Brief von J.N. Darby an Professor Tholuck
Darbys biographisches Selbstzeugnis

John Nelson Darby

© SoundWords, online seit: 03.11.2006, aktualisiert: 17.11.2022

Sehr geehrter Herr und Bruder in Christus!

Seit ich Sie das letzte Mal sah, war ich fast immer unterwegs, so dass ich Ihnen den Bericht, den Sie wünschten, nicht senden konnte. Das Beste, was ich tun kann, ist, Ihnen in aller Schlichtheit zu schildern, wie dieses Werk Gottes seinen Anfang nahm. Sie werden sicher verstehen, dass viele andere mit dem gleichen Werk beschäftigt waren und manche hingegebener und, was die Segnung der Seelen betrifft, erfolgreicher als ich. Aber ich möchte Ihnen jetzt nicht von unserer Arbeit und unseren Mühen berichten, sondern von dem Tun Gottes. Von dem Bericht können Sie das entnehmen, was Sie benötigen.

Ich war ein Rechtsgelehrter. Doch als ich fühlte, dass der Sohn Gottes sich selbst für mich hingegeben hatte, glaubte ich, dass ich mich Ihm völlig hingeben sollte. Die sogenannte Christenheit aber ist von tiefer Undankbarkeit Ihm gegenüber gekennzeichnet, und mich verlangte danach, mich dem Werk des Herrn völlig hinzugeben. Ich dachte dabei vor allem an die armen Katholiken in Irland. Man wollte mich ordinieren, doch das wollte ich nicht. Ich war jung im Glauben und kannte noch nicht die Befreiung; ich war mehr von einem Pflichtgefühl gegenüber Christus als von dem Bewusstsein erfüllt, dass Er alles für mich getan hatte und ich deshalb nun befreit und errettet bin. Deshalb folgte ich dem Rat jener, die im christlichen Leben weiter fortgeschritten waren als ich selbst.

Nachdem ich ordiniert worden war, ging ich in eine wilde, unkultivierte Gegend unter die arme irische Bergbevölkerung, wo ich zwei Jahre und drei Monate blieb und so gut wie möglich arbeitete. Dennoch fühlte ich, dass dieser Arbeitsstil weder im Einklang stand mit dem, was ich in der Bibel bezüglich Kirche und Christenheit las, noch dass er mit den Wirkungen des Handelns des Geistes Gottes übereinstimmte. Über diese Dinge dachte ich von einem biblischen und einem praktischen Standpunkt aus nach. Währenddessen erfüllte ich voller Eifer meine Pflichten, die mir auferlegt worden waren, indem ich Tag und Nacht unter den Bergbewohnern arbeitete, die fast ebenso rau waren wie die Berge, wo sie wohnten.

Ich hatte einen Unfall (mein Pferd scheute und warf mich gegen eine Tür), der mich eine Zeitlang in die Stille brachte. In dieser Zeit wurde mein Herz sehr bewegt; doch die Seelenübungen wirkten sich so aus, dass die Heilige Schrift den Sieg errang, obwohl ich sie schon immer als Wort Gottes anerkannt hatte.

Endlich verstand ich, dass ich mit Christus im Himmel einsgemacht bin und dass deshalb sein Platz vor Gott mein Platz ist. Ich erkannte, dass es nicht länger um mein elendes Ich ging, mit dem ich sechs oder sieben Jahre versucht hatte, die Forderungen des Gesetzes zu erfüllen. Ich verstand nun, dass die wahre Kirche nur aus solchen bestehen kann, die in dieser Weise mit Christus verbunden sind. Im Gegensatz dazu ist die Christenheit, so wie sie sich äußerlich darstellt, in Wirklichkeit die Welt. Sie kann nicht als „die Gemeinde“ betrachtet werden, außer im Hinblick auf ihre Verantwortung, die mit der Stellung verbunden ist, die sie einzunehmen bekannte – ein sehr wichtiger Punkt. Zur selben Zeit sah ich, dass der Christ, der seinen Platz in Christus im Himmel hat, nur auf das Kommen des Erretters wartet, um in die Herrlichkeit versetzt zu werden, die schon sein Anteil in Christus ist.

Das sorgfältige Lesen der Apostelgeschichte [besonders Apostelgeschichte 2 und 4; Anm. d. Red.] bot mir ein praktisches Bild der frühen Gemeinde, was mich den Gegensatz zu ihrem gegenwärtigen Zustand empfinden ließ, obgleich sie immer noch von Gott geliebt ist. Zu jener Zeit brauchte ich Krücken zum Laufen, so dass ich nicht mehr die Gelegenheit hatte, meine Überzeugungen in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Da mein Gesundheitszustand mir nicht erlaubte, am Gottesdienst teilzunehmen, war ich außerdem gezwungen fernzubleiben. Es schien mir, dass die gütige Hand Gottes mir in der Weise zur Hilfe kam, dass sie meine geistliche Schwäche unter körperlicher Unfähigkeit verbarg. In der Zwischenzeit wuchs in meinem Herzen die Überzeugung, dass das, was die Christenheit in der Welt erreicht hat, in keiner Weise eine Antwort auf die Bedürfnisse einer Seele ist, die eine Last empfindet über das, was Gottes heiliges Regierungshandeln auszuführen beabsichtigte. In meinem Zufluchtsort lehrte mich Jesaja 32 im Auftrag Gottes ganz deutlich, dass nach seiner Anordnung noch eine weitere Haushaltung kommen würde; ein Zustand der Dinge, wie er bis jetzt noch nicht eingeführt ist. Das Bewusstsein meiner Vereinigung mit Christus hatte mir den gegenwärtigen himmlischen Anteil an der Herrlichkeit gegeben, während dieses Kapitel den entsprechenden irdischen Anteil bekannt macht. Ich war nicht in der Lage, diese Dinge an ihren jeweiligen Platz einzuordnen oder sie der Reihe nach zu gliedern, so wie ich es nun kann, aber die Wahrheiten selbst waren mittels des Lesens seines Wortes durch das Wirken des Geistes von Gott selbst offenbart worden.

Was sollte ich tun? Ich sah in diesem Wort das Kommen Christi, der die Kirche zu sich in die Herrlichkeit holt. Ich sah dort das Kreuz, die göttliche Grundlage der Erlösung. Sie sollte im Hinblick auf das Kommen des Herrn ihren eigenen Charakter dem des Christen und dem der Kirche aufdrücken. Ich erkannte auch, dass mittlerweile der Heilige Geist als Quelle der Einheit der Kirche und ihres Wirkens und in der Tat aller christlicher Wirksamkeit gegeben worden war.

Was das Evangelium betrifft, so hatte ich keine Schwierigkeiten, seine überkommenen Glaubenslehren anzunehmen: drei Personen in einem Gott, die Gottheit Jesu, sein Sühnungswerk am Kreuz, seine Auferstehung, sein Sitzen zur Rechten Hand Gottes – das alles waren Wahrheiten, die, als orthodoxe Lehren [hier im Sinn von „der Wahrheit der Schrift entsprechende Lehre“; Anm. d. Red.] verstanden, in meiner Seele schon lange lebendige Realität waren. Sie waren die bekannten und geglaubten Zustände, die Tatsachen meiner Beziehung zu Gott. Sie waren nicht nur Wahrheiten, sondern ich kannte Gott persönlich auf diese Weise; ich hatte keinen anderen Gott als Ihn, der sich auf diese Weise offenbart hatte, und Ihn hatte ich. Er war der Gott meines Lebens und meiner Anbetung, der Gott meines Friedens, der einzige wahre Gott.

Als ich dann wieder zu predigen begann, war der praktische Unterschied in meiner Predigt folgender: Als Pfarrer hatte ich gepredigt, dass die Sünde eine Kluft zwischen uns und Gott geschaffen hatte und dass allein Christus in der Lage war, sie zu überbrücken; jetzt predigte ich, dass Er sein Werk bereits vollendet hatte. Die Notwendigkeit der Wiedergeburt, die schon immer Teil meiner Belehrung war, wurde mehr mit Christus, dem letzten Adam, verbunden, und ich verstand besser, dass es ein wirkliches Leben war, völlig neu, das durch die Kraft des Heiligen Geistes vermittelt wurde; aber, wie ich bereits sagte, mehr in Verbindung mit der Person Christi und der Kraft seiner Auferstehung, wodurch die Kraft eines Lebens, das über den Tod triumphiert, mit einer neuen Stellung des Menschen vor Gott verbunden ist. Das ist es, was ich unter „Befreiung“ verstehe. Das Blut Jesu hatte jeden Makel des Gläubigen entfernt, jede Spur der Sünde, gemäß Gottes eigener Reinheit. Kraft seines Blutvergießens – die einzig mögliche Sühnung – können wir nun alle Menschen einladen, zu Gott zu kommen, einem Gott der Liebe, der für den Gegenstand seiner Liebe seinen eigenen Sohn gegeben hat. Der Heilige Geist ist gegenwärtig und wird uns vom Himmel gesandt, um als die „Salbung“, das „Siegel“ und das „Unterpfand unseres Erbes“ im Gläubigen zu wohnen als auch in der Kirche zu sein. Er ist die Kraft, die sie zu einem Leib vereinigt und an seine Glieder nach seinem Willen Gaben austeilt. Diese Wahrheiten wurden mir groß und bekamen große Wichtigkeit in meinen Augen. Mit dieser letzten Wahrheit war die Frage des Amtes verbunden. Woher kam dieses Amt? Gemäß der Bibel kam es ganz deutlich von Gott durch das freie, unabhängige und machtvolle Wirken des Heiligen Geistes.

Zu der Zeit, als ich mich mit diesen Dingen beschäftigte, war die Person, mit der ich örtlich in christlicher Beziehung stand, als Geistlicher ein hervorragender Christ, aller Hochachtung wert und einer, für den ich große Zuneigung hegte [es war Rev. Robert Daly; Anm. d. Red.]. Ich weiß nicht, ob er noch lebt, aber zu der Zeit, über die ich spreche, wurde er zum Archidiakon[1] ernannt. Es waren jedoch die Grundsätze und nicht die Personen, die auf mein Gewissen einwirkten – denn ich hatte aus Liebe zum Retter bereits alles aufgegeben, was die Welt bieten konnte. Ich sagte zu mir selbst: Wenn der Apostel Paulus hierherkäme, würde ihm nach dem System dieser Staatskirche nicht einmal erlaubt zu predigen, da er nicht rechtsgültig ordiniert ist. Aber wenn ein Arbeiter des Satans, der mit seiner Lehre den Erretter leugnet, hierherkäme, könnte er ungehindert predigen und mein christlicher Freund wäre verpflichtet, ihn als Kollegen anzuerkennen; wohingegen er unfähig wäre, das mächtigste Werkzeug des Geistes Gottes anzuerkennen, wie sehr es auch gesegnet in seiner Arbeit ist, Tausende von Seelen zum Herrn zu führen, wenn dieser Bruder nicht gemäß den Regeln dieses kirchlichen System ordentlich ordiniert wäre. All das, sagte ich mir, ist falsch. Dies ist nicht einfach Missbrauch, wie er überall gefunden werden kann; vielmehr ist der Grundsatz des Systems falsch. Das geistliche Amt kommt vom Geist. Es gibt etliche unter den Geistlichen, die Geistliche durch den Geist sind, aber das System ist auf einem entgegengesetzten Grundsatz gegründet; infolgedessen schien es mir unmöglich, weiter darin zu verbleiben.

Ich sah in der Schrift, dass es gewisse Gaben gab, die das wahre Amt bildeten, im Gegensatz zur kirchlichen Geistlichkeit, die auf einem anderen Grundsatz stand. Rettung, Kirche und geistliches Amt, all diese Dinge waren miteinander verbunden. Alle waren auch an Christus gebunden, dem Haupt der Kirche im Himmel, an Christus, der eine vollkommene Erlösung vollbracht hatte; ebenso auch an den Heiligen Geist auf Erden, der die Glieder mit dem Haupt und untereinander vereinigt, damit sie auf diese Weise den „einen Leib“ bilden, während Er in ihnen nach seinem Willen wirkt.

Eigentlich sollte das Kreuz Christi und seine Wiederkehr die Kirche und jedes ihrer Glieder kennzeichnen. Was musste getan werden? Wo war diese Einheit, dieser „Leib“? Wo konnte die Macht des Geistes klar gesehen werden? Wo wurde der Herr wirklich noch erwartet? Nationalstaatlichkeit war mit der Welt verbunden; in ihrem Schoß [d.h. in der Staatskirche; Anm. d. Red.] waren manche Gläubige mit eben der Welt vermischt, von der Jesus sie getrennt hatte.[2] Sie waren überdies voneinander getrennt, während Jesus sie doch vereinigt hatte. Das Mahl des Herrn, Symbol der Einheit des Leibes, war zu einem Symbol der Vereinigung dieses Leibes mit der Welt geworden, das heißt genau das Gegenteil dessen, was Christus eingeführt hatte. Ein Dissenter[3] zu sein, hatte zweifellos die Folge, dass die wahren Kinder Gottes deutlicher offenbar wurden, aber hier waren sie durch Grundsätze vereint, die gänzlich anders waren als die des Leibes Christi. Wenn ich mich jenen anschloss, würde ich mich von den anderen überall trennen. Die Uneinigkeit und Zerteilung des Leibes Christi war offenbarer als seine Einheit. Was sollte ich tun? Das war die Frage, die sich mir stellte, ohne dass ich irgendeinen anderen Gedanken hatte, als meinem Gewissen gemäß dem Licht des Wortes Gottes zu folgen. Ein Wort aus Matthäus 18 lieferte die Lösung für meine Not: „Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte.“ Das war genau das, was ich wollte: Die Gegenwart Jesu wurde bei solchem Gottesdienst verheißen; dort ist es, dass Er seines Namens gedenken lässt, so wie Er es einst im Tempel in Jerusalem für jene getan hatte, die gerufen waren, dorthin zu kommen.

Vier Personen, die sich ziemlich in demselben Seelenzustand befanden wie ich [Cronin, Bellett, Hutchinson, Brooke. Alle Männer waren zu dem Zeitpunkt sehr jung, zwischen 26 und 32 Jahre alt. Anm. d. Red.], kamen in meiner Wohnung zusammen; wir sprachen zusammen über diese Dinge, und ich schlug ihnen vor, am kommenden Sonntag das Brot zu brechen, was wir auch taten. Andere schlossen sich uns dann an. Bald danach verließ ich Dublin, aber das Werk begann unmittelbar in Limerick, einer Stadt in Irland, und dann an anderen Orten.

Zwei Jahre später (1830) ging ich nach Cambridge und Oxford. Hier teilten einige Personen, die immer noch in dem Werk arbeiten, meine Überzeugungen und spürten, dass die Beziehung der Kirche zu Christus die einer treuen Ehegattin sein sollte.

Aufgrund einer Einladung ging ich nach Plymouth, um dort zu predigen. Meine Gewohnheit war, dort zu predigen, wo Menschen es wünschten, sei es in öffentlichen Gebäuden oder in Privathäusern. Mehr als einmal hatten wir das Brot gebrochen, sogar mit Pfarrern der Staatskirche, und zwar montagabends nach den Erbauungsstunden, wo jeder frei war zu sprechen, zu beten oder ein Lied vorzuschlagen. Einige Monate danach begannen wir damit, das am Sonntagmorgen zu tun mit derselben Freiheit, nur dass wir noch das Mahl des Herrn hinzunahmen. Wir hatten die Gewohnheit, und haben sie immer noch, daran jeden Sonntag teilzunehmen, gelegentlich auch öfter. Zu jener Zeit begannen einige, das Gleiche in London zu tun.

Die Einheit der Kirche als der Leib Christi, das Kommen des Herrn, die Gegenwart des Heiligen Geistes hier auf der Erde im einzelnen Gläubigen und in der Kirche; eifriges Verkünden der Wahrheit ebenso wie die Predigt des Evangeliums auf der Grundlage reiner Gnade und eines vollbrachten Werkes, die als Folge Heilsgewissheit gaben, wenn sie durch den Geist im Herzen angenommen wurden; praktische Trennung von der Welt; Ergebenheit Christus gegenüber, der die Kirche erlöst hat; ein Wandel, der nur Ihn als Antrieb und Richtschnur hat; und andere Themen in Verbindung mit diesen – all das wurde in einzelnen Veröffentlichungen als auch in regelmäßig erscheinenden Zeitschriften behandelt; und diese Wahrheiten wurden weit verbreitet.

Ziemlich viele Geistliche der Nationalkirche verließen diese, um nach diesen Grundsätzen zu leben, und in England entstanden allmählich mehr oder wenige zahlreiche Versammlungen.

Weil Plymouth der Ort war, aus dem die meisten Veröffentlichungen stammten, wurde der Name „Plymouthbrüder“ der normale Name, der diesen Versammlungen gegeben wurde.

1837 besuchte ich die Schweiz und jene Wahrheiten begannen auch dort bekannt zu werden. Ich kam mehr als einmal zurück. Beim zweiten Mal blieb ich längere Zeit in Lausanne, wo Gott Bekehrungen wirkte und wo sich eine Anzahl Kinder Gottes aus der Welt versammelte. In der Schweiz gab es bereits Dissenter, die früher für den Herrn zwanzig Jahre lang treu gelitten hatten. Aber ihre Tätigkeit hatte beträchtlich abgenommen, und es schien sogar, als ob die Bewegung im Verschwinden begriffen war. Das Werk der Brüder hatte durch die Güte des Herrn bis zu einem gewissen Grad das Land gefüllt und es gab zahlreiche Bekehrungen. In der deutschsprachigen Schweiz breitete sich die Arbeit viel weniger aus. Als ich längere Zeit in Lausanne verbrachte, kamen bei zwei Gelegenheiten einige junge Brüder, die sich dem Evangelium weihen wollten, und verbrachten fast ein Jahr mit mir, um die Bibel zu lesen. Wir teilten täglich das Mahl des Herrn miteinander.

Unabhängig von dem, was in der Schweiz geschah, hatte ein Bruder, der in Frankreich wirkte, zur gleichen Zeit in einem bedeutenden Gebiet, wo die Menschen im Allgemeinen in Unglauben und Finsternis lebten, Interesse erweckt. Auch einige der jungen Brüder, die ich erwähnt habe, und zwei oder drei andere, deren Bekanntschaft ich gemacht hatte, die aber nie bei mir wohnten, gingen nach Frankreich, um dort zu arbeiten. Andere Arbeiter, die Gesellschaften angehörten, glaubten, dass sie besser unter der unmittelbaren Leitung des Herrn arbeiten würden, als von Komitees abhängig zu sein, und gaben daher ihre bezahlte Stellung auf, weil sie solche Einrichtungen sowohl von der Praxis als auch vom Grundsatz her als der Schrift unbekannt betrachteten; da ja gerade ihr Vorhandensein dem Besitz von Geld das Recht beilegte, das Werk des Herrn zu leiten und zu führen. Diese Brüder begannen ihre Arbeit in einfältiger Abhängigkeit vom Herrn, indem sie auf seine treue Fürsorge vertrauten. Gott erweckte andere ebenso, obgleich es immer noch wahr blieb: „Die Ernte ist groß, aber der Arbeiter sind wenige.“ Gott hat diese Arbeiter mit zahlreichen Bekehrungen gesegnet, Dank sei Gott, besonders im Süden Frankreichs. Von Anfang an habe ich diese Länder besucht und mit Freude die Nöte und Mühsal dieser Brüder geteilt; aber sie sind es, die eigentlich im Werk gearbeitet haben. An einigen Orten hatte ich die ersten Schwierigkeiten; andere Orte besuchte ich nur; nahm teil und half, als die Arbeit, Dank sei Gott, schon begonnen hatte. Er bewirkte, dass wir ein Herz und eine Seele waren, uns gegenseitig halfen, das Gute für alle suchten, während wir unsere persönliche Schwachheit anerkannten.

Ungefähr zur gleichen Zeit hatte im östlichen Teil Frankreichs eine ähnliche Arbeit begonnen, unabhängig von diesem. Auch dieses wurde besucht. Damals breitete sich das Werk, mit einer ziemlich großen Lücke um die Gegend von Toulouse, von Bâle bis zu den Pyrenäen aus. Das Land ist mehr oder weniger von Versammlungen überzogen und die Arbeit geht durch Gottes Gnade immer noch weiter.

Ich sollte noch sagen, dass ich mich niemals irgendwie eingemischt habe, weder in die Berufung noch in die Arbeit der Brüder, die mit mir die Bibel studierten. Was einige betrifft, so bin ich nicht überzeugt, dass sie dazu berufen sind, und sie sind tatsächlich in das normale Alltagsleben zurückgekehrt. Was andere betrifft, so war ich ihnen nur beim Studium der Bibel behilflich, indem ich ihnen das Licht mitteilte, das Gott mir gegeben hatte; die Verantwortlichkeit für ihren Ruf in den Dienst der Evangelisation oder der Lehre überließ ich ihnen jedoch vollständig.

Wir hatten die Gewohnheit, uns gelegentlich für einige Zeit zu versammeln, wenn Gott dazu die Tür öffnete, um Gegenstände der Schrift oder ganze Bücher der Bibel miteinander zu studieren und um einander mitzuteilen, was Gott einem jeden von uns gegeben hatte. Dies fand während mehrerer Jahre in Irland und England jährlich auf großen Konferenzen statt, die eine ganze Woche dauerten. Auf dem Kontinent und neuerdings auch in England wurden diese Konferenzen weniger besucht, so dass es deshalb mit weniger Besuchern möglich war, zwei oder drei Wochen miteinander zu verbringen, um einige Bücher der Bibel zu studieren.

Mein älterer Bruder, der Christ ist, verbrachte zwei Jahre in Düsseldorf. Er arbeitet im Werk des Herrn, wo immer er auch zurzeit sein mag. Er war mehreren Seelen in der Umgebung Düsseldorfs ein Segen. Diese nun haben ihrerseits das Licht des Evangeliums und die Wahrheit verbreitet und eine gewisse Anzahl von Menschen versammeln sich seitdem im Rheinland. Traktate und andere Veröffentlichungen der Brüder wurden übersetzt und reichlich verteilt, und Licht bezüglich der Befreiung der Seele, des wahren Charakters der Kirche, der Gegenwart des Heiligen Geistes auf der Erde und der Wiederkunft des Herrn wurde verbreitet.

Zwei Jahre später und, wie ich vermute, aufgrund der Kenntnis dieser Wahrheiten, jedoch völlig unabhängig von diesem Werk, begann in Elberfeld [Wuppertal] eine Bewegung des Geistes Gottes. In dieser Stadt gab es eine „Bruderschaft“, die, wenn ich mich nicht irre, zwölf Arbeiter beschäftigte, denen der Klerus das Predigen und Lehren zu verbieten suchte. Erleuchtet bezüglich des Dienstes des Geistes und getrieben durch die Liebe zu den Menschen, wollten sie sich diesem Verbot durchaus nicht unterwerfen. Ich glaube, sieben dieser Arbeiter und einige Glieder der „Bruderschaft“ sonderten sich davon ab. Einige von diesen setzten mit anderen, die Gott erweckte, die Evangeliumsarbeit fort, die sich von Holland bis nach Hessen erstreckte. Es gab zahlreiche Bekehrungen, und viele Hunderte versammeln sich gegenwärtig zum Brotbrechen. Kürzlich begann sich die Arbeit in Holland zu gründen, ebenso wie in Süddeutschland. Durch andere Werkzeuge des Herrn bestehen schon zwei Versammlungen in Württemberg.

Die Verkündigung des Evangeliums in der Schweiz und in England führte zur Gründung einiger Versammlungen unter Emigranten nach den USA und Kanada. Die Evangelisation unter Schwarzen ließ Versammlungen in Jamaika und Demerara[4] entstehen sowie unter den Eingeborenen in Brasilien. Dies geschah durch einen Bruder, der dorthin reiste und inzwischen verstarb. Ich kenne keinen anderen, der die Sprache ausreichend kennt, um diese Arbeit fortzusetzen, die sehr gesegnet war. Die englischen Kolonien in Australien haben ebenfalls Versammlungen. Dieser kurze Abriss mag Ihnen genügen.

Die Brüder erkennen keinen anderen Leib als den Leib Christi an, das heißt die gesamte Kirche der Erstgeborenen. Ebenso erkennen sie jeden Christen, der in Wahrheit und Heiligkeit wandelt, als ein bewährtes Mitglied Christi an. Ihre Hoffnung auf die endgültige Erlösung gründet sich auf das Sühnungswerk des Erlösers, auf dessen Wiederkunft sie, gemäß seinem Wort, warten. Sie glauben, dass die Heiligen mit Ihm bereits vereinigt sind, sie als sein Leib, Er als das Haupt. Sie sehen der Erfüllung seiner Verheißung entgegen und erwarten sein Kommen, damit Er sie zu sich in des Vaters Haus holt, so dass, wo Er ist, auch sie sein sollen. In der Zwischenzeit haben sie sein Kreuz zu tragen und mit Ihm zu leiden, getrennt von der Welt, die Ihn verworfen hat. Seine Person ist der Gegenstand ihres Glaubens, sein Leben ist das Beispiel, dem sie in ihrem Verhalten zu folgen haben. Sein Wort, nämlich die von Gott inspirierten Schriften, das heißt die Bibel, ist die Autorität, die ihren Glauben gestaltet; sie ist ebenso deren Grundlage und sie erkennen sie als das an, was für ihr Verhalten maßgebend sein sollte. Der Heilige Geist allein kann es in Leben und Tat wirksam werden lassen.


Aus Letters of J.N. Darby, Bd. 3, 1879–1882, Nr. 226, S. 297–305

Anmerkungen

[1] Archidiakon: erster Diakon, bischöflicher Stellvertreter in der anglikanischen Kirche.

[2] Die Auffassung der Trennung von der Welt, wie sie in diesem Brief begründet wird, wurde oft falsch verstanden. Die folgenden Zeilen bietet einige Einsicht, in welcher Beziehung Christen zur Welt stehen:

  • In Johannes 17,15.18 sagt Jesus zum Vater im Hinblick auf die Jünger: „Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt wegnehmest, sondern dass du sie bewahrst vor dem Bösen … Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt.“

  • In Markus 16,15 sagt Jesus zu seinen Jüngern: „Geht hin in die ganze Welt und predigt das Evangelium der ganzen Schöpfung.“

  • In 1. Korinther 5,9.10 schreibt der Apostel Paulus (so wie es von drei [engl.] Übersetzern wiedergegeben wird):

    • Ich habe euch in dem Brief geschrieben, nicht mit den Hurern Umgang zu haben; nicht durchaus mit den Hurern dieser Welt oder den Habsüchtigen und Räubern oder Götzendienern, sonst müsstet ihr ja aus der Welt hinausgehen (Elb 2003, Edition CSV).

    • I have written to you in this epistle not to mix with fornicators; not altogether with the fornicators of this world, or with the avaricious and rapacious, or idolators, since then ye should go out of the world (JND).

    • I wrote to you in an epistle not to company with fornicators: Yes not altogether with the fornicators of this world, or with the covetous, or extortioners, or with idolaters; for then must ye needs go out of the world (KJV).

    • I have written to you in my letter not to associate with sexually immoral people—not at all meaning the people of this world who are immoral, or the greedy and swindlers, or idolaters. In that case you would have to leave this world (NIV).

  • In Jakobus 1,27 schreibt der Apostel: „Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott und dem Vater ist dieser: Waisen und Witwen in ihrer Drangsal zu besuchen, sich selbst von der Welt unbefleckt zu erhalten.“

  • In Philipper 2,15 schreibt der Apostel Paulus: „… damit ihr untadelig und lauter seid, unbescholtene Kinder Gottes inmitten eines verdrehten und verkehrten Geschlechts, unter dem ihr scheint wie Lichter in der Welt.“

[3] Dissenter: ein Abweichler von den Lehren der Staatskirche.

[4] Demerara: damals Name einer niederländischen Kolonie in Südamerika, heute Bestandteil des Staates Guyana.

Anmerkung zur französischen Ausgabe: Dieser Brief, den man unter den Papieren Darbys fand, wurde nicht an seinen Empfänger geschickt. Es gibt Grund zur Annahme, dass der Autor zögerte, weil es ihm erschien, als spräche er über sich und seine Arbeit, so dass er den Gedanken aufgab, den Brief abzusenden.

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