Leitverse: Richter 11,28-40
Ri 11,30-31.34: Jephta gelobte dem HERRN ein Gelübde und sprach: Wenn du die Kinder Ammons wirklich in meine Hand gibst, so soll das, was zur Tür meines Hauses herauskommt, mir entgegen – wenn ich in Frieden von den Kindern Ammon zurückkehre –, es soll dem HERRN gehören, und ich werde es als Brandopfer opfern! … Und als Jephta nach Mizpa, zu seinem Haus kam, siehe, da trat seine Tochter heraus, ihm entgegen, mit Tamburinen und mit Reigen; und sie war nur die einzige; außer ihr hatte er weder Sohn noch Tochter.
Über diese Frage haben sich viele Ausleger den Kopf zerbrochen. Eine kleine Blütenlese dessen, was geschätzte Gelehrte hierüber zum Besten gegeben haben, zeigt, dass es sehr schwierig ist, eine eindeutige Antwort auf diese Frage zu geben. Wir dürfen unseren eigenen Eindruck daraus entnehmen oder unsere Auffassung daran prüfen.
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Henri Rossier (1835–1928): Sie würde ihr ganzes Leben als eine Abgesonderte verbringen müssen, und kein Mann sollte mit ihr Gemeinschaft haben, so dass sie zeitlebens kinderlos bleiben würde. In diesem Sinn sollte sie als eine Tote weiterleben.
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William Kelly (1821–1906): Er opferte seine Tochter, entsprechend seinem fest entschlossenen, unbeugsamen Geist. Die heilige Weisheit der Schrift vermeidet die Einzelheiten über eine Tatsache, die so krass im Gegensatz zu den Gedanken Gottes steht.
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Frederick William Grant (1834–1902): Was Jephtas Gelübde anbelangt: Übereile und Versagen scheinen damit verbunden zu sein, aber sicher nicht das Menschenopfer, das viele unterstellt haben. Die meisten neueren Kommentatoren stimmen darin überein und glauben, dass seine Tochter einfach Gott geweiht wurde, um ein unverheiratetes Leben zu führen, wie die Verse in Richter 11,37-39 deutlich zeigen.
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Martin Luther (1483–1546): Manche sind der festen Überzeugung, dass sie nicht geopfert wurde, doch der Text ist zu deutlich, um diese Auslegung zuzugestehen.
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Johann Heinrich Kurtz (1809–1890) in Sacred History: Beweise für ein buchstäbliches Opfern sind in der Verzweiflung des Vaters, der großmütigen Ergebenheit der Tochter, dem jährlichen Gedächtnis und der Trauer der Töchter Israels und in der Geschichte des Schreibers selbst zu finden, der nicht dazu in der Lage ist, das schreckliche Schauspiel deutlich und klar zu beschreiben, das er gleichzeitig sowohl mit Bewunderung als auch mit Abscheu betrachtet.
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Alfred Edersheim (1825–1889): Die großen jüdischen Kommentatoren des Mittelalters haben, im Gegensatz zum Talmud, darauf hingewiesen, dass die beiden Ausdrücke in Vers 31 („dem HERRN gehören“ und „als Brandopfer bringen“) nicht identisch sind. Niemals wird von einem tierischen Brandopfer gesagt, dass es „für den Herrn sein soll“, aus dem einfachen Grund, weil ein Brandopfer als solches bereits dem Herrn gehört. Doch wenn es um Menschen geht, die dem Herrn geopfert werden, dann wird dieser Ausdruck wohl gebraucht, wie im Fall der Erstgeborenen von Israel und von Levi (4Mo 3,12-13). Aber in diesen Fällen wird nie vermutet, dass es um ein buchstäbliches Menschenopfer geht. Wenn die liebe Tochter sich selbst dem Tod geweiht hätte, dann ist es beinahe unverständlich, dass sie wünscht, die zwei ihr verbleibenden Monate nicht mit ihrem im Herzen gebrochenen Vater zu verbringen, sondern in den Bergen mit ihren Freundinnen.
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Samuel Ridout (1855–1930): Ich habe nie meine Gedanken über die Tatsache verändern können, dass Jephta mit seiner Tochter das getan hat, was jeder einfältige Leser, der diesen Abschnitt liest, glaubt, dass er es getan habe. Er gibt sich als ein strenger, selbstgerechter Mann zu erkennen, der später guten Gewissens 42.000 seiner israelitischen Brüder tötet. Solch ein Mann ist auch dazu in der Lage, seine eigene Tochter buchstäblich zu opfern. Er hatte das Schwert gezogen, um die Ammoniter zu schlagen; er tötete seine Tochter, weil er es gelobt hatte, und tötete seine Brüder. Freund und Feind erfahren dieselbe Behandlung.
Persönlich neige ich zu der Auffassung, dass Jephta tatsächlich seine Tochter geopfert hat. Das ist der Eindruck, den ich bekomme, wenn ich den Text so lese, wie er dort steht. Nach dieser Blütenlese verbleibt mir noch eine Bemerkung über den letzten Vers dieses Kapitels. Wenn man jährlich der Tochter Jephta gedachte, wie viel mehr ist der Herr Jesus wert, dass man an jedem Tag und insbesondere am ersten Tag der Woche seiner gedenkt.
Aus Das Buch der Richter, Bielefeld: CLV, 1999, S. 206–208.
www.clv.de
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Arthur Maurice Salway Gooding (1915–1999):
Du willst von mir wissen, was er tat? Aus dem Charakter von Jephta, den er in Richter 11 und 12 zeigt, schließe ich, dass er wirklich seine Tochter opferte. Du siehst hier, dass er ein gesetzlicher Mensch ist, ein Mann, der sich selbst wichtig ist, und ein gesetzlicher Mensch darf das Gesicht nicht verlieren. Er hatte da gestanden und gesagt: „Ich werde dir das Erste, was aus meinem Haus kommt, geben.“ Jetzt werden die Leute sagen: „Wir haben gehört, was er gesagt hat, und jetzt werden wir schauen und ihn beobachten, ob er auch das tut, was er gesagt hat.“ Seine Gesetzlichkeit reißt an seinem zerbrochenen Herzen, aber er darf das Gesicht nicht verlieren. Er darf nicht vor dem Volk Gottes erscheinen als jemand, der seine Ansichten geändert hat, und obwohl es sein gesetzliches Herz bricht, muss er es durchführen.
Viele gesetzliche Leute haben ihre eigene Frau und Familie umkommen lassen und durch die Härte ihres Herzens ihre Familie für Gott verloren; das konnten sie eher, als einzugestehen, dass sie etwas falsch gemacht hatten und dass sie in der Vergangenheit zu hart gewesen waren. Bevor er das Gesicht verlor, opferte Jephta seine Tochter. Vielleicht glaubst du, dass er sie nur zu dauerhafter Jungfrauschaft verpflichtete – egal, die Belehrung bleibt dieselbe.[1]
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Adolf Küpfer (1849–1899):
Wie ist Richter 11,28-40 zu verstehen? Hat Jephta wirklich seine Tochter geopfert, also geschlachtet? Menschenopfer waren doch Gott ein Gräuel?
Jephta gelobte dem HERRN: „Wenn du die Kinder Ammon wirklich in meine Hand gibst, so soll das, was zur Tür meines Hauses herauskommt, mir entgegen – wenn ich in Frieden von den Kindern Ammon zurückkehre –, es soll dem HERRN gehören, und ich werde es als Brandopfer opfern!“ Jephta bezeichnete das Lebewesen, das ihm entgegenkommend zum Brandopfer erdacht war, nicht näher. Wie unüberlegt und verhängnisvoll! Jephta gleicht darin Herodes, der seiner tanzenden Tochter „bis zur Hälfte seines Königreiches“ versprach, ein Gelübde, das dem treuen und gottesfürchtigen Herold des Herrn, Johannes dem Täufer, das Leben kostete. Es ist sogar nicht ausgeschlossen, dass Jephta in seinem Gelübde auch vor einem Menschenopfer nicht zurückschreckte, denn Israel hatte von den heidnischen Nationen vieles übernommen, was dem HERRN ein Gräuel war. Klare Einsicht und Erkenntnis war in der Zeit der Richter verloren gegangen: „Ein jeder tat, was recht war in seinen Augen.“
Dieses Verhalten Jephtas müsste als völlig gottlos bezeichnet werden, andernfalls zum mindesten ganz unbedacht. Hierin mag der Grund liegen, dass in Hebräer 11 sein Name nach Simson genannt wird, obwohl er zeitlich vor diesem lebte und obwohl auch Simson große Mängel in seinem Verhalten aufwies. Wie traurig muss der Zustand des Volkes Israel gewesen sein. Dass Jephta seine Tochter – sie war das erste Lebewesen, das ihm über die Schwelle entgegen kam – wirklich geopfert hat, scheint aus den Worten „Er vollzog an ihr das Gelübde“ hervorzugehen. Wenn man an den starren Fanatismus der Orientalen denkt, kann man dies auch gut verstehen. Nach dem Gesetz müsste ein Gelübde unbedingt bezahlt, das heißt gehalten werden (5Mo 23,22-24), aber dass die Opferung eines Menschen von Gott niemals gewollt war, darüber besteht gar kein Zweifel (vgl. Jes 57,5; Hes 23,39). Hätte Jephta nicht besser getan, seine Kleider zerreißend sich zu demütigen und seine Schuld vor Gott zu bekennen, sicherlich würde Er ihm eine andere Lösung gestattet haben.[2]
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Frederick William Grant (1834–1902):
Bei dem Gelübde scheint Jephta nicht nur voreilig gewesen zu sein, sondern auch falsch gehandelt zu haben; mit Sicherheit hat er jedoch kein menschliches Opfer dargebracht, wie viele angenommen haben. Die meisten neueren Bibelausleger sind sich darin einig und nehmen an, dass seine Tochter lediglich Gott geweiht war, ein unverheiratetes Leben zu führen, wie die Richter 11,37-39 wohl eindeutig zeigt. Kein Wort wird über ihren Tod gesagt, es sei denn, man versteht Vers 31 so: „Ich werde es als Brandopfer opfern.“ Doch Jephtas Worte an den König der Ammoniter zeigen, dass er das Gesetz kannte. Das Gesetz verbot Menschenopfer als Gräuel (3Mo 18,21 u.a.). Kein Altar hätte sich für sie gefunden, kein Priester würde das ausgeführt haben; und die beiden Monate, in denen man ihre Jungfrauschaft beweinte, hätten völlig ausgereicht, dass das beabsichtigte Opfer in ganz Israel bekannt geworden wäre. Jephta kannte sicherlich das Gesetz. Genauso wenig kann man sich vorstellen, dass er darauf beharrt hätte, dem HERRN einen Gräuel zu opfern, indem er seine geliebte Tochter opferte. Alles spricht gegen die Ausübung eines solchen Verbrechens.
Das Hebräische erlaubt auch folgende Übersetzung von Richter 11,31: ,,Es soll dem HERRN gehören, oder ich werde es als Brandopfer opfern!“
„Die großen jüdischen Kommentatoren des Mittelalters“, sagt Edersheim, „haben, im Gegensatz zum Talmud, darauf hingewiesen, dass diese beiden Ausdrücke nicht identisch sind. Es wird niemals von einem tierischen Brandopfer gesagt, dass es ,dem HERRN gehören soll‘, und zwar aus dem einfachen Grund nicht, weil es Ihm als Brandopfer ohnehin gehörte. Doch in den Fällen, wo dem HERRN Menschen dargebracht wurden, wird dieser Ausdruck gebraucht, wie im Fall des Erstgeborenen unter Israel oder vom Stamm Levi (4Mo 3,12-13). Doch dabei hat niemand an ein wirkliches Opfern von Menschen gedacht.“ Er argumentiert wie andere: „Wenn die geliebte Tochter sich selbst dem Tod unterworfen hätte, ist es völlig unglaublich, dass sie gewünscht hätte, die beiden ihr verbleibenden Monate nicht bei ihrem gebrochenen Vater zu verbringen, sondern in den Bergen mit ihren Freundinnen.“
Außerdem bedeutet das Wort im Hebräischen nicht unbedingt „Brandopfer“, sondern einfach „Opfer, das aufsteigt“ – alles steigt zu Gott auf. Das ist ein großer Unterschied. Jephta gelobte nicht, dass das Opfer verbrannt werden sollte, obwohl das die Art und Weise gewesen wäre, wie ein tierisches Opfer „aufgestiegen“ wäre. Daher habe ich das hebräische Wort mit „Ganzopfer“ übersetzt und denke, dass damit wahrscheinlich die Schwierigkeit verschwindet.
Jephta wurde durch die Folgen seines Gelübdes auf die Probe gestellt, doch obwohl er in seinem Herzen getroffen war, bestand er die Prüfung und bewies dem HERRN seine Ergebenheit, eine Ergebenheit, die seine edle Tochter völlig teilte. Wenn ihr Name in diesem Bericht auch nicht genannt wird, so nimmt sie doch einen hervorragenden Platz unter den großen historischen Frauen Israels ein.[3]
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Irving Lester Jensen (1920–1996)
Die große Frage war immer: Hat Jephtha seine Tochter getötet? Bei oberflächlicher Betrachtung scheint der Bericht in Richter 11,30-40 diese Annahme zu rechtfertigen. Die Verse 31b und 39a weisen scheinbar darauf hin. Die Vertreter dieser Ansicht erklären das Beweinen ihrer Jungfrauschaft (Ri 11,37-.38) als die Trauer darüber, kinderlos sterben zu müssen – eine große Schande für eine hebräische Frau.
Die andere Auffassung ist die, dass Jephtha seine Tochter nicht getötet, sondern dauernder Jungfrauschaft geweiht hat, wahrscheinlich um vor der Stiftshütte zu dienen. Es gibt einige gute Gründe, die für die letztere Ansicht sprechen:
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Erstens musste Jephtha als gottesfürchtiger Mann (vgl. Ri 11,11) gewusst haben, dass im Gesetz Moses absolut kein Platz für Menschenopfer war. Jemand sagte einmal, er hätte „ein frommes, aber unerleuchtetes Gewissen“ gehabt; aber ein Israelit, auch wenn er in den Büchern Moses nur äußerst unvollkommen unterwiesen war (und Jephtha war mit ihnen sehr vertraut, Ri 11,12-27!), konnte kaum so „unerleuchtet“ sein, dass er ein Menschenopfer brachte.
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Zweitens beweint Jephthas Tochter nicht ihren Tod, sondern ihre Jungfrauschaft (Ri 11,37). Sie trauert nicht darüber, dass sie sterben muss, sondern darüber, dass sie den Rest ihres Lebens unverheiratet bleiben musste, was bei jeder Frau der Fall gewesen wäre, die sich dem Dienst des Herrn an der Tür der Stiftshütte geweiht hatte (vgl. 2Mo 38,8; 1Sam 2,22).
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Drittens sagt der Abschnitt nicht, dass Jephtha sie tatsächlich tötete. Und wenn er es getan hätte, auf welchem Altar und durch welchen Priester wäre ein solches Opfer dem Jahwe gebracht worden? So böse Israel auch geworden war, so waren sie dennoch nicht auf ein solches Niveau herabgesunken, Menschenopfer vor Gott darzubringen. (Selbst der gottlose König Joram von Israel (2Kön 3,1-3) hatte eine solche Abscheu vor Menschenopfern, dass er angesichts eines solchen seinen aussichtsreichen Feldzug gegen Moab abbrach (2Kön 3,26-27).[4]
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Dr. Gleason Leonard Archer jr. (1916–2004)
Die Tragik der Situation lag in diesem Fall nicht darin, dass Jephthas Tochter sich dem Dienst Gottes weihte, sondern vielmehr in dem sicheren Auslöschen von Jephthas Geschlecht, denn sie war sein einziges Kind. Deshalb beweinten sowohl er (Ri 11,35) als auch sie (Ri 11,38) ihre Jungfrauschaft. Es handelt sich hier nicht um ein Menschenopfer.[5]
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Das Wesen von Jephtas Gelübde wurde häufig missverstanden. Vor seiner entscheidenden Auseinandersetzung mit den mächtigen Ammonitern gab Jephta Gott das feierliche Versprechen (Ri 11,30-31), dass der Erste, der bei seiner Rückkehr aus seinem Haus käme, dem Herrn gehören würde, wenn Gott ihm den Sieg über die Feinde schenkte. „Ich will ihn als Brandopfer opfern!“
Offensichtlich würde es irgendeinen Menschen treffen, jemand aus Jephtas Haushalt oder ein Mitglied seiner Familie und jemand, dem Jephta persönlich so sehr am Herzen lag, dass er ihn als Erster begrüßen wollte. Der hebräische Text schließt die Möglichkeit von Tieren als Brandopfer aus, da der Ausdruck: „wer es auch sei, der aus der Tür meines Hauses herauskommt“, nie für Tiere verwendet wird (Keil und Delitzsch, Joshua, Judges, Ruth, S. 385).
Wäre es ein Tier gewesen, so hätte kein Problem bestanden, es auf dem Altar als Blutopfer darzubringen (was das hebräische Wort für Brandopfer [olah] normalerweise bedeutet). Da es sich aber um einen Menschen aus seinem Haushalt handelte, der Jephta als Erster begrüßen würde, kam ein Blutopfer in diesem speziellen Fall nicht in Frage. Warum? Weil Gottes Gesetz Menschenopfer strengstens und wiederholt verbot (s. 3Mo 18,21; 20,2-5; 5Mo 12,31; 18,10).
Für Jephta und jeden anderen Israeliten wäre es vollkommen undenkbar gewesen, Gott durch eine solch abscheuliche Tat in seiner Gegenwart oder auf seinem Altar gefallen zu können (5Mo 12,31–13,1). Auch in 5. Mose 18,10-12 lesen wir: „Es soll unter dir niemand gefunden wer den, der seinen Sohn oder seine Tochter durchs Feuer gehen lässt … Denn ein Gräuel für den HERRN ist jeder, der diese Dinge tut. Und um dieser Gräuel willen treibt der HERR, dein Gott, sie vor dir aus.“
Angesichts Gottes wohlbekanntem Verbot und seiner ausdrücklichen Abscheu vor dieser Praxis wäre es einer völligen Verleugnung der Souveränität Gottes gleichgekommen, wenn Jephta so etwas getan hätte. Es wäre eine Zurückweisung des Bundes gewesen, der Israel zu Gottes heiligem Volk machte.
Ebenso unglaublich ist die Vorstellung, dass Gott ihm den Sieg über den Feind zusicherte, wenn Er doch wusste, dass Jephta beabsichtigte, sein Gesetz zu missachten und seinen Bund mit Füßen zu treten. Ein solches Verständnis von der Begebenheit würde ein unduldbares theologisches Problem darstellen, da es Gottes eigene Integrität kompromittiert.
Was geschah aber wirklich, wenn Jephta seine Tochter nicht auf dem Altar opferte? Delitzsch meint, die ganze Art und Weise, wie die Erfüllung des Gelübdes beschrieben wird, deute darauf hin, dass sie einem lebenslangen Dienst für den Herrn am nationalen Heiligtum geweiht wurde. Richter 11,37-38 berichtet, dass ihr eine Trauerzeit von zwei Monaten gestattet wurde, nicht um ihren bevorstehenden Tod, sondern vielmehr ihre dauerhafte Jungfräulichkeit (beṯ ûlîm) zu beweinen – und das daraus resultierende Auslöschen der Abstammungslinie ihres Vaters, weil sie sein einziges Kind war. Da sie zum Dienst an der Stiftshütte abgesondert wurde (vgl. 2Mo 38,8; 1Sam 2,22 hinsichtlich weiterer Erwähnungen dieser geweihten Jungfrauen, die ihren Dienst an der Stiftshütte taten), würde sie nie Mutter werden. So wird auch betont, dass sie „aber keinen Mann erkannt hatte“ (Ri 11,39). Dies wäre eine sinnlose Bemerkung, wenn man sie tatsächlich getötet hätte.
Jephta handelte wie ein Ehrenmann, als er sein Versprechen hielt und seine Tochter als lebendiges Opfer darbrachte, so wie alle Christen sich selbst vor Gott darstellen sollen (Röm 12,1). Hätte er die furchtbare Gräueltat begangen, sein eigenes Kind zu töten, wäre er niemals in die Liste der Glaubenshelden in Hebräer 11 aufgenommen worden. […][6]
Anmerkungen
[1] A.M.S. Gooding, aus „Jephtah – The Legal Judge“ in The 13 Judges, Glasgow: Gospel Tract Publications, 1986, S. 163.
[2] Adolf Küpfer, „Hat Jephta wirklich seine Tochter geopfert?“ in 700 Fragen und Antworten, Frage Nr. 495, Zürich: Beröa. Online: www.bibelkommentare.de.
[3] F.W. Grant, „Hat Jephta seine Tochter tatsächlich geopfert?“ in Folge mir nach, 2/2000, S. 16–17. Quelle: www.folgemirnach.de. Engl. Original: in Numerical Bible, 1935, Bd. 2: The Covenant History: (4) aus „Subdivision 5 (Judges 10:6–12“ in „Book 2: Judges – Division 4 (Judges 3:5–16)“. Quelle: www.stempublishing.com.
[4] I.L. Jensen, aus „Jephtas Gelübde“ in fest & treu, Nr. 44, Ausgabe 2. Engl. Original in Judges and Ruth. A Self-Study Guide, Chicago: Moody Press, 1968, S. 52–53.
[5] G. Archer jr., aus „Jephtas Gelübde“ in fest & treu, Nr. 44, Ausgabe 2. Engl. Original in A Survey of Old Testament Introduction, Chicago: Moody Press, 1964, S. 267.
[6] G.L. Archer (1916–2004), „Warum erlaubte Gott, dass Jephtas törichtes Gelübde seinen Lauf nahm?“ in Schwer zu verstehen?, Bielefeld: CLV, 2005, S. 209–210.