„Zeit zum zivilen Ungehorsam!“
Geht es in Apostelgeschichte 5,29 um zivilen Ungehorsam?

Dirk Schürmann

online seit: 26.10.2020, aktualisiert: 29.10.2022

Leitvers: Apostelgeschichte 5,29

„Ich rufe alle Mitbürger zum zivilen Ungehorsam gegenüber dieser schwachsinnigen Masken-Verordnung auf!“ So schrieb uns jetzt ein Leser und begründete das unter anderem mit einem Hinweis auf Apostelgeschichte 5,29: „Man muss Gott mehr gehorchen als Menschen.“ In manchen Aussagen, Kommentaren und E-Mails weist man jetzt in der Corona-Zeit immer wieder auf diese Bibelstelle hin. Man meint, dieser Vers erlaube uns, in der einen oder anderen Weise gegen bestimmte Maßnahmen der Regierung Ungehorsam zu leisten. In den meisten Fällen geht es dabei um die Anordnung, die Maske zu tragen, oder um Einschränkungen beim Versammeln der Gläubigen.

Bereits vor einigen Jahren – also vor Corona-Zeiten – wollte mir ein Mitbruder begreiflich machen, man müsse Apostelgeschichte 5,29 auf alles anwenden, von dem man meint, dass Gott es anders beurteile. Seiner Meinung nach könnten zum Beispiel Kinder ohne weiteres ungehorsam sein, wenn ihre Eltern etwas von ihnen verlangen, was Gott nicht von ihnen verlange (ohne dass sie dies allerdings anhand einer Bibelstelle belegen könnten). Sind wir also wirklich berechtigt, Apostelgeschichte 5,29 auf alles anzuwenden, was Gott (unserer Meinung nach) anders beurteilt, als es von einer Obrigkeit angeordnet oder gesetzlich erlassen wird? Wir wollen zunächst einmal den Vers genau lesen. Im Zusammenhang heißt es hier:

Apg 5,27-32: Sie führten sie [die Apostel] aber herbei und stellten sie vor das Synedrium; und der Hohepriester befragte sie und sprach: Wir haben euch streng geboten, in diesem Namen nicht zu lehren, und siehe, ihr habt Jerusalem mit eurer Lehre erfüllt und wollt das Blut dieses Menschen auf uns bringen. Petrus und die Apostel aber antworteten und sprachen: Man muss Gott mehr gehorchen als Menschen. Der Gott unserer Väter hat Jesus auferweckt, den ihr ermordet habt, indem ihr ihn an ein Holz hängtet. Diesen hat Gott durch seine Rechte zum Führer und Heiland erhöht, um Israel Buße und Vergebung der Sünden zu geben. Und wir sind Zeugen von diesen Dingen, und der Heilige Geist, den Gott denen gegeben hat, die ihm gehorchen.

Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben: Das Wort Ungehorsam kommt hier überhaupt nicht vor. Im Gegenteil, es geht nur um Gehorsam – entweder Gehorsam dem Menschen gegenüber oder Gehorsam Gott gegenüber. Zum Gehorsam der Obrigkeit gegenüber fordert uns Gott selbst auf, wie wir in 1. Petrus 2,13.14 lesen: „Unterwerft euch jeder menschlichen Einrichtung um des Herrn willen: es sei dem König als Oberherrn oder den Statthaltern als denen, die von ihm gesandt werden.“ In jedem Fall redet Apostelgeschichte 5,29 davon, dass wir gehorsam sein sollen, und erlaubt uns nicht, ungehorsam zu sein.

Der Gehorsam Gott gegenüber schließt allerdings in bestimmten Fällen Ungehorsam gegenüber der Obrigkeit ein, und zwar dann, wenn die Gebote der Obrigkeit den Geboten Gottes widersprechen; dann hat der Gehorsam Gott gegenüber den Vorrang. Noch einmal: Wir werden immer zum Gehorsam aufgefordert, nie zum Ungehorsam. Ein Beispiel aus dem Berufsleben: Wenn mein unmittelbarer Vorgesetzter etwas anordnet, dann führe ich dies aus; aber wenn der Chef des Unternehmens, der ja viel höher steht als mein direkter Vorgesetzter, etwas anderes anordnet und ich seine Anweisungen umsetze und nicht die meines Vorgesetzten, dann bin ich nicht ungehorsam, sondern dem Chef des Unternehmens gehorsam; die Anordnungen des unmittelbaren Vorgesetzten sind dann durch die anderslautenden Anordnungen des Firmenchefs sozusagen außer Kraft gesetzt.

In Bezug auf unser aktuelles Thema können wir uns zum Beispiel die Frage stellen:

  • Gibt es irgendwo ein Gebot Gottes, dass wir keinen Mundschutz tragen sollen? Nein? Dann gibt es auch keinen Grund, der Obrigkeit den Gehorsam zu verweigern – ob wir die Anordnung nun für sinnvoll halten oder nicht.

  • Gibt es irgendwo ein Gebot Gottes, dass sich alle Glieder einer örtlichen Gemeinschaft gemeinsam in einem einzigen Raum oder Saal versammeln sollten, auch wenn sie zweihundert oder neuntausend (wie in einer Mega-Church in den USA) Leute umfasst? In der Apostelgeschichte versammelte man sich in den Häusern, um das Brot zu brechen. Das werden vermutlich kaum mehr als zehn Personen gewesen sein. Die Mindestzahl für eine Versammlung, die den Herrn Jesus in der Mitte hat, sind sogar nur zwei oder drei (vgl. Mt 18,20)! Denken wir doch einmal darüber nach: Ist es wirklich nach den Gedanken Gottes, dass sich zweihundert oder mehr Gläubige in einer Gemeindezusammenkunft versammeln, oder könnte es vielmehr nach Gottes Gedanken sein, wenn unsere Gemeinden eine überschaubare Größe haben? Der Herr Jesus sagt in Lukas 9,14: „Lasst sie sich in Gruppen zu je etwa fünfzig lagern.“ Zugegeben, diese Zahl bezieht sich in dem Zusammenhang nicht auf die Größe einer Gemeindezusammenkunft, sie kann uns aber doch ein gutes Beispiel dafür sein und lässt uns vielleicht einmal darüber nachdenken, ob eine große Versammlung immer vorteilhaft ist. In einer Gemeinde mit einer überschaubaren Zahl merkt man noch, ob jemand fehlt oder nicht, und die vorhandenen Gaben und das allgemeine Priestertum können viel besser ausgeübt werden als in einer Gemeindezusammenkunft mit zweihundert oder mehr Geschwistern. Haben wir einmal darüber nachgedacht, dass in vier Versammlungen zu je fünfzig Gläubigen dem Herrn viermal so lange Lob dargebracht wird wie in einer großen Versammlung von zweihundert Personen? Wenn nun in diesen Corona-Zeiten die Regierung das Zusammenkommen im öffentlichen Raum (zeitweise) zum Beispiel auf fünfzig Personen beschränkt – können wir dann wirklich behaupten (wie es einige tun), dass wir Gott gegenüber ungehorsam sind, wenn wir uns nicht mit allen zweihundert Geschwistern gemeinsam versammeln, sondern dieser Anordnung von Menschen gehorchen? Vielleicht verhilft uns Gott gerade durch diese Pandemie zu einer besseren Größe der Zusammenkünfte?

Es gibt wahrscheinlich kaum eine Zeit, in der Apostelgeschichte 5,29 mehr missbraucht wurde als in den letzten Monaten. Der Vers spricht von Gehorsam. Aber gebraucht wird der Vers sogar, um Ungehorsam zu fördern! Doch Ungehorsam ist Gott so verhasst, dass sein Sohn dafür leiden und sterben musste. So lesen wir im Römerbrief:

  • Röm 5,19: So wie durch den Ungehorsam des einen Menschen die vielen in die Stellung von Sündern gesetzt worden sind, so werden auch durch den Gehorsam des einen die vielen in die Stellung von Gerechten gesetzt werden.

Wenn man heute unter Verweis auf Apostelgeschichte 5,29 vielfach zum zivilen Ungehorsam auffordert, dann versucht man also auf fromme Weise, der Ursünde des Menschen, dem Ungehorsam, Vorschub zu leisten. Letztendlich geht es statt um die Rechte Gottes, wie in Apostelgeschichte 5,29, um meine Rechte, die dann, damit es nicht ganz so egoistisch klingt, als „Menschenrechte“[1] proklamiert werden. Besonders verwerflich ist es, wenn man sich – sobald dieser zivile Ungehorsam geahndet wird – mit den verfolgten Christen in Nordkorea oder verschiedenen moslemischen Ländern auf eine Stufe stellt.

Hüten wir uns davor, uns zum zivilen Ungehorsam verleiten zu lassen, auch wenn er von noch so geachteten christlichen Führern gefordert wird, sondern üben wir in jeder Weise Gehorsam: sei es den von Gott verordneten Autoritäten gegenüber oder – wenn durch Anordnungen der Autoritäten klare Gebote Gottes unterlaufen werden – indem wir Gottes klare Gebote befolgen.

Anmerkungen

[1] Zum Thema Menschenrechte siehe: Christen und Politik.

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