Die Berufung des Apostels Paulus
Galater 1,1

William Kelly

© EPV, online seit: 15.01.2005, aktualisiert: 30.10.2022

Leitvers: Galater 1,1

Gal 1,1: Paulus, Apostel, nicht von Menschen noch durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott, den Vater, der ihn auferweckt hat aus den Toten.

Paulus war weder von noch durch einen Menschen zum Apostel gemacht worden. Das schließt also jede menschliche Berufung oder Anerkennung aus. Sein Apostelamt stammte nicht aus einer menschlichen Quelle und war ihm auch nicht vermittelst eines Menschen gegeben worden. Nichts wäre für Gott einfacher gewesen, als Paulus in Jerusalem zur Buße zu leiten. Schließlich war er dort zu den Füßen Gamaliels auferzogen worden. Jerusalem war auch der Ort, wo seine Gewalttätigkeit gegenüber den Christen erstmals zum Ausbruch gekommen war. Aber als Gott ihm begegnete, war er weit von Jerusalem entfernt, von seinem Hass gegen die Heiligen bis nach Damaskus getrieben. Dort offenbart der Herr sich am hellen Tage und doch unsichtbar für die anderen vom Himmel her dem überwältigten Saulus von Tarsus. Dieses Ereignis bewirkte nicht nur dessen Bekehrung, sondern er wurde auch gleichzeitig zum Apostel berufen – zu einem „Apostel, nicht von Menschen noch durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott, den Vater, der ihn auf erweckt hat aus den Toten“.

Um das noch mehr zu verdeutlichen – wen erwählte sich der Herr als Werkzeug, um Paulus zu taufen? Einen gottesfürchtigen Jünger aus Damaskus, der nur dieses eine Mal erwähnt wird. Gott demonstrierte also mit besonderer Sorgfalt, dass dieser Apostel, der einen so besonders wichtigen Platz einnehmen sollte, der die wichtigste Aufgabe zu erfüllen hatte, die je ein Diener des Herrn Jesus wahrnehmen sollte – dass gerade dieser Paulus ohne jedes Mitwirken, ohne irgendwelche Autorisation oder Anerkennung von Menschen berufen wurde. Seine Taufe hatte nichts damit zu tun, dass er ein Apostel wurde. Wenn jemand getauft wird, wird er dadurch, was das äußere Zeugnis auf der Erde betrifft, ein Christ – und nicht ein Apostel. Sofort hiernach geht Paulus, nach Arabien und verkündigt dort das Evangelium. Gott erkennt ihn auch sofort als einen Diener Christi im Evangelium an – ohne jede menschliche Einmischung. Das ist in der Tat der wahre Grundsatz des Dienstes, wie er in der Berufung und dem Werk des Saulus von Tarsus, der von nun an ein Sklave Jesu war, deutlich illustriert wird.

Es könnte jedoch entgegnet werden, dass wir im Neuen Testament auch von einer Absonderung zum Dienst und einem Händeauflegen durch Menschen lesen. Das erkenne ich voll und ganz an. In einigen Fällen wurden Personen, deren Eignung zum Dienst bereits erwiesen war, formell durch apostolische Autorität für eine örtliche Aufgabe beiseitegesetzt. Sie wurden damit in den Augen der Heiligen mit einer gewissen Würde bekleidet – vielleicht, weil die Gabe nicht sehr groß war. Wenn die volle Kraft Gottes vorhanden ist, bedarf es keiner äußeren Anstellung. Kraft offenbart sich selbst; und die Gläubigen werden sie früher oder später anerkennen müssen. Wenn jemand also eine Gabe vom Herrn empfangen hat, braucht er sich weiter keine Sorgen um ihre Ausübung zu machen. Gott hat Mittel und Wege genug, dieser Gabe Respekt zu verschaffen – auch wenn der Mensch das, was der Herr gegeben hat, nicht sieht oder nicht anerkennt. Wenn es sich jedoch um solche Diener handelt, die zwar wirklich gottesfürchtige Männer sind, jedoch keine für alle sichtbare Kraft offenbaren, dann müssen diese mit besonderer Autorität bekleidet werden, wenn sie auch bei ungeistlichen Leuten Einfluss haben sollen. Es scheint mir, dass wir aus diesem Grund lesen, dass Apostel oder deren Stellvertreter in den örtlichen Versammlungen Älteste anstellten oder auch selbst dort, wo es an irgendetwas unter den Heiligen mangelte, ihren Rat und ihre Unterweisung zur Verfügung stellten.

Der springende Punkt ist der, dass man das Amt eines Ältesten mit der Ausübung einer Gabe verwechselt. Älteste wurden nur durch solche Männer angestellt, die selbst eine höhere Autorität unmittelbar von Christus empfangen hatten. Niemals wurde aber jemand angestellt, um zum Beispiel das Evangelium zu verkündigen. In der ganzen Heiligen Schrift ist es stets der Herr und nur Er, der jemand zum Dienst beruft. Im gesamten Neuen Testament gibt es keinen gegenteiligen Fall. Es ist positiv böse, wenn ein Diener menschliche Autorisation sucht, um das Evangelium verkünden oder in den Versammlungen als Lehrer arbeiten zu können. In den Tagen der Apostel wurde niemand als Lehrer oder als Prophet angestellt. Aber unter den Ältesten konnten wohl einige Evangelisten, Lehrer usw. sein. Deswegen heißt es: „Die Ältesten, die wohl vorstehen, lass doppelter Ehre für würdig erachtet werden, besonders die, die in Wort und Lehre arbeiten“ (1Tim 5,17). Die Aufseher oder Ältesten, deren Aufgabe es war, vorzustehen, standen in Gefahr, verachtet zu werden. Aber wenn sie gut vorstanden, sollten sie doppelt geehrt werden. Einige von diesen Ältesten, die dazu noch Lehrer waren, sollten darüber hinaus noch besonders geachtet werden. Ich will in keiner Weise die Tatsache leugnen, dass bestimmte Personen durch Menschen für ein Amt beiseitegesetzt wurden. Was ich aber bestreite, ist dies, dass dergleichen bei den normalen Arten des Dienstes der Fall war – also bei Hirten, Lehrern und Evangelisten. Alle Diener in der Schrift wurden völlig unabhängig von irgendwelcher Art von Ordination berufen.

Die Wahl der Versammlung kam nur im Fall der Diakone hinzu, die sich um äußerliche Dinge zu kümmern hatten. Sie wurden durch die Apostel eingesetzt – zumindest die sieben Diakone in Jerusalem, die die Tische bedienten (Apg 6). Ähnlich war es auch bei den Brüdern, die die Gabe der Versammlungen aus den Nationen verwalteten (2Kor 8,19.23). Sie wurden von den verschiedenen Versammlungen, deren Gaben ihnen anvertraut waren, zu diesem Dienst ausgewählt. Älteste waren mehr dazu berufen, in einer örtlichen Versammlung vorzustehen. Es wird aber nie gesagt, dass sie von der Versammlung gewählt wurden. Sie wurden vielmehr von den Aposteln oder deren Stellvertretern formell angestellt, damit die Heiligen ihnen die gebührende Achtung zukommen ließen.

Der Fall des Timotheus steht zweifellos gesondert da. Er wurde durch Weissagung zu einem ganz bestimmten Dienst abgesondert – er sollte über die Reinheit der Lehre wachen. Der Apostel Paulus und die Ältesten legten ihm die Hände auf. Dadurch empfing Timotheus eine geistliche Gabe, die er vorher nicht besaß. Es ist aber offensichtlich, dass heute niemand mehr lebt, der in ähnlicher Weise zu einem solchen Dienst berufen ist.

Man könnte ferner einwenden, dass es auch im Fall des Apostels Paulus ein Händeauflegen gab (Apg 13). Aber was zeigt uns diese Stelle? Sicher nicht, dass Paulus ein von Menschen gewählter Apostel war; denn der Heilige Geist bezeugt uns in Galater 1,1 deutlich, dass Paulus ein Apostel war „nicht von Menschen noch durch einen Menschen“. Was in Antiochien geschah, hat nichts mit einer Ordination zu tun. Viele Schriftstellen beweisen ganz klar, dass Paulus bereits mehrere Jahre vorher gepredigt hatte und dass er einer der anerkannten Propheten und Lehrer in Antiochien war (Apg 13,1). In Apostelgeschichte 13 handelt es sich lediglich darum, dass Paulus und Barnabas für einen besonderen Auftrag beiseitegesetzt wurden, den sie jetzt ausführen sollten – das Evangelium in anderen Ländern zu verkündigen. Wenn der Heilige Geist sagt: „Sondert mir nun Barnabas und Saulus zu dem Werk aus, zu dem ich sie berufen habe“ (Apg 13,2), dann bedeutet das sicher nicht, dass einer von diesen beiden bisher im Eigenwillen, ohne die Autorisierung des Herrn, gepredigt hätte. Noch weniger besagt diese Stelle, dass der große Apostel der Nationen durch solche berufen worden wäre, die niedriger als er gestellt waren. Es handelt sich vielmehr einfach darum, dass die beiden Diener für die Arbeit, die vor ihnen lag, der Gnade Gottes anbefohlen wurden. So etwas kann auch heute noch geschehen. Gesetzt den Fall, es wird einem Bruder, der das Evangelium bereits in England verkündigt hat, sehr aufs Herz gelegt, auch in Amerika zu predigen. Wenn auch seine Brüder empfinden, dass er genau der richtige Mann dafür ist, so mögen sie zum Gebet zusammenkommen, um ihre Gemeinschaft zu bekunden, und so gleichsam dem betreffenden Bruder die Hände auflegen. Aber das ist keine Ordination! Es handelt sich lediglich darum, dass ein Bruder, der bereits eine Gabe empfangen hat, der Gnade Gottes für einen neuen Dienst anbefohlen wird.

Ich halte es dagegen für schriftwidrig, ja für positiv böse, wenn man auf bestimmten Zeremonien oder auch nur auf der Zustimmung bestimmter Brüder besteht, bevor jemand als ein wirklicher Diener Christi anerkannt wird. Mögen solche Praktiken auch allgemein vorherrschend sein, so sind sie doch nichts als der Betrug einer Tradition, die nicht im Geringsten auf die Schrift gegründet ist, die der Mensch eingeführt hat und die im Wesentlichen auf das jüdische Priestertum gegründet ist. Wenn ein Jude zur priesterlichen Familie gehörte, musste er erst eine Anzahl von Zeremonien durchlaufen, bevor er seine Tätigkeit als Priester ausüben konnte. Das hat vor allem die römisch-katholische Kirche nachgeahmt. Aber das Erstaunliche ist, dass gerade solche, die das Papsttum mit ihren Worten verurteilen, weiter an einem seiner schlimmsten Übel festhalten; denn ich glaube, dass der Heilige Geist durch die Einführung eines menschlichen Elements in die Berufung von Dienern Christi am meisten betrübt wird. Der Erfolg besteht darin, dass eine Anzahl Menschen als Diener Christi anerkannt werden, die es nicht sind, und dass andererseits solche, die wirklich seine Knechte sind, nicht anerkannt werden – nur weil sie bestimmten menschlichen Bedingungen nicht entsprechen. Dieses aus dem Judentum übernommene Übel beeinträchtigt die Kraft des Heiligen Geistes in der Versammlung heute wie zu jeder anderen Zeit.

Vielleicht sind manchen diese Bemerkungen zu scharf; vielleicht sagen einige, dass die Liebe so nicht redet. Aber solche wissen überhaupt nicht, was Liebe ist, sondern verwechseln sie mit Gleichgültigkeit. Gleichgültigkeit ist aber der Tod wahrer Liebe. Wenn du siehst, dass dein Kind mit Feuer spielt, würdest du dich auch durch seine energischste Gegenwehr nicht davon abhalten lassen, es von dem Feuer wegzuholen. So darf es uns auch gar nicht interessieren, wenn einige meinen, ein deutliches Wort oder sogar ein scharfer Verweis geziemten sich nicht für einen Christen. Der ganze Galaterbrief beweist das Gegenteil. Der Gegenstand, der uns jetzt beschäftigt, sollte eine Segensquelle für die Versammlung sein – und unter der Hand des Menschen ist daraus der Fluch des Christentums geworden. Wie viele schreckliche Dinge sind nicht daraus hervorgekommen! Das Papsttum selbst ist ein Ergebnis dieser Entwicklung. Wenn man einmal Priester ordiniert hat, ist auch ein Hoherpriester erforderlich; wenn die Söhne Aarons imitiert werden, dann auch Aaron selbst. Das ist die Grundlage des Papsttums. Leider hat der Protestantismus darin versagt, diesen Dämon auszutreiben.

„Paulus, Apostel, nicht von Menschen noch durch einen Menschen.“ Das schließt den Menschen vollständig aus. Er ist weder der Ursprung der Berufung noch als Mittel mit ihr verbunden. Die große Wahrheit, die wir uns immer wieder zu vergegenwärtigen haben, ist die, dass jeder Dienst den Händen Christi entspringt. So heißt es hier: „durch Jesus Christus“. Paulus sagt nicht: „von Jesus Christus“. Der Ausdruck „durch Jesus Christus“ ist in diesem Zusammenhang wesentlich stärker, und zwar aus folgendem Grund: Die judaistischen Lehrer in Galatien hätten gesagt: Wir erkennen gerne an, dass du von Jesus Christus berufen worden bist; aber das muss durch diejenigen geschehen, die durch den Herrn selbst auf der Erde erwählt worden sind. – Die zwölf Apostel (heute würden wir sagen: besonders erfahrene ältere Brüder) müssen der Kanal sein. Aber Gott versetzt solchen Gedanken den Todesstoß. In seiner Gnade schließt Er jedes menschliche Prinzip von vorneherein aus.

Die Galater waren wahrscheinlich darüber verwirrt, dass Paulus ein Apostel völlig außerhalb der anderen zwölf war. Warum war nicht auch über ihn das Los geworfen worden, wenn er wirklich ein Apostel in höchstem Sinne sein wollte? Darauf geht Paulus hier ein. Er verbindet seine Apostelschaft nicht nur mit Gott und dem Herrn Jesus als Quelle, sondern auch als Mittel – „durch Jesus Christus und Gott, den Vater, der ihn auferweckt hat aus den Toten“. Diese Worte enthalten einen weiteren Todesstoß gegen jede Art von menschlicher Ordination. Die Galater hatten einen Trennungsstrich zwischen Paulus und die anderen zwölf Apostel gezogen – und zwar zum Nachteil des Paulus. Aber der Apostel zeigt hier, dass, wenn es einen Unterschied zwischen ihm und den Zwölfen gab, dann diesen, dass er durch Den berufen worden war, der Christus aus den Toten auferweckt hatte. Die anderen waren erwählt worden, als der Herr als Mensch hier auf der Erde war. Paulus wurde von dem aus den Toten auferweckten Christus berufen. In der Berufung des Paulus wurden größere Macht und größere Herrlichkeit offenbart als bei den anderen Aposteln. Der Apostel der Nationen entzieht also allen fleischlichen Theorien den Boden, indem er seine eigene besondere Stellung mit großer Kraft anführt.

Paulus ist bis heute der Maßstab für alle Diener Christi. Man könnte allen bisherigen Ausführungen entgegenhalten, dass sie sich nur auf den Apostel Paulus beziehen und dass wir keineswegs berechtigt sind, hiervon allgemeine Grundsätze abzuleiten. Aber Paulus ist der Apostel der Nationen – und somit unser Apostel. Erst Paulus empfing vom Herrn die Offenbarung des vollen Evangeliums des Heils und die Offenbarung des Geheimnisses „Christus und die Versammlung“. Seine Berufung vom Himmel her, in völliger Unabhängigkeit von Menschen (auch von den weisesten und erfahrensten Brüdern, die vor ihm Apostel gewesen waren), hat symbolische Bedeutung nicht nur für die Stellung der Versammlung auf der Erde, sondern auch für die Berufung jedes Dieners, der heute als Gabe dieser Versammlung geschenkt wird. „Denn suche ich jetzt Menschen zufriedenzustellen oder Gott? Oder suche ich Menschen zu gefallen? Wenn ich noch Menschen gefallen wollte, so wäre ich Christi Knecht nicht“ (Gal 1,10).

Wenn Paulus selbst über den Dienst im Allgemeinen spricht, dann tut er das auf demselben Boden, auf dem er berufen wurde. Im Blick auf seine persönliche Predigt sagt er: „Wir glauben, darum reden wir“ (2Kor 4,13). Das ist die einfachste und beste Grundlage – wenn jemand die Wahrheit kennt, soll er von ihr reden. Es ist nicht nötig, noch auf irgendetwas zu warten. So wirkt der Herr in der Versammlung. Wenn Paulus in Epheser 4 über die Gaben in ihrer höchsten Form spricht – auf welcher Grundlage? Auf dieser: Christus ist hinaufgestiegen und hat den Menschen Gaben gegeben. Sonst nichts. „Und er hat die einen gegeben als Apostel und andere als Propheten und andere als Evangelisten und andere als Hirten und Lehrer, zur Vollendung der Heiligen, für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes des Christus, bis wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen Mann, zu dem Maß des vollen Wuchses der Fülle des Christus“ (Eph 4,11-13). Jeglicher Dienst, vom höchsten bis zum niedrigsten, beruht auf der gleichen Grundlage. Wenn jemand behauptet, dass all dies nur auf den Apostel Paulus zuträfe, entgegne ich, dass es auch für den alltäglichsten Dienst gilt. Der Heilige Geist lehrt uns durch den Apostel Paulus, dass sowohl Apostel und Propheten als auch Hirten, Lehrer und Evangelisten alle auf der gleichen Grundlage stehen: Alle sind Gaben desselben Herrn, ohne dass Menschen sich in irgendeiner Weise oder auch nur in begrenztem Maße hierin einmischen dürfen.

Aber wie steht es denn mit Ältesten? Dazu ist nur zu sagen, dass wir heute keine Apostel mehr haben und deshalb auch keine formell angestellten Ältesten mehr. Ohne Apostel gibt es das Amt des Ältesten nicht. Natürlich sind auch heute noch Brüder da, die die moralischen Eigenschaften von Ältesten besitzen – und solche sollten anerkannt werden. Aber die Anstellung von Ältesten (Presbytern) in einer Zeit nachzuahmen, in der es keine Apostel mehr gibt, ist dem Worte Gottes entgegen.

Wie trifft doch all dies auch auf unsere Tage zu! Wir sollten uns nicht einbilden, dass in Galatien ein schlechterer Zustand herrschte, als er heute bei uns angetroffen wird. Im Gegenteil – damals handelte es sich nur um die Wurzeln all dessen, was sich seitdem voll entfaltet hat. Wir dürfen auch nicht vergessen, in welchem Zusammenhang Paulus in Galater 1 und 2 auf seine Berufung zu sprechen kommt. Er tut das, um die völlige Unabhängigkeit des Evangeliums von jeglicher menschlichen Satzung zu demonstrieren und damit den fleischlichen Gesetzlehrern den Boden zu entziehen. Der Charakter des Evangelisten muss sowohl in seiner Berufung als auch in seinem Dienst mit dem Charakter des Evangeliums übereinstimmen, das er verkündigt. Das Evangelium geht von der völligen Nutzlosigkeit des natürlichen Menschen im Fleisch aus – wie dürfte da ein Evangelist (oder auch ein Hirte oder Lehrer) in irgendeiner Weise auf Fleisch vertrauen oder bei Menschen Unterstützung und Zustimmung suchen, mögen es auch die geistlichsten Brüder sein? Sind wir uns bewusst, dass eine Leugnung der oben dargelegten Grundsätze hinsichtlich des Dienstes letztlich die Kraft des Evangeliums schwächt und sogar verfälscht? Liegt hier nicht auch die Ursache dafür, dass der Heilige Geist in vielen Versammlungen nur so schwach wirken kann – eben weil seine Kraft durch menschliche Gedanken und Grundsätze an ihrer vollen Entfaltung gehindert wird? Der Herr gebe uns, dass wir mit aller Entschlossenheit und Entschiedenheit allem widerstehen, was der Versammlung Gottes schadet, und nichts zulassen, von dem wir wissen, dass es seinem Willen entgegen ist und seine Herrlichkeit befleckt!

Und noch eines gilt es zu beachten. Paulus schreibt den Galatern mit „allen Brüdern, die bei mir sind“. Wohlgemerkt – nicht mit „allen Brüdern“, sondern mit „allen Brüdern, die bei mir sind“! Er weiß sich also in Übereinstimmung mit allen Brüdern, die auf dem gleichen Boden wie er selbst stehen. Die Versammlungen in Galatien standen demgegenüber isoliert da. So ist es auch heute. Wenn Gläubige dem Fleisch einen Platz in geistlichen Dingen einräumen, sei es in der Berufung von Dienern Christi, sei es in der Art und Weise der Verkündigung des Evangeliums oder wie auch immer – sie müssen damit rechnen, dass sie in eine isolierte Stellung auch solchen gegenüber geraten, mit denen sie sonst den gleichen Weg gehen. Das hat dann nichts mehr mit Absonderung zu tun, sondern ist Sektiererei.


Originaltitel: „Die Berufung des Apostels Paulus“
aus Hilfe und Nahrung, Ernst-Paulus-Verlag, 1976, S. 329–338
nach W. Kelly, Lectures on the Epistle to the Galatians

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