Gibt es für Israel noch eine Zukunft?
Römer 9–11

Werner Mücher

© W. Mücher, online seit: 08.04.2003, aktualisiert: 06.11.2023

Leitverse: Römer 9–11

Einleitung

Ist Israel noch das Volk Gottes? Wenn nicht, wird Gott Israel in Zukunft wieder als sein Volk annehmen? Anders ausgedrückt: Ist die Lehre von den sogenannten „Haushaltungen“ (engl. dispensations) biblisch? Diesen Fragen wollen wir in diesem Artikel nachgehen.

Die Lehre von den Haushaltungen besagt im Wesentlichen, dass Gott in bestimmten Zeitepochen auf bestimmte Weise mit bestimmten Personen eine besondere Beziehung hatte. Wir können mindestens drei Zeitepochen unterscheiden:

  1. Gott hat sich das Volk Israel aus allen Völkern der Erde erwählt. Die Zeit dieses Volkes hat ihren Anfang mit dem Auszug Israels aus Ägypten (1491 v.Chr.) genommen, und sie hat ihr Ende mit der Zerstörung Jerusalems durch die Römer im Jahre 70 n.Chr. gefunden. Da wurde Israel für eine Zeit beiseitegesetzt.

  2. Danach begann Gott, aus allen Nationen (o. [Heiden-]Völkern) und Israel ein Volk zu sammeln, das im Gegensatz zu Israel eine himmlische Berufung hat: die Gemeinde (griech. ekklesia). Die Zeit der Gemeinde begann mit dem Pfingsttag[1] und wird mit ihrer Entrückung enden (1Thes 4,14-18).

  3. Danach wird Gott sich dem Volk Israel, und zwar einem Überrest, wieder zuwenden und ein neues Volk Israel bilden, das Jesus Christus als seinen Messias anerkennen wird und mit dem Christus die Weltherrschaft ausüben wird.

Viele Theologen vertreten die Ansicht, dass die Gemeinde an die Stelle Israels getreten wäre. Sie glauben daher, dass die alttestamentlichen Verheißungen für Israel vergeistigt werden müssten und dass sie in der Gemeinde ihre Erfüllung gefunden hätten. Das bedeutet für sie, dass Israel als Volk keine Verheißungen mehr hat und auch in Zukunft nicht mehr von Gott als sein Volk anerkannt werden wird. Doch genau das würde bedeuten, dass Gott sein irdisches Volk Israel verstoßen und für immer verworfen hätte.

Wir hingegen glauben, dass es biblische Belege dafür gibt, dass die Zeit der Gemeinde ihrem Ende entgegengeht und dass Gott Israel wieder öffentlich als Volk anerkennen wird. Wir wollen im Folgenden die angeschnittenen Fragen anhand von Römer 11 überdenken. Zuvor eine knappe Einführung in den Römerbrief.

Der Römerbrief

Der Römerbrief nimmt zu Recht die erste Stelle unter den Briefen des Neuen Testaments ein, weil er nicht nur das Verderben des gefallenen Menschen beschreibt, sondern auch die Stellung, in die Gott den Sünder durch die Rechtfertigung aufgrund des Glaubens versetzt. Der Brief lässt sich in drei Hauptabschnitte einteilen: Der erste Teil (Röm 1–8) behandelt die Rechtfertigung des Sünders. Der zweite Teil (Röm 9–11) enthält einen Rückblick auf das verstockte Volk Israel und einen Ausblick auf seine Zukunft, wenn Gott sich über das Volk erbarmen wird, sowie die ernste Warnung an die Christenheit, nicht hochmütig zu sein, weil Gott sie sonst nicht mehr als Zeugnis gebrauchen, sondern beiseitesetzten wird. Der dritte Teil (Röm 12–16) schließt mit wichtigen Belehrungen zur Praxis der Gläubigen, die sich aus ihrer neuen Stellung ergeben.

Römer 9

Ab Kapitel 9 kommt Paulus auf die Frage zu sprechen, was aus dem Volk Israel wird. Als ehemals feurigem Juden, der mit großer Entschiedenheit für das rechte Judentum gekämpft hatte, lag ihm das Wohl des Volkes Israel sehr am Herzen. Wäre es möglich gewesen, so hätte er sich für das Volk verfluchen lassen, damit es gerettet wurde. Er erwähnt die hohe Berufung des Volkes und vor allem die Verheißungen, die den Vätern gegeben worden waren. Das größte Privileg des Volkes bestand darin, dass Christus daraus hervorgegangen ist (Röm 9,1-5).

Danach macht er deutlich, dass nicht alle, die aus Israel sind – die leiblichen Nachkommen Abrahams –, tatsächlich zu Israel gehören, so wie schon früher der erste Sohn Abrahams (Ismael) nicht zur Linie des Segens gehörte. Isaaks war der von Gott verheißene Sohn. So war es auch bei den beiden Söhnen Isaaks (Esau und Jakob). Esau gehört nicht zur Linie des Segens; es ist Jakob, der diese Linie fortsetzt. Über ihn war ebenfalls bereits vor der Geburt eine Verheißung ergangen (Röm 9,6-13).

In seiner Beweisführung macht Paulus hier einen wichtigen Grundsatz deutlich: Wenn Gott in Gnade und aufgrund seiner Verheißung handelt und nicht aufgrund der Verantwortung des Menschen, wird Gott die Verheißung auch erfüllen, unabhängig vom Verhalten des Menschen (vgl. Röm 11,29).

Im Folgenden geht der Apostel darauf ein, dass Gott absolut souverän ist zu handeln, wie Er will. Gott übt Gnade, weil Er Gnade übt. Durch sein gnädiges Handeln verherrlicht Er sich. Menschen haben daraus geschlossen, Gott würde einige Menschen begnadigen und andere im Voraus verdammen. Obwohl Er das Recht dazu hätte, tut Er das jedoch nicht. Anhand des Beispiels von Pharao wird deutlich, dass Gott ihn erst dann verwarf, nachdem er sich selbst verhärtet und verstockt hatte.[2] Gott wartet lange, bis Er Gericht übt. Er erträgt die Gefäße des Zorns „mit vieler Langmut“, um ihnen Gelegenheit zur Umkehr zu geben. Doch wenn sie sich dauerhaft verhärten, sind sie es selbst, die sich zum Verderben zubereiten (Röm 9,14-23).

Gott hat auch Israel gegenüber große Langmut erwiesen. Er hat dem Volk auf alle Weise Gelegenheit gegeben, von seinem Irrweg der Gottlosigkeit umzukehren. Doch als es schließlich den Sohn Gottes kreuzigte und Gott damit den Rücken zukehrte, kehrte Er ihm ebenfalls den Rücken zu. Das vom Herrn Jesus vorhergesagte Gericht fand einige Jahrzehnte später statt. Der Tempel – das Zentrum des jüdischen Gottesdienstes – wurde zerstört, der Staat Israel zerschlagen und die Bewohner des Landes in alle Himmelsrichtungen zerstreut.

Dann gefiel es Gott, aus allen Völkern – aus Israel und den Heidenvölkern – ein Volk zu sammeln. Als Beweis dafür zitiert Paulus den Propheten Hosea. Zugleich gingen zwei ernste Warnungen Jesajas in Erfüllung. Nur ein Überrest aus Israel fand Gnade, und zwar dadurch, dass die Menschen, die Buße taten, der Gemeinde hinzugefügt wurden (Apg 2,47b). Israel hatte in seiner Verblendung nach einer Gerechtigkeit aus Werken gesucht, die es aber nicht gab. Darum haben sich alle, die auf diesem Weg Gott wohlgefallen wollten, am Herrn Jesus gestoßen und sind zu Fall gekommen. Doch die, die an Ihn glaubten, wurden nicht zuschanden: Gott hat sie angenommen und gerechtfertigt (Röm 9,24-33).

Römer 10

In Kapitel 10 bescheinigt der Apostel den Juden, dass sie für Gott eiferten, doch nicht nach Erkenntnis. Da sie die rettende Hand Gottes im Herrn Jesus nicht erkannten und nicht annahmen, unterwarfen sie sich auch nicht der Gerechtigkeit Gottes, dem gerechten Handeln Gottes mit Sündern. Auf eindrucksvolle Weise beschreibt Paulus, wie man die Gerechtigkeit Gottes durch den Glauben empfängt und dass jeder, der den Namen des Herrn anruft, errettet wird (Röm 10,1-13).

Im letzten Abschnitt von Kapitel 10 fragt der Apostel, wie man denn zum Glauben geführt werden kann. Die Antwort lautet: allein durch die Verkündigung. An Gott liegt es nicht, dass Israel nicht geglaubt hat; Er hat ihnen auf alle Weise das Evangelium des Friedens verkündigt. Doch dann folgt wie ein Donnerschlag: „Aber nicht alle haben dem Evangelium gehorcht.“ Nachdem die Masse des jüdischen Volkes das Evangelium ablehnte, gab es keine Rettung für sie (10,14-21). Als sie aber sahen, dass Gott Menschen aus den Nationen Gnade schenkte, wurden sie auf sie eifersüchtig. Dafür gibt es viele Beispiele in der Apostelgeschichte und den Briefen.

Römer 11

Nun beginnt Paulus Kapitel 11 mit der Frage: „Hat Gott etwa sein Volk verstoßen?“ Will Gott grundsätzlich nichts mehr mit Israel zu tun haben? Ist Israel für Ihn erledigt? Das ist durchaus nicht der Fall. Wie würde Gott sonst Menschen wie zum Beispiel Paulus gerettet haben? Gott hat sich in Israel immer einen Überrest erhalten, wie anhand der Geschichte Elias deutlich wird. Und das war auch der Fall, als Paulus diesen Brief schrieb: „So besteht nun auch in der jetzigen Zeit ein Überrest nach Auswahl der Gnade“ (Röm 11,5). Diese „Auserwählten“ haben nicht etwa deshalb Gnade empfangen, weil sie zum Volk Israel gehörten oder sich durch eigene Werke Gerechtigkeit erworben hätten, sondern weil sie die Gnade, die Gott ihnen anbot, im Glauben annahmen. Dem übrigen Teil des Volkes gab Gott einen Geist der Betäubung, Augen, mit denen sie nicht sehen können, und Ohren, mit denen sie nicht hören können, und das bis auf den heutigen Tag (Röm 11,1-10).

Noch einmal stellt er die Frage: „Sind sie etwa gestrauchelt, damit sie fallen sollten?“ Bedeutet ihr Irrweg ihren endgültigen Fall, die unwiederbringliche Auflösung des Volkes und Staates Israel? Nein, Gott wird seine Verheißungen an Abraham erfüllen. Israel hat als Volk eine Zukunft. Das ist die klare Botschaft dieses Kapitels. Das damalige Abweichen Israels von Gott hat dazu geführt, dass die frohe Botschaft der Errettung allen Völkern verkündigt wurde. Israels Verirrung war die Ursache für den Reichtum der Welt, das heißt, dass die Reichtümer des Segens den gläubigen Heiden zuteilwurden. Was wird es dann für ein Segen für die gesamte Welt sein, wenn Israel in Zukunft wieder als Volk von Gott angenommen wird (Röm 11,11-15)!

Die nun folgenden Verse wollen wir uns etwas genauer ansehen:

Röm 11,16: Wenn aber der Erstling heilig ist, so auch die Masse [o. der Teig]; und wenn die Wurzel heilig ist, so auch die Zweige.

Paulus gebraucht in diesem Vers zwei Bilder, um die bisherigen Darlegungen zu untermauern.

Das Bild vom Erstling und der Masse ist der Ernte entnommen. Bevor Israel von der Gersten- oder Weizenernte essen durfte, mussten die ersten Früchte Gott als Opfer dargebracht werden. Wenn die Erstlinge auf diese Weise geheiligt waren, war die gesamte Ernte gleichsam Gott, der sie gegeben hatte, geweiht. Danach durfte das Volk davon essen. So ist es auch bei einem Baum: Wenn die Wurzel heilig ist, trifft das auch auf seine Zweige zu, die aus der Wurzel hervorgekommen sind und ihren Lebenssaft daraus ziehen. Es liegt nahe, sowohl beim Erstling als auch bei der Wurzel an den Stammvater des Volkes Israel zu denken, an Abraham, den Gott für sich abgesondert hat und auf diese Weise auch das gesamte Volk.

Röm 11,17: Wenn aber einige der Zweige ausgebrochen worden sind, du aber, der du ein wilder Ölbaum warst, unter sie eingepfropft und der Wurzel und der Fettigkeit des Ölbaums mit teilhaftig geworden bist …

Hier ist von einem edlen und einem wilden Ölbaum die Rede. Der edle Baum bezeichnet die Linie des Segens, und der wilde Baum steht für die Nationen oder Menschen, die keinen Anteil an dem Segen hatten. Als Israel den Messias verwarf, wurden Zweige aus dem edlen Baum ausgebrochen; nur einige wenige Zweige wie zum Beispiel Paulus und alle, die gerettet werden sollten, blieben an dem Baum und damit in der Linie des Segens. Außerdem kamen Menschen aus den Heiden dazu. Sie wurden als wilde Zweige in den edlen Baum eingepfropft.[3] Es ist also keine Rede davon, dass die Gläubigen aus den Nationen nun die Stelle des Volkes Israel einnahmen. Das irdische Volk Israel wurde zwar beiseitegesetzt, doch das himmlische Volk der Gemeinde trat nicht exakt an seine Stelle. Wohl nehmen seitdem die Gläubigen aus den Nationen an der Fettigkeit des Ölbaums, dem Segensfluss, teil, der mit Abraham seinen Anfang genommen hat (Röm 11,17).

Röm 11,18-21: … so rühme dich nicht gegen die Zweige. Wenn du dich aber gegen sie rühmst – du trägst nicht die Wurzel, sondern die Wurzel dich. Du wirst nun sagen: Die Zweige sind ausgebrochen worden, damit ich eingepfropft würde. Recht; sie sind ausgebrochen worden durch den Unglauben; du aber stehst durch den Glauben. Sei nicht hochmütig, sondern fürchte dich; denn wenn Gott die natürlichen Zweige nicht verschont hat – dass er auch dich etwa nicht verschonen werde.

Nun folgt eine ernste Warnung an die Christenheit in ihrer Gesamtheit. Sie soll sich bewusst sein, dass ihr nur deshalb das Heil angeboten geworden ist, weil Israel für eine Zeit verstockt wurde. Wie angebracht war diese Warnung für die Christen in all den Jahrhunderten. Für den Fall des Hochmuts wurde der Christenheit angedroht, dass sie nicht verschont werden würde.[4]

Röm 11,22-24: Sieh nun die Güte und die Strenge Gottes: gegen die, die gefallen sind, Strenge; gegen dich aber Güte Gottes, wenn du an der Güte bleibst; sonst wirst auch du ausgeschnitten werden. Auch jene aber, wenn sie nicht im Unglauben bleiben, werden eingepfropft werden; denn Gott vermag sie wiederum einzupfropfen. Denn wenn du aus dem von Natur wilden Ölbaum ausgeschnitten und gegen die Natur in den edlen Ölbaum eingepfropft worden bist, wie viel mehr werden diese, die natürlichen Zweige, in ihren eigenen Ölbaum eingepfropft werden!

Die Briefempfänger und wir heutzutage mit ihnen sollen das Handeln Gottes betrachten, seine Güte und seine Strenge. Mit Israel ist Gott streng verfahren, Er hat das Volk nicht länger als ein Zeugnis seiner Rechte und Heiligkeit und seines Segens gebrauchen können. Und welche Güte hat Er den Gläubigen aus den Nationen zugewandt! Doch bleiben sie sich bewusst, dass es allein Güte ist, die sie aufrechterhält, und dass sie nichts aufzuweisen haben, worauf sie stolz sein können? Und doch: Obwohl das Volk Israel jetzt noch in seiner Gesamtheit im Unglauben verharrt, werden sie doch wieder eingepfropft werden, wenn sie zur Buße und zum Glauben kommen. Gott vermag das zu bewirken, und Er wird es tun. Hier haben wir also eine glasklare Verheißung, dass Israel einmal wieder am Segen teilhaben wird.

Röm 11,25-27: Denn ich will nicht, Brüder, dass euch dieses Geheimnis unbekannt sei, damit ihr nicht euch selbst für klug haltet: dass Verhärtung Israel zum Teil widerfahren ist, bis die Vollzahl [o. Fülle] der Nationen eingegangen ist; und so wird ganz Israel errettet werden, wie geschrieben steht: „Aus Zion wird der Erretter kommen, er wird die Gottlosigkeiten von Jakob abwenden; und dies ist für sie der Bund von mir, wenn ich ihre Sünden wegnehmen werde.“

Damals war es ein Geheimnis, dass Israel eines Tages errettet werden würde. Heute ist es eigentlich kein Geheimnis mehr, denn es gibt bereits seit mehr als fünfzig Jahren wieder einen Staat Israel. Doch die endgültige Wiederherstellung Israels kann erst erfolgen, wenn „die Vollzahl der Nationen eingegangen“ ist. Die „Vollzahl der Nationen“ ist eine Bezeichnung für eine bestimmte Anzahl von Menschen, die Gott vor aller Ewigkeit auserwählt hat, damit sie errettet und seiner Gemeinde hinzugefügt werden sollten. Wenn der Letzte errettet ist, ist die Zahl derer vollständig, die Gott für den Empfang der Segnungen vorgesehen hat. Konkret fällt das Erreichen der „Vollzahl“ mit der Entrückung der Gemeinde, wie sie in 1. Thessalonicher 4,14-18 beschrieben wird, zusammen – doch das ist jetzt nicht unser Thema. Danach wird ganz Israel errettet, das bedeutet, dass Gott aus einem Überrest ein neues Volk Israel bilden wird, das Er dann zur Gesamtheit dieses Volkes macht. Es bedeutet zugleich, dass alle Juden, die sich nicht willig bekehren, in den Gerichten umkommen werden; alle Juden, die lebend ins Reich eingehen, werden Gerechte sein (Jes 60,21) und alle Sünder in Israel werden ausgerottet (Amos 9,10).

Wir erleben heute, wie gesagt, vor unseren Augen die Erfüllung der Verheißungen Gottes. Aus der Vision der Totengebeine in Hesekiel 37 ist deutlich, dass die Wiederherstellung des Volkes Israel in zwei Phasen verläuft: zuerst die nationale Wiederherstellung Israels (Hes 37,7.8) und zu einem späteren Zeitpunkt seine geistliche Wiederherstellung (Hes 37,9.10). Dasselbe finden wir im Gleichnis vom Feigenbaum, das der Herr Jesus in seiner letzten großen Endzeitrede über Israel gesagt hat: Zuerst würden im Frühjahr die Zweige des Baums weich werden und später würde er im Sommer Frucht bringen (Mt 24,32-34).

Ganz Israel wird errettet! Das geschieht in dem Augenblick, wo der Erretter aus Zion kommt, wo Christus als König seines Volkes erscheinen wird und Israel die Versöhnung anbietet. Gibt es noch einen Zweifel an der Wiederherstellung des Volkes Israel?

Röm 11,28.29: Hinsichtlich des Evangeliums sind sie zwar Feinde, um euretwillen, hinsichtlich der Auswahl aber Geliebte, um der Väter willen. Denn die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind unbereubar.

Über eine lange Zeit haben sich die Juden als Feinde des Evangeliums erwiesen, und zwar bis auf den heutigen Tag. Das ist den Gläubigen aus den Nationen zugutegekommen. Doch ihre zeitweise Verwerfung ändert nichts daran, dass Gott sein Volk wieder in den Segen einführen wird. Gott wird die Verheißungen, die Er Abraham vor etwa dreitausend Jahren gegeben hat, erfüllen. Die Gnadengaben, die Abraham allein aus Gnaden und nicht aufgrund eines Verdienstes gegeben wurden, sind unbereubar. Die Berufung Abrahams und damit auch des Volkes Israel kann durch nichts annulliert werden.

Röm 11,30-32: Denn wie ihr einst Gott nicht geglaubt [o. gehorcht] habt, jetzt aber unter die Begnadigung [o. Barmherzigkeit] gekommen seid durch deren Unglauben [o. Ungehorsam], so haben auch jetzt diese an eure Begnadigung nicht geglaubt, damit auch sie unter die Begnadigung kommen. Denn Gott hat alle zusammen in den Unglauben [o. Ungehorsam] eingeschlossen, um alle zu begnadigen [eig. um sich aller zu erbarmen].

Früher, vor ihrer Bekehrung, haben die Menschen, die Gott aus den Heiden errettet hat, Ihm nicht geglaubt. An solchen Menschen hat Gott seine Gnade und Barmherzigkeit großgemacht. Voraussetzung dazu war der Unglaube Israels. Und weil die Juden nun ungläubig sind, nicht zuletzt deshalb, weil sie nicht an die Begnadigung der Heiden geglaubt haben, werden sie eines Tages selbst unter die Begnadigung kommen. Somit werden einmal alle in den Unglauben eingeschlossen sein, und deshalb wird Gott sie begnadigen. Gott wird sich durch seine unbegreifliche Gnade verherrlichen.

Damit ist der Beweis erbracht, dass Gott zu verschiedenen Zeiten auf verschiedene Weise mit verschiedenen Menschengruppen handelt. Wie ist es möglich, dass viele Theologen Römer 11 anders gelesen haben?

Wir überlassen es dem Leser, den vielen Prophezeiungen des Alten und Neuen Testaments nachzuspüren und in die aus diesem Kapitel gewonnene Sicht einzufügen. Wir schließen mit dem einzigartigen Lobpreis der Weisheit Gottes am Ende von Römer 11, die in seinen Wegen mit Menschen und ihrer Errettung zum Ausdruck kommt:

  • Röm 11,33-36: O Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes!
    Wie unerforschlich sind seine Gerichte und unergründlich seine Wege!
    Denn wer hat den Sinn des Herrn erkannt, oder wer ist sein Mitberater gewesen?
    Oder wer hat Ihm zuvor gegeben, und es wird ihm vergolten werden?
    Denn von Ihm und durch Ihn und für Ihn sind alle Dinge;
    Ihm sei die Herrlichkeit in Ewigkeit! Amen.

Anhang: Erläuterung einiger Begriffe in Römer 11

  1. Annahme [proslepsis]: Aufnahme, Empfangen, Anrechnen

  2. Auserwählter [ekloge]: Erwählung, Wahl, Auserwählung; Auswahl, der souveräne Akt der Erwählung bzw. der Auslese durch Gott (Apg 9,15; Röm 9,11; 11,5.28; 1Thes 1,4; 2Pet 1,10). Eine von Gott auserwählte Sache oder Person (Röm 11,17)

  3. fallen/Fall [pipto]: stürzen, in etwas geraten, fehlen, irren, sündigen, Schaden nehmen
    • eigentlich: von einem höheren zu einem tiefer liegenden Platz herabfallen, herunterfallen (vgl. Mt 15,27; Apg 20,7; Off 6,13; 8,10)
    • von einer aufrechten Position aus hingestreckt zu Boden fallen: (hin)stürzen, niederfallen; fallen (entweder auf oder von etwas); zusammenfallen (vgl. Mt 17,15; Lk 5,12; Heb 11,30)
    • bildlich übertragen: aus einer Stellung des Segens fallen; unter Gericht, Verurteilung oder Verdammnis fallen; hinfällig werden; zugrunde gehen (Lk 16,17; Apg 13,1; Röm 14,4; Jak 5,12; Off 2,5; 7,16; 14,8; 17,10 usw.)
  4. straucheln [ptaio]: anstoßen, zu Fall gebracht werden, irren, einen Fehler machen, in ein Unglück geraten, einen Unfall erleiden

  5. verstocken [poroo]: die Verhärtung, steinhart machen; mit einer dicken Hautschicht (Hornhaut) überziehen; übertragen: das Herz verhärten, versteinern bzw. schwerhörig machen; verhärtet, unempfindlich, abgestumpft und gefühllos werden (und dadurch die Fähigkeit zu geistlichem Verständnis verlieren) (Mk 6,52; 8,17; Joh 12,40; Röm 11,7; 2Kor 3,14)

  6. verstoßen [apotheo]: weg-, zurückstoßen, vertreiben, verwerfen

  7. zuvorerkannt [proginosko]: vorher kennen, von Menschen: etwas im Voraus wissen, jemand von früher her kennen (Apg 26,5; 2Pet 3,17). Vorher erkennen; von Gott: jemand im Voraus erkennen (d.h. jemand im Voraus zu etwas ausersehen und bestimmen); im Vorhinein einen Beschluss fassen, mit jemand etwas Bestimmtes zu tun; jemand für eine bestimmte Aufgabe im Voraus auswählen (Röm 8,29; 11,2; 1Pet 1,20)

  8. Überrest [leimma]: die Gelassene, Rest, Überrest

  9. Verhärtung [porosis]: Verstockung; übertragen: die Unfähigkeit zu geistlichem Verständnis; die Sturheit, die Verhärtung bzw. Versteinerung des Herzens; die intellektuelle und geistliche Blindheit (Mk 3,5; Röm 11,25; Eph 4,8)

  10. Verwerfung [apobole]: Wegwerfen, Verlust (des Lebens), das Verlorengehen (Apg 27,22)

Anmerkungen

[1] Wenn man das Pfingsten von Apostelgeschichte 2 im Jahre 30 n.Chr. ansetzt, bedeutet das eine Überlappung der beiden Haushaltungen von vierzig Jahren.

[2] Dreimal lesen wir, dass Gott das Herz des Pharao verhärten wollte (2Mo 4,21; 7,3; 14,4), siebenmal, dass der Pharao sein Herz verhärtete bzw. verstockte (2Mo 7,13.22; 8,15.19.32; 9,7.34), und fünfmal, dass Gott das Herz des Pharao verhärtete (2Mo 9,12; 10,20.27; 11,10; 14,8).

[3] In der Natur geschieht es genau umgekehrt: Edle Zweige werden in einen wilden Baum eingepfropft. Auf diese Weise wird ein Baum veredelt.

[4] Das bedeutet durchaus nicht, dass ein wiedergeborener Christ, der Leben aus Gott hat und ein Kind Gottes ist, wieder verlorengehen könnte. Es bedeutet aber sehr wohl, dass ein Augenblick kommen kann, wo Gott die Christenheit insgesamt nicht mehr als Zeugnis gebrauchen kann und sie von daher herausschneidet.

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