworden bist, so rühme dich nicht gegen die Zweige. Wenn du dich aber gegen sie rühmst – du trägst nicht die Wurzel, sondern die Wurzel dich. Du wirst nun sagen: Die Zweige sind ausgebrochen worden, damit ich eingepfropft würde. Recht; sie sind ausgebrochen worden durch den Unglauben; du aber stehst durch den Glauben. Sei nicht hochmütig, sondern fürchte dich; denn wenn Gott die natürlichen Zweige nicht verschont hat – dass er auch dich etwa nicht verschonen werde. Sieh nun die Güte und die Strenge Gottes: gegen die, die gefallen sind, Strenge; gegen dich aber Güte Gottes, wenn du an der Güte bleibst; sonst wirst auch du ausgeschnitten werden. Auch jene aber, wenn sie nicht im Unglauben bleiben, werden eingepfropft werden; denn Gott vermag sie wieder einzupfropfen. Denn wenn du aus dem von Natur wilden Ölbaum ausgeschnitten und gegen die Natur in den edlen Ölbaum eingepfropft worden bist, wie viel mehr werden diese, die natürlichen Zweige, in ihren eigenen Ölbaum eingepfropft werden! Denn ich will nicht, Brüder, dass euch dieses Geheimnis unbekannt sei, damit ihr nicht euch selbst für klug haltet: dass Israel zum Teil Verhärtung widerfahren ist, bis die Vollzahl der Nationen eingegangen ist; und so wird ganz Israel errettet werden, wie geschrieben steht: „Aus Zion wird der Erretter kommen, er wird die Gottlosigkeiten von Jakob abwenden.

Bibelausleger, die die Bündnistheologie vertreten, sehen in dem Olivenbaum den Leib Christi.

So schreibt beispielsweise Philip Mauro:

Darüber hinaus setzt sich das wahre Israel Gottes zusammen […] aus gläubigen Israeliten nach dem Fleisch, denen Gläubige aus den Nationen hinzugefügt wurden, indem sie dann einen Leib bilden, wie er im Ölbaum von Römer 11 repräsentiert wird.[1]

Und Jon Zens, ein Calvinist, schreibt:

So wie wir schon zuvor geschrieben haben, lehrt Chafer[2], dass es keine Kontinuität oder Verbindung gibt mit dem, was vorher gewesen ist oder nachher kommen wird. So muss dann alles, was Israels Zukunft betrifft, einschließlich ihrer Hinwendung zum Herrn, getrennt sein von dem Leib Christi. Aber Paulus bestätigt eine enge Einheit von der „Zeit der Nationen“ sowohl mit der vergangenen jüdischen Zeit als auch jedem zukünftigen „Einpfropfen“. Seine Analogie vom Ölbaum zeigt, „dass es nur ein Volk Gottes durch die Heilsgeschichte hindurch gibt“[3].[4]

Max Weremchuk schreibt:

Bis jetzt sind es wenige Juden, die an Christus glauben, die meisten sind ausgebrochen. Aber durch die Gnade Gottes werden sie wieder eingebracht werden, aber wenn das geschieht, werden sie nicht einen Extraplatz haben, sondern sie werden mitten unter die vorhandenen Zweige kommen – das heißt in die Kirche, als Teil des neuen Menschen, als Christen, als Teil des „Israel Gottes“ und nicht mit Sonderrechten irgendeiner Art, die sich von den schon vorhanden unterscheiden – Römer 3,9 und 11,32. Es gibt keinen zweiten, das heißt Extrabaum oder einen neuen Baum. Die Erfüllung ist nur in der Kirche als Christ.[5]

Und Robert B. Thompson, ein Pfingstler, schreibt:

Wenn die Vollzahl der Nichtjuden in Christus, in den einen Ölbaum Gottes eingepfropft worden ist, wird sich Gott ein weiteres Mal dem physischen Israel zuwenden, seinen Geist auf die Juden ausgießend und sie in den einen Leib Christi, den Ölbaum, bringend.[6]

Gründe, warum wir nicht glauben, dass obige Auslegung richtig ist:

  1. Wenn wir in Epheser 2 von dem „neuen Menschen“ lesen, dann ist das ein Mensch der „neu“ (griech. kainos) ist, nicht im Sinne von „frisch“, sondern von „so etwas hat es noch nicht gegeben“ im Gegensatz zu einem „alten“ Menschen. Das heißt, diesen neuen Menschen gab es nicht vor der Himmelfahrt des Herrn und dem Herniederkommen des Heiligen Geistes. Gott hat nicht etwa einen Menschen, der schon da war, genommen und ihn um den Teil aus den Nationen erweitert. Er hat aus beiden – den Juden und den Heiden – welche genommen und sie gleichberechtigt zu etwas völlig Neuem gemacht, wo die Unterschiede auch völlig aufgehoben sind: „Da ist nicht Jude noch Grieche.“ Der Ölbaum jedoch bestand schon vorher. Das heißt, eigentlich zwei Ölbäume: der wilde und der edle. Dann wurden aus dem edlen Ölbaum Zweige ausgebrochen und wilde Zweige eingepfropft. Das ist etwas völlig anderes als die Bildung des neuen Menschen.

  2. Der eine Leib hat ein Haupt im Himmel. Der Ölbaum hat eine Wurzel in der Erde. Merken wir hieran schon den großen Unterschied? Bei dem Leib handelt es sich um solche, die himmlische Segnungen genießen. Bei dem Ölbaum – die Fettigkeit des Ölbaums (sein Segen) wird speziell erwähnt – geht es um irdische Segnungen.

  3. Solche, die zu dem einen Leib gehören, sind nicht nur durch den Geist zu einem Leib getauft worden, sondern sind auch mit einem Geist getränkt worden. Das bedeutet für jeden Einzelnen, dass er mit diesem Geist versiegelt worden ist. Es ist unmöglich für einen solchen, den Geist wieder zu verlieren; Er bleibt bei ihm in Ewigkeit. – Aus dem Ölbaum können jedoch Zweige ausgeschnitten werden. Ja, es besteht nicht nur die Möglichkeit, sondern wir lesen auch, dass bestimmte Zweige ausgeschnitten worden sind. Kein Glied kann jedoch jemals vom Leib oder von dem „neuen Menschen“ amputiert werden.

  4. Der edle Ölbaum hat natürliche Zweige (Röm 11,21). Natürliche Zweige gibt es im neuen Menschen natürlich nicht, denn er ist „neu“ – noch nie da gewesen. Von Natur gehört kein Mensch zum Leib Christi.

  5. Der edle Ölbaum ist „der eigene Ölbaum“. In den Leib Christi jedoch sind die Nationen auf gleicher Grundlage wie die Juden „miteinverleibt“ worden (Eph 3,6).

  6. Die Nationen, die hier angesprochen werden – „Denn ich sage euch, den Nationen“ (Röm 11,13) –, werden nicht als solche angesprochen, die in Christus sind, wie es alle die sind, die zu dem Leib Christi, dem neuen Menschen gehören. Das heißt nicht, dass nicht einige der eingepfropften Zweige auch wirklich „in Christus“ sind; alle, die in Christus sind, gehören zu den Zweigen des Ölbaums. Aber hier werden sie nicht als solche angesprochen, sondern als solche, für die die Möglichkeit besteht, ausgebrochen zu werden (Röm 11,21) in gleicher Weise wie die ungläubigen Juden. Das zeigt an, dass es nicht um eine Lebensverbindung geht wie bei dem einen Leib, sondern um ein Bekenntnis, das die Möglichkeit bietet abzufallen, so dass auch Namenschristen hier mit darunterfallen.

  7. Es gibt zwei Ölbäume: einen edlen und einen wilden. Es gibt jedoch keine zwei Leiber, keine zwei neue Menschen.

Wir wollen nun noch kurz aufzeigen, dass die Auslegung dessen, was der Ölbaum ist, die wir in dem Artikel „Die Bedeutung des edlen Ölbaumes“ vertreten, diese sieben Probleme nicht aufwirft. Dort heißt es, dass der Ölbaum der Bereich der Verheißung des Segens Gottes ist, in dem sich Menschen aufhalten. Seine Wurzel ist Abraham mit den ihm gegebenen Verheißungen. Durch die Berufung Gottes wurde Abraham zu dieser Wurzel gemacht.

zu 1.
Nach dem Tod Christi wurde ein Teil der natürlichen Zweige ausgebrochen – die Juden, die nicht an Christus glaubten. Sie stehen – und das betrifft sie auch als Volk – seit nun mehr bald zweitausend Jahren nicht mehr in dem Bereich, wo Gott seinen Segen verordnet hat. Doch einige Zweige bleiben in diesem Bereich. Das sind die Juden, die sich in der Apostelgeschichte zu Christus bekennen. Und dann beginnt Gott, mit Kornelius wilde Ölbaumzweige in den Bereich des Segens einzupfropfen.

zu 2.
Dem Abraham waren irdische Segnungen gegeben, in die auch wir als Gläubige aus den Nationen gekommen sind. So zeigt uns Römer 4,11-16, dass wir die geistlichen Nachkommen Abrahams sind, Söhne und Erben Abrahams, Kinder der Verheißung (Gal 3,7.29; 4,28). Und die irdischen Segnungen, die wir dadurch empfangen, sind Rechtfertigung (Gal 3,6.11.24) und Leben aus Gott (Gal 3,12.21). Vielleicht wundert es einige Leser, dass wir diese Segnungen als irdische Segnungen bezeichnen, obwohl sie geistliche Segnungen sind. Doch zeigt uns zum Beispiel Johannes 3, dass die neue Geburt, die unter anderem Leben aus Gott bringt, notwendige Voraussetzung ist, um selbst in das (irdische) Reich Gottes eingehen zu können. Nebenbei trennt auch der Herr in Johannes 3,12 die Segnung der neuen Geburt aus den vorherigen Versen deutlich als „das Irdische“ klar von der Qualität dieses neuen Lebens als „ewiges Leben“, worauf Er im Folgenden zu sprechen kommen würde, als himmlische Segnung. Das Christentum ist heute der Bereich, wo dieser Segen Gottes verwaltet wird.

zu 3.
Nach der Entrückung der Gemeinde, die damit aus dem Gesichtskreis des Ölbaums verschwindet, da sie nicht mehr auf der Erde ist, werden die eingepfropften Zweige des wilden Ölbaums, die dann noch da sind, alle wieder ausgebrochen werden. Alle, die dann noch auf der Erde übriggeblieben sind aus der Christenheit, wo einmal der Bereich des Segens Gottes war, werden ausgebrochen werden. Gott wird ihnen eine wirksame Kraft des Irrwahns senden (2Thes 2,11), damit sie nicht mehr glauben können und alle gerichtet werden. Zur selben Zeit wendet Er sich wieder Israel zu und erzeigt seinen Segen wieder speziell für dieses Volk, und das tausend Jahre lang. Zwar werden auch in dieser Zeit wieder welche aus den Nationen gesegnet werden, aber sie werden nicht direkt im Wirkungskreis des Segens Gottes stehen, sondern nur mittelbar, das heißt, sie werden durch Israel als Kanal gesegnet werden und nicht gleichberechtigt wie heute. Wer ein natürlicher Nachkomme Abrahams war, gehörte zum Volk Israel und war damit durch natürliche Geburt in den Bereich des Segens Gottes gekommen.

zu 4.
Wenn die Juden wieder in den Bereich des Segens Gottes eingepfropft werden, dann ist das in ihr „Eigenes“, in das, was zu ihnen gehört als solche, die natürliche Nachkommen Abrahams sind.

zu 5.
Namenschristen können in den Bereich des Segens Gottes kommen, sogar so weit, wie es in Hebräer 6 beschrieben wird, dass sie „erleuchtet waren und geschmeckt haben die himmlische Gabe und teilhaftig geworden sind des Heiligen Geistes und geschmeckt haben das gute Wort Gottes und die Wunderwerke des zukünftigen Zeitalters“, und doch aus diesem Bereich wieder hinausfallen.

zu 6.
Es gibt einen Bereich auf der Erde, wo die speziellen Vorrechte Gottes vorhanden sind – der edle Ölbaum –, und einen Bereich, wo sie nicht sind: der wilde Ölbaum.

Zum Abschluss möchten wir noch den Artikel „Die Bedeutung des edlen Ölbaumes“ zum Lesen empfehlen, der diesen Teil von Römer 11 in dem letztgenannten Sinn erklärt.

Siehe Graphik [Klick aufs Bild]

Anmerkungen

[1] P. Mauro in The Hope of Israel. What is it?, Boston (Hamilton Brothers) 1929, S. 27.

[2] Anm. d. Red.: Chafer ist Dispensationalist.

[3] Daniel P. Fuller, The Hermeneutics of Dispensationalism, Doktorarbeit am Northern Baptist Theological Seminary, Chicago 1957, S. 362, zitiert bei Jon Zens, 2005, in „Dispensationalism and the Bible“.

[4] Jon Zens, in „Dispensationalism and the Bible“, 2005.

[5] M. Weremchuk, Weil ihr aber Söhne seid … Israel, die Kirche und das Erwachsenwerden, Hamburg (Reformatorischer Verlag Beese) 2004.

[6] Robert B. Thompson, Trumpet Ministries,Israel – Geist und Fleisch“, 2009.

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