Der „Dienst der Versöhnung“ im Lukasevangelium (18)

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© Soundwords, online seit: 04.05.2017, aktualisiert: 22.04.2022

Mehr als alle anderen Evangelien zeigt uns das Evangelium nach Lukas die große Gnade Gottes. Diese Gnade Gottes ist für alle Menschen bestimmt. Anders als das Matthäusevangelium richtet sich das Lukasevangelium daher auch nicht in erster Linie an die Juden, sondern an alle Menschen. Es zeigt uns auch in besonderer Weise die Menschheit des Herrn Jesus und wie Er als Mensch gelebt hat, an dem Gott seine Freude hatte.

Diese beiden Aspekte führen dazu, dass wir in diesem Evangelium den Dienst der Versöhnung in ganz besonders deutlicher Weise vorgestellt bekommen. Dazu wollen wir einen kleinen Gang durch dieses Evangelium machen.

Lk 2,1-14: 1 Es geschah aber in jenen Tagen, dass eine Verordnung vom Kaiser Augustus ausging, den ganzen Erdkreis einzuschreiben. 2 Die Einschreibung selbst geschah als erste, als Kyrenius Statthalter von Syrien war. 3 Und alle gingen hin, um sich einschreiben zu lassen, jeder in seine Stadt. 4 Es ging aber auch Joseph von Galiläa aus der Stadt Nazareth hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Bethlehem heißt, weil er aus dem Haus und der Familie Davids war, 5 um sich einschreiben zu lassen mit Maria, seiner verlobten Frau, die schwanger war. 6 Es geschah aber, als sie dort waren, dass die Tage erfüllt wurden, dass sie gebären sollte; 7 und sie gebar ihren erstgeborenen Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Raum für sie war. 8 Und es waren Hirten in derselben Gegend, die auf freiem Feld blieben und in der Nacht Wache hielten über ihre Herde. 9 Und siehe, ein Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Herrlichkeit des Herrn umleuchtete sie, und sie fürchteten sich mit großer Furcht. 10 Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkündige euch große Freude, die für das ganze Volk sein wird; 11 denn euch ist heute in der Stadt Davids ein Erretter geboren, welcher ist Christus, der Herr. 12 Und dies sei euch das Zeichen: Ihr werdet ein Kind finden, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend. 13 Und plötzlich war bei dem Engel eine Menge des himmlischen Heeres, das Gott lobte und sprach: 14 Herrlichkeit Gott in der Höhe und Friede auf der Erde, an den Menschen ein Wohlgefallen!

Schon bei der Beschreibung der Geburt des Herrn Jesus können wir erkennen, wie entfremdet der Mensch Gott gegenüber war. In der Herberge war kein Platz für Ihn. Platz fand sich nur in einem Stall, in einer Unterkunft für Tiere – in einer Krippe. In den Unterkünften für die Menschen, in der Herberge, gab es keinen Platz. Doch Gott ließ sich davon nicht abschrecken, dem Menschen die Versöhnung anzubieten (Lk 2,10). Er war sogar bereit, in Christus als ein Baby auf die Erde zu kommen.

Die erste Botschaft, die wir hören, lautet: „Fürchtet euch nicht“ (Lk 2,10). Der Gott entfremdete Mensch, in Feindschaft gegen Gott, hatte sehr wohl Grund, Gott zu fürchten. Doch Gott streckte seine versöhnende Hand aus und sagte gleichsam: Ich möchte die Kluft überwinden, ihr braucht euch nicht vor mir zu fürchten. – Jedes Gefühl der Angst wollte Gott wegnehmen. Und Er hatte eine gute Botschaft für sie, eine Freudenbotschaft statt einer Schreckensbotschaft, eine gute Botschaft, die nicht nur den Hirten galt, sondern auch dem ganzen Volk (Lk 2,10).

Jetzt kam Gott nicht mit schrecklichen Wassermassen wie zur Zeit Noahs, um die Menschen zu vernichten; im Gegenteil, jetzt versuchte Er, sie mit allen Liebesbanden zu sich zu ziehen. Menschen, die einmal in Angst und großer Entfernung von Gott gelebt und Ihn gehasst hatten und Ihm feindlich gesinnt waren, sollten in Freude der Gemeinschaft mit Gott Umgang haben können. Das ist das Ziel der Versöhnung: „Wir rühmen uns auch Gottes durch unseren Herrn Jesus Christus, durch den wir jetzt die Versöhnung empfangen haben“ (Röm 5,11). Man könnte auch sagen: Wir sind in Bezug auf Gott mit Bewunderung und Freude erfüllt, dass wir durch den Herrn Jesus so nahe gebracht wurden.

In Lukas 2,14 finden wir dann die drei Grundmerkmale der Versöhnung:

  1. die Verherrlichung Gottes,
  2. den Frieden
  3. und das Wohlgefallen Gottes an den Menschen.

Die Reihenfolge dieser drei Elemente ist sehr wichtig.

  1. Für das Werk der Versöhnung war es unbedingt nötig, dass der Verherrlichung Gottes Rechnung getragen wurde. Deswegen musste der feindliche und Gott entfremdete Mensch gerichtet werden, was „in dem Leib seines [Christi] Fleisches durch den Tod“ geschehen ist (Kol 1,21). Das Gericht über unsere Sünden musste verhängt werden; diese Strafe hat Christus getragen. Der Gläubige wurde „heilig und untadelig und unsträflich“ (Kol 1,22).

  2. Das zweite wichtige Element der Versöhnung ist der Frieden. Wir finden die Verbindung zwischen Frieden und Versöhnung insbesondere in Epheser 2,14-17 und auch in Kolosser 1,20: „… durch ihn alle Dinge mit sich zu versöhnen – indem er Frieden gemacht hat durch das Blut seines Kreuzes –, durch ihn, es seien die Dinge auf der Erde oder die Dinge in den Himmeln.“ Bei diesem Frieden geht es zuerst einmal um eine geordnete Beziehung zu Gott im Allgemeinen. Aber der Ausdruck „Friede auf Erden“ zeigt uns, dass es auch um Frieden auf der horizontalen Ebene geht, also um Frieden unter den Menschen. Dieser Friede sollten aufrechterhalten werden durch die Autoritätsstrukturen (vgl. Kol 1,20 mit Kol 1,16), die Gott dazu gegeben hat. Aber diese Autoritätsstrukturen haben versagt. Menschen lehnen sich gegeneinander und gegen die Obrigkeit auf, die Obrigkeit unterdrückt die Untergebenen oder will andere mit Gewalt unterwerfen. Das alles bedeutet Krieg. Doch es wird der Tag kommen, wo Frieden auf Erde ist. Dann nämlich, wenn alle Autoritätsstrukturen Christus unterworfen sein werden und von Ihm, der das Haupt von allen ist, gesteuert werden. Dann sind alle Dinge versöhnt, und Gott wird Wohlgefallen an den Menschen haben.

  3. Damit sind wir beim dritten wichtigen Element der Versöhnung: Wohlgefallen. Nach der Geburt des Herrn Jesus ließ Gott den Hirten durch die Engel verkündigen: „… an den Menschen ein Wohlgefallen“ (Lk 2,14). Dabei dachte Gott sicherlich auch und vor allem an Christus, der allezeit ein Mensch zu Gottes Wohlgefallen sein würde, wie Gott es später am Ufer des Jordan und auf dem Berg der Verklärung bezeugte (s. Mt 3,16.17; 17,5). Aber es geht darüber hinaus: „Gott war … die Welt … versöhnend“ (2Kor 5,19), bedeutet, dass Er aufgrund seines Wirkens in Christus Wohlgefallen auch an den Menschen haben wollte.

Alles ist in Christus gesichert:

  • Er hat Gott verherrlicht.
  • Er ist auch der Friedefürst.
  • Weil Er Mensch wurde, konnte Gott ab diesem Zeitpunkt schon einen Menschen sehen, an dem Er vollkommenes Wohlgefallen haben konnte.

Die Engel verkündeten, dass ein Erretter geboren war. Nicht ein Richter war gekommen, sondern ein Erretter war geboren. Der Dienst der Versöhnung beginnt also mit der Verkündigung großer Freude und mit einer „Menge des himmlischen Heeres, das Gott lobte“ (Lk 2,13). Dieser Dienst der Versöhnung führte dann auch dazu, dass es in Jerusalem solche gab, die große Freude hatten und Gott lobten und priesen, wie wir in den letzten Versen des Lukasevangeliums lesen (Lk 24,53).

Zunächst aber werden die Hirten durch die Botschaft der Engel dazu gebracht, Christus aufzusuchen, und auch sie verherrlichen und loben Gott, nachdem sie Christus gesehen haben (Lk 2,20).

Lk 2,18-30: 18 Und alle, die es hörten, verwunderten sich über das, was von den Hirten zu ihnen gesagt wurde. 19 Maria aber bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen. 20 Und die Hirten kehrten zurück und verherrlichten und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, so wie es ihnen gesagt worden war. 21 Und als acht Tage erfüllt waren, dass man ihn beschneiden sollte, da wurde sein Name Jesus genannt, der von dem Engel genannt worden war, ehe er im Leib empfangen wurde. 22 Und als die Tage ihrer Reinigung nach dem Gesetz Moses erfüllt waren, brachten sie ihn nach Jerusalem hinauf, um ihn dem Herrn darzustellen 23 (wie im Gesetz des Herrn geschrieben steht: „Alles Männliche, das den Mutterleib erschließt, soll dem Herrn heilig heißen“) 24 und ein Schlachtopfer zu geben nach dem, was im Gesetz des Herrn gesagt ist: ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben. 25 Und siehe, in Jerusalem war ein Mensch, mit Namen Simeon; und dieser Mensch war gerecht und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels; und der Heilige Geist war auf ihm. 26 Und von dem Heiligen Geist war ihm ein göttlicher Ausspruch zuteilgeworden, dass er den Tod nicht sehen solle, ehe er den Christus des Herrn gesehen habe. 27 Und er kam durch den Geist in den Tempel. Und als die Eltern das Kind Jesus hereinbrachten, um mit ihm nach der Gewohnheit des Gesetzes zu tun, 28 da nahm auch er es auf die Arme und lobte Gott und sprach: 29 Nun, Herr, entlässt du deinen Knecht, nach deinem Wort, in Frieden; 30 denn meine Augen haben dein Heil gesehen.

Im weiteren Verlauf des zweiten Kapitels wird uns an dem Beispiel von Simeon und Anna gezeigt, welche Menschen unter den Nutzen des Dienstes der Versöhnung kommen und welche moralischen und geistlichen Charakterzüge diese Menschen tragen. Simeon hatte übrigens schon vorausgesehen, dass der Dienst der Versöhnung nicht auf das Volk Israel beschränkt sein würde. So redete er von dem Heil, „das du bereitet hast vor dem Angesicht aller Völker: ein Licht zur Offenbarung für die Nationen“ (Lk 2,31.32). Dass er die Nationen vor Israel erwähnte, deutet schon an, dass bei diesem Dienst die Juden keine Vorrangstellung mehr haben würden. Die Entfremdung zwischen Gott und den Menschen war so groß, dass die Unterschiede zwischen Juden und Nationen dabei eigentlich gar keine Rolle spielen.

Lk 4,1-21: 1 Jesus aber, voll Heiligen Geistes, kehrte vom Jordan zurück und wurde durch den Geist in der Wüste vierzig Tage umhergeführt 2 und wurde von dem Teufel versucht. Und er aß in jenen Tagen nichts; und als sie vollendet waren, hungerte ihn. 3 Der Teufel aber sprach zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so sprich zu diesem Stein, dass er zu Brot werde. 4 Und Jesus antwortete ihm: Es steht geschrieben: „Nicht von Brot allein soll der Mensch leben, [sondern von jedem Wort Gottes].“ 5 Und er führte ihn auf einen hohen Berg und zeigte ihm in einem Augenblick alle Reiche des Erdkreises. 6 Und der Teufel sprach zu ihm: Dir will ich diese ganze Gewalt und ihre Herrlichkeit geben; denn mir ist sie übergeben, und wem irgend ich will, gebe ich sie. 7 Wenn du nun vor mir anbetest, soll sie ganz dein sein. 8 Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Es steht geschrieben: „Den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten und ihm allein dienen.“ 9 Er führte ihn aber nach Jerusalem und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so wirf dich von hier hinab; 10 denn es steht geschrieben: „Er wird seinen Engeln deinetwegen befehlen, dass sie dich bewahren“; 11 und: „Sie werden dich auf Händen tragen, damit du nicht etwa deinen Fuß an einen Stein stoßest.“ 12 Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Es ist gesagt: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.“ 13 Und als der Teufel jede Versuchung vollendet hatte, wich er für eine Zeit von ihm. 14 Und Jesus kehrte in der Kraft des Geistes nach Galiläa zurück, und die Kunde über ihn ging aus durch die ganze Gegend. 15 Und er lehrte in ihren Synagogen, geehrt von allen. 16 Und er kam nach Nazareth, wo er auferzogen worden war; und er ging nach seiner Gewohnheit am Tag des Sabbats in die Synagoge und stand auf, um vorzulesen. 17 Und es wurde ihm das Buch des Propheten Jesaja gereicht; und als er das Buch aufgerollt hatte, fand er die Stelle, wo geschrieben war: 18 „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, Armen gute Botschaft zu verkündigen; er hat mich gesandt, Gefangenen Befreiung auszurufen und Blinden das Augenlicht, Zerschlagene in Freiheit hinzusenden, 19 auszurufen das angenehme Jahr des Herrn.“ 20 Und als er das Buch zugerollt hatte, gab er es dem Diener zurück und setzte sich; und die Augen aller in der Synagoge waren auf ihn gerichtet. 21 Er fing aber an, zu ihnen zu sagen: Heute ist diese Schrift vor euren Ohren erfüllt.

In Lukas 4 wird der Herr Jesus durch den Geist in die Wüste geführt, um versucht zu werden. Das heißt, es sollte geprüft werden, ob derjenige, der das Werk der Versöhnung vollbringen sollte, der Versuchung, sich von Gott zu entfernen, standhalten würde. Er hat in dieser Versuchung standgehalten. Nicht dass das Ergebnis für Gott in Frage gestanden hätte, aber es ging darum, das auch allgemein zu demonstrieren: Er hat sich nicht von Gott entfremdet, indem Er, ohne einen Auftrag Gottes zu haben, aus Steinen Brot gemacht hätte, weil Ihn hungerte (Lk 4,3.4); Er hat sich nicht von Gott entfernt, indem Er einem anderen seine Hingabe geschenkt hätte (Lk 4,5-8); Er hat sich nicht von Gott entfernt, indem Er die Liebe Gottes angezweifelt hätte ( Lk 4,9-13).

Der Herr Jesus kam in die Welt, um den Menschen Versöhnung anzubieten, nicht um Gericht zu bringen. Dies sehen wir zum Beispiel an der Begebenheit im Tempel, als der Herr Jesus beim Vorlesen aus dem Buch des Propheten Jesaja (Jes 61,1.2a; Lk 4,18.19) mitten im Satz aufhörte und das Buch zusammenrollte: Denn Er war nicht gekommen, um „den Tag der Rache“ (Jes 61,2b) auszurufen, sondern um „auszurufen das Jahr des Wohlgefallens des Herrn“ (Jes 61,2a). Wie sah man in dieser guten Botschaft für „Arme“ (Lk 4,18) Gottes Bemühen, den Menschen seine Liebe entgegenzubringen! Alles wurde jetzt in der Person Christi erfüllt: „Heute ist diese Schrift vor euren Ohren erfüllt“ (Lk 4,21).

Lk 5,12-14: 12 Und es geschah, als er in einer der Städte war, siehe, da war ein Mann voller Aussatz; als er aber Jesus sah, fiel er auf sein Angesicht und bat ihn und sprach: Herr, wenn du willst, kannst du mich reinigen. 13 Und er streckte die Hand aus, rührte ihn an und sprach: Ich will; werde gereinigt! Und sogleich wich der Aussatz von ihm. 14 Und er gebot ihm, es niemand zu sagen; sondern geh hin, zeige dich dem Priester und opfere für deine Reinigung, wie Mose geboten hat, ihnen zum Zeugnis.

Der Arzt Lukas ist der einzige der Evangelisten, der uns berichtet, wie schlimm es um diesen Aussätzigen bestellt war: Er war „voller Aussatz“. Wenn Jesaja von dem sündigen Volk Israel spricht, dann gebraucht er ein ähnliches Bild: „Von der Fußsohle bis zum Haupt ist nichts Gesundes an ihm“ (Jes 1,6). Wenn der Herr Jesus seine Hand zu dem Aussätzigen ausstreckt, ihn anrührt und spricht: „Ich will; werde gereinigt!“ (Lk 5,13), dann sehen wir darin Gottes Hand der Liebe sich nach solchen ausstrecken, die aufgrund der Folgen der Sünde (Aussätzige sind ein Bild von solchen, die das Wirken der Sünde in sich verspüren) zwangsweise fern von Gott sein mussten („außerhalb des Lagers“; 3Mo 13,46) und an denen überhaupt nichts Gutes mehr zu finden war.

Lk 7,14: Und er trat hinzu und rührte die Bahre an; die Träger aber blieben stehen. Und er sprach: Jüngling, ich sage dir, steh auf!

In Lukas 7,14 sehen wir in der Geschichte der Witwe, die ihren einzigen Sohn zu Grabe tragen musste, wie sich die Hand Gottes in seinem geliebten und eingeborenen Sohn dem Tod entgegenstreckt („er … rührte die Bahre an“) – dem Tod, der das Endstadium der Entfernung des Menschen von Gott darstellt – und den Toten wieder lebendig macht.

Lk 7,36-50: 36 Es bat ihn aber einer der Pharisäer, mit ihm zu essen; und er ging in das Haus des Pharisäers und legte sich zu Tisch. 37 Und siehe, eine Frau, die in der Stadt war, eine Sünderin, erfuhr, dass er in dem Haus des Pharisäers zu Tisch liege, und brachte ein Alabasterfläschchen mit Salböl, 38 und hinten zu seinen Füßen stehend und weinend, fing sie an, seine Füße mit Tränen zu benetzen; und sie trocknete sie mit den Haaren ihres Hauptes und küsste seine Füße und salbte sie mit dem Salböl. 39 Als aber der Pharisäer es sah, der ihn geladen hatte, sprach er bei sich selbst und sagte: Wenn dieser ein Prophet wäre, so würde er erkennen, wer und was für eine Frau es ist, die ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin. 40 Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Simon, ich habe dir etwas zu sagen. Er aber spricht: Lehrer, rede. – 41 Ein gewisser Gläubiger hatte zwei Schuldner; der eine schuldete fünfhundert Denare, der andere aber fünfzig; 42 da sie [aber] nichts hatten, um zu bezahlen, schenkte er es beiden. Wer nun von ihnen wird ihn am meisten lieben? 43 Simon [aber] antwortete und sprach: Ich meine, der, dem er das meiste geschenkt hat. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geurteilt. 44 Und sich zu der Frau wendend, sprach er zu Simon: Siehst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen; du hast mir kein Wasser auf [meine] Füße gegeben, diese aber hat meine Füße mit Tränen benetzt und mit ihren Haaren getrocknet. 45 Du hast mir keinen Kuss gegeben; diese aber hat, seitdem ich hereingekommen bin, nicht aufgehört, meine Füße zu küssen. 46 Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt; diese aber hat meine Füße mit Salböl gesalbt. 47 Deswegen sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel geliebt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig. 48 Er aber sprach zu ihr: Deine Sünden sind vergeben. 49 Und die mit zu Tisch lagen, fingen an, bei sich selbst zu sagen: Wer ist dieser, der auch Sünden vergibt? 50 Er sprach aber zu der Frau: Dein Glaube hat dich gerettet; geh hin in Frieden.

In der Begebenheit mit der Sünderin, die im Haus des Pharisäers zu den Füßen des Herrn Jesus sitzt, wird uns gezeigt, dass manche das Angebot der Versöhnung in ihrem Stolz und aufgrund ihrer religiösen Feindschaft ablehnen und dass andere wiederum es gern annehmen. Dass das Angebot für beide da ist, zeigt uns das Gleichnis von dem Gläubiger und den zwei Schuldnern, das der Herr im Haus des Pharisäers erzählt: „Da sie aber nichts hatten, um zu bezahlen, schenkte er es beiden“ (Lk 7,42). Auch dieses Gleichnis finden wir übrigens nur hier im Lukasevangelium. Das Angebot der Versöhnung gilt also sowohl dem selbstgerechten Pharisäer als auch der sündigen Frau. („Nämlich dass Gott in Christus war, die Welt mit sich selbst versöhnend, ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnend“ [2Kor 5,19].)

Auch wenn wir hier bei dem Handeln des Herrn mit der Sünderin noch nicht alle Ergebnisse der Versöhnung finden, so finden wir doch ihre Grundlage in der Vergebung der Sünden (Lk 7,47), denn die Sünden hatten die Entfernung zwischen Gott und uns bewirkt. (Es geht nicht nur um eine entfremdete und feindliche „Gesinnung“, sondern auch um „die bösen Werke“, durch die sich die Gesinnung offenbart [Kol 1,21].) Das bedeutet: Die Voraussetzung für die Versöhnung ist, dass zuvor durch Vergebung das Problem der Sünden geklärt ist.

  1. Sühnung ist daher die Grundlage für Versöhnung, und Vergebung der Sünden ist der erste Teil der Versöhnung. Nur dadurch kann Gott jetzt die Sünden nicht zurechnen und den Menschen in seine Gemeinschaft zurückbringen, denn Gott braucht dafür auch eine gerechte Grundlage.

  2. Es geht zweitens um geänderte Empfindungen Gott gegenüber, die sich in der Liebe dieser Frau zu dem Herrn zeigten (Lk 7,47). Gottes Herz verlangt danach, von den Menschen eine Antwort auf seine Liebe zu bekommen. Das wurde hier erfüllt. Von dieser Antwort der Liebe unseres Herzens lesen wir auch im Zusammenhang mit der Textstelle, die in 2. Korinther 5,15 von der Versöhnung redet: „… damit die, die leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferweckt worden ist.“

  3. Und drittens sehen wir auch, wohin die Versöhnung führt – zum Frieden: „Gehe hin in Frieden“ (Lk 7,50).

Diese Sünderin hatte ein solches Bewusstsein davon, dass Gott in Christus ihr die Hand zur Versöhnung ausgestreckt hatte, dass sie sich nicht schämte, in das Haus des Pharisäers zu dem Herrn Jesus zu kommen und dort seine Füße mit ihren Tränen zu benetzen.

In dieser Begebenheit im Haus des Pharisäers wird die Verantwortung des Menschen, die ausgestreckte Hand Gottes anzunehmen, deutlich. Andere Stellen werden uns zeigen, dass die Versöhnung letztlich das souveräne Handeln Gottes ist; aber hier wird uns die Seite der Verantwortlichkeit des Menschen vorgestellt.

Lk 8,26-35: 26 Und sie fuhren hin zu dem Land der Gadarener, das Galiläa gegenüberliegt. 27 Als er aber an das Land ausgestiegen war, kam ihm ein gewisser Mann aus der Stadt entgegen, der seit langer Zeit Dämonen hatte und keine Kleider anzog und nicht im Haus blieb, sondern in den Grabstätten. 28 Als er aber Jesus sah, schrie er auf und fiel vor ihm nieder und sprach mit lauter Stimme: Was habe ich mit dir zu schaffen, Jesus, Sohn Gottes, des Höchsten? Ich bitte dich, quäle mich nicht. 29 Denn er hatte dem unreinen Geist geboten, von dem Menschen auszufahren. Denn öfter hatte er ihn ergriffen; und er war gebunden worden, gesichert mit Ketten und Fußfesseln, und er zerriss die Fesseln und wurde von dem Dämon in die Wüsteneien getrieben. 30 Jesus fragte ihn aber: Was ist dein Name? Er aber sprach: Legion; denn viele Dämonen waren in ihn gefahren. 31 Und sie baten ihn, dass er ihnen nicht gebiete, in den Abgrund zu fahren. 32 Es war dort aber eine Herde vieler Schweine, die an dem Berg weideten. Und sie baten ihn, dass er ihnen erlaube, in diese zu fahren. Und er erlaubte es ihnen. 33 Die Dämonen aber fuhren von dem Menschen aus und fuhren in die Schweine, und die Herde stürzte sich den Abhang hinab in den See und ertrank. 34 Als aber die Hüter sahen, was geschehen war, flohen sie und verkündeten es in der Stadt und auf dem Land. 35 Sie aber gingen hinaus, um zu sehen, was geschehen war. Und sie kamen zu Jesus und fanden den Menschen, von dem die Dämonen ausgefahren waren, bekleidet und vernünftig zu den Füßen Jesu sitzen; und sie fürchteten sich.

In Lukas 8 finden wir einen Menschen, der völlig unter die Macht des Gegenspielers Gottes gekommen war. Dadurch war er sogar seinen Mitmenschen entfremdet und in die Wüste getrieben worden. Er wollte mit Jesus, dem Sohn Gottes, nichts zu schaffen haben. Doch der Herr Jesus erbarmte sich auch über ihn, und am Ende sehen wir diesen Mann „zu den Füßen Jesu sitzen“. Das ist das Ziel der Versöhnung: uns zu Gott, zu dem Vater, zu bringen, in seine allernächste Nähe (vgl. Eph 2,18: „Zugang … zu dem Vater“; Kol 1,22: „vor sich hinzustellen“).

Lk 10,30-37: 30 Jesus erwiderte und sprach: Ein gewisser Mensch ging von Jerusalem nach Jericho hinab und fiel unter Räuber, die ihn auch auszogen und ihm Schläge versetzten und weggingen und ihn halb tot liegen ließen. 31 Von ungefähr aber ging ein gewisser Priester jenen Weg hinab; und als er ihn sah, ging er an der entgegengesetzten Seite vorüber. 32 Ebenso aber auch ein Levit, der an den Ort gelangte: Er kam und sah ihn und ging an der entgegengesetzten Seite vorüber. 33 Aber ein gewisser Samariter, der auf der Reise war, kam zu ihm hin; und als er ihn sah, wurde er innerlich bewegt; 34 und er trat hinzu und verband seine Wunden und goss Öl und Wein darauf; und er setzte ihn auf sein eigenes Tier und führte ihn in eine Herberge und trug Sorge für ihn. 35 Und am folgenden Tag zog er zwei Denare heraus und gab sie dem Wirt und sprach: Trage Sorge für ihn; und was irgend du noch dazu verwenden wirst, werde ich dir bezahlen, wenn ich zurückkomme. 36 Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen von dem, der unter die Räuber gefallen war? 37 Er aber sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Jesus aber sprach zu ihm: Geh hin und tu du ebenso.

Während in Lukas 7 die Verantwortlichkeit des Menschen vorgestellt wird, wird in Lukas 10 die Souveränität Gottes besonders betont. Der Mensch in dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter ist völlig hilflos, völlig unfähig, sich selbst zu helfen. Auch das Gesetz gab diesem Menschen keine Hilfe, was wir in dem Verhalten des Priesters und des Leviten sehen: Sie gingen vorüber, da sie in Gefahr standen, sich zu verunreinigen, wenn sie den Überfallenen, der womöglich schon tot war, angerührt hätten, um ihm zu helfen.

Der Mann im Gleichnis ist ein Bild von einem Menschen, der auf dem Weg von Gott weg war: von Jerusalem hinab nach Jericho. Jerusalem ist die Stadt Gottes, während Jericho von Gott verflucht worden war. So sehen wir den Menschen mit dem Rücken zu Gott sich immer weiter von Ihm entfernen und in sein Verderben eilen. Auch wenn es weder Hilfe von dem Priester noch Hilfe von den Leviten gab noch der Mensch sich selbst helfen konnte – der Samariter sorgt für alles. Nichts bleibt dem Menschen selbst überlassen – der Samariter bringt alles von Anfang bis Ende auf: Er tritt hinzu, er verbindet seine Wunden, er gießt Öl und Wein darauf, er setzt ihn auf sein eigenes Tier, er führt ihn in die Herberge, er trägt Sorge für ihn, und er will auch den Rest bezahlen, wenn er zurückkommt.

Doch vielleicht ist nicht das, was er tut, das Größte, sondern das, was er empfindet: „Als er ihn sah, wurde er innerlich bewegt“ (Lk 10,33). Hier sehen wir die ganze Liebe Gottes, der innerlich bewegt ist über den Menschen, der von Ihm abgefallen ist; der sich so weit entfernt hat, dass er nicht mehr zurückkehren kann; der sich sein eigenes Verderben zugezogen hat. Und wie nimmt Gott alles auf sich, restlos alles, um den Menschen seine Liebe zu zeigen! Gott bringt den Menschen dorthin, wo Er – als Er selbst in Christus in die Welt kam – keinen Platz gefunden hatte: in die Herberge. Als der Mensch in der Herberge ankommt, ist alles, was er hat, eine Gabe des Samariters. Er hatte nichts aus sich selbst. Verbindet sich das nicht mit 2. Korinther 5, wo die Versöhnung mit einer neuen Schöpfung in Verbindung gebracht wird und wo wir lesen, dass „alles von Gott“ ist (2Kor 5,18)?

Lk 14,12-24: 12 Er sprach aber auch zu dem, der ihn geladen hatte: Wenn du ein Mittagsmahl oder ein Abendessen machst, so lade nicht deine Freunde noch deine Brüder, noch deine Verwandten, noch reiche Nachbarn, damit nicht etwa auch sie dich wieder einladen und dir Vergeltung werde. 13 Sondern wenn du ein Mahl machst, so lade Arme, Krüppel, Lahme, Blinde, 14 und glückselig wirst du sein, weil sie nichts haben, um dir zu vergelten; denn dir wird vergolten werden in der Auferstehung der Gerechten. 15 Als aber einer von denen, die mit zu Tisch lagen, dies hörte, sprach er zu ihm: Glückselig, wer Brot essen wird im Reich Gottes! 16 Er aber sprach zu ihm: Ein gewisser Mensch machte ein großes Gastmahl und lud viele. 17 Und er sandte seinen Knecht zur Stunde des Gastmahls aus, um den Geladenen zu sagen: Kommt, denn schon ist [alles] bereit. 18 Und sie fingen alle ohne Ausnahme an, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn mir ansehen; ich bitte dich, halte mich für entschuldigt. 19 Und ein anderer sprach: Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft, und ich gehe hin, um sie zu erproben; ich bitte dich, halte mich für entschuldigt. 20 Und ein anderer sprach: Ich habe eine Frau geheiratet, und darum kann ich nicht kommen. 21 Und der Knecht kam herbei und berichtete dies seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und bring die Armen und Krüppel und Blinden und Lahmen hier herein. 22 Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast, und es ist noch Raum. 23 Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Wege und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, damit mein Haus voll werde; 24 denn ich sage euch, dass keiner jener Männer, die geladen waren, mein Gastmahl schmecken wird.

In dem Gleichnis vom großen Gastmahl sehen wir, dass Gott sich danach sehnt und alles dafür tut, um mit dem Menschen Gemeinschaft zu haben:

  • Gott tut alles, damit der Mensch kommen kann („schon ist alles bereit“; Lk 14,17).
  • Gott sehnt sich danach, dass viele Menschen kommen („damit mein Haus voll werde“; Lk 14,23).
  • Gott bittet sogar darum, dass der Mensch kommt („nötige sie“; Lk 14,23).

Hier sehen wir vorbildlich die Verkündigung des Wortes der Versöhnung (2Kor 5,19). Es muss für das Werk des Herrn Jesus (obwohl das in diesem Abschnitt nicht erwähnt wird) einfach auch eine passende Antwort geben.

An der Reaktion des Hausherrn auf die Ablehnung seiner Gäste können wir ein wenig erahnen, was es für Gott bedeutet, dass sein Versöhnungsangebot auch heute von vielen nicht angenommen wird.

Lk 15: 1 Es kamen aber alle Zöllner und Sünder zu ihm, um ihn zu hören; 2 und die Pharisäer und die Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt Sünder auf und isst mit ihnen. 3 Er sprach aber zu ihnen dieses Gleichnis und sagte: 4 Welcher Mensch unter euch, der hundert Schafe hat und eins von ihnen verloren hat, lässt nicht die neunundneunzig in der Wüste zurück und geht dem verlorenen nach, bis er es findet? 5 Und wenn er es gefunden hat, legt er es mit Freuden auf seine Schultern; 6 und wenn er nach Hause kommt, ruft er die Freunde und die Nachbarn zusammen und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir, denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. 7 Ich sage euch: Ebenso wird Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die die Buße nicht nötig haben. 8 Oder welche Frau, die zehn Drachmen hat, zündet nicht, wenn sie eine Drachme verliert, eine Lampe an und kehrt das Haus und sucht sorgfältig, bis sie sie findet? 9 Und wenn sie sie gefunden hat, ruft sie die Freundinnen und Nachbarinnen zusammen und spricht: Freut euch mit mir, denn ich habe die Drachme gefunden, die ich verloren hatte. 10 Ebenso, sage ich euch, ist Freude vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut. 11 Er sprach aber: Ein gewisser Mensch hatte zwei Söhne; 12 und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Vater, gib mir den Teil des Vermögens, der mir zufällt. Und er teilte ihnen die Habe. 13 Und nach nicht vielen Tagen brachte der jüngere Sohn alles zusammen und reiste weg in ein fernes Land, und dort vergeudete er sein Vermögen, indem er ausschweifend lebte. 14 Als er aber alles verschwendet hatte, kam eine gewaltige Hungersnot über jenes Land, und er selbst fing an, Mangel zu leiden. 15 Und er ging hin und hängte sich an einen der Bürger jenes Landes; und der schickte ihn auf seine Felder, Schweine zu hüten. 16 Und er begehrte seinen Bauch zu füllen mit den Futterpflanzen, die die Schweine fraßen; und niemand gab ihm. 17 Als er aber zu sich selbst kam, sprach er: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben Überfluss an Brot, ich aber komme hier um vor Hunger. 18 Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und will zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir, 19 ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen; mache mich wie einen deiner Tagelöhner. 20 Und er machte sich auf und ging zu seinem Vater. Als er aber noch fern war, sah ihn sein Vater und wurde innerlich bewegt und lief hin und fiel ihm um den Hals und küsste ihn sehr. 21 Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir, ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen. 22 Der Vater aber sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und tut einen Ring an seine Hand und Sandalen an seine Füße; 23 und bringt das gemästete Kalb her und schlachtet es und lasst uns essen und fröhlich sein; 24 denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein. 25 Sein älterer Sohn aber war auf dem Feld; und als er kam und sich dem Haus näherte, hörte er Musik und Reigen. 26 Und er rief einen der Knechte herzu und erkundigte sich, was das wohl wäre. 27 Der aber sprach zu ihm: Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das gemästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wiedererhalten hat. 28 Er aber wurde zornig und wollte nicht hineingehen. Sein Vater aber ging hinaus und drang in ihn. 29 Er aber antwortete und sprach zu seinem Vater: Siehe, so viele Jahre diene ich dir, und niemals habe ich ein Gebot von dir übertreten; und mir hast du niemals ein Böcklein gegeben, damit ich mit meinen Freunden fröhlich wäre; 30 da aber dieser dein Sohn gekommen ist, der deine Habe mit Huren verprasst hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet. 31 Er aber sprach zu ihm: Kind, du bist allezeit bei mir, und all das Meine ist dein. 32 Man musste doch fröhlich sein und sich freuen; denn dieser dein Bruder war tot und ist lebendig geworden, und verloren und ist gefunden worden.

In Übereinstimmung mit Kolosser 1, wo die Versöhnung mit der Fülle (der Gottheit) verbunden wird, finden wir in diesem Kapitel im Gleichnis den Sohn (= der Hirte, der dem verlorenen Schaf nachgeht), den Geist (= die Frau, die die Drachme sucht) und den Vater beschäftigt, den Menschen wieder mit sich in Gemeinschaft zu bringen. Wir sehen in diesem Kapitel, wie es bei der Versöhnung des Menschen nicht so sehr darum geht, was der Mensch bekommt (obwohl auch das angedeutet wird); es geht insbesondere um die Freude Gottes an der Versöhnung. So wird bei der Rückkehr des verlorenen Sohnes gerade die Freude des Vaters ausführlich beschrieben, nicht aber die Freude des Sohnes, was wir vielleicht eher erwartet hätten. Bei jedem Teil des Gleichnisses wird insbesondere die Freude der Person betont, die das Verlorene wiederfindet.

Des Weiteren wird in den Gleichnissen in Lukas 15 das Verlorensein betont: „mein Schaf, das verloren war“, „die Drachme, die ich verloren hatte“; „dieser war verloren und ist gefunden worden“. Diese Gleichnisse zeigen uns eins: Gott hatte etwas verloren, was Er sehr wertschätzt. Er hatte den Menschen geschaffen, um Gemeinschaft mit ihm zu haben; doch diese ungetrübte Gemeinschaft ging durch den Sündenfall des Menschen verloren. Dass Gott etwas verloren hatte, finden wir schon auf den ersten Seiten der Bibel, wo wir lesen, dass Gott den Menschen sucht (1Mo 3,4.5). Wenn die Gleichnisse davon berichten, dass das Verlorene schließlich wiedergefunden wird, so lesen wir auch von der großen Freude des Hirten, der Frau und des Vaters. Hierin dürfen wir die Freude des dreieinen Gottes sehen. Daher auch die große Freude über das Wiederfinden. Auch sehen wir hier, dass die Stellung des Wiedergefundenen weit besser ist, als sie vorher war:

  • Das Schaf wird nicht zur Herde zurückgebracht, sondern „nach Hause“.
  • Der verlorene Sohn kommt nicht nur wieder nach Hause zurück, sondern er erhält das beste Kleid und das gemästete Kalb.

So ist es auch beim Menschen. Durch die Versöhnung ist ungetrübte Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch nun wieder möglich geworden. So wie in den Gleichnissen das Schaf, die Drachme und der Sohn wiedergefunden wurden, so hat Gott den Menschen sozusagen „wiedergefunden“. Das ist das Ergebnis der Versöhnung: Der Mensch wird nicht wieder in seine alte Stellung gesetzt, sondern er erhält eine ganz neue Stellung vor Gott. Er wird nicht in den Zustand zurückversetzt, in dem er sich in Eden vor dem Sündenfall befunden hatte, sondern er wird zu dem gebracht, was Gott schon immer für ihn vorgesehen hatte: in den Genuss seiner ganzen Liebe in seinem Haus.

Wie sehr Gott sich danach gesehnt hat, den Menschen zu sich zurückzubringen, sehen wir auch in dem kleinen Satz „Als er aber noch fern war, sah ihn sein Vater“ angedeutet. Der Sohn hatte sich in der Ferne aufgehalten, und doch sah ihn dort sein Vater. Gott hatte während der ganzen Zeit, als der Mensch von Ihm entfremdet war, nicht aufgehört, nach ihm auszuschauen. Wenn der Vater den Sohn küsst, dann ist das ein anschauliches Bild dafür, dass durch die Versöhnung die Entfernung zwischen Gott und dem Menschen aufgehoben ist.

Bisher haben wir nur den Aspekt der Gnade aufseiten des Vaters (der ein Bild Gottes ist) betrachtet. Bei der Versöhnung ist jedoch auch der Aspekt der Verantwortung aufseiten des Sünders wichtig. Dieser Aspekt wird heutzutage leider manchmal übersehen, insbesondere auch dann, wenn es um die praktische Anwendung der Geschichte vom verlorenen Sohn auf die Wiederherstellung gestörter Beziehungen geht. Wir lesen nicht, dass der Vater dem Sohn in das ferne Land gefolgt wäre, und er ging auch nicht zu ihm, als der Sohn Schweinehirt war.[1] Zuerst musste der Sohn sich über seine Lage klarwerden, dann sich aufmachen zur Umkehr. Das ist Buße; sie muss grundsätzlich vorausgehen. Nachdem der Vater ihn geküsst hatte, fehlte dann auch das Bekenntnis des Sohnes nicht: „Ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir.“ Ohne Bekenntnis gibt es keine Vergebung und keine echte Versöhnung. Die Frage der Schuld muss unbedingt geordnet sein, wenn wahre Versöhnung zustande kommen soll.

In den Worten des Vaters in Lukas 15,22 sehen wir ein Bild für die „neue Schöpfung“, die Gott in dem Gläubigen zustande gebracht hat: „Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und tut einen Ring an seine Hand und Sandalen an seine Füße.“ Der Sohn wird nun in einen weitaus besseren Zustand gebracht, als er sich vor seinem Weggang vom Vater befunden hatte. Die Entfernung zwischen Vater und Sohn wird nicht einfach überbrückt. Die Lumpen des verlorenen Sohnes werden nicht gewaschen und ausgebessert, die Sandalen werden nicht geflickt, sondern alles wird neu.

So wie Gott uns heute Aufgaben erteilt, so erhielten auch die Diener des Vaters Aufgaben (Lk 15,22.23). Natürlich ist es der Heilige Geist, der in den Menschen wirkt, doch Gott möchte Menschen dazu gebrauchen, das Wort der Versöhnung zu verkündigen (s. 2Kor 5,19). Welch eine Gnade, wenn Er uns dazu gebrauchen will!

Gott möchte außerdem, dass wir uns in seiner Gegenwart wohl fühlen.[2] Wir dürfen uns schon heute in Gottes Gegenwart so wohl fühlen, wie wir uns einmal im Himmel in der Ewigkeit beim Herrn „wohl fühlen“ werden, wenn wir seine Gegenwart genießen. Wir brauchen keine Angst zu haben, wir fühlen uns nicht beargwöhnt, wir fühlen uns nicht als Fremde, ja, nicht einmal als Gäste; wir gehören dorthin, so wie unsere Kinder zu uns in unser Haus gehören.

Auch der wiedergefundene Sohn sollte sich nach seiner Rückkehr zu Hause in der Gegenwart des Vaters wohl fühlen; darum handelte der Vater mit dem Sohn so, wie wir es in den Versen 20 bis 24 lesen. Mit dem Kuss war aufseiten des Vaters alles geklärt. Der Sohn wurde nicht dadurch angenehmer, dass er das beste Kleid anhatte, aber es änderte sehr viel an dem Empfinden des Sohnes. Ohne ein neues Kleid, weiterhin in seinen Lumpen, hätte er sich in der Gegenwart des Vaters nicht wohl fühlen können. Hier haben wir den Gedanken der Versöhnung, der den Menschen betrifft. Als der verlorene Sohn vom Vater umarmt wurde und sich dessen bewusst wurde, dass er in der Gunst seines Vaters stand und dass der Vater nicht böse auf ihn war, und nachdem er sein Bekenntnis ausgesprochen hatte – da war er versöhnt. Aber es war nur eine Seite der Versöhnung, denn er stand dort immer noch in den schmutzigen Kleidern, in seinen Lumpen, und barfuß. So konnte der Sohn sich in der Gegenwart des Vaters, der ihm nur Liebe und jetzt völlige Barmherzigkeit erwiesen hatte, nicht wohlgefühlt haben. Erst als er das beste Kleid[3] anhatte, Sandalen an seinen Füßen[4] und den Ring[5] an seinem Finger hatte, war er in der Lage, auch bewusst die Versöhnung zu genießen.

Die gemeinsame Mahlzeit mit dem geschlachteten Kalb in der Mitte erinnert uns an das Friedensopfer. Dieses Opfer spricht von der Gemeinschaft zwischen Gott und Menschen aufgrund des Werkes Christi, von einer Gemeinschaft, aus der tiefe Freude hervorströmt. Diese Freude wird in den Worten des Vaters ausgedrückt: „Lasst uns essen und fröhlich sein“ (Lk 15,23). Die Zeichen wahrer Versöhnung sind eine ungetrübte glückliche Beziehung, in der man sich wohlfühlt, sowie Gemeinschaft und Freude.

Lk 23,34: Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!

Hier finden wir den Gipfel des Dienstes der Versöhnung. Nachdem die Menschen den Herrn ans Kreuz geschlagen haben, trotz all der Bemühungen seiner Liebe, sagt der Herr Jesus: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“

Lk 24,44.47: 44 Er sprach aber zu ihnen: Dies sind meine Worte, die ich zu euch redete, als ich noch bei euch war, dass alles erfüllt werden muss, was über mich geschrieben steht in dem Gesetz Moses und den Propheten und Psalmen. … 47 und in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden gepredigt werden sollten allen Nationen, angefangen von Jerusalem.

Sollten wir es für möglich halten, dass Gott jetzt noch Vergebung predigen lässt? Die Antwort Gottes darauf, dass der Mensch Ihm die größte Feindschaft erwiesen hatte, ist, dass Er jetzt das Wort der Versöhnung predigen lässt: „Lasst euch versöhnen mit Gott!“ (2Kor 5,20). Doch es geht noch weiter: Wenn Er jetzt die Vergebung predigen lässt, dann sagt Er den Jüngern noch: „Angefangen von Jerusalem“! Gerade in der Stadt, die so schrecklich gegen Ihn gehandelt hatte, wie es schlimmer nicht hätte sein können! Dass das Wort der Versöhnung sich gerade zuerst an diese Stadt richten sollte, zeigt, wie sehr der Herr Jesus Gott verherrlicht hat. Deshalb ist Gott nun in der Lage, den Hass und die Feindschaft gegen seine Liebe, die Ihm gerade von dieser Stadt entgegenschlugen, mit noch mehr Liebe zu beantworten.

Wir haben nun die verschiedensten Herrlichkeiten unserer Versöhnung gesehen. Das muss eine Auswirkung auf unseren Wandel haben. Wenn wir unserer Stellung nach zur Freude Gottes sind, so wird das in uns den Wunsch hervorrufen, zur Freude Gottes zu leben. In unserer Stellung in Christus vor Gott gibt es keine Unstimmigkeiten mehr zwischen Gott und uns. Ist es auch in unserem alltäglichen Leben so? Unstimmigkeiten sind der erste Schritt zur Entfremdung, die letztlich in Feindschaft enden kann. Ist es auch unser Wunsch, so zu leben, wie J.N. Darby am Ende seines Lebens sagen konnte: „Es gibt keine einzige Wolke zwischen mir und dem Vater“?[6]

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Anmerkungen

[1] Das ist ganz anders als bei dem Hirten: Alles hängt von dem Hirten ab, das Schaf ist völlig kraftlos. Auch bei der Drachme ist es anders; in der Drachme ist nicht einmal Leben. Während es bei dem verlorenen Sohn um unsere Verantwortlichkeit geht, sehen wir hier, dass alles von Gott abhängt, weil wir kraftlos (Röm 5,6) und tot waren in Sünden und Vergehungen (Eph 2,1).

[2] Damit meinen wir nicht ein Wohlfühlen, wie es heutzutage durch das sogenannte Wohlfühlevangelium verkündet wird.

[3] Hier werden wir an die „Kleider des Heils“ aus Jesaja 61,10 erinnert.

[4] Die Sandalen an den Füßen lassen an das freie Ein- und Ausgehen im Haus des Vaters, an die Sohnschaft, denken.

[5] Der Ring, in dem alles miteinander verbunden ist, erinnert uns vielleicht an ungestörte Beziehungen und ist gleichzeitig auch ein Zeichen der Würde.

[6] Quelle: Anon., The Last days of J.N.D. (Christchurch, 1925, S. 3). Zitiert in Het verhaal van der Broeders, Bd. 1, W.J. Ouwneel, Uit het Woord der Waarheid, Winschoten 1977, S. 182.

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