Leitverse: Offenbarung 2,1-10
Geistlicher Niedergang und Vordringen jüdischen Gedankenguts in der Gemeinde
Liebe Freunde, mit der Hilfe des Herrn wollen wir die Sendschreiben an die sieben Gemeinden betrachten – nicht in allen Einzelheiten, sondern mehr im Hinblick auf bestimmte Inhalte darin – und darin den Zustand des Christentums in seiner Gesamtheit erkennen, etwa von der Zeit an, da der Herr die Erde verließ, bis zu der Zeit, da Er wiederkommen wird. Zunächst sollte ich Ihnen kurz aufzeigen, was mich berechtigt, diese Sendschreiben in dieser Weise zu deuten. Ich kann die Gründe nur andeuten – der wichtigste ist, dass die Beispiele gar so gut passen.
Wir finden hier, dass der Herr durch seinen Apostel sieben Gemeinden in Asien anspricht – in einem kleinen Distrikt im Westen jenes Teils von Asien, den wir Kleinasien nennen. Doch werden diese sieben Gemeinden offenbar als stellvertretend für die ganze Kirche genannt. Erstens ist an ihnen bemerkenswert, dass es sieben an der Zahl sind. Es ist eine Zahl, die, wie Sie wissen, sich immer wieder im Buch der Offenbarung findet. Da finden sich nicht nur diese sieben Gemeinden, sondern auch sieben Siegel, sieben Trompeten, sieben Zornesschalen, sieben Geister Gottes und noch anderes jeweils siebenmal, von dem man sofort erkennt, dass es an sich wichtig ist. Es ist nicht zufällig, dass es immer sieben sind. Einige unter uns wissen, dass diese Zahl ganz allgemein als vollkommen gilt und vor allem Vollkommenheit des göttlichen Werkens bedeutet. Gott vollendete alles in der Schöpfung am siebten Tag.
Wiederum widmet sich dieses prophetische Buch diesen sieben Gemeinden offenbar für uns und für alle Zeiten wird es doch in ihre Hände gelegt; und damit stehen sie stellvertretend für die ganze Kirche. Außerdem erscheint der Herr selbst hier in diesem Kapitel inmitten der sieben Leuchter im Heiligtum oder dem Tempel; damit haben wir sozusagen die sieben von einander getrennten Zweige, die jeder für sich stehen. Der siebenarmige Leuchter war das Licht im Heiligtum – das Licht der Priester. Er wurde Symbol durch den Heiligen Geist für Christus (durch das Wort natürlich), das Licht seines Volkes. In diesem Bild der Offenbarung wird sein Volk angesehen als das „Licht“, nicht im Heiligtum, sondern „der Welt“, und die sieben Kerzen stehen jede einzeln auf ihrem eigenen Leuchter, was auf ihre verantwortliche Stellung hinweist. Doch sind es auch hier nicht nur sieben vorderasiatische Gemeinden, unter denen er sich bewegt, und es geht auch nicht nur um jene, die dieser Position entsprechen: Die sieben Gemeinde stehen stellvertretend für das Ganze.
Außerdem ist das ganze Buch eine „Prophezeiung“ – eine prophetische Voraussage, die sich bis ans Ende der Zeit erstreckt und sogar bis hinein in die Ewigkeit: eine Prophezeiung, die nicht nur örtliche Bedeutung hat. Eine solche Einleitung, die sich hauptsächlich mit ein paar Gemeinden aus der Zeit der Apostel befasst, an die sich sonst kaum noch jemand erinnert, könnte übereinstimmen mit der Eigenart dieses Buches selbst. Wenn sie prophetisch sind, dann gilt dies offenkundig auch für das ganze Buch; und wenn sie prophetisch sind für die Kirche im großen und ganzen, um wie viel wichtiger sind sie dann für die Diener des Herrn, denen Er, um sie gut anzuleiten, Dinge zeigte, die sich bald ereignen sollten!
Nimmt man dann darüber hinaus die Kapitel selbst, in denen diese Sendschreiben enthalten sind, stellt man fest, dass in jedem mit größtem Ernst beschworen wird, „wer Ohren hat zu hören, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt“. Kaum ein anderer Teil der Schrift mahnt so beständig und ernsthaft immer wieder, sich auf das, was geschrieben wurde, zu konzentrieren. Wenn wir diese göttlichen Warnungen und Ermahnungen als an uns gerichtet nehmen wollen, müssen wir sicherlich überzeugt sein, dass diese Kapitel einen sehr eigenen Platz in Gottes Wort einnehmen und einen sehr eigenen Sinn für uns haben. Sie wurden geschrieben und von einer Generation zur anderen weitergegeben, so dass alle, die ein Ohr haben zu hören, ermahnt werden zur Aufmerksamkeit. Schließlich aber ist der eindeutigste Beweis, dass diese Sendschreiben wirklich zur Kirche aller Zeiten gehören, dass wir die Anwendbarkeit in den tatsächlichen Punkten ihrer Geschichte verfolgen können, und das ist es, was ich in diesen Vorträgen herauszuarbeiten gedenke.
Betrachten wir zunächst, worin die Eigenart des Buches besteht, dass wir hier vor uns haben. Es hat einen genauen Titel – das findet sich sonst meist nicht in der Schrift. Die ersten beiden Verse sind dies ganz offensichtlich, und der Titel lautet „Die Offenbarung Jesu Christi“. Er nennt sie eine „Offenbarung“. Er sagt, dies ist eine „Enthüllung“ oder Eröffnung von Dingen, die sich in Kürze ereignen sollen. Statt etwas zu sein, das niemand verstehen kann, ist es das, was Gott eine „Offenbarung“ nennt. Wir dürfen nicht sagen, dass, wenn Gott uns dadurch diese Dinge zeigen wollte, sie nicht doch so geheimnisvoll ist, dass das Ziel, um dessen willen sie gegeben wurde, unerreicht bleibt. Ich wage zu sagen, wir werden sie nicht zu geheimnisvoll finden, wenn wir nur mit redlich aufnahmebereitem Herzen darangehen. Auch beim Gleichnis vom Sämann findet sich, dass nur das aufrichtige Herz es „versteht“. Und dann ist es auch eine Offenbarung für Christi Diener. Sie ist zweifellos für alle, aber unter diesem Gesichtspunkt erhält sie eine besondere Bedeutung. Denn seine Diener sind es, die mit diesen Dingen zu tun haben werden. Ihr Weg wird inmitten all dieser Geschehnisse verlaufen, von denen er nun sprechen wird, und seine Diener werden unterscheiden müssen zwischen dem, was ihm gefällt oder missfällt. Aber wenn wir keine Diener sind, wenn wir dies Wesen nicht haben, dann werden wir sie zweifellos schwierig finden; das heißt, wenn wir mehr spekulatives Wissen suchen als praktisches.
Den Dienern wird für das Hören und Lesen dieser Worte der Prophetie eine klarer Ermutigung gegeben: „Glückselig, der da liest und die da hören die Worte der Weissagung und bewahren was in ihr geschrieben ist.“ Wenn wir sie nicht vollkommen verstehen könnten und ohne jeden Zweifel wissen, worauf sich diese Dinge beziehen, wie könnte dann von uns erwartet werden, dass wir „bewahren, was geschrieben ist“? Denn wenn die Sache schließlich zweifelhaft ist – wenn sie etwa so sein könnte oder auch nicht –, dann hat sie kein Recht an uns. Wir sollten keine zweifelhaften Wege gehen. „Was nicht aus dem Glauben ist, ist Sünde“ und der Glaube braucht Gottes Wort, das ihn trägt und rechtfertigt. Darum sage ich noch einmal: Wenn nichts daran wäre, das klar zu erfassen wäre und zu lernen und zu verstehen in seiner Anwendbarkeit auf das, was uns umgibt, die Dinge, in deren Mitte wir leben, könnte niemals von uns erwartet werden, dass wir „bewahren, was geschrieben ist“.
Ephesus
Betrachten wir nun die Sendschreiben selbst. Das erste ist an die „Gemeinde in Ephesus“. Der Herr spricht hier in sehr einfachen Worten, aber sie sind ebenso ernst wie praktisch für uns alle heutzutage. Neben allem Lob für sie – und der Herr lobt, so viel er kann – muss er ihnen doch dieses sagen: „Du hast deine erste Liebe verlassen.“
Off 2,2-4: Ich kenne deine Werke und deine Arbeit und dein Ausharren und dass du Böse nicht ertragen kannst; und du hast die geprüft, welche sich Apostel nennen und sind es nicht, und hast sie als Lügner erfunden; und du hast Ausharren und hast getragen um meines Namens willen, und bist nicht müde geworden. Aber ich habe wider dich, dass du deine erste Liebe verlassen hast.
Das ist der Anfang vom Rückgang überall – bei jedem von uns; und wenn es auf jemanden von uns jetzt zutrifft, wollen wir bedenken, dass wir „gefallen“ sind und nicht wieder zurechtkommen, bis wir nicht in den Anfangszustand zurückversetzt werden.
Ich möchte darauf hinweisen, wie viel der Herr zu loben findet, selbst dort, wo Er einen so schweren Fehler aufzeigt. „Ich weiß deine Werke“, sagt Er; aber nicht nur Werke: „deine Arbeit“. Das ist ein kraftvolles Wort. Doch noch einmal, Arbeit in einer solchen Situation kann leicht zum Zusammenbruch führen unter der Enttäuschung und Entmutigung, die darin enthalten ist. Die Epheser waren nicht zusammengebrochen; sie hatten „Ausharren“, ruhige Tragfähigkeit. Sie setzten die Arbeit fort, trotz der Entmutigung. Aber Geduld degeneriert leicht zur Toleranz gegenüber dem Bösen, dem wir beständig begegnen. Sie jedoch „konnten Böse nicht ertragen“. Sie bekamen Lob dafür, dass sie keine solche Liberalität zeigten, wie Leute sie heute haben. Eine solche Toleranz ist unvereinbar mit der Liebe zu Wahrheit und Gutem.
Auch das Böse zeigte sich bereits in hohen Positionen. Es ist beachtlich, wenn man sieht, dass gleich zu Beginn solche da waren, „welche sich Apostel nennen, und sind es nicht“. Merken wir uns dies: Es wird wichtig werden, sich nach und nach in anderem Zusammenhang daran zu erinnern. Wir wissen, was aus dieser Anmaßung in späterer Zeit heranreifte, und es ist noch vorhanden. Wir dürfen uns davon nicht mehr einschüchtern lassen, als es die Epheser taten: „Du hast die geprüft, welche sich Apostel nenne, und sind es nicht, und hast sie als Lügner erfunden.“
Ferner hatten sie getragen und gelitten und für den Namen Christi gearbeitet. Echte Liebe zu Christus war vorhanden: Es war nicht die anfängliche Frische, aber es war echte Liebe zu Christus, die allem zugrunde lag. Es gab viel Frucht; aber der Herr musste doch sagen: „Aber ich habe wider dich, dass du deine erste Liebe verlassen hast.“ Da gibt es keine Einschränkung, als wäre es eine Kleinigkeit, von welcher der Herr da spricht, während es doch eine so wichtige Sache ist, wie sie nur sein kann. Es ist sehr ernst zu sehen, dass daneben sogar die Bileam-Lehrer als „ein Weniges“ bezeichnet werden. Aber hier wird keine Einschränkung gemacht. Der Herr ist eifersüchtig auf unser Herz – auf unsere Liebe, weil Er uns liebt; und es ist für Ihn keine Kleinigkeit, wenn Er unsere Liebe schwinden sieht – eine Liebe, aus der die erste Frische geschwunden ist. Ich möchte dies ganz praktisch sagen, ich möchte fragen, wer von euch durch sein Kommen heute Abend sich als Christ bekennt – unter denen, die Christus kennen –, ich möchte euch fragen, wie ich mich selbst frage, ob ihr wisst, was „erste Liebe“ ist und ob ihr diese „erste Liebe“ jetzt habt? Sie hat dieses Merkmal – und zweifellos wird euer Gedächtnis mir darin Recht geben –, dass die erste Liebe einen ganz gefangen nimmt.
Ihr wisst, wie alles Neue einen leicht zu fesseln vermag. Das ist schon sprichwörtlich. Aber bei der ersten Liebe ist ihr hervorragendstes Merkmal, dass sie den, der sie erlebt, ganz gefangen nimmt. Wenn wir uns erinnern, wie das war, als uns zum ersten Mal die Augen aufgingen und wir erkannten, was Christus für uns war, als wir Ihn unser nannten – unseren Heiland –, als wir annahmen, was Er für uns getan hatte, ich glaube, da können wir eine gemeinsame Erfahrung bekennen; dass mindestens für einige Zeit, sie mag kurz oder lang gewesen sein, seine Liebe uns ganz gefangen nahm; es gab nichts, was Ihm seinen Platz hätte streitig machen können. Und wenn das jetzt anders ist – wenn wir Ihn nun gelassener und mit mehr Abstand betrachten und Zeit und Raum finden für so manches, neben dem Christus nur einer unter anderen ist –, halten wir das vielleicht für Weisheit, für ein berechtigtes Verwachsen der jugendlichen Hitzigkeit. Aber Er sagt zu uns: „Du bist gefallen, du hast deine erste Liebe verlassen.“ Das finden wir, wie ich meine, zum Beispiel bei dem Apostel Paulus, der wohl nie seine Liebe vom ersten auf den letzten Platz setzte. Deutlich erkennt man in seinem Brief an die Philipper, dass seine Liebe von dieser umfassenden Art war. Er gab sich ganz dem Gegenstand dieser Liebe hin, sehr freiwillig, aber auch rückhaltlos und ohne Ablenkung. Er hatte „eines“ vor sich; ein Gedanke beherrschte ihn. Das machte ihn zweifellos, wie manche Leute sagen würden, eng und einseitig.
Dennoch sind das die Menschen – um es einmal so zu sagen –, die der Welt ihren Stempel aufdrücken. Manche Menschen lassen sich von vielen Zielen ablenken; findet man aber andererseits einen Menschen, der ganz auf eine Sache konzentriert ist, nur von einem Wunsch beseelt, wird man meist feststellen (natürlich kann ich nicht sagen, allgemein, in einer Welt wie dieser), dass dieser Mensch in großem Maße seinen Wunsch verwirklicht. Was er verfolgt, das verfolgt er mit allem Ernst, er konzentriert seine Fähigkeiten auf sein Ziel, und er hat Erfolg. Wenn es Geld ist, wird er zu Geld kommen usw. Für den Erfolg, jedenfalls bei anderen Dingen, wird vermutlich jeder zugeben, dass nichts der ausschließlichen Beschäftigung mit einer Sache gleichkommt. Und genau das fordert der Herr für sich. Wir können uns leicht vorstellen, wenn die Liebe allmählich abkühlt, dass wir an Weisheit zunehmen; dass wir überschwänglich und begeistert waren; dass der natürliche Überschwang der ersten Tage vergangen ist und auch vergehen sollte; dass wir nur weiser geworden sind, wenn wir tatsächlich weniger geistlich und weniger hingebend sind – und, wie ich fest annehme, auch weniger glücklich. Denn es gibt nichts Schöneres, als das Glück einer Zuneigung, die einen ganz gefangen nimmt und die erwidert wird, die von ewiger und grenzenloser Liebe wachgerufen wurde. Und ich sage es noch einmal, zumindest der Apostel Paulus war keiner von diesen Vorsichtigen; und er sagt ganz deutlich, dass wir ihm folgen sollen, wie er Christus folgte!
Leben hieß für ihn Christus, und Christus genügte ihm. Beides finden wir zusammen im Philipperbrief. Achten wir darauf, beides zusammenzuhalten. Im ersten Kapitel finden wir einen Menschen, für den Leben Christus hieß; und diesem Menschen genügte Christus vollständig, wie wir es im letzten Kapitel finden. Er hatte gelernt, wie es ihm auch erging, zufrieden zu sein; er konnte Mangel leiden und Überfluss haben; immer und in allen Dingen hatte er gelernt, satt zu sein oder hungrig, reichlich zu haben oder bedürftig zu sein. Er wurde vom Wohlstand nicht erhoben noch von Widrigkeit niedergedrückt: immer, wie es auch kam, zufrieden. Wie? Er enthüllt sein Geheimnis: „Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus.“ Denken wir nur nicht, jeder Christ könne das sagen. Kann jeder von uns das sagen? Es ist natürlich unnütz, zu verlangen, was Christus tun kann. Christus vermag alles; die Frage ist aber, kennen wir Christus praktisch so gut, dass wir sagen können: „Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus“? Wenn nicht, was ist der Grund? Unser Versagen beim ersten Grundsatz! – „Leben heißt für mich Christus.“
Frucht mag nach außen hin sehr schön aussehen und dann doch innen nicht reif sein für den Geschmack des Meisters. So gab es auch hier reichlich Frucht, die recht gut aussah, aber sie hatte noch nicht genug in der Sonne gehangen. Sie war noch nicht reif für den Gebrauch des Meisters. Nun sind wir nicht richtig imstande zu beurteilen – oder nur zu erkennen, was böse ist –, bis unsere Herzen wirklich richtig zu Ihm stehen. Der Herr nennt uns hier, was die Wurzel allen späteren Übels war. Denn wenn unser Herz die Frische der Liebe zu Christus verliert – will sagen, wenn Christus weniger von unserem Herzen hat, als ihm einmal gehörte –, wird sicherlich etwas anderes eindringen, um die Leere auszufüllen. Wenn, wie es heißt, die Natur kein Vakuum duldet, dann noch mehr unsere Herzen; und wenn Christus sie nicht erfüllt, dann wird die Welt in der einen oder anderen Gestalt hineingebracht werden, um den Leerraum zu füllen. Das ist ganz sicher so. Aber daraus ergibt sich keine Zufriedenheit. Was ist die Welt? Wenn wir die Bewertung des Apostels nehmen (oder Gottes Wertung durch ihn), ist sie dies: „Was in der Welt ist, die Begierde des Fleisches, die Begierde der Augen und der Stolz des Lebens sind nicht vom Vater sondern von der Welt.“
Begierde und Stolz; und das ist alles! Befriedigt die Begierde? Begierde ist ja unbefriedigtes Verlangen. Befriedigt der Stolz des Lebens? Ach, der Stolz des Lebens ist nur der Zwillingsbruder des Neides – Begierde in anderer Gestalt. Und dann „die Welt vergeht mit ihrer Lust“. Ist das nicht schon an sich genug, um die Zufriedenheit zu zerstören? Wenn ich nun nur der Begierde nachlaufe, wird die Leere nur größer, und ich werde – wenn der Herr nicht dazwischen tritt und mich aufhält – nur rücksichtsloser und törichter in meiner Jagd. Mit jedem Schritt entferne ich mich weiter; und wie steht es mit dem Wort Gottes und seinem Gesamturteil über die Welt mit allem, was zu ihr gehört? Soll ich mich darauf verlassen? Soll ich es mit ganzer Härte gerade auf die Dinge anwenden, nach denen ich trachte? Die notwendige Folge ist, dass mein Urteil unterhöhlt wird darüber, was die Welt ist, und dass ich nur schwer glauben kann, dass das Böse wirklich so böse ist, wie Gottes Wort es hinstellt. „Sollte Gott gesagt haben, ihr dürft nicht essen von allen Bäumen des Gartens?“ So geht es in schneller Fahrt bergab. Außer Gott selbst kann nichts Halt gebieten.
Wundern wir uns also nicht, dass wir hier die Wurzel allen Übels vor uns haben, die in der Kirche aufgewachsen ist, und sitzen wir nicht zu Gericht über dieses und jenes, das wir rings um uns finden, während wir gleichzeitig die Wurzel alles dessen in der eigenen Seele nicht richten. Ich dränge euch und mir diesen Gedanken auf, dass, wenn Christus nicht ganz unser Herz besitzt, wenn unser Geschäft, unser Vergnügen, ja, unser ganzes Leben Ihm nicht wirklich wahrhaftig und ehrlich hingegeben ist (ich spreche jetzt hier nicht von erkannter absoluter Beständigkeit, wir alle sind sehr unbeständig), trotzdem, wenn es nicht das Ziel unseres Herzens ist, Ihm alles zu geben, gibt es wirklich keine echte Bruderschaft mit Ihm, und natürlich keine Vollmacht, wirklich zu beurteilen, was böse ist. Wer Teil haben will an Ihm, muss von Ihm gereinigt sein, wie Er gesagt hat: „Wenn ich dich nicht waschen werde, hast du kein Teil an mir.“ Aber wenn wir unsere Füße seinen gesegneten Händen anvertrauen, müssen wir dies ohne Vorbehalte tun. Wenn Er wäscht, muss es danach gehen, was Er für Verunreinigung hält; und wenn Er nicht reinigt, haben wir kein Teil an Ihm. Er kann keine Gemeinschaft mit dem Bösen haben; sondern die Folge ist, dass wir die Gemeinschaft mit Ihm verlieren. Der geringste Vorbehalt – das geringste willentliche Zurückhalten dessen von Christus, was Ihm rechtens gehört, diese Herzen, für die Er so hart sich mühte und für die Er so viele Schmerzen auf sich nahm, sie zu gewinnen –, der geringste bewusste Vorbehalt ist, sozusagen, tödlich. Die Frische unserer Seele ist dahin. Ich bin sicher, während wir mit Ihm gehen, wird Er uns mehr und mehr zeigen, was dies und das ist und dass die Beurteilung all dieser Dinge ein mehr oder weniger praktisches Werk ist. Unsere Augen sehen immer klarer, während wir bei Ihm sind, und wir lernen immer mehr, die Dinge beim Namen zu nennen und sie wirklich zu sehen, wie sie sind. So wahr dies auch ist, während ein Wachstum in der praktischen Heiligung vor sich geht, die Unterwerfung, die Er von uns fordert von Anfang an und für immer, ist eine völlige und rückhaltlose Unterwerfung.
Es ist sinnlos, uns weiter mit diesen Sendschreiben zu befassen, wenn wir nicht ehrlich sagen können: Vor allem anderen ist es mein Herzenswunsch, Christus alles zu geben. Es ist nutzlos, ohne das weiterzugehen. Man kann Gottes Wahrheit nicht lernen, wie ein Schuljunge seine Lektion lernt. Sie ist nicht nur für den Kopf; sie ist für das Herz. Die Augen, die sie sehen sollen, sind die Augen des Herzens, nicht die des Kopfes; und ich lege es euch ans Herz, wo ihr steht. Es ist ernst, wenn man bedenkt, dass gerade Ephesus so angeredet wird. Wäre es Korinth oder Galatien gewesen, hätten wir sagen können, der Fehler war schon fast von Anfang an vorhanden. Aber es ist Ephesus, die allererste, wie man sagen könnte, unter den apostolischen Gemeinden, und jene, der die Gemeindewahrheit als kostbares Gut anvertraut war. Das Versagen hier lässt uns fragen: Wo nicht, wenn schon in Ephesus? Und wirklich, wenn wir die Briefe an die verschiedenen Gemeinden betrachten, sehen wir ohne Schwierigkeit, dass lange bevor die Tage der Apostel vorüber waren, die frischen, klaren Tage der frühen Kirche dahin waren. Die Warnungen und Bekräftigungen der frühen Briefen wandeln sich zu ernsten und eindringlichen Erklärungen in den späteren. In Rom suchten sie alle das ihre, nicht was Jesu Christi war. „Alle, die in Kleinasien sind, haben mich verlassen“, sagt der Apostel zu Timotheus. Das Geheimnis der Verfehlung war schon am Werk. In den Tagen des Johannes gab es schon viele Antichristen, die von ihnen ausgegangen waren; und solche, die darin waren, wie Diotrephes, der sich ganz offen dem noch lebenden Apostel widersetzte und wahre Brüder aus der Gemeinde hinauswarf.
Die prophetischen Warnungen tragen dies weiter bis ganz zu den „letzten Tagen“ des Christentums. Böse Menschen und Verführer sollten sich mehr und mehr ausbreiten. Falsche Lehrer sollten zerstörerische Irrlehren einführen und sogar den Herrn verleugnen, der sie erkauft hat, und viele würden ihren verderblichen Wegen folgen, wodurch der Weg der Wahrheit in Misskredit geraten werde. Die „letzten Tage“ würden besonders „gefährliche Zeiten“ sein – Menschen würden in göttlicher Gestalt erscheinen und die damit verbundene Macht leugnen. Und der Mensch der Sünde, die Krone des bereits wirkenden Bösen, würde die letzte Abtrünnigkeit krönen und sein Urteil vom Herrn direkt empfangen bei dessen Wiederkunft.
Wir sind also darauf vorbereitet, dass die Dinge immer finsterer aussehen, wenn wir in diesen Sendschreiben weiterlesen. Sogar trotz korrigierender Maßnahmen, welche die treue Liebe des Herrn einfach geben muss, damit die Empfänger etwa auch jetzt noch für ihren Zustand geweckt würden und sich aufrichtig und wirklich zu ihm wenden sollten.
Smyrna
Off 2,8-10: Und dem Engel der Versammlung in Smyrna schreibe: Dieses sagt der Erste und der Letzte, der starb und wieder lebendig wurde: {w. der tot ward und lebte} Ich kenne deine Drangsal und deine Armut (du bist aber reich) und die Lästerung von denen, welche sagen, sie seien Juden, und sind es nicht, sondern eine Synagoge des Satans. Fürchte nichts von dem, was du leiden wirst {o. zu leiden im Begriff stehst}. Siehe, der Teufel wird etliche von euch ins Gefängnis werfen {o. steht im Begriff … zu werfen}, auf dass ihr geprüft werdet, und ihr werdet Drangsal haben zehn Tage. Sei getreu bis zum Tode, und ich werde dir die Krone des Lebens geben.
Diese Erziehung ist es, die denn auch wirksam wird, wie wir finden werden, in dem nächsten Schreiben an die Gemeinde von Smyrna – die Verfolgung, von der jedermann weiß, brach in den Tagen der heidnischen Kaiser herein. Die „zehn Tage Drangsal“ wird von jenen, die keine Vorstellung davon hatten, damit gedeutet, dass diese Sendschreiben anwendbar seien auf den Zustand der Kirche insgesamt. Wie berechtigt dies angesichts der Geschichte ist, steht in diesem Fall außer Zweifel. Doch hier nun finden wir, dass der Herr sehr gnädig und behutsam eingreift, aber nicht, um sie herauszunehmen, weil Er seine Absicht damit hatte, dass sie dies durchstehen sollten. Er wollte, dass sie von der Welt lernten, wie heftig sie Gott gegenüber in Opposition stand. Er wollte sie sozusagen durch den starken äußeren Druck zu sich zurück zwingen, damit sie dort, wo es allein möglich war, den wahren Charakter dessen erfuhren, was sich einschlich; und darum lässt Er sie dies durchleben und verlangt von ihnen, „treu bis in den Tod“ zu sein. Er war es gewesen, hatte „bis aufs Blut widerstanden und mit der Sünde gerungen“. Er hatte es ausgehalten und ihm den Stachel genommen. So versichert Er sie seines Mitgefühls. Nach und nach werde Er ihnen die Krone des Lebens geben.
Für sich genommen waren sehr viele treu. Trotzdem dürfen wir uns nicht einbilden, dass sich ganz allgemein der Zustand der Dinge gebessert hat. Ganz im Gegenteil, ich möchte hier hervorheben, dass es eine Sorte Leute gibt, von denen hier die Rede ist, die sehr deutlich hervorgehoben werden und die der Herr ebenso deutlich verdammt. Wenn wir uns darauf verstehen, die symbolische Sprache zu deuten, die hier überall verwendet wird, fällt es uns nicht schwer zu sagen, wer sie sind oder welchen Platz sie zurzeit in der Kirchengeschichte haben. Die Gruppen Leute, auf die Er sich bezieht, werden mit folgenden anschaulichen Worten beschrieben: „Ich kenne deine Drangsal und deine Armut, (du bist aber reich) und die Lästerung von denen, welche sagen, sie seien Juden, und sind es nicht, sondern eine Synagoge des Satans.“
Wenn er also von „denen“ spricht, so sind das nicht die Leute in Smyrna, an die Er sich hier wendet; aber das sollte uns nicht zu der Annahme verleiten, dass sie deswegen draußen und nicht tatsächlich ein existierender Teil der Kirche waren. Es stimmt mit dem Wesen der Sendschreiben überein, dass der Herr diese nicht anspricht. Genau so geht es mit den Nikolaiten, den Nachfolgern Bileams und der Frau Jesabel, von denen zugegeben werden muss, dass sie zur bekennenden Kirche gehörten. Aber Er konnte jene, die Werkzeuge des Satan waren, nicht unter die rechnen, die Ohren hatten, um zu hören. Auch dass sie sich Juden nannten, besagt noch nicht, dass sie sich nicht auch als Christen bekannten, denn sie mögen wohl Judentum und Christentum verbunden haben; und wir wissen, dass das fast von Anfang an vorkam, und der Apostel Paulus musste sich überall dagegen wehren. Doch sind dies keine Juden, obwohl sie sagen, sie seien welche. Wären sie welche gewesen, hätten sie dies kaum von sich behaupten müssen. Nun ist Satan der große Widersacher Christi, der beständig sein Werk zu zerstören sucht, wie andererseits Christus kommt, um die Werke des Teufels zu zerstören. Dies war die Synagoge des Satan, eine jüdische Partei, das Werkzeug Satans bei seinem Bemühen, Christi Werk zu zerstören. Sie waren in Wirklichkeit keineswegs Juden, sondern Leute, die sich den jüdischen Standpunkt zu eigen machten, den Standpunkt der Synagoge, und sie lästerten (oder verleumdeten) die wahren Nachfolger Christi. Es ist Lästerung, keine Verfolgung wie vonseiten der Welt draußen, was ihnen vorgeworfen wird; und der Name, mit dem der Herr sie benennt, belehrt uns hinreichend über ihren wahren Charakter.
Das Wort „Synagoge“ ist die Bezeichnung für ihre Zusammenkünfte, wie das christliche Wort überall „Versammlung“ heißt. Das Wort „Kirche“ ist, wie wir wohl kaum sagen müssen, ein Wort, das tatsächlich nirgendwo im Wort Gottes vorkommt; es ist eine Formulierung späterer Zeiten. Das ist allgemein bekannt, und man kann es getrost aussprechen. Wer den Originaltext kennt, gibt das zu. Gleichzeitig ist dies äußerst wichtig, und man sollte es sich klar einprägen. Wenn ich von der „Versammlung“ spreche, ist es natürlich nicht vorstellbar mit Wänden, Backsteinen und Mörtel; und doch ist dies ein beständiger Missbrauch des Wortes „Kirche“. Andererseits, wenn ich von der christlichen Versammlung spreche, wie es in der Schrift heißt, zum Beispiel „die Versammlung, welche der Leib Christi ist“, kann ich an nichts anderes denken als an die Zusammenkunft all seiner Glieder. Kirchenmitgliedschaft ist nichts weiter oder anderes als Zugehörigkeit zum Leib Christi, und es kann nicht viele Leiber Christi geben, sondern nur einen, und der umfasst alle wahren Christen. Wie können wir dann von der Kirchenlehre sprechen? Was ist das für eine Kirche, die lehrt? Die Kirche ist die ganze Gemeinde der Lehrer und der Lernenden zusammen. Was man Kirchenlehre nennt, ist nur das, was Lehrer in früheren Generationen lehrten und was in der Folgezeit mehr oder weniger allgemein anerkannt wurde. Aber das ist keineswegs die Kirche. Die Wiedereinführung (wenn dies möglich wäre) des richtigen Wortes „Versammlung“ würde viele dieser Wortgebilde gleich zunichtemachen.
Achten wir jedoch darauf, dass da ein Unterschied zwischen dem jüdischen und dem christlichen Begriff ist. Das Wort für das neutestamentliche „Versammlung“ (ecclesia) wird abgeleitet von einem Wort, das bedeutet „herausgerufen“. Es ist nicht einfach nur eine Versammlung von Leuten, sondern es ist eine Versammlung von Leuten, die klar „herausgerufen“ sind unter anderen. Andererseits ist „Synagoge“ eine reine „Ansammlung“, kein Herausgesammeltsein; und das unterscheidet sehr genau die jüdische von der christlichen Versammlung.
Um zu sehen, was das bedeutet, wollen wir uns kurz ansehen, was Judentum bedeutete. Es war ein System zur Bewährung, in welchem Gott den Menschen auf die Probe stellte, um zu sehen, ob er etwas aus ihm herausholen konnte, das angenehm war vor Gott. Er prüfte den Menschen, um zu sehen, ob er mit irgendwelcher Hilfe, die Gott ihm geben konnte, selbst zu irgendwelcher Gerechtigkeit gelangte und vor Gott aufgrund seines eigenen Tuns bestehen konnte. Im Judentum gab Gott dem Menschen das Gesetz als Richtschnur des Gehorsams, den Gott verlangte, damit er vor sein Angesicht kommen und leben sollte. Aber er sah Gottes Gesicht nicht und konnte es nie sehen unter diesen Bedingungen. Sobald man sieht, was das Gesetz ist, kann man nicht mehr zweifeln, dass es tatsächlich den Menschen für immer von der Gegenwart Gottes ausschließen muss. Jeder wird sogleich sagen: „Wenn ich Gott lieben soll von ganzem Herzen, von ganzer Seele und aus allen Kräften und meinen Nächsten wie mich selbst, habe ich das nie getan, tue ich es nicht, und kann ich es auch nicht tun.“ Wenn nun dies die Bedingungen sind, unter denen der Mensch vor Gott kommen soll durch sein eigenes Werk, dann ist es absolut unmöglich für jeden Menschen, auf diesem Wege vor Gott zu kommen. Er ist zweifelsfrei ausgeschlossen; und genau dazu wurde das Gesetz gegeben. Der Apostel sagt: „Wir wissen aber, dass alles, was das Gesetz sagt, es denen sagt, die unter dem Gesetz sind, auf dass jeder Mund verstopft werde und die ganze Welt dem Gericht Gottes verfallen sei“ (Röm 5,19). Das war nicht nur der tatsächliche Effekt, sondern es ist der beabsichtigte Effekt des Gesetzes. Der Urteilsspruch lautet: „Da ist kein Gerechter, auch nicht einer.“
Dieser Satz war das Ende der Prüfung – das Ende der Bewährungsprobe des Menschen. Das Gerichtsverfahren ist beendet, wenn das Urteil gesprochen ist, und das ist das Anliegen des Gesetzes – das beabsichtigte und gezielte Anliegen –: Jeder Mund ist gestopft und der Mensch schuldiggesprochen. Ich weiß, dass uns das nur sehr schwer eingeht, wo doch das Gesetz Gottes ein heiliges und gerechtes Gesetz ist. Aber die Wahrheit ist, dass sein wirkliches Anliegen als Gerichtsverfahren darin bestand, dass der Mensch von Gott auf seinen eigenen Boden gestellt wurde. Wenn man alle Religionsformen überall untersucht, stellt man fest, dass es bei allen so oder so um die Einhaltung der Gesetze geht – dass man etwas tut, um leben zu können. Das ist das universale Prinzip dessen, was sich „Naturreligion“ nennt – es liegt dem Prinzip der Werke, um vor Gott angenehm zu werden, zugrunde; und kein Witz und keine Weisheit der Menschen konnte einen anderen Weg finden. Genau das sagt die Schritt über das Gesetz. Es war das „Grund legen“ (Heb 6,1) oder die „Elemente der Welt“ (Gal 4,5).
Es ist das, was die Welt überall anerkennt und wonach sie handelt und was sie für Recht hält zwischen Mensch und Mensch. Gesetze sind nötig, um die Welt in einem erträglichen Zustand zu halten. Ohne sie könnten wir nicht leben. Was nun der Mensch in dieser Hinsicht so notwendig findet, richtet er auch als Prinzip zwischen sich und Gott auf, und auch da noch hat er bis zu einem gewissen Grad recht. Das Dumme aber ist: Er weiß nicht und will nicht glauben, dass er auf dieser Basis einfach verloren ist und nichts weiter, und so schraubt er das Maß dessen, was verlangt wird, herunter auf das, was er für das Maß seiner Fähigkeit hält, und so versucht er, den gerechten und unvermeidlichen Schuldspruch zu umgehen.
So stimmt das Gesetz mit dem natürlichen Denken im Herzen des Menschen durchgehend überein. Doch es fällt ihm schwer zu erkennen, dass Gott das Gesetz nur zur Verdammnis allein gab; denn er kennt nicht Gottes Herz oder den Reichtum seiner Liebe; und wenn das Gesetz verdammt, sieht er nicht mehr darüber hinaus. All sein Bemühen richtet sich also darauf, dem Urteil zu entgehen; doch das kann er nicht, denn Gott ist heilig und kann sein Gesetz nicht teilen; und andererseits kann auch keine Parteilichkeit genügen, um dem Menschen Gewissheit vor Gott zu verschaffen. Wenn Sünde von Gott verurteilt wurde – wie kann der Mensch, beladen mit ihr, vor Gott treten? Die Wahrheit ist: Er ist verloren; aber dieser Wahrheit will er sich nicht stellen.
Eines war daher charakteristisch für das Judentum, wie eines auch charakteristisch ist für das Christentum. Im Judentum war es charakteristisch, dass Gott verborgen war; während das Charakteristische am Christentum ist, dass Gott offenbart ist. „Der Herr hat gesagt, dass er im Dunkel wohnen wolle“, sagt Salomo (1Kön 8,12). „Gott ist Licht“, sagt der Apostel. „Niemand hat Gott je gesehen. Der eingeborene Sohn, der im Schoße des Vaters ist, der hat ihn uns kundgemacht.“ – „Wer mich sieht“, sagt der Sohn selbst, „sieht den Vater.“ So stehen Judentum und Christentum in grundlegendem Gegensatz zu einander. Der noch unzerrissene Vorhang, der noch nicht offenbarte Weg ins Allerheiligste, der praktisch unbekannte Gott – das ist das Judentum; und schon die Namen, mit denen Gott genannt wird, zeigen dies: Er ist der Allmächtige, der Ewige (vielleicht die Deutung des Wortes Jehova oder Jahwe, die Ihm am nächsten kommt), der Höchste. Keiner dieser Namen verrät mir sein Herz. Der Allmächtige! Wie wird Er seine Macht gebrauchen? Ewigkeit, Majestät – diese alle sind nicht Er selbst. Doch sein Sohn, an dem Er Wohlgefallen hat, erscheint – wird Mensch –, um dem Menschen nahe zu sein, und Er offenbart den Vater. Da kenne ich Ihn.
Als das Gesetz zum zweiten Mal gegeben wurde, als Gott in Verbindung mit dem Gesetz von Barmherzigkeit sprach, ließ ein Abglanz der Herrlichkeit das Gesicht des Moses aufleuchten; noch immer war es nur der Herr, der erschien. Und während Er sich wahrhaftig erklärt als „der Herr, der Herr, Gott, barmherzig und gnädig, langsam zum Zorn und groß an Güte und Wahrheit, der Güte bewahrt auf Tausende hin, der Ungerechtigkeit, Übertretung und Sünde vergibt“, muss Er doch hinzufügen (weil er immer noch Gesetz war, was die Steintafeln Wort für Wort verzeichneten): „Aber keineswegs hält er für schuldlos den Schuldigen.“ Aber was bleibt dann dem Menschen zu hoffen, der doch fraglos ein Schuldiger ist? Obwohl Gott auch sagen könnte, wie Er über den Gesetzlosen bei Hesekiel sagt: „Wenn ein Gesetzloser umkehrt von seiner Gesetzlosigkeit, die er begangen hat, und Recht und Gerechtigkeit übt: Er wird seine Seele am Leben erhalten“, ist auch dort das unveränderte Maß das Gesetz. Die Barmherzigkeit kann sich mit den Sünden der Vergangenheit befassen und dem Menschen einen neuen Anfang geben, aber wenn er eine neue Seite aufschlägt, kann er sie auch rein erhalten? Kann er jemals eine fehlerfreie Seite seines Lebensbuches zu Gott bringen, wie es von ihm verlangt wird? Niemals! Er könnte niemals seine Seele retten. Und das Gesetz in seiner mildesten Form zeigte die Fehlbarkeit des Menschen nur umso deutlicher. Es war, was der Apostel es nennt, der „Dienst des Todes“ und der „Dienst der Verdammnis“. Und darum durfte auch Moses auf dem Berg nur dem Herrn hinterherschauen und nicht sein Angesicht sehen. Darum wies auch durch alle Tage des Judentums der noch unzerrissene Vorhang darauf hin, dass „der Weg ins Heiligtum noch nicht offenbart war“. Offenbar war nur das Nutzlose aller Bemühungen des Menschen, Gott sehen und doch leben zu können.
Nun zum wichtigsten Merkmal des Christentums. Erstens, es war keine Milderung des Gesetzes: Es kam nicht, um das Gesetz noch milder zu machen. Ganz im Gegenteil, die christliche Offenbarung bestätigt das Gesetz in seiner ganzen Härte. Es ist ein christlicher Apostel, der feststellt: „Wer irgend das ganze Gesetz halten, aber in einem straucheln wird, ist aller Gebote schuldig geworden“ (Jak 2,10). Und ein anderer Apostel sagt uns: „Denn so viele aus Gesetzeswerken sind, sind unter dem Fluche; denn es steht geschrieben: Verflucht ist jeder, der nicht bleibt in allem, was im Buche des Gesetzes geschrieben ist, um es zu tun!“ (Gal 5,10).
Das Christentum erhält demnach die gerechte Verdammung aufrecht und zweifelt sie nicht an, und zwar aufgrund von Werken jeglicher Art; den jeder Punkt menschlicher Verpflichtung ist vom Gesetz abgedeckt. Das Urteil ist gesprochen; das Verfahren gegen die Menschheit ist beendet. Der Mensch ist „gottlos“; ja, noch mehr, er ist unfähig auch „ohne Kraft“. Nichts an Güte oder Gerechtigkeit kann von ihm erwartet werden. Was bleibt also? Nun kann Gott sich zeigen. Er konnte es nicht, solange der Prozess noch im Gang war. Der Mensch hätte natürlich sagen können, ich habe meinen Teil der Abmachung eingehalten; ich habe den Bund gehalten. Darum musste Gott sein Angesicht beständig vor dem Menschen verhüllt halten. Aber als erst einmal feststand, dass der Mensch niemals hineingelangen konnte, dass er überhaupt niemals würde vor Gott stehen können, da – zu der Zeit, als die Sünde des Menschen ihren Höhepunkt erreichte, als der Sohn Gottes tot am Kreuz hing, an welches die Menschen Ihn gebracht hatten, als die fleischliche Gesinnung so ihre Feindschaft gegen Gott am vollkommensten gezeigt hatte – zerriss Gott mit eigener Hand den Vorhang von oben bis unten; und durch das teure Blut, das vergossen wurde, wurde ein Weg gebahnt, der hineinführt zu Gott, und andererseits konnte Gott auf diesem Wege herauskommen und dem Menschen begegnen. Ja, ein Mensch fand tatsächlich einen Weg in Gegenwart Gottes und setzte sich dort nieder dank seines Werkes; aber es war der Mann, Gottes Genosse (Sach 15,7), und der Weg, auf dem Er hineinging, war von nun an ein Zugang, geweiht und sicher gemacht für Sünder durch sein teueres Blut.
Das ist das Merkmal des Christentums. Gott ist mit seiner Gnade gekommen in einer Weise ganz unabhängig vom Werk des Menschen. Hier kann und darf nichts mehr vermischt werden. Der Apostel sagt: „Wenn aber durch Gnade, so nicht mehr aus Werken; sonst ist die Gnade nicht mehr Gnade“ (Röm 11,6). Das wird ganz deutlich betont; diese beiden Prinzipien lassen sich nicht vermischen. Die Botschaft des Christentums ist Gnade. Gott verlangt nichts vom Menschen, als dass er diese Gabe annehmen soll, die Er anbietet. Er verlangt keine Gerechtigkeit; Er „bedient“ damit. Die Sünder, die vom Gesetz überführt und verdammt werden, sind nun willkommen und erleichtert. Er, der durch das Gesetz die Schuldigen nicht lossprechen konnte, macht durch das Werk seines Sohnes die Gottlosen gerecht. Gott ist es, der gerecht macht. Weil „Christus für die Gottlosen starb“, „macht er die Gottlosen gerecht“. So sind wir durch Christi Blut fähig, geradewegs zu Gott hineinzugehen und Ihn von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Und Gott, der hinter dem Vorhang und „in tiefer Dunkelheit“ war, ist nun, wie der Apostel Johannes sagt, „im Licht“. Und die Herrlichkeit, von der wir einst ausgeschlossen wurden, wird nun unsere bleibende und friedvolle Heimstatt. Beachten wir: Das Christentum bringt den Menschen sofort in eine Position, wo er bleibend angenehm vor Gott ist und in Beziehung zu Ihm lebt. Dies konnte das Judentum niemals tun. Das Christentum bringt hervor und unterscheidet von der Welt ein Volk, das versöhnt ist und Frieden mit Gott hat. „So viele ihn aber aufnahmen, denen gab er das Recht, Kinder Gottes zu werden“ (Joh 1,12).
Beim Christentum handelt sich also um das „Herausrufen“ jener, die fähig sind, ihren Platz als Kinder Gottes einzunehmen. Im Judentum war aber, wie man heute sagen könnte, die Vermischung von der Kirche und der Welt vorhanden. Es gab keine Trennung, und sie war auch nicht möglich. Im Judentum standen die Menschen noch immer unter dem Gericht, und niemand konnte im wahren Sinne seinen Platz als ein von Gott geborenes Kind einnehmen. Niemand konnte in diesem Sinn Gott seinen Vater nennen. Der Apostel sagt uns in Galater 4,1.2, dass die wahren Kinder zwar „Erben“, aber während ihrer Unmündigkeit „unter Vormündern und Verwaltern bis zu der vom Vater festgesetzten Frist“ sind und „sich in nichts von einem Knecht unterscheiden, obwohl sie Herren sind von allem“. In der Schule sagen die Kinder „Herr“ zum Lehrer und nicht „Vater“. So konnten sie in jenem Zustand auch sagen: „Geh nicht ins Gericht mit deinem Knecht! Denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht“ (Ps 143,2).
Ja, Gott war dem Israel ein Vater; aber Israel war eine Nation im Fleisch – eine aus Sündern und Heiligen zusammengewürfelte Gesellschaft. Es war nicht möglich, konnte nicht möglich sein, die einen von den anderen zu unterscheiden. Es gab keine Versammlung der Heiligen gesondert von den Sündern. Nur als nationales Volk war Israel aus den Heiden herausgerufen, also im eindeutigen Gegensatz zur Berufung von Christen aus der Welt. So war im Judentum die Vermischung vollständig. Im Christentum gibt es nun die Trennung von Gottes Kindern, die klar ermahnt werden, herauszukommen und sich zu trennen von Ungläubigen, damit sie wirklich ihren Platz als Kinder genießen können (2Kor 6,14-18). Das Judentum war in diesem Sinne kein „Herausrufen“, sondern nur eine „Synagoge“ – ein „Sich-Sammeln“. Im 11. Kapitel des Evangeliums nach Johannes, wo Kajaphas unbewusst weissagt, dass Christus sterben werde „für die Nation“ (Israel) fügt der Apostel hinzu: „… und nicht für die Nation allein, sondern auf dass er auch die zerstreuten Kinder Gottes in eins versammelte.“ Das war ein Ziel des Sterbens Christi, dass Er die Kinder Gottes sammeln konnte, die durch das Judentum selbst zerstreut worden waren. Die Gemeinde Gottes ist die Versammlung jener, die, da sie nicht mehr unter dem Gericht sind, schon ihren Platz als Kinder Gottes haben und, da sie mit dem Geist getauft sind, als Christi Glieder leben; sie sind gewiss und für immer angenommen – aus Gnaden und nicht durch Werke und mit diesen auch nicht vermengt. Als das Judentum in die Kirche eingeführt wurde, entstand dadurch wieder Distanz zwischen dem Menschen und Gott. Damit wurde der Vorhang, den Gott zerrissen hatte, wieder vor das Kreuz gehängt – Gott kam wieder in die Dunkelheit und der Mensch wieder unter das Gericht, wieder sollte er sich seinen Weg suchen, um Gott zu begegnen, wo das möglich wäre. Es wurde Distanz geschaffen zwischen Gott und dem Menschen, notwendigerweise, und das gnadenreiche Angesicht Gottes wurde wieder verhüllt, das Er in Christus offenbart hatte. Mag man es Hochkirche nennen oder wie auch immer. Demnach ist es notwendigerweise die Wiedervermischung von Kirche und Welt. Denn, wenn sie vor Gericht sind, kann niemand sagen, welche die eine, welches das andere ist, man kann Heilige und Sünder nicht trennen, sie sind alle gemeinsam unter dem Gericht; man kann also auch nicht die Kinder Gottes von den Kindern dieser Welt trennen.
Und wenn man sich umsieht, findet man genau dies überall. Die Folgen dieser schrecklichen Wandlung von der Versammlung zur Synagoge sind überall sichtbar. Im Galaterbrief sehen wir, was zu Zeiten des Apostels in die Kirche kam; und man spürt, wie ernst es ihm damit ist: „Ich wollte, dass sie sich abschnitten“, sagt er und warnt sie, wenn einer käme und ein anderes Evangelium brächte (nicht noch eines, denn es gab keine zwei), der sollte anathema, verflucht, sein.
Dass das Judentum Eingang in die Gemeinde Gottes gefunden hat, bedeutet nichts weniger als die Zerstörung ihres wahren Wesens. Der erste Schritt der Entfernung ist (nach dem, was wir in Ephesus sahen) der Verlust, im wahrsten Sinne des Wortes, der Kirche selbst; und das geschah, ehe die nicht geistgewirkte Kirchengeschichte begann. Mit Verblüffung müssen wir sagen, die Kirche als solche existiert historisch nicht mehr. Wenn ein Kirchengeschichtler sagen kann: „Die Annalen der Kirche sind die Annalen der Hölle“, dürfen wir sicher sein, dass das, wovon er spricht, nicht die Kirche ist (außer in der Verantwortung), sondern die Synagoge des Satan! Klingt das zu hart? Wenn es auch zweifellos verstreut in ihr Christen gibt, ist die Kirche von Rom oder die Kirche der konstantinischen Zeit oder noch weiter zurück etwas Besseres als ein elendes Zerrbild der wahren Kirche, des Leibes Christi? Unter wem anders als Satan haben sich Menschen bemüht, dies daraus zu machen? Und jede neue Entfernung von der Wahrheit ist praktisch ein neues Wachsen des Judentums. Kein Wunder, da es des Menschen natürliche Religion ist und er nie fähig war, eine andere zu erschaffen.
Der Mensch mag wohl getauft sein und zweifellos nach außen auch verwandelt. Die Menschen mögen Christen genannt werden, obwohl sie kaum wagen, sich selbst so zu nennen; „Mitglieder Christi“ durch ein Sakrament dazu gemacht; Bischöfe mögen den Heiligen Geist so freizügig spenden, wie es die Apostel je taten, wenn Worte für göttliche Realitäten genommen werden! Aber sieht man hinter diese Äußerlichkeiten, ist die schöne Form so hohl wie eine Maske – ein übertünchtes Grab der Unreinheit selbst. Und – so viele sind besudelt – es ist Brauch geworden, und man spricht nicht darüber; wer sich absetzt von der Unreinheit, macht sich selbst zur Beute. Seht euch um, liebe Freunde, uns wird es nicht schwerfallen, die Formen des Judentums zu erkennen oder die Sprache der Synagoge zu hören, die sich wieder formt.
Zweifellos nennen sie sich Christen, die, wenn man sie fragt, ob sie Christus gehören, meinen, man hätte kein Recht so zu fragen; und sagt man das von sich, wundern sie sich über die Anmaßung. Wenn man selbst keinen Zweifel hat, werden sie einen anzweifeln. Für sie sind die Menschen noch immer im Gericht, und sie wissen nicht, wie es ausgehen wird. Wie im Judentum findet man alles dazu angetan, das Auge zu beeindrucken, das Ohr und die Gefühle: Architektur und eindrucksvolle Anblicke; Musik und wortgewandte Beschwörungen; alles, was in einem Wesen, das nicht ganz „verloren“ ist, religiöses Gefühl wecken kann. Wie ich gesagt habe, obwohl sie sich Christen nennen, darf man nicht beurteilen, ob sie es wirklich sind. Sie sind Kirchenmitglieder; aber die wahre Kirche ist unsichtbar, und sie wissen nicht, wo sie ist. Sie haben Gemeinden, die praktisch arbeiten, und sie tun es recht gut. Haben sie ewiges Leben? – Sie wagen nicht, das zu sagen. Vergebung der Sünden? – Sie wissen es nicht. Sind sie Gottes Kinder? Wer weiß? Es ist Freundlichkeit, wenn man annimmt, sie seien es, und sie gestehen es dem zu, der es ihnen zugesteht. Ist es nicht genau das, was man fast überall findet? Daraus folgt natürlich eine Mischung aus Kirche und Welt. Trennung wird gerügt. Es ist Pharisäertum, sich für besser zu halten als der Mitmensch.
Gerade all das aber haben wir hier. Es ist die zusammengesammelte Welt als Ersatz dafür, dass Gott die Seinen sammelt. Gott sammelt sich sein Volk aus der Welt; ein Volk, das nicht „von der Welt ist, wie auch Christus nicht von der Welt ist“. Was die Gemeinde betrifft, so ist sie praktisch (sichtbar) verschwunden. Die Welt dringt notwendigerweise wie eine Flut ein, und Gottes Kinder werden überflutet. Man nennt es: die„religiöse Welt“, und das ist es, obwohl es darin Glaubende gibt – überrollt, besudelt und gebunden; Gebundenheit, die sie fühlen, obwohl sie diese nicht durchbrechen können. Wenn es einen grundlegenden Unterschied zwischen der Kirche und der Welt gibt, was ergibt sich dann aus dieser Mischung? Die Kirche wird zur Welt, und die Welt zur Kirche. „Was von der Welt ist“, findet sich unumgänglich darin. Bis auf den heutigen Tag finden sich darin „Fleischeslust, Augenlust und hoffärtiges Wesen“, und in voller Blüte; und wer regiert über die Welt? Wer ist ihr Gott und Fürst?
Zum Abschluss gebe ich nur eine Anwendung. Man wird mich hoffentlich nicht missverstehen oder annehmen, ich lehnte das ganze Christentum insgesamt unter dem schrecklichen Spruch, den wir erarbeitet haben, ab. Gottes eigene Kirche besteht noch, Gott sei Dank. Ihre Glieder finden sich überall, wenn auch leider zerstreut, und wenn sie auch großenteils die wahre Einheit untereinander verweigern um solcher Verbindungen willen, die sie als weltlich erkennen würden, wenn sie nur Augen hätten, um zu sehen. Ich übersehe nicht, dass wir, die wir heute leben, Erben von bösen Entwicklungen sind, die durch große und teuere Namen sanktioniert worden sind. Deshalb aber darf ich nicht davor zurückschrecken, sie bei ihrem wahren Namen zu nennen: Ich bin nur umso mehr verpflichtet, das zu tun. Es sind jene, die sich schon in ganz früher Zeit dazu hergaben, die wahre Kirche Gottes zu wandeln zu einer jüdischen Versammlung auf gesetzlicher Grundlage, wodurch Gottes Volk und die Welt verwirrt wurden und die Gott die Synagoge des Satans nennt. Doch leider gelang der Versuch größtenteils. Heute sehen wir die betrüblichen Ergebnisse. Vorgehen und Grundlage sind geblieben – weit verbreitet und fast allgemein anerkannt. Die wahre Kirche ist verschwunden – sie ist unsichtbar. Von Gottes Licht für die Welt sind nur ein paar vereinzelte Lichter übrig, die recht schwach und verstreut in der allgemeinen Dunkelheit leuchten.
Wie weit für uns selbst oder ganz allgemein diese Grundsätze zutreffen, die ich beschrieben habe, muss jeder für sich selbst entscheiden. Aber seien wir aufrichtig und ehrlich! Haben wir keine Scheu, das Böse beim Namen zu nennen, nur weil gute Menschen es ausgeübt haben! Und lasst uns, was wir als Böse erkennen, von ganzem Herzen ablehnen! Weigern wir uns, das Gesetz und auch Gesetzlichkeit Frohe Botschaft zu nennen – es zu sanktionieren oder darauf zu hören. Denken wir an die furchtlosen und ätzenden Worte des Apostels; hätte ich heute solche Worte gebraucht, was hätten die Leute wohl gesagt? Verweigern wir auch jede Komplizenschaft mit dem, was das Gesicht der bekennenden Kirche so verändert hat, bis die Züge der Braut Christi nicht mehr erkennbar waren. Weigern wir uns, mit Ungläubigen im Joch zu gehen, auch wenn sie getaufte und streng orthodoxe Ungläubige sind! Der Herr sagt, dass wir dies tun müssen, nicht ich, damit Er wirklich für uns der Vater sein kann, der Er ist. Schließen wir mit diesen Worten: „Seid nicht in einem ungleichen Joche mit Ungläubigen. Denn welche Genossenschaft hat Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit? Oder welches Teil ein Gläubiger mit einem Ungläubigen? Und welchen Zusammenhang der Tempel Gottes mit Götzenbildern? Denn ihr seid der Tempel des lebendigen Gottes, wie Gott gesagt hat: Ich will unter ihnen wohnen und wandeln, und ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein. Darum gehet aus ihrer Mitte aus und sonder euch ab, spricht der Herr, und rühret Unreines nicht an, und ich werde euch aufnehmen; und ich werde euch zum Vater sein, und ihr werdet mir zu Söhnen und Töchtern sein, spricht der Herr, der Allmächtige“ (2Kor 6,14-18).
Originaltitel: „Lecture 1. Spiritual Decline and the Judaizing of the Church“
aus The Prophetic History of the Church or, “Some evils which afflict Christendom and their remedy, as depicted by the Lord’s own words to the seven churches”, New York (Loiseaux) 1902