Leitverse: Jeremia 18,3.4; Römer 9,21
Jer 18,3.4: Ich ging in das Haus des Töpfers hinab, und siehe, er war gerade mit einer Arbeit auf der Scheibe beschäftigt. Und das Gefäß, das er aus dem Ton machte, missriet in der Hand des Töpfers. Und er machte wieder ein anderes Gefäß daraus, wie es in den Augen des Töpfers recht war zu tun.
Röm 9,21: Hat der Töpfer nicht Macht über den Ton, aus derselben Masse das eine Gefäß zur Ehre und das andere zur Unehre zu machen?
Es ist sehr interessant und zutiefst lehrreich für uns, die Geschichte einzelner Seelen im Wort Gottes zu verfolgen. Dabei ist es nicht nur so, dass dieses Interesse in uns wächst, während wir Gottes Handeln an Menschen „von gleichen Gemütsbewegungen wie wir“ [Jak 5,17] begreifen; sondern durch solch ein Studium lernen wir, wie Gott selbst in seiner unaussprechlichen Güte und Gnade ist: einer, der seine Gaben niemals zurückzieht und seine Berufung nie bereut; der in seiner Absicht niemals wankt, bis sie vollständig erfüllt ist an den Gefäßen, „die er zuvor zur Herrlichkeit bereitet hat – uns, die er auch berufen hat, nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den Nationen“ [Röm 9,23.24].
In all diesem Werk erstrahlt Gottes Souveränität deutlich sichtbar. Ja, Er möchte, dass wir Ihm seinen eigenen Platz darin zugestehen; Ihm, „der alles wirkt nach dem Rat seines Willens“ [Eph 1,11]. Er hat ein Recht darauf, zu handeln, wie es Ihm gefällt; der Mensch hat dieses Recht nicht. Der Mensch versucht, Gott an bestimmte selbstgemachte Gesetze zu binden und Gottes souveränen Willen so zu fesseln, dass er Ihm verwehrt, außerhalb dieser Gesetze zu handeln; aber wenn wir erst einmal wissen, dass unser Segen von seiner Absolutheit abhängt – und dass es dieser Absolutheit gefällt, sich in Gnade zu zeigen, woran Er seine Freude hat –, dann ändert sich alles. Tatsächlich müssen wir diesbezüglich vor Gott verstummen. Wir haben genauso wenig ein Recht darauf, die Erlösung unserer Seele von Ihm zu fordern, wie wir die Macht haben, den Platz mit Ihm auf seinem Thron der Herrlichkeit zu tauschen! Vielleicht empfangen wir die Gnade, diesen vermeintlichen Anspruch aufzugeben; uns Ihm zu übergeben in dem Bewusstsein, dass Er ein Recht darauf hat, genau das zu tun, was Ihm gefällt. Vielleicht stellen wir auch fest – nein, wir werden feststellen –, dass unser Anspruch auf Gnade gerade die Abwesenheit eines solchen Anspruches ist und dass die Ruhe für die Seele in seiner Natur selbst zu finden ist, die wir niemals überhaupt gekannt hätten, hätte es Ihm nicht gefallen, sie uns in Christus zu offenbaren.
Es gefiel Ihm, eine Welt zu erschaffen und sie rotierend in den Raum zu setzen zwischen zahllose Himmelskörper, die um uns herum scheinen. Es gefiel Ihm, der Sünde und dem Tod zu erlauben, in diesen schönen Ort einzudringen. Wer kann darauf etwas entgegnen? Es gefiel Ihm, ein Volk zu erwählen und aus dieser Welt herauszurufen und ihm zu erlauben, sich selbst zu zerstören, während Er es voller Langmut ertrug, bis „keine Heilung mehr war“ [2Chr 36,16]. Es gefiel Ihm, seinen Sohn zu senden, damit Er das Kreuz ertrug und Gottes Zorn trug. Wer war in all dem vor Ihm? Nicht einer! In allen Dingen, die Er wirkte, erlaubte Er; Er befahl; und Er ist es, der das trotzige Herz ins Verhör nimmt, das wagt zu fragen: „Warum tadelt er denn noch? Denn wer hat seinem Willen widerstanden?“ Er ist es, der sich gnädig zu der Antwort herablässt: „Wer bist du denn, o Mensch, der du das Wort nimmst gegen Gott? Wird etwa das Geformte zu dem, der es geformt hat, sagen: Warum hast du mich so gemacht?“ (Röm 9,19.20).
Haben wir je im Haus eines Töpfers gestanden und ihm zugeschaut, wie er mit der Scheibe arbeitete? Der Handwerker nimmt einen Klumpen Ton; er drückt ihn auf die Scheibe; die Scheibe dreht sich vor seinen Augen. Wo, frage ich, ist in diesem Augenblick das Gefäß? Es ist im Kopf des Töpfers, bevor es geformt wird: Das Design ist da. Seine Finger geben der Masse vor ihm eine Form; schrittweise wächst sie vor seinem Auge in die Höhe; schrittweise wird der Gedanke in seinem Kopf auf den Ton übertragen. Dieser steigt vor ihm in die Höhe, und die bisher unausgesprochenen Gedanken werden zu dem Gefäß, das seine Finger gestalten.
Er sieht einen Makel, eine Unvollkommenheit im Ton. Andere haben diesen Makel beim Betrachten nicht entdeckt, weil ihnen das Auge des Künstlers fehlt. Er zerdrückt den Ton unter seiner Hand wieder zu einer formlosen Masse. Und wieder formen und gestalten seine Finger ihn zu seinem Design. Wieder und wieder erscheinen die Mängel. Wieder und wieder wird der Ton zu einer formlosen Masse reduziert, bis er endlich in der Vollkommenheit des Designs vor den Augen des Töpfers in die Höhe steigt; dessen Augen begutachten ihn mit Zufriedenheit und Stolz; und er entfernt ihn von der Scheibe, damit er seinen Platz zwischen den auserlesenen irdenen Gegenständen ringsumher einnehmen kann.
Wo ist nun der Töpfer? Wo war das Gefäß, bevor er begann? Es war im Töpfer! Wo ist nun der Töpfer? Er ist in dem Gefäß. Alles, was er in seinem Kopf entworfen und gefertigt hat, ist dort zu sehen. Das Gefäß ist zu dem Zweck geeignet, für den der Töpfer es vorgesehen hatte.
Und dies ist die Geschichte der Seele. Der Ton ist in der Hand des Töpfers. Seine Finger gestalten ihn und er ist makelbehaftet; der Ton benötigt noch mehr seiner geduldigen Bearbeitung und Geschicklichkeit. Er ist noch nicht glatt und gleichmäßig, auch nicht gefügig in seiner Hand. Also zerdrückt Er ihn ein ums andere Mal. Er hatte gedanklich schon das vollkommene Gefäß vor Augen und beabsichtigt, es herzustellen, bevor seine Hand den Ton nahm und ihn auf die Scheibe legte. Aber wenn alles getan ist, hat Er seine Gedanken mit unfehlbarer Geschicklichkeit auf den Ton übertragen; der Töpfer ist nun im Werk seiner Hände zu sehen; und es ist ein Gefäß des Erbarmens, das Er zur Herrlichkeit vorher bereitet hat.
Wie wichtig ist die Notwendigkeit, während dieses Zerdrücken stattfindet, diese geschickten Arbeiten der Hand des Töpfers zu deuten! Wie oft werden die Lektionen missverstanden oder überhaupt nicht begriffen! In der Geschichte der verschiedenen Seelen im Wort Gottes ist dieses Handeln zu sehen; die Erfolge werden erzielt. Darin lesen wir die Geschichte seines Handelns an unserer eigenen Seele und des Werkes der Hände Gottes. Wir suchen dann nach den schönen Linien, die von seiner Hand stammen; wir fügen uns den Dingen, die geschehen; wir sehen das Ziel des Herrn: Wir wissen, wie es kommt, dass alle Dinge zum Guten mitwirken denen, die Gott lieben und die nach seinem Vorsatz berufen sind [Röm 8,28].
Wie ein Töpfer (yatsar) nahm Gott der Herr bei der ersten Schöpfung Staub vom Erdboden und formte daraus einen Menschen; „und hauchte in seine Nase den Odem des Lebens; und der Mensch wurde eine lebendige Seele“ [1Mo 2,7]. Doch das Gefäß wurde verdorben. Wieder nahm der göttliche Töpfer ein Stück von demselben Klumpen, wendete aufs Neue seine Geschicklichkeit auf und formte ein Gefäß der Barmherzigkeit zur ewigen Herrlichkeit: eine neue Schöpfung „in Christus“.
„Chapter 1: The Vessel in The Potter: The Potter in The Vessel“ aus A Chosen Vessel
Übersetzung: S. Bauer