Biblische Begriffe kurz erklärt: Geheimnisse
Aus „Doctrinal definitions“

Stanley Bruce Anstey

© SoundWords, online seit: 10.01.2023, aktualisiert: 15.02.2023

Ein „Geheimnis“ ist in der Heiligen Schrift nicht etwas Geheimnisvolles und Rätselhaftes, sondern ein offenes Geheimnis, das den Menschen unbekannt war, bevor es offenbart wurde (5Mo 29,28).

William Kelly sagt:

„Das Geheimnis seines Willens“: Das bedeutet nicht etwas, was man nicht verstehen kann, sondern etwas, was man erst dann wissen konnte, als Gott es  mitgeteilt hat … Das Wort „Geheimnis“ bedeutet, was Gott gern geheim halten wollte – etwas, was Er vorher nicht offenbart hatte –, was aber durchaus verstanden werden kann, wenn es entfaltet wird. Ein „Geheimnis“ im landläufigen Sinn ist etwas völlig anderes als ein „Geheimnis“, wie es im Wort Gottes verwendet wird.[1]

Die „Geheimnisse Gottes“ (1Kor 4,1; 13,2; 14,2) sind bestimmte Aspekte der Wahrheit, die Gott den Menschen nicht bekannt gemacht hatte, bevor der Herr Jesus Christus kam und der Heilige Geistes gesendet wurde (Röm 16,25; Eph 3,5; Kol 1,26). Sie bilden im Wesentlichen die christliche Offenbarung der Wahrheit. Die Apostel waren die „Verwalter“ dieser Geheimnisse und hatten somit die Aufgabe, sie der Kirche bekanntzumachen (1Kor 4,1).

William Kelly sagt:

Die „Verwalter der Geheimnisse Gottes“ sind diejenigen, die berufen und verantwortlich sind, die besonderen Wahrheiten des Christentums bekannt zu machen.[2]

Als solche, die an den Herrn Jesus Christus glauben, haben Christen im Allgemeinen das Vorrecht, in diese Geheimnisse des Herzens Gottes eingeweiht zu werden (Joh 15,15; Röm 16,25.26; Eph 1,8.9; Kol 2,2.3). Da diese Wahrheit in den inspirierten Schriften der Apostel offenbart ist, sind sie nun der gemeinsame Besitz aller Gläubigen. Daher gibt es keine besondere Klasse von eingeweihten Christen, die in diesen Dingen einen „Geheimtipp“ hätten; diese kostbaren Wahrheiten sind für die ganze Kirche Gottes bestimmt. Die christliche Offenbarung der Wahrheit ist nicht an die Apostel überliefert worden, sondern durch die Apostel „an die Heiligen“. Die Heiligen sind also die Hüter der Wahrheit; sie sollen „für den einmal den Heiligen überlieferten Glauben kämpfen“ (Jud 3), indem sie ihn kennen, in ihm wandeln und ihn verkünden.

Im Neuen Testament gibt es eine Reihe von Hinweisen auf diese „Geheimnisse“. Das Wort im griechischen Text (mysterion) kommt etwa 27- oder 28-mal vor und hat Bibellehrer dazu veranlasst, sie in Kategorien einzuteilen. Einige sprechen von sieben Geheimnissen, andere von zehn, wieder andere von zwölf, vierzehn, siebzehn usw. Die Meinungsverschiedenheiten darüber, wie viele es wirklich sind, rühren daher, dass nicht berücksichtigt wird, dass in einigen der Bibelstellen von demselben Geheimnis die Rede ist, jedoch mit leicht unterschiedlichen Formulierungen. Die meisten sagen, dass es zehn Geheimnisse sind:

1. Die Geheimnisse des Reiches Gottes

Mt 13,11: Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Weil es euch gegeben ist, die Geheimnisse des Reiches der Himmel zu erkennen, ihnen aber ist es nicht gegeben.

Mk 4,11: Er sprach zu ihnen: Euch ist es gegeben, das Geheimnis des Reiches Gottes zu erkennen; denen aber, die draußen sind, wird alles in Gleichnissen zuteil.

Lk 8,10: Er aber sprach: Euch ist es gegeben, die Geheimnisse des Reiches Gottes zu erkennen, den Übrigen aber in Gleichnissen, damit sie sehend nicht sehen und hörend nicht verstehen.

Der Herr weist seine Jünger darauf hin, dass es mehrere „Geheimnisse“ (Plural) im Zusammenhang mit dem Reich Gottes gibt. Er spielt damit auf eine Untergruppe von zehn Gleichnissen an, die im Matthäusevangelium beschrieben werden und eine besondere Art von Gleichnis darstellen. Das Gleichnis beginnt jeweils mit dem Satz: „Das Reich der Himmel ist wie …“ (Mt 13,24.31.33.44.45.47; 18,23; 20,1; 22,1; 25,1). Diese Gleichnisse beschreiben die ungewöhnliche Form, die das Reich in der heutigen Zeit annimmt, wenn der König abgelehnt wird und von dieser Welt abwesend ist. Sie dienen einem doppelten Zweck: Sie vermitteln denen, die den Herrn angenommen haben, ein Verständnis für die Dinge, die das Reich Gottes betreffen, doch sie dienen auch dazu, die Wahrheit vor denen zu verbergen, die nicht an Ihn glauben (Mt 13,10-17).

Diese zehn Gleichnisse deuten auf Folgendes hin: Das Reich ist in der heutigen Zeit ohne einen sichtbaren König, ohne ein irdisches Verwaltungszentrum und ohne nationale Grenzen, und die meisten Untertanen des Königs sind nur  dem äußeren Bekenntnis nach Gläubige. Sie erkennen die Autorität des Königs nicht an und leben so, als ob Er nicht existierte. Darüber hinaus deuten diese Gleichnisse darauf hin, dass diese seltsamen Umstände und die Vermischung von echten und nur bekennenden Gläubigen im Reich weiterbestehen, bis der Herr erscheint. Diese „Geheimnisse des Reiches“ stellen eine Wahrheit dar, die in alttestamentlichen Zeiten unbekannt war, jetzt aber allen, die glauben, offensteht. (Siehe Königreich der Himmel.)

2. Das Geheimnis des Willens Gottes in Bezug auf Christus und die Kirche

Röm 16,25: Dem aber, der euch zu befestigen vermag nach meinem Evangelium und der Predigt von Jesus Christus, nach der Offenbarung des Geheimnisses, das ewige Zeiten hindurch verschwiegen war

Eph 1,9.10: Er hat uns kundgetan das Geheimnis seines Willens, nach seinem Wohlgefallen, das er sich vorgesetzt hat in sich selbst für die Verwaltung der Fülle der Zeiten: alles unter ein Haupt zusammenzubringen in dem Christus.

Lies auch: Epheser 3,3.4.9; 5,25-32; 6,19; Kolosser 1,26.27; 2,2.3; 4,3.

Dieses Geheimnis wird als „groß“ bezeichnet (Eph 5,32), weil es das Juwel aller Geheimnisse ist und etwas, was dem Herzen Gottes nahe ist. Es offenbart die Wahrheit über Christus und die Kirche und stellt Gottes großen Vorsatz dar, die Herrlichkeit dieser Beziehung an einem kommenden Tag vor der Welt zu offenbaren.

Die Wahrheit, die in diesem Geheimnis offenbart wird, war von Grundlegung der Welt an im Herzen Gottes „verborgen“ (Eph 3,9). Das Geheimnis, das jetzt bekannt gemacht ist, besteht darin, dass Gott die Herrlichkeit Christi vor der Welt zur Schau stellt durch ein besonders gestaltetes Gefäß des Zeugnisses: die Kirche, die sein Leib und seine Braut ist (Eph 1,22.23; 5,25-32; Off 21,9–22,5). Diese Offenbarung wird in zwei Sphären – im Himmel und auf der Erde – stattfinden, und zwar in der „Verwaltung der Fülle der Zeiten“, das heißt im Tausendjährigen Reich (Eph 1,10; „der Christus“ bezieht sich auf die geheimnisvolle Vereinigung von Christus und der Kirche).

William Kelly sagt:

Ohne Zweifel war das Geheimnis durch den Heiligen Geist den heiligen Aposteln und Propheten geoffenbart worden. […] Dieses Geheimnis besteht aus zwei großen Teilen. Der erste ist: Christus sollte in den Himmel erhöht werden über alle Fürstentümer und Gewalten. Als Haupt über das Erbe aufgrund des Erlösungswerkes sollte Ihm das ganze All gegeben werden. Außerdem ist Er als Der, welcher als Haupt über alles im Himmel und auf Erden erhöht und mit dem die Versammlung als sein Leib vereinigt ist, auf diese Weise als Haupt über alles der Versammlung gegeben. Die andere Seite des Geheimnisses ist: Christus in den Heiligen hienieden […]. Im Epheserbrief hebt der Apostel mehr den ersten dieser beiden großen Gesichtspunke hervor, im Kolosserbrief den zweiten.[3]

3. Das Geheimnis des Glaubens

1Tim 3,9: Sie bewahren das Geheimnis des Glaubens in reinem Gewissen.

Dies bezieht sich auf die besondere Offenbarung der Wahrheit, die durch das Kommen des Heiligen Geistes offenbart wurde. Es beinhaltet die besonderen Segnungen des Gläubigen in Verbindung mit der Lehre des Paulus und die Ordnung des Verhaltens des Christen in Übereinstimmung mit der gegenwärtigen „Verwaltung“ (1Tim 1,4). All dies war in alttestamentlichen Zeiten unbekannt.

4. Das Geheimnis der Gottseligkeit

1Tim 3,16: Und anerkannt groß ist das Geheimnis der Gottseligkeit: Er, der offenbart worden ist im Fleisch, ist gerechtfertigt im Geist, gesehen von den Engeln, gepredigt unter den Nationen, geglaubt in der Welt, aufgenommen in Herrlichkeit.

Dies bezieht sich auf das Geheimnis eines Gott wohlgefälligen Lebens. Paulus sagte zu Timotheus, dass er, wenn er wissen wolle, „wie man sich verhalten soll im Haus Gottes“ (1Tim 3,15), nur auf den Herrn Jesus und seinen vollkommenen Weg in dieser Welt schauen müsse. Das Geheimnis eines gottesfürchtigen Lebens liegt also darin, den Wandel und die Wege Christi kennenzulernen und Ihm nachzueifern. Das konnten die Gläubigen des Alten Testamentes nicht wissen, denn Christus war noch nicht gekommen, um uns das vollkommene Muster der Frömmigkeit zu geben.

William Kelly sagt:

Das (jetzt offenbarte) Geheimnis der Frömmigkeit oder Gottseligkeit ist die Wahrheit über Christus. Er ist die Quelle, die Kraft und das Vorbild dessen, was praktisch für Gott annehmbar ist – seine Person, wie sie jetzt bekannt gemacht worden ist.[4]

Das Nachdenken über Ihn und seinen Lebenswandel wird uns dazu bringen, sein Leben nachzuahmen, und so werden wir in der Welt in wahrer Gottseligkeit wandeln.

5. Das Geheimnis der Verherrlichung der Gläubigen

1Kor 15,51-57: Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden zwar nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden, in einem Nu, in einem Augenblick, bei der letzten Posaune; denn posaunen wird es, und die Toten werden auferweckt werden unverweslich, und wir werden verwandelt werden. Denn dieses Verwesliche muss Unverweslichkeit anziehen und dieses Sterbliche Unsterblichkeit anziehen. Wenn aber dieses Verwesliche Unverweslichkeit anziehen und dieses Sterbliche Unsterblichkeit anziehen wird, dann wird das Wort erfüllt werden, das geschrieben steht: „Verschlungen ist der Tod in Sieg.“ „Wo ist, o Tod, dein Sieg? Wo ist, o Tod, dein Stachel?“ Der Stachel des Todes aber ist die Sünde, die Kraft der Sünde aber das Gesetz. Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unseren Herrn Jesus Christus!

1Thes 4,15-18: Denn dieses sagen wir euch im Wort des Herrn, dass wir, die Lebenden, die übrigbleiben bis zur Ankunft des Herrn, den Entschlafenen keineswegs zuvorkommen werden. Denn der Herr selbst wird mit gebietendem Zuruf, mit der Stimme eines Erzengels und mit der Posaune Gottes vom Himmel herabkommen, und die Toten in Christus werden zuerst auferstehen; danach werden wir, die Lebenden, die übrigbleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden in Wolken dem Herrn entgegen in die Luft; und so werden wir allezeit bei dem Herrn sein. So ermuntert nun einander mit diesen Worten.

Dies bezieht sich auf die Offenbarung der Wahrheit über „Leben und Unverweslichkeit“, die durch das Evangelium ans Licht gebracht worden ist (2Tim 1,10). Die Auferstehung selbst war kein Geheimnis. Die Gläubigen des Alten Testamentes wussten, dass Gott die Toten auferwecken würde, und sie freuten sich auf die Zeit, wenn dies geschehen würde (Hiob 14,10-14; Ps 16,10.11; 17,15). Es war sogar ein Teil des orthodoxen jüdischen Glaubens (Joh 11,24; Apg 23,8; 26,8; Heb 6,2). Nur die Art und Weise, wie sie auferweckt werden würden, und den Zustand, in den sie verwandelt werden würden, kannten sie nicht. Auch wussten sie nicht, wann dies geschehen würde. Sie glaubten einfach, dass dies irgendwie „am letzten Tag“ geschehen würde (Joh 11,24).

Diese Dinge sind durch das Evangelium ans Licht gebracht worden und im Neuen Testament ein offenes Geheimnis. Wir wissen jetzt, dass „die durch Jesus Entschlafenen“ (1Thes 4,14) zur Zeit der Entrückung in „Unverweslichkeit“ – einem verherrlichten Zustand – auferweckt werden (1Kor 15,51-56; Phil 3,21; 1Thes 4,15-18). Wir wissen auch, dass zur selben Zeit die lebenden Heiligen eine wunderbare Veränderung der Verherrlichung erfahren und „Unsterblichkeit anziehen“ werden (Röm 8,11; 1Kor 15,53; 2Kor 5,4). Das Ergebnis wird sein, dass die Gläubigen „das Bild des Himmlischen“ – Christus – tragen werden (1Kor 15,49). Sie werden Ihm moralisch (1Joh 3,2) und leiblich (Phil 3,21) ähnlich sein. Das war in alttestamentlichen Zeiten nicht bekannt.

6. Das Geheimnis der Sterne und Leuchter

Off 1,12.20: Und ich wandte mich um, die Stimme zu sehen, die mit mir redete, und als ich mich umgewandt hatte, sah ich sieben goldene Leuchter … Das Geheimnis der sieben Sterne, die du in meiner Rechten gesehen hast, und die sieben goldenen Leuchter: Die sieben Sterne sind Engel der sieben Versammlungen, und die sieben Leuchter sind sieben Versammlungen.

Dies bezieht sich auf die Verantwortung, die die Ältesten/Aufseher (in den örtlichen Versammlungen, wo sie sich aufhalten) haben, um die Versammlung nach dem Willen des Herrn in der Lehre und in der Praxis zu führen. Bei der Auslegung dessen, was Johannes in der ersten Vision des Buches (Off 1,12-16) gesehen hatte, erklärt der Herr, dass „die sieben goldenen Leuchter“ die örtlichen Versammlungen sind, die auf der Erde als öffentliche Zeugen für Ihn als Lichtträger eingesetzt sind in den Gemeinschaften, wo sie sich befinden. Er sagt auch, dass die sieben „Sterne“ die „Engel“ dieser Versammlungen sind und in seiner „rechten Hand“ stehen (Off 1,20; 2,1). Als „Sterne“ sollten die Ältesten in diesen Versammlungen Licht, Weisheit und Führung für die verschiedenen Situationen bieten, denen die Versammlungen gegenüberstehen würden. Dass sie auch „Engel“ genannt werden, deutet darauf hin, dass diese geistlichen Führer als Boten des Herrn handeln sollten, indem sie dafür sorgen, dass die Dinge in rechter Weise geschehen. Dass sie in seiner „rechten Hand“ sind, weist darauf hin, dass sie für Ihn als seine Vertreter handeln sollen und Ihm somit direkt verantwortlich sind. Auch das war in alttestamentlicher Zeit nicht bekannt, denn diese Funktion bezieht sich nur auf die Kirche und ihr Zeugnis auf der Erde, und die Wahrheit der Kirche war in jenen Tagen noch nicht offenbart worden.

7. Das Geheimnis des Ölbaums

Röm 11,25: Denn ich will nicht, Brüder, dass euch dieses Geheimnis unbekannt sei, damit ihr nicht euch selbst für klug haltet: dass Israel zum Teil Verhärtung widerfahren ist, bis die Vollzahl der Nationen eingegangen ist.

Dieses Geheimnis hat mit der dispensationalen Wahrheit zu tun. Die dispensationale Wahrheit ist die biblische Lehre, die zwischen den verschiedenen Dispensationen (Haushaltungen/Verwaltungen) unterscheidet, die das Haus Gottes im Laufe der Zeitalter hatte oder haben wird. (Siehe Dispensationen.) Die dispensationale Wahrheit im Zusammenhang mit dem „Ölbaum“ bezieht sich auf die Unterbrechung der Dispensation des Gesetzes, in der Gott mit Israel handelte. Diese Unterbrechung wurde herbeigeführt, weil die Juden Christus ablehnten. Während dieser Unterbrechung wendet sich Gott den Heiden zu und verschafft ihnen einen Platz der Gunst. Dies wird in Römer 11,17 angedeutet, wo der Apostel Paulus erklärt, dass die natürlichen Zweige des Ölbaums „ausgebrochen“ und Zweige eines „wilden Ölbaums“ in den Baum eingepfropft wurden. Das bedeutet nicht, dass die heidnische Welt durch das Evangelium gerettet wird, sondern dass ihnen Gelegenheit und Gnade zuteilgeworden sind.

Weiter heißt es, dass die Masse der Heiden, die dieses Vorrecht äußerlich (als Bekenntnis) annehmen, sich als Ungläubige erweisen werden und dass auch sie als Zweige „ausgebrochen“ werden und Gott die natürlichen Zweige wieder aufnimmt und einpfropft (Röm 11,18-24). Diese Wiedereinpfropfung wird erst dann stattfinden, wenn „die Vollzahl der Nationen eingegangen ist“ (Röm 11,25). Dies bezieht sich auf die volle Zahl der Gläubigen aus den Heiden, die „zum ewigen Leben bestimmt“ (Apg 13,48) sind, an das Evangelium glauben und gerettet werden. Sobald dies geschehen ist, wird Gott sich wieder Israel zuwenden und dieses Volk retten (Röm 11,26-29). Auch diese Hinwendung zu den Heiden findet sich nicht im Alten Testament, und deshalb wussten die Gläubigen des Alten Testamentes nichts davon (5Mo 29,28).

8. Das Geheimnis der Gesetzlosigkeit

2Thes 2,6.7: Und jetzt wisst ihr, was zurückhält, damit er zu seiner Zeit offenbart wird. Denn schon ist das Geheimnis der Gesetzlosigkeit wirksam; nur ist jetzt der da, der zurückhält, bis er aus dem Weg ist.

Dieses „Geheimnis“ hat mit dem Geist des Ungehorsams zu tun, der sich im christlichen Bekenntnis und in der Welt allgemein ausbreitet. Es bezieht sich auf das Wirken des menschlichen Verstandes gegen den Willen Gottes in göttlichen und weltlichen Dingen durch den Einfluss des Teufels. Das geheime Wirken der Gesetzlosigkeit war schon zur Zeit der Apostel im Gange, und es wird weiter zunehmen, bis die Gesetzlosigkeit sich im Abfall des „Menschen der Sünde“ (des Antichristen) voll entfalten wird.

Es ist nicht so, dass Gott dem Wirken der Gesetzlosigkeit keine Schranken gesetzt hätte. Der Apostel Paulus erwähnt, dass Gott zwei Schranken hat, die Er auf der Erde gesetzt hat, um das Fortschreiten der Gesetzlosigkeit zu bremsen. Paulus definiert diese Schranken folgendermaßen:

  • „was zurückhält“ (2Thes 2,6)
  • „der zurückhält“ (2Thes 2,7)

„Was zurückhält“ – das bezieht sich auf das Prinzip von Recht und Ordnung in der menschlichen Regierung, das Gott nach der Sintflut in die Hand des Menschen gelegt hat, damit der Mensch es ausübt (1Mo 9,5.6; Pred 5,8; Röm 13,1-7).

John Nelson Darby sagt:

Daher ist das, was ihn zurückhält, die Macht Gottes, die hienieden in den Obrigkeiten wirksam ist, die ihre Gewalt von Ihm haben. Selbst der größte Missbrauch der Gewalt entkleidet diese noch nicht jenes Charakters. Christus konnte zu Pilatus sagen: „Du hättest keinerlei Gewalt gegen mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre“ (Joh 19,11). Wie böse Pilatus auch sein mochte,  so wird doch seine Gewalt, als von Gott kommend, anerkannt.[5]

John Nelson Darby sagt auch:

„Das, was zurückhält“, bedeutet im Griechischen eine Sache. Was ist es? Gott hat uns nicht gesagt, was es ist, und dies zweifellos deshalb, weil das, was damals zurückhielt, nicht das ist, was heute zurückhält. Damals war es in gewissem Sinne das Römische Reich, wie die Väter dachten, die in der Macht des Römischen Reiches ein Hindernis für die Offenbarung des Menschen der Sünde sahen und deshalb für das Gedeihen dieses Reiches beteten. Gegenwärtig ist das Hindernis die Existenz der von Gott in der Welt eingesetzten Regierungen.[6]

Der zweite Zurückhalter, den Paulus erwähnt, ist „der, der zurückhält“ (2Thes 2,7). Dies bezieht sich auf eine göttliche Person: auf den Heiligen Geist, der auf der Erde in der Kirche wohnt und der das Böse in verschiedenen Bereichen zurückhält. Der Apostel Paulus sagt, dass der Geist zurückhalten wird, „bis er aus dem Weg ist“. Es gibt also eine Zeit, wenn der Heilige Geist nicht mehr auf der Erde wohnen wird. Da der Geist „in Ewigkeit“ in der Kirche wohnt (Joh 14,16), wird der Geist die Erde verlassen, wenn der Herr die Kirche bei der Entrückung von der Erde abberuft.

Edward Dennett sagt:

Was Paulus in 2. Thessalonicher 2 lehrt: Das, was die Manifestation dieses Monsters der Ungerechtigkeit zum jetzigen Zeitpunkt zurückhält, ist die Gegenwart des Heiligen Geistes auf der Erde in der Kirche.[7]

Dass der Geist „aus dem Weg ist“, bedeutet nicht, dass Er aufhört, auf der Erde zu wirken. Er wird weiterhin auf der Erde wirken, aber vom Himmel aus, wie Er es in alttestamentlichen Zeiten tat.

Gesetzlosigkeit gibt es in der Welt und in der Kirche. Auch der Abfall – das Aufgeben eines Bekenntnisses, das man einmal abgelegt hat – ist am Werk. (Echte Gläubige fallen nicht vom Glauben ab. Sie werden vielleicht von der Strömung des Glaubensabfalls mitgerissen und fangen an, bestimmte Lehren und Praktiken aufzugeben, aber sie werden niemals öffentlich das Bekenntnis ihres Glaubens an Christus aufgeben.) Das geheime Wirken der Gesetzlosigkeit nimmt auf der Erde zu, weil der erste Zurückhalter durch eine stetige Zunahme des Abfalls in der menschlichen Regierung langsam schwächer wird. Da der Geist Gottes von den Christen mehr und mehr missachtet wird, wird Er auch immer mehr betrübt und übt folglich seine Macht, das Böse zu zügeln, nicht so aus, wie Er es könnte, wenn Er seinen rechtmäßigen Platz im christlichen Zeugnis bekäme. Aber wenn die Kirche und der Heilige Geist „aus dem Weg“ sind, wird das Böse in noch nie da gewesener Weise hereinströmen. Dieses offene Geheimnis lässt uns wissen, dass das Wirken der Gesetzlosigkeit in den Gerichten des Herrn bei seiner Erscheinung ein Ende haben wird (2Thes 2,8).

9. Das Geheimnis Babylons, die große, die Mutter der Huren

Off 17,5: Und an ihrer Stirn hatte sie einen Namen geschrieben: Geheimnis, Babylon, die große, die Mutter der Huren und der Gräuel der Erde.

Dieses Geheimnis offenbart Folgendes: Nachdem die wahre Kirche bei der Entrückung von der Erde abgerufen worden ist, wird die falsche Kirche, die nur aus bekennenden Gläubigen besteht (die zurückbleiben werden), vom römisch-katholischen System angeführt werden. Sie wird den Charakter religiöser Verwirrung und Gotteslästerung haben, wofür das historische Babylon bekannt war; daher wird diesem System der gleiche Titel gegeben. Die falsche Kirche wird ihr Geld und ihren Einfluss in der politischen Arena nutzen, um die Nationen in Westeuropa in einer Zehn-Nationen-Konföderation zu vereinen (Off 6,1.2; 17,12.13). Dies ist in Wirklichkeit eine Wiederbelebung des Römischen Reiches (Dan 2,40-43; 7,7.8; Off 17,7-11). So wird die Kirche von Rom in ihrer kirchlichen Korruption die westlichen Supermächte kontrollieren, wie es in der Frau, die auf dem Tier reitet, dargestellt ist (Off 17,1-4). Diese beherrschende Macht wird nur „eine kurze Zeit bleiben“ (Off 17,10). Das heißt, sie wird nur für die ersten dreieinhalb Jahre von Daniels siebzigster Woche andauern (Dan 9,27). In der Mitte der prophetischen Woche wird sich die politische Seite des Reiches, die von Satan angetrieben wird, erheben und das verderbte religiöse System zerstören (Off 17,16-18). Da die Gläubigen des Alten Testamentes das ganze Thema Kirche nicht kannten, wussten sie auch nichts von der Existenz der falschen Kirche und ihrer Verdorbenheit.

10. Das Geheimnis Gottes[8]

Off 10,7: In den Tagen der Stimme des siebten Engels, wenn er posaunen wird, ist auch das Geheimnis Gottes vollendet, wie er seinen Knechten, den Propheten, die gute Botschaft verkündigt hat.

Das „Geheimnis“ in Offenbarung 10 hat damit zu tun, dass das „unergründliche“ Geheimnis der „Wege“ Gottes mit den Menschen (Röm 11,33) endlich offenbart wird. Jahrtausendelang hat Gott zugelassen, dass böse Menschen in ihrer Bosheit fortfahren und scheinbar ungestraft davonkommen. Seine lange Geduld und Nachsicht mit der Sünde und den Sündern in dieser Welt ist in der Tat verwirrend. Wenn jedoch Christus bei seiner Erscheinung öffentlich eingreift und die Welt in Gerechtigkeit richtet (Apg 17,30.31), wird das Geheimnis Gottes „vollendet“ sein. Das heißt: Wenn Gott seine Gerichte über die Erde bringt, wird dieses Geheimnis ein offenes Geheimnis werden, und es wird offenbar werden, dass all sein Handeln durch die Zeitalter hindurch gerecht war, und so wird Gott in allem gerechtfertigt sein.

Das dunkle und unheilvolle Wirken des Bösen, das heute scheinbar unkontrolliert vor sich geht, war für den menschlichen Verstand schon immer schwer zu begreifen. Warum, so wird oft gefragt, lässt Gott zu, dass das Böse in der Welt weitergeht und wächst, ohne es zu richten? Diese Ratlosigkeit wird in der Klage Asaphs in Psalm 73 zum Ausdruck gebracht. Während alle früheren Geheimnisse uns jetzt offenbart worden und zu offenen Geheimnissen geworden sind, müssen wir darauf warten, dass dieses letzte Geheimnis offenbart wird – und das wird geschehen, wenn der Herr erscheint.

William Kelly sagt:

Das Geheimnis ist hier nicht Christus und die Kirche, sondern dass Gott es zulässt, dass das Böse in seinem gegenwärtigen Lauf scheinbar ungestraft weitergeht.[9]

Gott wird das Geheimnis seiner gegenwärtigen scheinbaren Untätigkeit in der öffentlichen Regierung der Erde beenden.[10]

Hamilton Smith sagt:

Das in diesem Abschnitt [Off 10,5-7] erwähnte Geheimnis Gottes bezieht sich auf die Tatsache, dass Gott während langen Jahrhunderten nicht öffentlich in die Angelegenheiten der Menschen eingegriffen hat. Die Bosheit der Menschen hat stetig zugenommen, ohne durch ein öffentliches  Dazwischentreten Gottes gehindert zu werden. Gott überließ den Menschen sich selbst, um ihre Lüste zu erfüllen, um ihre ehrgeizigen Ziele zu erreichen und um in ihrer Rebellion gegen Gott und in der Verfolgung seines Volkes fortzuschreiten. Während den Jahrhunderten ist das Volk Gottes gefoltert, aus seinen Wohnorten vertrieben und auf Scheiterhaufen verbrannt worden, und Gott hat – wie es schien – nicht eingegriffen. Und das, was man das Schweigen Gottes nennt, ist ein großes Geheimnis.[11]


Engl. Originaltitel: „The Mysteries“
aus Doctrinal Definitions. A Handbook of Doctrinal Terms and Expressions in the New Testament
Hamer Bay, Kanada (Christian Truth Publishing) 2016

Übersetzung: Stephan Isenberg

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Anmerkungen

[1] W. Kelly, Epistle of Paul, the Apostle, to the Ephesians with a new translation, S. 25.

[2] W. Kelly, An Exposition of Timothy, S. 63.

[3] W. Kelly, Bemerkungen über den Brief an die Kolosser, Hückeswagen (CSV) 1981, S. 48–49.

[4] W. Kelly, An Exposition of Timothy, S. 72.

[5] J.N. Darby, Betrachtung über 2. Thessalonicher (Synopsis), Kommentar zu 2. Thessalonicher 2. Online auf: bibelkommentare.de.

[6] J.N. Darby, Collected Writings, Bd. 27, S. 302–303.

[7] E. Dennett, Christ as the Morning Star and the Sun of Righteousness, S. 46.

[8] Dieses „Geheimnis“ ist nicht dasselbe wie „das Geheimnis Gottes“ in Kolosser 2,2, das einen Aspekt des Geheimnisses Christi und der Kirche darstellt.

[9] W. Kelly, The Revelation Expounded, S. 127.

[10] W. Kelly, The Revelation Expounded, S. 126.

[11] H. Smith, Die Zeit ist nahe! Die Offenbarung besser verstehen, Zürich (Beröa) 1993, S. 85.

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