Christus – Unser Anziehungspunkt im Himmel
Philipper 3

John Nelson Darby

online seit: 03.08.2016, aktualisiert: 13.10.2018

Eins mit Christus in der Herrlichkeit

Nach diesen Andeutungen über den gesegneten Inhalt des zweiten Kapitels lenken wir jetzt die Aufmerksamkeit des Lesers auf das dritte Kapitel des Philipperbriefes. Wir dürfen dabei nicht aus dem Auge verlieren, dass in dem ganzen Brief die Seligkeit oder die Errettung des Gläubigen als noch vor ihm liegend, jedoch keineswegs als ungewiss betrachtet wird. Der tatsächliche Besitz der Herrlichkeit, der neue Zustand des Menschen in dem auferstandenen und verherrlichten Christus, das ist es, worauf allein und ausschließlich das Auge ruht. Zu diesem Zweck hat Christus den Gläubigen ergriffen, wäh­rend der Gläubige damit beschäftigt ist, das zu ergreifen, wozu er ergriffen worden ist. Christus in der Herrlichkeit zu sehen – und der Apostel hatte Ihn wirklich dort schon gesehen –, ist der Punkt, um den sich alles dreht. Paulus erwartet, an jenem Tag im Besitz der Gerechtigkeit aus Gott durch den Glauben in Ihm erfunden zu werden. Von diesem Gedanken ist er so ausschließlich erfüllt, dass er alle jüdischen und menschlichen Vorrechte, alles, was ihn sonst erheben könnte, abtut. Der ganze christliche Zustand wird so in Verbindung mit der Auf­erstehung als zukünftig betrachtet; ist man nämlich „hinge­langt zur Auferstehung aus den Toten“, so besitzt man alles. Indem wir zu Gott kommen, erlangen wir die Rechtfertigung, die Gerechtigkeit als die Folge unserer Annahme in Christus, und wir kommen in Christus zu Gott. In der Tat wartete der Apostel auf einen Zustand der Auferstehung der Herrlichkeit. Dies hatte er noch nicht ergriffen oder erreicht und war darum auch noch nicht vollendet. Der Zustand des Menschen, der von Gott nicht lebendig gemacht ist, ist der Zustand des ersten Adam. Was der Apostel hier von den Gläubigen erwartet, ist nicht allein, dass er sich einfach vom Bösen, sondern dass er sich von diesem Zustand fernhalte und dass er, stets im Geist wandelnd, zur Herrlichkeit fortschreite und in keinerlei Weise mit der Sünde beschäftigt sei. Paulus sieht ihn ohne Rückhalt in den neuen Zustand gebracht als eins mit Christus in der Herrlichkeit.

Gerechtigkeit aus Glauben

Hätte der Apostel alle Gerechtigkeit aus dem Gesetz besessen, so wäre es doch nur eine Gerechtigkeit des ersten Adam und nicht des Christus, nicht die Gerechtigkeit Gottes aus Glauben, und das wollte er nicht. Er hatte Christus – den letzten Adam – auf­genommen in Herrlichkeit gesehen. Er war ergriffen worden, um Ihm gleichförmig zu sein, gleichförmig diesem ganz neuen Zustand und der Stellung eines Menschen, der sich in Über­einstimmung mit der Gerechtigkeit Gottes befand. Was er in Christus erblickte, das hatte in seinem Herzen alles andere er­setzt. Er konnte mit nichts Geringerem zufrieden sein. Er konnte nicht die Stellung des alten Menschen, selbst wenn dieser Gerechtigkeit besaß, und zugleich die des neuen Men­schen einnehmen; beide waren unvereinbar. Er achtete alles für Verlust und Dreck, was dem ersten Menschen, dem Paulus, dem Ich, Ehre und Ansehen gab. Der auferstandene, verherr­lichte Mensch stand vor seinem Auge, nicht in dem Sinn, dass Christus uns gerechtfertigt hat, weil wir mit Ihm, der unsere Versöhnung vollbracht hat, gestorben und mit Ihm nach dem Wert jenes Werkes auferstanden sind, kraft dessen Er in seiner Person auferweckt worden und unsere Annahme als Gerecht­fertigte vor Gott bezeugt ist. Auch wird die Auferstehung hier nicht als die Ursache unserer Rechtfertigung, sondern als ein neuer Zustand betrachtet, der im Ergebnis auch die Gerechtig­keit Gottes einschließt. Es ist der völlig neue Zustand der Herr­lichkeit – ein Zustand, in den das Christentum uns einführt.

Für den Glauben des Apostels existierte der alte Mensch mit seiner Gerechtigkeit und mit allem, was er je besaß, nicht mehr; sein Glaube war auf den neuen Menschen, das ist auf Christus selbst, gerichtet. In Ihm erblickte er seinen eigenen Platz in der Herrlichkeit und hatte demzufolge teil an der „Auferstehung aus den Toten“ (Phil 3,8-11). Dies führt uns zu dem großen Grundsatz unseres Kapitels – zu dem ernsten und ungeteilten Streben nach der Herrlichkeit, nach Christus selbst, wobei, um dieses Ziel zu erreichen, alles andere für nichts geachtet, für wertlos gehalten wird. In dem vorhergehenden Kapitel sahen wir Christus in seiner Erniedrigung, und das gereicht uns auf unserem Weg hier zur gleichen Offenbarung der Gnade gegen andere. Indem wir Christus, den zweiten, den verherrlichten Menschen vor Augen haben, erlangt unser Streben geistliche Energie, erhebt uns über die Welt, über alle ihre Beweggründe und über alles, was dem alten Menschen Ansehen verleiht; es macht, als der Gegenstand des neuen Menschen, das Herz weit und erfüllt es mit himmlischer und ungeteilter Gesinnung in unserem christlichen Lauf.

Das Ich bekommt keinen Platz

Es ist eine der Schönheiten des Christentums, dass es durch unsere Versöhnung in Christus jene friedliche Zuneigung ver­leiht, die uns in einem bestehenden Verhältnis vollkommen glücklich sein lässt und uns zugleich jenen höchsten Gegenstand unserer Hoffnung vor Augen stellt, der uns zu einer ununter­brochenen Tätigkeit drängt. Diese beiden Elemente bilden die menschliche Natur für das Gute; sie werden in der höchsten, göttlichen Weise in Christus gefunden.

Mit dem zweiten Element befasst sich unser Kapitel. Der hier entwickelte völlig befriedigende herrliche Grundsatz – der Kampfpreis unserer Berufung nach oben, die Auferstehung aus den Toten – schließt jede Selbstsucht aus. Alles, was das Ich mit Ehre bekleidet, ist nur Verlust; es erhebt den alten Men­schen. Christus erfüllt das Blickfeld des Gläubigen. Diese Schau löst uns von allem anderen; sie erhöht den Menschen, aber nicht das Ich. Wenn der moderne Unglaube den Menschen er­hebt, so erhebt er einfach das Ich, während das Christentum den Menschen zu himmlischer Herrlichkeit und göttlicher Hoheit emporhebt, aber das Ich gänzlich beiseitesetzt. Der Apostel erklärt: „Was mir Gewinn war, habe ich um Christi willen für Verlust geachtet“ (Phil 3,7). Gelehrsamkeit, das Verständnis frem­der Sprachen und anderes mehr ist ein Gewinn für das Ich; meine eigene Gerechtigkeit, deren ich mich in der Welt oder vor Gott rühmen kann, ist Nahrung für das Ich. So bin und besitze ich etwas, was andere nicht sind und nicht besitzen. Solcher Beweggründe bedarf die Welt. Sie handelt danach; denn sie besitzt keine anderen. Doch welche Energie solche Bewegungen auch zu er­zeugen vermögen, einen Fortschritt in moralischer Beziehung bewirken sie nicht. Das Ich bleibt die Quelle und der Mittel­punkt aller menschlichen Tätigkeit, auch wenn diese Tätigkeit große Anerkennung in der Welt findet. Selbst in religiösen Dingen können wir dies wahrnehmen. Herr, „gib uns, dass wir einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken sitzen mögen in deiner Herrlichkeit“ (Mk 10,57) – das war die Sprache des Ichs; einen guten Platz mit anderen gemeinsam verlangten die beiden Jünger nicht. Der erhabenste Wunsch, wodurch das Herz von sich selbst ab und zu Christus hingezogen wird – die höchste Segnung, ausgedrückt in den Worten „damit ich Christus gewinne“, finden wir hier nicht.

Von Christus ergriffen

Dieser Wunsch offenbart die Zuneigungen des Herzens zu dem, der, in sich selbst höchst vortrefflich, stets die Wonne des Vaters war. Gott hat uns das Vorrecht gegeben, unsere Wonne dort zu finden, wo auch Er seine völlige Wonne gefun­den hat. Welch ein herrliches Zeugnis von unserer wahren Ver­söhnung mit Gott, die nicht nur zu unserer Rechtfertigung nötig war, sondern die auch unsere moralische Natur zu dem Maß göttlicher Wonne und Gemeinschaft erhebt, obwohl wir stets die Empfangenden sind, die sich einer solchen Liebe erfreuen. Er ist immer der göttliche Geber; aber beide, sowohl der Geber wie der Empfänger, finden in Christus gleicherweise ihre Wonne. Die Kreatur besitzt eine Natur, die ihr angepasst ist und sein muss; aber der moralische Zustand einer Seele wird durch ihr Vorbild gebildet und charakterisiert. Wir sind hier zu Teilnehmern der göttlichen Natur gemacht und haben ein göttliches Vorbild. Aber wir befinden uns jetzt noch nicht im Zustand der Ruhe. Wir leben inmitten einer Welt, durch die Satan uns zu verführen sucht, indem er auf den alten Men­schen einwirkt. Doch wir sind von Christus ergriffen, und das flößt Mut und Dankbarkeit ein; zudem verleiht Er, als der Gegenstand unserer Hoffnung, uns die nötige Energie, und da Er von dem Streben nach selbstsüchtiger Rückkehr zu unserer eigenen Wichtigkeit befreit, ist seine Person der mächtige An­ziehungspunkt, der uns den Sieg über die Dinge dieser Welt gibt. Das Bewusstsein, dass wir unser Ziel noch nicht erreicht oder ergriffen haben, hält uns in Demut und lässt uns, weil wir Christus zu ergreifen haben, mit einer heiligen Zuneigung tätig sein. Wir sind durch die anziehende Macht einer auf den neuen Menschen wirkenden göttlichen Person von der Welt befreit. Das gibt eine unbesiegbare Kraft, indem das Selbstge­richt in der Weise ausgeübt wird, dass wir alles mit Christus in Verbindung bringen. Dies ist das sicherste Mittel, alles richtig zu beurteilen und den Zuneigungen ihren wahren Platz einzu­räumen; denn sonst kann in moralischen Dingen kein klares Urteil gefällt werden.

Die Macht über das Irdische

Daneben offenbart sich hier noch ein anderes weniger hervor­ragendes Element, nämlich eine Macht, die der Macht dieser Welt entgegengesetzt ist. Ohne Zweifel ist diese Macht durch den Heiligen Geist gewirkt; aber es geht mir hier nicht um die Quelle, sondern um die Offenbarung dieser Macht. Man ist mehr als Überwinder. Das ist die Kraft des Wortes: „Auf ir­gendeine Weise“. – Hier zeigt sich kein Schwanken. Was es den Apostel auch kosten mochte, welche Wege er auch ein­schlagen musste – er war mit allem zufrieden, wenn er nur seinen Zweck erreichte. Selbst Leiden und Tod hatten keine Schrecken für ihn; sie bewirkten nur eine umso größere Gleich­förmigkeit mit Christus, den er zu ergreifen suchte. Wie wir hier bemerken, suchte er die Kraft der ersten Auferstehung. Er kannte die göttliche Energie dieses neuen Lebens, die ihn, sozu­sagen im Geist, aus dem gegenwärtigen Leben heraus versetzte, so dass die Leiden und der Tod – das Ende dieses Lebens – als Folge seiner Hingabe an Christus ihn nur Christus gleich­förmig machten und ihn also auf irgendeine Weise, und sei es auch durch den Tod, die Herrlichkeit des inneren Zustandes zu erreichen befähigte, in die Christus durch die Auferstehung eingegangen war. Das soll nicht heißen, dass dieser Zustand für Christus persönlich neu war; aber er war neu für den Men­schen, für die menschliche Natur, die Er in Gnaden ange­nommen hatte und mit der Er in die Herrlichkeit einge­gangen ist. Gerade der Blick auf den Zustand der Auferste­hung aus den Toten gab dem Wandel und der täglichen Energie des Apostels den ausgeprägten Charakter. Er konnte nicht sagen, dass „er es schon ergriffen habe oder schon vollendet sei“; denn zu dieser Vollendung gehörte das Gleichsein mit Christus in der Herrlichkeit. Jedoch jagte er ihm nach, um es zu ergreifen, wozu er auch von Christus ergriffen war; und indem er dieses Ziel verfolgte, sah er kein anderes Leitbild. Er kannte nur dieses eine Ziel und verfolgte es nicht träge und faul, sondern mit Ernst und ungeteiltem Eifer, indem er nicht nur gewisse Dinge missbilligte, sondern in der überwältigenden Macht dessen, der ihn von allem anderen befreit und ihn an den einen Gegenstand gefesselt hatte. Stets war dieser Gegen­stand vor seinen Augen, aber er hatte ihn noch nicht ergriffen; immer glänzender wurde er vor seinem Geist, aber er besaß ihn noch nicht. Dies veranlasste ihn, stracks nach vorne zu sehen und sich nicht mit dem Weg zu beschäftigen, den er zurück­gelegt hatte. Er vergaß, was hinter ihm war, und streckte sich nach dem aus, was vor ihm war. Wer in seinem Wettlauf stehenbleibt, um den zurückgelegten Weg zu besehen, wird das Ziel nicht erreichen; das Ich rückt dann in den Vordergrund, das Manna erzeugt Würmer, und das Herz entfernt sich von dem, was es fesselte.

Die Energie eines einfältigen Auges erzeugt noch eine andere bemerkenswerte Wirkung: Man schaut ausschließlich auf das, was himmlisch ist. Es ist die Berufung nach oben, an die sich die Hoffnung und die Gedanken knüpfen, indem man, wie der Apostel sagt, nicht „die Dinge anschaut, die man sieht, sondern die, die man nicht sieht“. Das gibt dem ganzen Wesen und Verhalten des Menschen ein himmlisches Gepräge. Sein Wandel ist im Himmel, sein Umgang ist dort oben, das Herz ist erhoben und mit Dank erfüllt. Es ist die Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus. Das einsichtsvolle Herz er­kennt die Quelle und den Weg dieser Berufung.

Feinde des Kreuzes Christi

Ich sehe davon ab, mich mit dem zu befassen, was der Apostel hier als Gegensatz zu dem Vorhergehenden aufstellt. Es ist die irdische Gesinnung. Sie fördert das Wachstum nicht, sondern zieht den Menschen nur ab von dem, was himmlisch, rein und göttlich ist. Ihr abträglicher Einfluss geht so weit, dass der Apo­stel von „Feinden des Kreuzes Christi“ spricht. Das Kreuz ist der Tod dieser Welt. Der Heilige rühmt sich, durch das Kreuz der Welt gestorben zu sein. Wenn jemand im Geist dieser Welt lebt, so ist er ein Feind des Kreuzes. Das Ende ist Ver­derben.

Die Hoffnung des Christen

Uns bleibt nur eins, nämlich die Hoffnung des Christen bis zu ihrer Erfüllung in der Ankunft des Herrn zu verwirklichen. Wir haben diese Hoffnung, „diesen Schatz in irdenen Gefäßen“. Christus wird kommen und den Leib unserer Niedrigkeit so umgestalten, dass er dem Leib seiner Herrlichkeit gleichförmig ist. Dann wird das, was wir jetzt in Hoffnung besitzen, was wir ersehnen, was unsere Herzen schon hier bildet, in Herrlichkeit erfüllt sein. Wir werden Christus gleich und immer bei Ihm sein.

Dies ist das Wesen einer Energie, die uns nicht nur befreit, sondern uns auch über alles, was in der Welt ist, triumphieren lässt, indem sie unsere Neigungen den Dingen zuwendet, die droben und nicht auf der Erde sind, und indem sie Christus, der droben ist, zur glänzenden und gesegneten Kostbarkeit unserer Herzen macht.

Vorheriger Teil


Originaltitel: „Gedanken über das zweite und dritte Kapitel des Briefes an die Philipper“
aus Botschafter des Heils in Christo, Jg. 21, 1873, S. 318–327
(übersetzt aus: The Collected Writings, Bd. 17)
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