Einige grundsätzliche Gedanken zu Matthäus 18,15-20
Die Bedeutung des Versammelns in Seinem Namen

Joachim Das

© J. Das, online seit: 29.01.2010, aktualisiert: 04.01.2023

Leitverse: Matthäus 18,15-20

Mt 18,15-20: 15 Wenn aber dein Bruder gegen dich sündigt, so geh hin, überführe ihn zwischen dir und ihm allein. Wenn er auf dich hört, hast du deinen Bruder gewonnen. 16 Wenn er aber nicht hört, so nimm noch einen oder zwei mit dir, damit durch den Mund von zwei oder drei Zeugen jede Sache bestätigt werde. 17 Wenn er aber nicht auf sie hört, so sage es der Versammlung; wenn er aber auch auf die Versammlung nicht hört, sei er dir wie der Heide und der Zöllner. 18 Wahrlich, ich sage euch: Was irgend ihr auf der Erde binden werdet, wird im Himmel gebunden sein, und was irgend ihr auf der Erde lösen werdet, wird im Himmel gelöst sein. 19 Wahrlich, wiederum sage ich euch: Wenn zwei von euch auf der Erde übereinkommen werden über irgendeine Sache, welche sie auch erbitten mögen, so wird sie ihnen zuteilwerden von meinem Vater, der in den Himmeln ist. 20 Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte.

Der Verfasser ist in der Lehre der nachstehenden Gedanken aufgewachsen. Aus aktuellem Anlass war er vor einigen Jahren gezwungen, sich mit diesen Versen eingehend zu beschäftigen, um nachzuforschen, ob die ihm überlieferte Lehre auch dem Wort Gottes entspricht. Die folgenden Zeilen sind das Ergebnis dieser Untersuchung. Bevor wir uns mit den Versen 15 bis 20 im 18. Kapitel des Matthäusevangeliums beschäftigen, müssen wir uns überlegen, in welchem Zusammenhang diese Verse stehen. Das ist umso wichtiger, weil gerade Matthäus sich bei seiner Darstellung des irdischen Lebens unseres Herrn im Allgemeinen nicht nach der chronologischen Reihenfolge richtet. Das heißt, der Heilige Geist hat ihn bei der Inspiration so geführt, dass er die Erlebnisse des Herrn Jesus anders anordnete. Es ist selbstverständlich, dass der Heilige Geist nicht ohne Absicht so handelt. Und wenn dem so ist, dann ist gleichfalls selbstverständlich, dass der Heilige Geist die Ereignisse auf diese Weise zusammenstellt, damit Er damit etwas aussagen kann. Insofern ist es nicht unwichtig, in welchem Zusammenhang die Zentralverse unseres Kapitels stehen.

Wenn man die ersten 14 Verse sorgfältig liest und überdenkt, erkennt man recht schnell, dass das Reich der Himmel hier im Blickfeld steht. Das Reich der Himmel stellt das Reich Gottes dar, wie es nach der Verwerfung seines Königs geworden ist. Es ist nicht das Reich in Herrlichkeit, wie es im Tausendjährigen Reich verwirklicht wird, sondern ein Reich, in dem die Himmel für den Menschen unsichtbar hinter den Kulissen wirken. Aus den Kennzeichen, die in den Gleichnissen vom Reich der Himmel im Matthäusevangelium gegeben werden, erkennen wir, dass es sich um die heutige Zeit des Christentums handelt. Aber das Reich ist etwas Äußerliches und nicht das, was für Gott den Kern der jetzigen Gnadenzeit ausmacht, nämlich die Kirche oder Versammlung. Es ist das, was die Welt von der Herrlichkeit Gottes – und es handelt sich in diesem Fall um eine moralische Herrlichkeit, weil äußerlich nichts davon zu sehen ist bzw. zu sehen sein sollte – erkennen kann. Dass eine äußere pompöse Herrlichkeit durch das Versagen der Menschen (vgl. Mt 13,31.32) und gegen die Gedanken Gottes sowie als Gegenstand Seines Missfallens entstanden ist, sei zugegeben. Moralische Herrlichkeit soll das Kennzeichen der Gläubigen der gegenwärtigen Zeit sein; denn durch sie werden aufrichtige Herzen angezogen und zu Gott geführt. Äußerer Pomp führt im Allgemeinen nur zur Sammlung von toten Bekennern. Aus dem Gesagten geht schon hervor, dass das Reich unbedeutend und klein sein sollte in den Augen der natürlichen Menschen.

Und damit kommen wir zum zweiten Kennzeichen dieser ersten Verse des Kapitels. Neben dem Reich der Himmel geht es hier um Niedriggesinntheit bei denen, die wirklich zu diesem Reich gehören. Darin unterscheidet es sich von allen anderen Reichen auf der Erde, die danach streben, groß und herrlich zu sein. Und warum ist das so? Weil Gott will, dass in dieser Welt der Sünde und der Herrschaft des Teufels keiner der Seinen groß werde; denn es ist in sich selbst ein Widerspruch, wenn jemand, der zum Reich Gottes gehört, im Reich des Widersachers Gottes groß ist. Deshalb drückt der Herr Jesus in diesen Versen immer wieder das Wohlgefallen Gottes an den Kleinen und Geringen aus. Zusammenfassend kann man also zu diesen Versen sagen, dass wir hier die Gesinnung der Niedriggesinntheit finden, die für das Reich der Himmel in einer Gott feindlichen Welt angemessen ist.

Die folgenden Verse 15 bis 20 sind nicht so leicht zu verstehen – jedenfalls, wenn es uns darum geht, für uns selbst die Gedanken Gottes zu erkennen und nicht das, was andere dazu gesagt haben, ungeprüft zu übernehmen (Apg 17,11). Aber schon ein flüchtiger Blick zeigt uns, dass es hier um Autorität geht, deren Beschlüsse von Gott anerkannt werden. Des Weiteren handelt es sich hier um eine Kette von Gedanken, deren innewohnende Logik schwieriger zu erkennen ist, weil manches nicht direkt gesagt wird, sondern erst aus anderen Stellen der Bibel hergeleitet werden muss. Dabei ist es gut – wie immer bei der Beschäftigung mit dem Wort Gottes – daran zu denken, dass keine „Weissagung der Schrift von eigener Auslegung ist“ (2Pet 1,20). Das heißt, jeder Gedanke, den wir aus einer Stelle des Wortes Gottes entnehmen, muss in seinem Inhalt von wenigstens einer anderen Bibelstelle bestätigt werden. Das Zweite, was uns in diesem Abschnitt auffällt und das auch ausdrücklich genannt wird, ist der Begriff „Versammlung“. Wenn wir schon vorwegnehmen, dass unsere weitere Untersuchung zeigen wird, dass es sich um eine christliche Versammlung handelt, dann erkennen wir in diesen Versen die Autorität, die Gott einer Versammlung in den göttlichen Dingen auf der Erde gegeben hat. Wir sehen also: Im Reich der Himmel gilt es, niedriggesinnt zu sein und nichts aus sich selbst zu machen. Das sehen wir in den ersten vierzehn Versen. In der Versammlung dagegen ist Autorität vorhanden, um bei bestimmten Fällen im Auftrag Gottes zu handeln. Niedriggesinntheit und Autorität schließen sich also nicht aus. Während wir in der Welt nicht nach Großem streben sollen, braucht es doch nicht der Niedriggesinntheit zu widersprechen, wenn wir in der Versammlung nach einem Aufseherdienst trachten (1Tim 3,1) oder um die größeren Gnadengaben eifern (1Kor 12,31). Entscheidend ist die demütige innere Haltung.

Kommen wir nun zu den einzelnen Versen! Die Verse 15 bis 16 sind eigentlich so klar, dass man nichts dazu sagen muss. „Wenn aber dein Bruder wider dich sündigt, so gehe hin, überführe ihn zwischen dir und ihm allein. Wenn er auf dich hört, so hast du deinen Bruder gewonnen. Wenn er aber nicht hört, so nimm noch einen oder zwei mit dir, damit aus zweier oder dreier Zeugen Mund jede Sache bestätigt werde“ (Mt 18,15.16). Es handelt sich hier um einen göttlichen Grundsatz, der eigentlich für alle Zeiten gilt, obwohl er häufig nicht praktiziert wird. Diese Aufforderung scheint auch die einzige Wahrheit in diesem Teil der Rede des Herrn zu sein, die von Petrus verstanden worden ist. Denn darauf bezieht sich die Frage des Petrus, die den Herrn im letzten Teil unseres Kapitels veranlasst, darzulegen, welch ein Geist der Vergebung von Gläubigen praktiziert werden muss.

Dann sagt unser Herr im 17. Vers: „Wenn er aber nicht auf sie hören wird, so sage es der Versammlung; wenn er aber auch auf die Versammlung nicht hören wird, so sei er dir wie der Heide und der Zöllner“ (Mt 18,17). Hier finden wir also die beiden schon erwähnten Begriffe zusammengestellt. Der eine, „Versammlung“, wird direkt genannt, der andere, „Autorität“, liegt im Sinn des Verses verborgen. Es war bisher alles vergeblich, um den sündigen Bruder mit sozusagen privaten Mitteln wieder zurechtzubringen. Um diesen auf seinem verderblichen Weg, wenn möglich, aufzuhalten, lässt der Geschädigte in seiner Liebe nicht nach. Er will den fehlenden, geliebten Bruder nicht aufgeben. Dazu hat Gott in Seiner Gnade eine übergeordnete Instanz eingesetzt, die den Fall endgültig klären muss. Gegen diese Instanz gibt es kein Einspruchsrecht; ihr Beschluss ist verbindlich sowohl für den Sünder als auch für den Geschädigten. Wenn der sündige Bruder uneinsichtig ist, dann kann man ihn nur Gott überlassen. Man selbst als Geschädigter muss die Konsequenzen ziehen und jeden Kontakt mit dem uneinsichtigen Bruder abbrechen und ihn wie einen abscheulichen Menschen meiden. Es ist wichtig, festzuhalten, dass es sich dabei nicht um eine Zuchthandlung seitens der Versammlung handelt wie in 1. Korinther 5. Eventuell macht der Geist Gottes der Versammlung später klar, dass ein solcher Schritt zu folgen hat. Doch das ist nicht der Gegenstand dieser Stelle. Hier wird ausschließlich dem Geschädigten die gottgemäße Handlungsweise vorgeschrieben.

Schwieriger wird es mit der Identifizierung dessen, was hier als „Versammlung“ bezeichnet wird. Die Jünger werden zunächst an die Versammlung Israels gedacht haben nach Psalm 22,22.25 und Psalm 35,18. Aber seit wann war diese Versammlung eine Art Schiedsstelle von höchster Autorität bei Problemen zwischen Brüdern? Ich wüsste nicht, dass die Schrift an irgendeiner Stelle so etwas sagt. Für derartige Streitfälle waren die Richter zuständig (5Mo 16,18; 17,8-13; u.a.m.). Es muss sich demnach um eine andere Versammlung handeln als diejenige Israels. Für uns, die Gläubigen der Gnadenzeit, ist es natürlich klar, welche Versammlung gemeint ist, nämlich eine Versammlung im christlichen Sinn. Die Jünger hatten jedoch, soweit die Schrift uns das mitteilt, bisher nur ein einziges Mal von einer neuen Versammlung, die der Herr erst später bauen wollte, gehört, und zwar in Matthäus 16,18. Und wer könnte behaupten, dass die Jünger bei dieser Gelegenheit alles verstanden haben? Doch es gab eine Zeit, in der die Jünger diese neue Versammlung im strahlenden Glanz vor sich sahen. An dem Tag der Pfingsten (Apg 2) hat Gott der Heilige Geist alle Erlösten zu einem Leib, der Versammlung Gottes, getauft. Diese bestand damals ausschließlich aus erlösten Gläubigen in Jerusalem, die alle gemeinsam in den Gebäuden des Tempels versammelt waren. Es ist selbstverständlich, dass diese Versammlung, mit den Aposteln und leiblichen Brüdern des Herrn unter ihnen, die außerdem noch zum Namen ihres Erlösers und Herrn zusammengekommen war (vgl. Mt 18,20), im umfassendsten Sinn den Charakter der Versammlung Gottes auf Erden erfüllte. Dass eine solche Versammlung unbedingt die Stellung der obersten Autorität und der höchsten Instanz unter erlösten Christen einnahm, kann darum wohl kaum bezweifelt werden. Wir wissen aber, wie bald diese Einheit der Versammlung in praktischer, sichtbarer Weise auf der Erde verschwunden ist. Die Versammlung in Jerusalem wurde von den Feinden zersprengt (Apg 8). Das Evangelium breitete sich nach den Anordnungen Gottes über die Erde aus. Überall entstanden entsprechend den Gedanken Gottes neue örtliche Versammlungen, die in sich selbst Ausdruck der einen Versammlung Gottes auf der Erde, dem Leib Christi, waren. Doch diese eine Versammlung konnte schon aus praktischen Gründen nicht mehr verwirklicht werden; denn dazu hätten die Gläubigen der ganzen Erde sich an einem Ort auf der Erde zusammenfinden müssen. Außerdem trat schon bald ein Verfall auf, der dazu führte, dass die Gläubigen sich in verschiedene Sekten[1] aufspalteten, die nichts mehr miteinander zu tun haben wollten und einander bekämpften. Damit war die sichtbare Einheit der Versammlung Gottes auf der Erde ein für alle Mal zerstört. War damit jedoch der Grundsatz Gottes, eine höchste Instanz auf der Erde zu haben, die mit Seiner Autorität bekleidet ist, beiseitegesetzt? Die folgenden Verse geben die Antwort.

Mit dem 18. Vers des Kapitels vor uns beginnt eine neue Gedankenkette unseres Herrn, die scheinbar mit dem vorhergehenden nichts zu tun hat. Das sehen wir schon aus der unterschiedlichen Anrede des Herrn an Seine Zuhörer. Wir müssen gut beachten, dass die Worte des Herrn Jesus durch den feierlichen Ausspruch „Wahrlich, ich sage euch“ eingeleitet werden. Diesen Ausspruch gebraucht unser Herr immer dann, wenn Er besonders wichtige Dinge vor unsere Augen stellen will, die Er unserer sorgfältigen Beachtung empfiehlt. „Wahrlich, ich sage euch: Was irgend ihr auf der Erde binden werdet, wird im Himmel gebunden sein, und was irgend ihr auf der Erde lösen werdet, wird im Himmel gelöst sein“ (Mt 18,18). Der Herr redet in unserem Kapitel zu Seinen Jüngern (vgl. Mt 18,1). Es wird nicht gesagt, ob noch andere Jünger als die Zwölf angesprochen wurden. Während Er sie in den Versen 15 bis 17 mit „dein“, „dir“ und „dich“ anredet, spricht Er dieselben Jünger in den folgenden Verse mit „ihr“ und „euch“ an. Wir sehen in Ersterem eine persönliche Anrede an jeden einzelnen für sich allein, in Letzterem eine gemeinsame, kollektive. Dieser Wechsel in der Anrede kann nicht ohne Bedeutung sein. Sie deutet einen Wechsel der Gesichtspunkte in Seiner Rede an. Die persönliche Anrede benutzt Er, wenn es darum geht, sich der übergeordneten Autorität zu beugen. Dagegen verwendet Er die kollektive Anrede, wenn Er Seinen Jüngern zeigt, dass sie selbst eine Autorität besitzen. Und darum geht es in diesem Vers: Die Jünger besaßen eine Autorität, die im Himmel anerkannt wurde. Eine gleichlautende Autorisierung hatte der Herr schon im 16. Kapitel dem Petrus gegeben (Mt 16,19). Hier in Matthäus 18 wird sie auf die zuhörenden Jünger erweitert. Es ist uns wohl allen klar, dass es sich dabei nicht um ewige Dinge handeln kann, sondern um solche, die mit der Verwaltung Gottes auf der Erde zu tun haben. Ewige, himmlische Dinge hat Gott in Seiner eigenen Hand. Aber Verwaltungen auf der Erde hat Gott häufig in die Hand von Menschen gelegt; man denke zum Beispiel an Adam, Israel, Nebukadnezar usw. 

Es mag nun dahingestellt bleiben, ob man als „binden“ ein Aufbinden der Sünde und als „lösen“ ein Lösen von der Sünde sieht oder eine Aufnahme in die Gemeinschaft der Versammlung oder ein Lösen aus dieser Gemeinschaft – das Ergebnis der entsprechenden Handlungsweise ist ähnlich. Diese Autorität war also zunächst einmal dem Petrus übertragen worden, der von diesem Recht zum Beispiel bei dem Gericht über Ananias und Sapphira (Apg 5) Gebrauch machte. Doch in unserem Vers erhalten auch die übrigen Jünger dieses Recht und später der Apostel Paulus (vgl. 1Tim 1,20). Derselbe Grundsatz gilt auch für Vers 19: „Wiederum sage ich euch: Wenn zwei von euch auf der Erde übereinkommen werden über irgendeine Sache, um welche sie auch bitten mögen, so wird sie ihnen werden von meinem Vater, der in den Himmeln ist“ (Mt 18,19). Das Wort „wiederum“ drückt die enge Verbindung des Gesagten mit dem vorherigen Vers aus, der Ausdruck „ich sage euch“ die große Bedeutung des Vorgestellten. Auch hier sind primär zunächst die Zuhörer gemeint; und es ist eigentlich nicht unverständlich, dass der Herr Jesus den Aposteln neben so manchen anderen auch dieses besondere Vorrecht einräumt. Er gibt dann jedoch in Vers 20 eine Begründung, die mit dem Wort „denn“ eingeleitet wird: „Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte“ (Mt 18,20). Wir hätten nach unseren Gepflogenheiten beim Darlegen unserer Gedanken zuerst die Begründung oder Voraussetzung gegeben und danach die Konsequenz. Doch der Herr handelt hier andersherum. Wie dem auch sei – warum kann Er die Verheißung einer solchen Gebetserhörung geben? Weil Er in ihrer Mitte ist. „Denn … da bin ich in ihrer Mitte.“ Wenn der Herr Jesus in der Mitte ist, das heißt sich einsmacht mit den Bitten der zwei und drei, dann ist es klar, dass der Vater erhören wird. Damit allerdings der Herr Jesus in der Mitte der zwei und drei ist, muss eine Voraussetzung unbedingt erfüllt sein. „Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte.“ Die Versammlung muss in Seinem Namen zusammentreten. Was heißt das, „in meinem Namen“ oder, wie die Fußnote besser sagt, „zu meinen Namen hin“; denn das griechische Wort deutet eine Richtung an, die in etwas hineinführt.[2]

Warum sagt der Herr Jesus nicht: „Versammelt zu mir hin“? Der Name einer Person besagt in der Bibel mehr als einfach die Person selbst in ihrer Leiblichkeit. Deshalb spricht Gott sehr häufig in der Bibel nicht von Sich selbst, sondern von Seinem Namen. Bei Gott bedeutet ein Name nicht bloß eine Chiffre, wie in unserer Gesellschaft, die eine Person unverwechselbar kennzeichnet. Ein von Gott gegebener Name stellt eine Offenbarung dieser Person dar. Dabei ist ein einziger Name nur in der Lage, ein oder wenige Kennzeichen einer Person auszudrücken. Aber der Herr Jesus hat viele Namen, so dass alles, was Seine Person ausmacht, durch irgendeinen Namen ausgedrückt wird. Wir müssen auch beachten, dass hier nicht steht: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen Jesus.“ Es geht hier um die Essenz, das Wesen, Seines Namens, man darf vielleicht sagen, die Zusammenfassung aller Seiner Namen; denn der Ausdruck „Name“ steht in Vers 20 in der Einzahl. Dieses Versammeln in Seinem Namen erfolgt also in der praktischen Anerkennung alles dessen, was der Herr Jesus ist. Und da der Herr Jesus das Wort Gottes ist, bedeutet es die Anerkennung des ganzen Wortes Gottes. Seine Autorität, Seine Rechte, die Wahrheit über Seine Person, Seine Herrlichkeit, Sein Werk, ja auch die Wahrheit über Seine Verbindung mit Seiner Versammlung als dem einen Leib und was wir noch alles in der Bibel finden, muss voll anerkannt werden. Wir finden etwas Ähnliches auch in unseren menschlichen Gesellschaften. Öffentliche Amtshandlungen durch Behörden erfolgen „im Namen des Gesetzes“, „im Namen des Königs“, „im Namen des Volkes“, usw.. Dabei ist vorausgesetzt, dass die volle Autorität und die ganze Wirklichkeit (oder wie man es sonst ausdrücken mag) der autorisierenden Person oder Sache hinter der Amtshandlung stehen. 

Der Herr Jesus erweitert im 20. Vers den Personenkreis. In Vers 19 lesen wir noch „von euch“. Jetzt finden wir diese einschränkenden Worte nicht mehr. Alle Gläubigen, die die Bedingungen von Vers 20 erfüllen, haben das Vorrecht der Gegenwart des Herrn. Was sind aber diese Bedingungen? Es kann sich natürlich nicht um ein x-beliebiges Zusammenkommen handeln, das wir als Versammeln im Namen Jesu bezeichnen. Bei der richtigen Art des Zusammenkommens ist der Herr Jesus der einzige Mittelpunkt. Nur Er hat die Autorität. Er wirkt durch den Heiligen Geist, wie Er will. Wir Gläubige sind nur Gäste, die in der angemessenen Bescheidenheit alle Ehre Ihm überlassen müssen. Solche Zusammenkünfte sind insbesondere gottesdienstlicher Art, wie wir sie in Apostelgeschichte 2,42 sehen. Es erheben sich nun zwei Fragen. Die erste lautet: Bezieht sich die Bedingung des 20. Verses, nämlich dass man „in meinem Namen“ versammelt sein muss, auch auf die Verheißung in Hinsicht auf das Binden und Lösen im 18. Vers? Ich denke ein Hinweis auf eine zustimmende Antwort finden wir in dem Wort „wiederum“, welches den 19. Vers mit dem 18. verbindet. Der zweite Beweis ist eigentlich mehr indirekter Art.[3] Sollte eine gemeinsame Gebetserhörung von der Anwesenheit des Herrn Jesus abhängen, aber das viel wesentlichere Binden und Lösen nicht? Wenn es auch nicht ausdrücklich gesagt wird, denke ich doch, dass wir hier eine zusammenhängende Gedankenkette finden, die den 18. unmittelbar mit dem 20. Vers verbindet.

Es bleibt noch die zweite Frage übrig: Wenn der Herr Jesus in der Mitte von zwei oder drei Gläubigen, die in Seinem Namen versammelt sind, ist, gilt dann die Verheißung von Vers 18 nur den damaligen Zuhörern, den „ihr“, oder allen so Versammelten? Auch bei der Beantwortung dieser Frage dürfen wir wohl die schon erwähnte innere Gedankenkette voraussetzen. Es gibt jedoch auch Hinweise, die wir an anderen Stellen der Bibel finden. Wir lesen in 1. Korinther 5, geschrieben durch den Apostel Paulus, die Worte: „Ich … habe schon als anwesend geurteilt, den, der dieses so verübt hat“ – das heißt Hurerei getrieben –, „im Namen unseres Herrn Jesus Christus (wenn ihr und mein Geist mit der Kraft unseres Herrn Jesus Christus versammelt seid) einen solchen dem Satan zu überliefern … Tut den Bösen von euch selbst hinaus“ (1Kor 5,3-5.13). Hier steht zwar nicht „in meinem Namen“ oder „im Namen des Herrn Jesus versammelt“, aber doch ein ähnlicher Ausdruck, der die Kraft oder Macht (dynamis) der also Versammelten zeigt. Es ist nämlich die „Kraft unseres Herrn Jesus Christus“. Und die Ausführung der Handlung erfolgt mit der Autorität und „im Namen unseres Herrn Jesus Christus“. Darf man bezweifeln, dass es sich hier um vergleichbare Gedanken zu denen von Matthäus 18,18-20 handelt? Nach den Versen 3 bis 5 könnte man noch annehmen, dass die Autorität des Apostels – „wenn ihr und mein Geist … versammelt seid“ – der Zuchthandlung ihre göttliche Billigung zuträgt. Aus Vers 13, wo der Apostel Paulus nicht mehr erwähnt wird, erfahren wir jedoch klar, dass die Gläubigen in Korinth aus sich selbst heraus die Verantwortung und die Autorität hatten, den Bösen hinauszutun. Desgleichen ersehen wir aus 2. Korinther 2,5-11, dass ausschließlich die Versammlung in Korinth die Autorität und Aufgabe hatte, den wiederhergestellten „Bösen“ wieder aufzunehmen. Der Apostel ermuntert sie zwar dazu; er gibt ihnen allerdings keinen Befehl diesbezüglich.

Man mag sich nun fragen, ob das Binden und Lösen von Matthäus 18 und das Hinaustun und Wiederaufnehmen bei den Korinthern dasselbe sei. Aber ich denke doch, dass es sich hier um gleiche Gedanken handelt. Eine verbindende Aussage zwischen diesen beiden Gesichtspunkten finden wir nämlich in den Worten des Herrn an Seinem Auferstehungstag an die Jünger in Johannes 20,23: „Welchen irgend ihr die Sünden vergebet, denen sind sie vergeben, welchen irgend ihr sie behaltet, sind sie behalten.“ Dabei möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass diese Autorität nur für Gottes Regierungswege auf der Erde Bedeutung hat und keine ewigen Dinge der Herrlichkeit beinhaltet.

Wenn wir nun zu unserem Abschnitt zurückkehren, dürfen wir wohl sagen, dass es auf den ersten Blick zwar so aussieht, als seien die Verheißungen der Verse 18 und 19 nur an die Jünger gerichtet. Ein Vergleich mit Stellen aus dem ersten Korintherbrief zeigt jedoch, dass diese Autorität letztendlich einer jeden Versammlung, die im Namen des Herrn Jesus versammelt ist, übertragen wird. Dabei möchte ich nur beiläufig erwähnen, dass hier an keiner Stelle von einer Unfehlbarkeit bei den Entscheidungen der Versammlung gesprochen wird sondern von einer Autorität, die einer nach Vers 20 versammelten Versammlung von Gott übergeben worden ist. Doch diese Autorität hat der Herr für die heutige Zeit keinen Einzelpersonen – das heißt auch keiner Brüderversammlung – übertragen, sondern nur einer Versammlung, die zu Seinem Namen und daher mit Ihm in der Mitte zusammengekommen ist. Dabei muss diese sich unbedingt bewusst sein, dass sie bei ihren Entscheidungen neben der Autorität auch eine Verantwortung trägt. Diese besteht nicht nur vor Gott, sondern auch vor der ganzen Versammlung Gottes am betreffenden Ort und überall auf der Erde; denn ihr Beschluss ist für die ganze Versammlung auf der Erde verbindlich. Wenn diese Versammlung der zwei oder drei im Namen Jesu Versammelten eine Autorität besitzt, die im Himmel anerkannt wird, dann gilt das erst recht für diese Erde. Insofern ist eine solche Versammlung auch die höchste Instanz bei Schwierigkeiten unter Brüdern. Damit haben wir dann den Bezug zum eingangs betrachteten 17. Vers geknüpft. 

Nur eine Versammlung, die im Namen Jesu zusammenkommt, ist also dazu berechtigt, verbindliche Entscheidungen zwischen Brüdern, gegen die es keinen Einspruch gibt, zu treffen. Dazu sei jedoch gesagt, dass diese Versammlung nicht identisch ist mit dem, was die Schrift als „Versammlung Gottes“ bezeichnet.[4] Es ist auffallend, dass in diesem Abschnitt an keiner Stelle die Versammlung als „Versammlung Gottes“ bezeichnet wird. Auch der Ausdruck „meine Versammlung“, wie in Matthäus 16, fehlt hier. Als „Versammlung Gottes“ gilt nach der Bibel nur die Gesamtheit aller Erlösten auf der Erde oder in einer Stadt (bzw. als vollendet in der Herrlichkeit). Wenn aber aus diesen eine Anzahl Geschwister sich an einem bestimmten Ort „zu meinem Namen“ versammeln, dann sind sie eine Versammlung, wie sie in Vers 17 erwähnt wird, aber nicht die Versammlung Gottes an diesem Ort, es sei denn alle Gläubigen des Ortes haben sich eingefunden. Es ist natürlich selbstverständlich, dass bei den Versammlungen entsprechend den Versen 17 und 20 die Wahrheit von der Einheit der Versammlung in ihrer weltweiten oder örtlichen Ausprägung anerkannt wird; denn auch diese Wahrheit gehört zum Wesen und zur Herrlichkeit des Herrn Jesus, die in dem Ausdruck „in meinem Namen“ enthalten ist. Das Problem, das zu der Untersuchung geführt hat, die in diesen Zeilen geschildert wird, bestand darin, herauszufinden, ob alle diese Verse (17-20) auf eine Versammlung im Namen Jesu bezogen werden können. Während in den Versen 17 und 20 eine solche Versammlung, bzw. ein Versammeltsein, ausdrücklich erwähnt wird, zeigen die hier dargelegten Gedanken, dass die dazwischenliegenden Verse 18 und 19 durch ein verborgenes gedankliches Band aufs engste mit den Nachbarversen verbunden sind. 

Fassen wir das Gesagte kurz zusammen, so sehen wir in Vers 17 die Versammlung als höchste Instanz auf der Erde bei Problemen zwischen Brüdern. Das beruht nach Vers 18 und 1. Korinther 5, darauf, dass eine Versammlung im Namen Jesu eine Autorität für Beschlüsse auf dieser Erde hat, die im Himmel anerkannt werden. Vers 19 drückt die Zustimmung des Vaters zu dem übereinstimmenden Wunsch von wenigstens zwei Gläubigen auf der Erde aus, so dass Er ihre Bitte erfüllt. Doch die notwendige Bedingung für die Verse 18 und 19 gibt der 20. Vers: Diese Gläubigen müssen im Namen Jesu versammelt sein.

Anmerkungen

[1] Der Ausdruck Sekte = „religiöse Partei“ sei hier so verwandt, wie die Schrift ihn benutzt, und nicht in der Bedeutung des heutigen Sprachgebrauchs, der ihm den Sinn von Irrlehre zuschreibt.

[2] Rienecker, F. [1984]: Sprachlicher Schlüssel zum Griechischen Neuen Testament, 17. Aufl., Brunnen-Verlag, Gießen, S. 48.

[3] Anm. der Red.: Siehe hierzu den Artikel: „Beginnt in Matthäus 18,19 eine ganz neue Sache?

[4] Als Ausnahme kann nur, wie oben erwähnt, die erste Versammlung in Jerusalem gelten.


Hinweis der Redaktion:

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