Hat Jephta seine Tochter buchstäblich geopfert?
Richter 11,37-40

Ger de Koning

© CLV, online seit: 01.01.2001, aktualisiert: 21.11.2022

Leitverse: Richter 11,28-40

Ri 11,30-31.34: Jephta gelobte dem HERRN ein Gelübde und sprach: Wenn du die Kinder Ammons wirklich in meine Hand gibst, so soll das, was zur Tür meines Hauses herauskommt, mir entgegen – wenn ich in Frieden von den Kindern Ammon zurückkehre –, es soll dem HERRN gehören, und ich werde es als Brandopfer opfern! … Und als Jephta nach Mizpa, zu seinem Haus kam, siehe, da trat seine Tochter heraus, ihm entgegen, mit Tamburinen und mit Reigen; und sie war nur die einzige; außer ihr hatte er weder Sohn noch Tochter.

Über diese Frage haben sich viele Ausleger den Kopf zerbrochen. Eine kleine Blütenlese dessen, was geschätzte Gelehrte hierüber zum Besten gegeben haben, zeigt, dass es sehr schwierig ist, eine eindeutige Antwort auf diese Frage zu geben. Wir dürfen unseren eigenen Eindruck daraus entnehmen oder unsere Auffassung daran prüfen.

  • Henri Rossier: Sie würde ihr ganzes Leben als eine Abgesonderte verbringen müssen und kein Mann sollte mit ihr Gemeinschaft haben, so dass sie zeitlebens kinderlos bleiben würde. In diesem Sinne sollte sie als eine Tote weiterleben.

  • William Kelly: Er opferte seine Tochter, entsprechend seinem fest entschlossenen, unbeugsamen Geist. Die heilige Weisheit der Schrift vermeidet die Einzelheiten über eine Tatsache, die so krass im Gegensatz zu den Gedanken Gottes steht.

  • Frederick William Grant: Was Jephtas Gelübde anbelangt: Übereile und Versagen scheinen damit verbunden zu sein, aber sicher nicht das Menschenopfer, das viele unterstellt haben. Die meisten neueren Kommentatoren stimmen darin überein und glauben, dass seine Tochter einfach Gott geweiht wurde, um ein unverheiratetes Leben zu führen, wie die Verse in Richter 11,37-39 deutlich zeigen.

  • Martin Luther: Manche sind der festen Überzeugung, dass sie nicht geopfert wurde, doch der Text ist zu deutlich, um diese Auslegung zuzugestehen.

  • Kurtz in Sacred History: Beweise für ein buchstäbliches Opfern sind in der Verzweiflung des Vaters, der großmütigen Ergebenheit der Tochter, dem jährlichen Gedächtnis und der Trauer der Töchter Israels und in der Geschichte des Schreibers selbst zu finden, der nicht dazu in der Lage ist, das schreckliche Schauspiel deutlich und klar zu beschreiben, das er gleichzeitig sowohl mit Bewunderung als auch mit Abscheu betrachtet.

  • Edersheim: Die großen jüdischen Kommentatoren des Mittelalters haben, im Gegensatz zum Talmud, darauf hingewiesen, dass die beiden Ausdrücke in Vers 31 („dem HERRN gehören“ und „als Brandopfer bringen“) nicht identisch sind. Niemals wird von einem tierischen Brandopfer gesagt, dass es „für den Herrn sein soll“, aus dem einfachen Grund, weil ein Brandopfer als solches bereits dem Herrn gehört. Doch wenn es um Menschen geht, die dem Herrn geopfert werden, dann wird dieser Ausdruck wohl gebraucht, wie im Fall der Erstgeborenen von Israel und von Levi (4Mo 3,12.13). Aber in diesen Fällen wird nie vermutet, dass es um ein buchstäbliches Menschenopfer geht. Wenn die liebe Tochter sich selbst dem Tod geweiht hätte, dann ist es beinahe unverständlich, dass sie wünscht, die zwei ihr verbleibenden Monate nicht mit ihrem im Herzen gebrochenen Vater zu verbringen, sondern in den Bergen mit ihren Freundinnen.

  • Samuel Ridout: Ich habe nie meine Gedanken über die Tatsache verändern können, dass Jephta mit seiner Tochter das getan hat, was jeder einfältige Leser, der diesen Abschnitt liest, glaubt, dass er es getan habe. Er gibt sich als ein strenger, selbstgerechter Mann zu erkennen, der später guten Gewissens 42.000 seiner israelitischen Brüder tötet. Solch ein Mann ist auch dazu in der Lage, seine eigene Tochter buchstäblich zu opfern. Er hatte das Schwert gezogen, um die Ammoniter zu schlagen; er tötete seine Tochter, weil er es gelobt hatte, und tötete seine Brüder. Freund und Feind erfahren dieselbe Behandlung.

Persönlich neige ich zu der Auffassung, dass Jephta tatsächlich seine Tochter geopfert hat. Das ist der Eindruck, den ich bekomme, wenn ich den Text so lese, wie er dort steht. Nach dieser Blütenlese verbleibt mir noch eine Bemerkung über den letzten Vers dieses Kapitels. Wenn man jährlich der Tochter Jephta gedachte, wie viel mehr ist der Herr Jesus wert, dass man an jedem Tag und insbesondere am ersten Tag der Woche seiner gedenkt.


Aus Das Buch der Richter, Bielefeld (CLV) 1999, S. 206–208
www.clv.de

 

 

  • A.M.S. Gooding: Du willst von mir wissen, was er tat? Aus dem Charakter von Jephta, den er in Richter 11 und 12 zeigt, schließe ich, dass er wirklich seine Tochter opferte. Du siehst hier, dass er ein gesetzlicher Mensch ist, ein Mann, der sich selbst wichtig ist, und ein gesetzlicher Mensch darf das Gesicht nicht verlieren. Er hatte da gestanden und gesagt: „Ich werde dir das Erste, was aus meinem Haus kommt, geben.“ Jetzt werden die Leute sagen: „Wir haben gehört, was er gesagt hat, und jetzt werden wir schauen und ihn beobachten, ob er auch das tut, was er gesagt hat.“ Seine Gesetzlichkeit reißt an seinem zerbrochenen Herzen, aber er darf das Gesicht nicht verlieren. Er darf nicht vor dem Volk Gottes erscheinen als jemand, der seine Ansichten geändert hat, und obwohl es sein gesetzliches Herz bricht, muss er es durchführen. Viele gesetzliche Leute haben ihre eigene Frau und Familie umkommen lassen und durch die Härte ihres Herzens ihre Familie für Gott verloren; das konnten sie eher, als einzugestehen, dass sie etwas falsch gemacht hatten und dass sie in der Vergangenheit zu hart gewesen waren. Bevor er das Gesicht verlor, opferte Jephta seine Tochter. Vielleicht glaubst du, dass er sie nur zu dauerhafter Jungfrauschaft verpflichtete – egal, die Belehrung bleibt dieselbe.

Übersetzt aus The 13 Judges

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