Leitverse: 1. Thessalonicher 1,9.10
1Thes 1,9.10: Sie selbst berichten von uns, welchen Eingang wir bei euch hatten und wie ihr euch von den Götzenbildern zu Gott bekehrt habt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten, den er aus den Toten auferweckt hat – Jesus, der uns errettet von dem kommenden Zorn.
An einem Tag wie dem heutigen, wo Wissen zu jeder Frage so verbreitet ist, ist es sehr notwendig, dem christlichen Leser die weitgehenden Unterscheidungsmerkmale zwischen dem bloßen Festhalten der Lehre über das zweite Kommen des Herrn und dem eigentlichen Warten auf sein Erscheinen (1Thes 1,10) eindringlich bewusstzumachen. Leider halten viele die Lehre von einem zweiten Kommen fest und predigen möglicherweise sehr redegewandt darüber, kennen aber in Wirklichkeit nicht die Person, an dessen Ankunft sie vorgeben zu glauben und die sie predigen. Auf dieses Böse muss deutlich aufmerksam gemacht und damit verfahren werden.
Die Gegenwart ist ein Zeitalter des Wissens – des religiösen Wissens; aber
- Wissen ist nicht Leben;
- Wissen ist nicht Kraft;
- Wissen wird nicht von der Sünde und Satan befreien, von der Welt, von dem Tod, von der Hölle.
Ein Wissen, damit meine ich, dem es an der Erkenntnis Gottes mangelt. Man kennt sehr viel von der Schrift, sehr viel von der Prophezeiung, sehr viel über die Lehre, und die ganze Zeit über ist man tot in Vergehungen und Sünden.
Es gibt jedoch eine Art von Kenntnis, die zwangsläufig ewiges Leben beinhaltet, und das ist die Kenntnis Gottes, wie Er offenbart ist im Angesicht Christi. „Dies aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen“ (Joh 17,3). Nun, es ist unmöglich, in der täglichen und stündlichen Erwartung des Kommens des Sohnes des Menschen zu leben, wenn der Sohn des Menschen nicht aufgrund von Erfahrung gekannt wird. Ich kann die prophetischen Aufzeichnungen zur Hand nehmen und durch bloßes Studium und durch den Gebrauch meiner verstandesmäßigen Fähigkeiten die Lehre von dem zweiten Kommen des Herrn erkennen und doch völlig unwissend in Bezug auf Christus sein und ein Leben völliger Entfremdung des Herzens von Ihm führen. Wie oft ist dies der Fall!
Wie viele versetzen uns mit ihrem gewaltigen Umfang an prophetischem Wissen in Erstaunen – eine Fülle, die sie möglicherweise über Jahre hinweg durch mühevolle Forschungsarbeit erworben haben. Und schließlich erweisen sie sich doch als solche, die ungeheiligtes Licht ausbreiten – Licht, das sie nicht durch gebetsvolles Warten auf Gott gewonnen haben! Sicherlich sollte uns der Gedanke daran in unseren Herzen tief berühren und uns eindringlich warnen und dahin führen, zu fragen, ob wir die Person kennen oder nicht, die sich wieder und wieder als die ankündigt, „bald“ zu kommen. Sollten wir Ihn jedoch nicht kennen, werden wir uns in der Menge derer wiederfinden, die durch den Propheten in den folgenden erschreckenden Worten angesprochen werden: „Wehe denen, die den Tag des HERRN herbeiwünschen! Wozu soll euch der Tag des HERRN sein? Er wird Finsternis sein und nicht Licht: Wie wenn jemand vor dem Löwen flieht, und es begegnet ihm ein Bär; und er kommt nach Hause und stützt seine Hand an die Mauer, und es beißt ihn eine Schlange. Wird denn nicht der Tag des HERRN Finsternis sein und nicht Licht, und Dunkelheit und nicht Glanz?“ (Amos 5,18-20).
Das zweite Kapitel von Matthäus liefert uns eine sehr treffende Veranschaulichung des Unterschieds zwischen bloßem prophetischem Wissen über Christus – zwischen der Ausübung des Verstandes auf den Buchstaben der Schrift und dem Ziehen des Vaters zur Person Christi. Die weisen Männer, die offensichtlich durch den Finger Gottes geführt wurden, befanden sich auf wahrer und ernsthafter Suche nach Christus, und sie fanden Ihn. Was ihre Schriftkenntnis anbelangt, so hätten sie sich nicht für einen Augenblick mit den Hohenpriestern und Schriftgelehrten messen können; und doch, was nützte den Letztgenannten ihre Schriftkenntnis selbst? Ja doch, sie erwies sich ihnen als wirksame Instrumente für Herodes, der sie zu dem Zweck versammelte, um sich ihre Bibelkenntnis zu Nutzen zu machen in seiner todsuchenden Feindschaft gegen den Gesalbten Gottes. Sie waren imstande, wie wir sagen, Kapitel und Vers anzuführen. Doch während sie dem Herodes mit ihrer Kenntnis Hilfe leisteten, folgten die weisen Männer durch das Ziehen des Vaters ihrem Weg zu Jesus. Wunderbarer Gegensatz! Wie viel glückseliger, ein Anbeter zu den Füßen Jesu zu sein, wenngleich mit schwacher Kenntnis, als ein angelernter Schriftgelehrter mit kaltem Herzen, tot und in Entfernung von diesem Gepriesenen. Um wie viel besser ist es, das Herz voll von lebendigen Zuneigungen für Christus zu haben, als den Verstand mit den genauesten Kenntnissen des Buchstabens der Schrift gefüllt zu haben!
Was ist das traurige Kennzeichen der gegenwärtigen Zeit? Eine weite Verbreitung von Schriftkenntnis mit wenig Liebe zu Christus und wenig Hingabe zu seinem Werk; ein Überfluss an Bereitwilligkeit, die Schriften anzuführen, wie das bei den Hohenpriestern und Schriftgelehrten der Fall war, jedoch wenig Herzensvorsatz wie bei den weisen Männern, ihre Schätze zu öffnen und Christum willige Opfer darzubringen aus Herzen, die gefüllt waren mit einem Bewusstsein davon, was Er ist. Was wir nötig haben, ist persönliche Hingabe und nicht bloße Zurschaustellung von Wissen. Das bedeutet nicht, dass wir Schriftkenntnis unterbewerten; Gott behüte, wenn diese Kenntnis in Verbindung mit echter Jüngerschaft vorgefunden wird. Doch wenn das nicht der Fall ist, frage ich, welchen Wert hat es dann? Überhaupt keinen. Der größte Wissensumfang wird, wenn Christus nicht dessen Mittelpunkt ist, einfach nichts nützen; ja, er wird sich uns aller Wahrscheinlichkeit nach als wirksameres Mittel in der Hand Satans erweisen, seine Feindesabsichten gegen Christus zu fördern. Ein unwissender Mensch kann nur wenig Unheil anrichten, ein studierter Mensch hingegen viel.
[ …] Bevor jemand von Herzen Amen sagen kann zu der Ankündigung „Siehe, er kommt mit den Wolken“ (Off 1,7), muss er ohne jede Frage dazu in der Lage sein, in den Ausbruch des Lobes mit einzustimmen: „Dem, der uns liebt, und uns gewaschen hat in seinem Blut“ (Off 1,5).
- Der Gläubige kennt den, der kommt, denn Er hat ihn geliebt und ihn von seinen Sünden gewaschen.
- Der Gläubige erwartet in seiner Seele den, der immer liebt.
- Der Demütige und Niedriggesinnte, der diente, litt und sich hier auf der Erde entäußerte, wird bald […] kommen, mit Macht und großer Herrlichkeit, und alle, die Ihn kennen, werden Ihn mit frohem Hosanna begrüßen […].
Doch ist zu befürchten, dass leider sehr viele das Kommen des Herrn festhalten und darüber diskutieren, die überhaupt nicht auf Ihn warten, die ihr eigenes Leben in dieser Welt führen und „irdisch gesinnt sind“ (Phil 3,19). Wie schrecklich, so gefunden zu werden, über das Kommen des Herrn zu sprechen und doch, wenn Er kommt, zurückgelassen zu werden! O bedenke dies, und wenn dir wirklich bewusst ist, dass du den Herrn nicht kennst, dann lass mich dich ernstlich bitten, Ihn anzublicken als den, der sein kostbares Blut vergossen hat, um dich von deinen Sünden zu waschen, und lerne, dich Ihm anzuvertrauen, dich auf Ihn zu stützen und dich an Ihm und an Ihm alleine zu erfreuen.
Kannst du jedoch zum Himmel aufschauen und sagen: „Ich danke Gott, dass ich Ihn kenne, und ich warte auf Ihn“, dann lass mich dich an das erinnern, was der Apostel Johannes über das praktische Ergebnis dieser wunderbaren Hoffnung sagt. „Und jeder, der diese Hoffnung zu ihm hat, reinigt sich selbst, wie er rein ist“ (1Joh 3,3). Jawohl, das muss immer das Ergebnis davon sein, den Sohn vom Himmel zu erwarten; ganz anders ist dies jedoch bei bloßer prophetischer Lehre. Viele der unreinsten, weltlichsten und gottlosesten Personen, die in der Welt zum Vorschein gekommen sind, haben der Theorie nach das zweite Kommen des Herrn vertreten; doch warteten sie nicht auf den Sohn, und deshalb haben sie sich nicht selbst gereinigt und vermochten es auch nicht. Es ist unmöglich, dass jemand auf das Erscheinen des Herrn warten kann und sich nicht um zunehmende Heiligkeit bemüht, um Absonderung und Hingabe des Herzens. „Siehe, ich komme bald, glückselig ist, der wacht.“
Diejenigen, die den Herrn Jesus kennen und sein Erscheinen lieb haben,
- werden jeden Tag danach trachten, alles abzuschütteln, was den Gedanken ihres Meisters entgegen ist;
- werden danach trachten, Ihm mehr und mehr gleichgestaltet zu werden in allen Dingen.
Menschen mögen die Lehre über das Kommen des Herrn festhalten und doch nach der Welt und ihren Dingen mit heftigem Verlangen streben; der treu gesinnte Diener jedoch wird immer sein Auge fest auf die Rückkehr seines Meister gerichtet haben, indem er seiner gesegneten Worte eingedenk ist: „Ich komme wieder und werde euch zu mir nehmen, damit, wo ich bin, auch ihr seiet“ (Joh 14,3).
O welch ein Tag, wenn dann der Heiland wird erscheinen,
willkommen allen, die sein Kreuz mit Ihm geteilt!
Die Kron, die nimmer welkt, verleiht der Herr den Seinen,
den reichen Lohn für Leid und Mühsal Er austeilt.
Originaltitel: „Pre-Millennial Doctrine or Waiting for the Son?“
aus The Mackintosh Treasury, zuerst veröffentlicht 1898