Außerhalb des Tores
3. Mose 4,1-12; Hebräer 13,13

Charles Henry Mackintosh

© CV Dillenburg, online seit: 14.05.2005, aktualisiert: 16.02.2022

Leitverse: 3. Mose 4,1-12; Hebräer 13,13

Heb 13,13: Deshalb lasst uns zu ihm hinausgehen, außerhalb des Lagers, seine Schmach tragend.

Betrachten wir, was mit dem „Fleisch“ oder dem „Leib“ des Opfertieres geschah, worin die wahre Grundlage der Jüngerschaft vorgebildet ist. „Den ganzen Stier soll er hinausbringen außerhalb des Lagers an einen reinen Ort, zum Schutthaufen der Fettasche, und soll ihn auf Holzscheiten mit Feuer verbrennen; auf dem Schutthaufen der Fettasche soll er verbrannt werden“ (3Mo 4,12). Diese Handlung ist von zwei Seiten zu betrachten. Zunächst bezeichnet sie den Platz, den der Herr Jesus als Träger unserer Sünden einnahm, und dann die Stätte, wohin Ihn eine Welt, die Ihn verwarf, verstieß. Auf diesen letzten Punkt möchte ich die Aufmerksamkeit lenken.

Die Anwendung, die der Apostel in Hebräer 13 von der Tatsache macht, dass Christus „außerhalb des Tores“ gelitten hat, ist von hoher praktischer Wichtigkeit. „Deshalb lasst uns zu ihm hinausgehen, außerhalb des Lagers, seine Schmach tragend“ (Heb 13,13).

Er litt „außerhalb des Tores“ und zeigte dadurch, dass Er Jerusalem als den damaligen Mittelpunkt des göttlichen Handelns beiseitegesetzt hatte. Es gibt jetzt keinerlei geweihte Stätte mehr auf Erden. Christus hat als Dulder seinen Platz außerhalb des Bereiches der Religion dieser Welt eingenommen, außerhalb ihrer Politik und alles dessen, was ihr angehört. Die Welt hat Ihn gehasst und verworfen. Darum heißt es: „Lasst uns hinausgehen.“ Das ist der Wahlspruch in Bezug auf alles, was der Mensch hier in der Form eines „Lagers“, von welcher Art dieses auch sei, aufrichten mag. Wenn die Menschen eine „heilige Stadt“ bauen, so musst du einen verworfenen Christus „außerhalb des Tores“ suchen. Wenn die Menschen, unter welchem Namen es auch sei, ein religiöses Lager aufrichten, so musst du aus ihr „hinausgehen“, um einen verworfenen Christus zu finden. Der blinde Aberglaube sucht freilich unter den Ruinen Jerusalems eifrig nach irgendwelchen Reliquien von Christus. Er trachtet danach, die Stätte seines Kreuzes und seines Grabes zu entdecken und ihr Ehre zu erweisen. Die Habsucht der Natur hat, aus dem Aberglauben der Natur Nutzen ziehend, seit Jahrhunderten einen einträglichen Handel getrieben unter dem listigen Vorwand, die sogenannten heiligen Stätten des Altertums zu verehren. Doch ein einziger Lichtstrahl von dem himmlischen Leuchter der Offenbarung reicht aus, um dir die Notwendigkeit zu zeigen, dass du aus diesem allem „hinausgehen“ musst, wenn du anders mit einem verworfenen Christus Gemeinschaft haben und genießen willst.

Es gibt viele, die die genannten Dinge in ihrem wahren Licht darstellen können, die aber weit von dem Gedanken entfernt sind, der Aufforderung des Apostels Folge zu leisten. Wenn die Menschen ein „Lager“ aufrichten und sich um ein Banner scharen, das mit irgendeinem wichtigen Lehrsatz oder einer wertvollen Verordnung geziert ist; wenn sie sich auf ein orthodoxes Glaubensbekenntnis, auf ein klares Lehrsystem, auf glänzende religiöse Gebräuche, die das Sehen der andächtigen Natur des Menschen zu befriedigen vermögen, berufen können, so erfordert es viel geistliche Einsicht, um die wahre Tragweite der Worte „Lasst uns hinausgehen!“ zu verstehen, sowie viel geistliche Entschiedenheit, um dieser Aufforderung gemäß zu handeln. Man sollte sie indes verstehen und nach ihr handeln, denn es ist gewiss, dass die Atmosphäre eines Lagers (mag seine Grundlage und sein Banner bestehen, worin es will) für eine persönliche Gemeinschaft mit einem verworfenen Christus verderblich ist, und keine der sogenannten religiösen Vorteile vermögen den Verlust dieser Gemeinschaft zu ersetzen. Unser Herz neigt stets dahin, in kalte Formen zu verfallen. Diese Neigung hat sich von jeher gezeigt. Jene Formen mögen ihren Ursprung in wirklicher Kraft gehabt haben; aber die Versuchung liegt nahe, die bloße Form festzuhalten, während der Geist und die Kraft längst verschwunden sind. Grundsätzlich heißt das nichts anderes als ein Lager aufrichten.

Das jüdische System konnte sich eines göttlichen Ursprungs rühmen. Ein Israelit konnte auf den Tempel mit seinem Gottesdienst, seinem Priestertum, seinen Opfern und seiner ganzen Ausschmückung hinweisen und sagen, dass dies alles so von dem Gott Israels angeordnet worden sei. Er konnte, wie wir sagen, Kapitel und Vers für alles anführen, was mit dem System, zu dem er sich bekannte, in Verbindung stand. Wo ist ein System, sei es aus dem Altertum, dem Mittelalter oder der neueren Zeit, das solch hohe Ansprüche erheben oder mit einem solchen Gewicht von Autorität auf das Herz einwirken könnte? Und dennoch wurde gerade den gläubigen Hebräern gesagt: „Lasst uns hinausgehen!“

Das ist eine äußerst ernste Sache. Sie geht uns alle an, weil wir alle die Neigung haben, uns aus der Gemeinschaft mit einem lebendigen Christus zu entfernen und in tote Formen zu versinken. Daher die praktische Kraft der Worte: „Lasst uns zu ihm hinausgehen!“ Es heißt nicht: „Lasst uns von einem System zu einem anderen, von einer Art von Meinungen zu einer anderen gehen.“ Nein, wir sollen vielmehr von allem, was den Namen eines Lagers verdient, „zu ihm“ hinausgehen, der „außerhalb des Tores“ gelitten hat. Der Herr Jesus ist heute ebenso völlig außerhalb des Tores wie vor neunzehn Jahrhunderten, als Er dort litt. Was brachte Ihn in diese Stellung? Die religiöse Welt jener Zeit. Und die damalige religiöse Welt ist nach Gesinnung und Grundsatz die religiöse Welt unserer Tage. Die Welt ist und bleibt die Welt. „Es gibt nichts Neues unter der Sonne.“ Christus und die Welt sind nie eins.

Die Welt hat sich in den Mantel des Christentums gehüllt, aber nur, um unter ihm ihren Hass gegen Christus in noch tödlicheren Formen zu entfalten. Täuschen wir uns nicht! Wollen wir mit einem verworfenen Christus wandeln, so müssen wir ein verworfenes Volk sein. Hat unser Herr „außerhalb des Tores“ gelitten, so können wir nicht erwarten, innerhalb des Tores zu herrschen. Wenn wir in seinen Fußstapfen wandeln, wohin werden sie uns führen? Wahrlich nicht zu den Höhen dieser gottlosen, entchristlichten Welt!

Unser Herr ist ein verachteter Christus, ein verworfener Christus, ein Christus außerhalb des Lagers. Darum „lasst uns zu ihm hinausgehen, seine Schmach tragend“! Diese Welt hat den Geliebten gekreuzigt und hasst mit demselben ungeschwächten Hass noch heute Ihn, dem wir alles, unser gegenwärtiges und ewiges Glück, zu verdanken haben und der uns mit einer Liebe liebt, die große Wasser nicht auszulöschen vermögen. Lasst uns daher nicht eine Sache anerkennen, die sich nach seinem heiligen Namen nennt, aber in Wirklichkeit seine Person, seine Wahrheit, ja selbst die bloße Erwähnung seiner Wiederkunft hasst. Lasst uns unserem abwesenden HERRN treu sein und dem leben, der für uns gestorben ist! Möchte doch, während unser Gewissen auf seinem Blut ruht, die Liebe unseres Herzens Ihn selbst zu ihrem teuersten Gegenstand haben, damit unsere Trennung von dem „gegenwärtigen bösen Zeitlauf“ nicht nur eine Sache kalter Grundsätze, sondern die Frucht eines liebenden Herzens sei, das den Gegenstand seiner Liebe auf der Erde nicht findet! Möge der Herr uns befreien von dem Einfluss der heutzutage so verbreiteten, sich heilig dünkenden Selbstsucht, die nicht ohne Religion sein möchte, die aber eine Feindin des Kreuzes Christi ist! Um dieser schrecklichen Form des Bösen mit Erfolg entgegenzutreten, bedürfen wir nicht besonderer Ansichten, Grundsätze und Lehren, sondern einer tiefen Hingabe an die Person des Sohnes Gottes, einer von Herzen kommenden Weihung unser selbst nach Leib, Seele und Geist zu seinem Dienst sowie eines aufrichtigen Verlangens nach seiner herrlichen Wiederkunft.


Aus der Zeitschrift Die Wegweisung, 1977–8

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