Die Schriften der Väter (1)
Epheser 4,8.11-16

Stephan Isenberg

© SoundWords, online seit: 09.07.2005, aktualisiert: 06.01.2024

Leitverse: Epheser 4,8.11-16

Eph 4,8.11-16: Darum sagt er: „Hinaufgestiegen in die Höhe, hat er die Gefangenschaft gefangen geführt und den Menschen Gaben gegeben“ {Ps 68,18}. … Und er hat die einen gegeben als Apostel und andere als Propheten und andere als Evangelisten und andere als Hirten und Lehrer, zur Vollendung der Heiligen, für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes Christi, bis wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und zur Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen Mann, zu dem Maß des vollen Wuchses der Fülle des Christus; damit wir nicht mehr Unmündige seien, hin und her geworfen und umhergetrieben von jedem Wind der Lehre, die durch die Betrügerei der Menschen kommt, durch ihre Verschlagenheit zu listig ersonnenem Irrtum; sondern die Wahrheit festhaltend in Liebe, lasst uns in allem heranwachsen zu ihm hin, der das Haupt ist, der Christus, aus welchem der ganze Leib, wohl zusammengefügt und verbunden durch jedes Gelenk der Darreichung, nach der Wirksamkeit in dem Maß jedes einzelnen Teiles, für sich das Wachstum des Leibes bewirkt zu seiner Selbstauferbauung in Liebe.

In der letzten Zeit sind mir bestimmte Tendenzen aufgefallen, die ich persönlich für sehr unglücklich halte. Hier und dort kann man lesen und hören, dass die Brüderbewegung „zu sehr an den alten Brüdern klebt“ und dies abgelöst werden sollte hin zu mehr Schriftstudium und dem selbständigen Lesen der Bibel. Es wird sogar davor gewarnt, viele würden nur noch oder zu viel in den Schriften „der Brüder“ lesen.

Ich darf kurz einflechten, dass ich selbst nicht in der „Brüderbewegung“ groß geworden bin, sondern erst im Alter von 21 Jahren bekehrt wurde und mich erst seither [1990] in der Brüderbewegung aufhalte.

Nun ist es natürlich gut, wenn wir viel die Bibel und sie unter Gebet lesen. Diesen Punkt möchte ich natürlich unterstreichen. Doch kann ich mich überhaupt nicht mit der Aussage anfreunden, dass man sich heutzutage zu sehr mit den Schriften „der Brüder“ beschäftige und man so Gefahr laufe, zu erstarren. Persönlich erlebe ich es immer wieder, dass das große Dilemma unserer Tage gerade darin zu suchen ist (in der Brüderbewegung), dass die Schriften „der Brüder“ eben nicht mehr gelesen oder aber wenn doch, nur leicht zu lesende, erbauliche und „praktische“ Artikel gelesen werden. Im Übrigen ist es eines der Ziele der Internetseite www.soundwords.de, dieser Problematik zu begegnen.

Würde man die Schriften der Brüder vergangener Jahrhunderte hingegen wirklich einmal intensiver lesen, dann würde man entdecken, wie weit wir uns von ihren Schriften in der persönlichen Hingabe, aber auch in Bezug auf die Gemeinde von ihnen wegbewegt haben, und vor allen Dingen, wie wenig wir noch von den lehrmäßigen Fundamenten für manche Überzeugungen wissen. So wundere ich mich nicht, dass es immer wieder solche gibt, die vieles, was „die Brüder“ früher gelehrt haben, völlig fahrenlassen, weil sie die Begründung nicht kennen – und manchmal leider auch nicht studieren wollen. Das kann sehr wichtige Themen betreffen, wie die Souveränität Gottes, die Entrückung vor der Drangsal, die Stellung und das Wesen der Gemeinde usw. Denken wir nur mal an den Dispensationalismus, den die meisten in der Brüderbewegung für richtig halten, obwohl sie dieses Wort vielleicht noch nicht einmal kennen. Aber viele werden sich in einer Diskussion bereits schnell geschlagen geben müssen, wenn Leute mit der Bundestheologie ihre Argumente offenlegen. Gerade in diesem Punkt müssen wir wieder „Grundlagenarbeit“ betreiben, um Mitgläubige vor diesem Fallstrick zu bewahren. Viele sind in unseren Tagen bereits „umgefallen“, und manche sind wohl dabei, „umzufallen“. (Übrigens ein sehr wichtiger Grund, warum wir in letzter Zeit einige Artikel zu diesem Thema veröffentlicht haben.) Leider bestätigt sich auch hier das mangelnde Interesse an diesem Thema. Es ist teilweise erschreckend, wie leicht man bereit ist, eine andere Überzeugung anzunehmen, ohne die bisher eigene wirklich grundsätzlich verstanden und studiert zu haben.

Tatsache ist, dass heute die Namen verschiedener Brüder immer in den Mund genommen werden, ohne zu wissen, was sie gesagt und geschrieben haben. Ich kann mich des Eindruckes nicht erwehren, dass diese Brüder – wenn sie heute auferstehen und noch einmal in unsere Gemeinden kommen würden – entweder nur wenig willkommen oder gar ausgeschlossen würden. Sie wären uns irgendwie lästig, sie würden uns ständig ins Gewissen reden, sie würden nicht nur von Hingabe reden, sondern uns ein Vorbild sein, was uns die Röte ins Gesicht zeichnen würde. Hier ist sicher nicht der Platz, dies näher auszuführen, und doch möchte ich diesen Eindruck einfach mal loswerden als jemand, der in dieser Bewegung nicht groß geworden ist.

Es ist ja wie mit so vielen Dingen: Was man hat und von klein auf kennt, das verliert ein wenig an Wert, man hört auf, etwas zu schätzen, wofür andere alles hergeben würden. Wie oft hat man mir gesagt, dass man schon fast neidisch auf mich ist, dass ich manche Wahrheiten mit so viel Freude aufnehmen würde – obwohl ich auch sagen möchte, dass ich froh bin, Brüder und Schwestern zu kennen, die, obwohl sie diese Dinge von klein auf hörten, sich immer noch darüber freuen können wie jemand, der „große Beute“ findet (Ps 119,162). Heute tut es mir in der Seele weh, mit ansehen zu müssen, wie man sich des einzigartigen Schrifttums entledigen will (ohne damit sagen zu wollen, dass der Herr in anderen Bewegungen nicht auch einzigartige Dinge in seiner Gnade geschenkt hätte, dessen wir uns genauso dankbar bedienen dürfen), indem man eine gewisse Angst vor Erstarrung schürt oder einem einfältigen Christen klarmachen möchte, dass es viel geistlicher wäre, man würde die Zeit, in der man eine Betrachtung zur Hand nimmt, besser nutzen, um die Bibel lesen. Ich kann mich des Eindruckes nicht erwehren, dass man das Lesen von Betrachtungen und Artikeln von den Vätern auch deshalb in Misskredit zieht, um selbst ein Alibi zu haben, warum man sich selbst darauf beschränkt, „nur“ die Bibel zu lesen. Es ist ja schon auch eine gewisse Mühe damit verbunden, die Schriften der Väter zu lesen und sich an ihren Schreibstil und die altmodische Sprache zu gewöhnen. 

Ich halte dies für eine sehr gefährliche Sache. Wenn wir wirklich einer Erstarrung entgegenwirken wollen, dann sollten wir unsere Generation anleiten, die Schriften „der Väter“ in der rechten Gesinnung zu lesen. Niemals sollten wir diese Schriften lesen, um einfach geistliches Wissen anzuhäufen oder damit wir jene sind, die auf alle Fragen eine Antwort haben. Sicher ist die Gefahr, nur Kopfwissen anzusammeln, sehr ausgeprägt vorhanden und Stolz und Hochmut sind dann oft nicht fern. Aber wir sollten nun nicht das Kind mit dem Bad ausschütten, sondern uns fragen, wo die wahren Probleme liegen.

Wenn ich die Bibel recht verstehe, so ist der Herr Jesus in den Himmel aufgefahren und hat von dort seiner Gemeinde Gaben gegeben, so lese ich Epheser 4,8. Und wenn das wirklich stimmt – und es stimmt, weil es ausdrücklich so in Epheser 4,8 steht –, dann frage ich mich, für wen oder was wir uns halten, wenn wir diese Gaben entweder ignorieren (was vielleicht eher selten geschieht) oder sie wenigstens derart herunterspielen, dass man fast ein schlechtes Gewissen bekommt, wenn man diese Schriften liest. An dieser Stelle möchte ich noch darauf hinweisen, dass es nicht allein um die Gaben geht, die der Herr der Brüderbewegung geschenkt hat, sondern die der Herr Jesus dem ganzen Leib gegeben hat.

Natürlich ist es eine Gefahr, wenn wir uns einseitig ernähren. Wenn wir „nur“ noch die Schriften „der Brüder“ oder „nur“ noch einen ganz bestimmten Bruder lesen würden, dann wäre das sicher sehr einseitig und ungesund. Aber ins andere Extrem zu verfallen und „nur“ noch die Bibel zu lesen, kann genauso gut eine Gefahr darstellen. Gott hat es in seiner Weisheit gefallen, uns als Glieder in einem Leib zusammenzufügen, und da dürfen wir nicht sagen: „Ich bedarf deiner nicht“ (lies 1. Korinther 12). Es geht sogar noch weiter: Der Herr Jesus hat die Gaben gegeben „zur Vollendung der Heiligen“ (Eph 4,12) – welche Schlussfolgerung müssen wir daraus ziehen? Je mehr wir die Gaben, die der Herr geschenkt hat, ignorieren oder geringschätzen, desto weniger werden wir die Vollendung erreichen, die wir natürlich vollkommen erst im Himmel erreichen werden. Aber wollen wir bereits hier auf der Erde geistlich wachsen, dann müssen wir auf die Gaben achten, die der Herr seiner Gemeinde gegeben hat. Dabei möchte ich natürlich darauf hinweisen, dass wir diese Schriften nicht auf die gleiche Stufe mit der Heiligen Schrift stellen dürfen. Wenn schon die Beröer deshalb so edel waren, weil sie sogar die Schriften von Paulus täglich untersuchten, ob es sich auch so verhielte, wie viel mehr müssen wir die Schriften der Väter anhand des Wortes Gottes prüfen. Es waren auch nur Menschen und wir müssen damit rechnen, dass sie Fehler gemacht haben.

Nebenbei sei bemerkt, dass ja oft gesagt wird, wenn wir die Fehler von Brüdern lesen, wir auch in Gefahr stehen, diese Fehler zu übernehmen oder ihnen darin zu folgen. Nun sollte man natürlich schon ein grundsätzliches Vertrauen in das haben, was man liest. Ist ein Bibelausleger sowieso zweifelhaft, dann sollten wir auch sehr vorsichtig sein mit dieser Lektüre. Allerdings, wenn auch diese Gefahr real vorhanden ist, so müssen wir doch nicht meinen, diese Gefahr würde geringer, wenn wir „nur“ noch die Bibel lesen, denn dann machen wir uns unsere eigenen Gedanken und hängen unseren eigenen selbst erdachten Lehren nach, die ja auch falsch sein können. Wichtig ist, dass wir immer wieder bereit sind, alles anhand des Wortes zu untersuchen und uns auch korrigieren zu lassen, wenn wir von der Schrift her belehrt werden.

Wir wollen uns an dieser Stelle auch einmal daran erinnern, dass der Heilige Geist zu bestimmten Zeiten mächtiger wirkt als zu anderen Zeiten. Das liegt einfach an der Souveränität Gottes. So hat Gott zu Zeiten eines Luthers oder Calvins mächtig in diesen Personen durch den Geist Gottes gewirkt. Obwohl wir mit ihnen in vielen Punkten ihrer Lehre heute nicht übereinstimmen würden, so schenkte der Herr Jesus diesen Menschen es doch, eine bestimmte Wahrheit, die scheinbar lange verschollen war, wieder an das Tageslicht zu bringen. Und im 19. Jahrhundert tat Gott sein Werk beginnend durch einige wenige Brüder in Irland – aber auch zur gleichen Zeit an verschiedenen Orten auf der ganzen Welt –, die ihrerseits dankbar anerkannten, was Gott in anderen Glaubensmännern vor ihnen bereits gewirkt hatte, aber anhand der Schrift auch etliches abweisen mussten. Und das waren sicher nicht die einzigen Wirkungen, die der Heilige Geist in der Geschichte der christlichen Kirche gewirkt hat.

Wenn wir wirklich daran glauben, dass dieses Wirken von Gott her kam, dann müssen wir auch damit rechnen, dass Gott diesen Menschen Gaben gegeben hat, die Er vielleicht in dieser Fülle und mit dieser Auswirkung nicht noch einmal geben wird. Dass Gott auch heute einem einfältigen Gläubigen, der vielleicht gar nicht mehr hat als eine Bibel, die gleichen großartigen Wahrheiten klarmachen kann, leugne ich nicht. Aber es wird sicher eher die Ausnahme als die Regel sein. Gottes Souveränität läuft mit der Verantwortung des Menschen immer parallel, und diese beiden Seiten widersprechen sich nicht. Wenn uns also der Zugang zu bestimmten Schriften möglich ist, dann ist es unsere Verantwortung, diese Schätze auszugraben, die der Herr zuvor in einer ganz bestimmten Epoche der Gemeinde geschenkt hat. Wenn wir dankbar annehmen, was Gott bzw. der Herr Jesus anderen vor uns geschenkt hat, dann legen wir damit eine gute Grundlage dafür, dass Gott uns vielleicht Dinge zeigt und schenkt, die vielleicht vorher noch nicht so offenbar und klar waren. So heißt es in Matthäus 13,52: „Er aber sprach zu ihnen: Darum ist jeder Schriftgelehrte, der im Reiche der Himmel unterrichtet ist, gleich einem Hausherrn, der aus seinem Schatze Neues und Altes hervorbringt.“

Ich möchte besonders die jungen Leute auffordern, nicht gleichgültig über das hinwegzugehen, was der Herr Jesus seiner Gemeinde geschenkt hat. Es mag zwar etwas mühsam sein, bestimmte Schriften der Väter zu lesen, weil die Zeit, in der diese Brüder schrieben, natürlich völlig anders war und auch die Sprache eine völlig andere war. Wenn man aber einmal gelernt hat, dass es nicht darum geht, nun die Schriften dieser Brüder auswendig zu kennen, sondern dass es darum geht, den geistlichen Inhalt mit unseren Worten und in unsere Zeit zu transportieren, dann werden wir einen sehr großen Segen davon haben und auch andere können dadurch gesegnet werden. Bibelstudium sollte uns immer dazu führen, dass wir am Ende größer von unserem Herrn denken. Zu eigen machst du dir diese Schriften immer dann, wenn sie dich dazu führen, den Herrn anzubeten, oder wenn du diese Schriften als Herausforderung für deine Hingabe an Christus ansiehst. Die Gefahr, dass wir die schönsten Wahrheiten nur mit dem Verstand erfassen, ist sehr groß. Wenn sie aber nicht zu deinem Herzen gelangen, sind sie nicht dein Eigen. Du magst vielleicht hier und da Probleme mit der Umsetzung haben, aber wenn eine Wahrheit dein Herz berührt, dann wird das Auswirkungen haben in Bezug auf deine Hingabe an Christus und in der Anbetung des Vaters und des Sohnes.

Ich freue mich jedenfalls riesig über das, was der Herr Jesus bestimmten Menschen vor uns und auch in der heutigen Zeit geschenkt hat. Es hat mich so oft ermuntert und begeistert, so sehr, dass ich nichts von dem missen möchte, was ich bisher lernen konnte, und ich bekenne, dass es viel weniger ist, als ich hätte aufnehmen können, wenn ich nur mehr Hingabe in diesen Dingen gezeigt hätte. In der Ewigkeit werden wir alles in vollkommener Weise erkennen. Wenn wir uns aber nicht bereits in diesem Leben über Dinge, die unseren Herrn betreffen, von Herzen freuen können, dann frage ich mich, was wir einmal im Himmel überhaupt wollen? Dort werden wir bei Ihm sein und an Ihm unser völliges Genüge haben. Das Großartige ist, dass wir hier bereits damit anfangen können, es ist ein Vorgeschmack auf das, was noch kommt. Wenn wir in den Urlaub fahren, dann beschäftigen wir uns mit dem Reiseziel, damit wir gut vorbereitet sind – ob wir das wohl auch mit der Reise machen, die alle einmal antreten werden?

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