Die abschließenden Ausblicke von Maleachi und Judas
oder: Ein gläubiger Überrest in Zeiten des Verfalls

Charles Henry Mackintosh

© SoundWords, online seit: 02.08.2007, aktualisiert: 03.07.2022

Leitverse: Buch Maleachi; Judasbrief

Bei einem Vergleich dieser zwei inspirierten Schriften finden wir viele Ähnlichkeiten und Gegensätze. Beide, der Prophet und der Apostel, schildern Zustände des Ruins, des Verderbens und des Abfalls. Maleachi ist mit dem Verderben des Judentums beschäftigt, Judas mit dem Verderben des Christentums.

Der Prophet Maleachi

Mal 1,2: Ich habe euch geliebt, spricht der HERR; aber ihr sprecht: „Worin hast du uns geliebt?“

Der Prophet Maleachi berichtet von Anfang an mit einer ungewöhnlichen Lebendigkeit die Quelle der Segnung Israels und das Geheimnis seines Falles. „Ich habe euch geliebt, spricht der HERR“ (Mal 1,2). Das war die Quelle aller Segnung, aller Herrlichkeit und aller Würde Israels. Die Liebe des HERRN erklärt die Herrlichkeit Israels in der Vergangenheit und begründet seine noch weit strahlenderen, zukünftigen Herrlichkeiten.

Auf der anderen Seite erklärt und begründet die unverschämte und ungläubige Gegenrede Israels „Worin hast du uns geliebt?“ die schreckliche Tiefe des gegenwärtigen Verderbens dieses Volkes. Eine solche Frage zu stellen nach allem, was der HERR von den Tagen Moses bis zu den Tagen Salomos für Israel getan hatte, bewies einen Zustand der Gefühllosigkeit, wie er niedriger nicht gedacht werden kann. Bei solchen, die mit der wunderbaren Geschichte der Wege des HERRN vor ihren Augen noch fragen konnten: „Worin hast du uns geliebt?“, war alles moralische Gefühl verschwunden. Deshalb dürfen wir uns über die scharfen Worte des Propheten nicht wundern:

Mal 1,6: Wenn ich denn Vater bin, wo ist meine Ehre? Und wenn ich Herr bin, wo ist meine Furcht?, spricht der HERR der Heerscharen zu euch, ihr Priester, die ihr meinen Namen verachtet und doch sprecht: „Womit haben wir deinen Namen verachtet?“

Sowohl in Bezug auf die Liebe des HERRN als auch im Blick auf ihre eigenen bösen Wege war die größte Gefühllosigkeit vorhanden. Nur ein völlig verhärtetes Herz konnte sagen „Worin hast du uns geliebt?“ und „Womit haben wir deinen Namen verachtet?“ angesichts einer tausendjährigen Geschichte, die einerseits von einer beispiellosen Gnade, Barmherzigkeit und Langmut Gottes Zeugnis gab und andererseits von Anfang bis zum Ende durch die Untreue, Torheit und Sünde Israels befleckt war.

Doch hören wir auf die weiteren Aussprüche des Propheten oder vielmehr auf die rührenden Vorstellungen des verachteten und beleidigten Gottes Israels:

Mal 1,7-13: Ihr bringt unreines Brot auf meinem Altar dar und sprecht doch: „Womit haben wir dich verachtet?“ Damit, dass ihr saget: „Der Tisch des HERRN ist verächtlich.“ Und wenn ihr Blindes darbringt, um es zu opfern, so ist es nichts Böses; und wenn ihr Lahmes und Krankes darbringt, so ist es nichts Böses. Bring es doch deinem Statthalter dar: Wird er dich wohlgefällig annehmen oder Rücksicht auf dich nehmen?, spricht der HERR der Heerscharen … Wäre doch nur einer unter euch, der die Türen verschlösse, damit ihr nicht vergeblich auf meinem Altar Feuer anzündetet! Ich habe kein Gefallen an euch, spricht der HERR der Heerscharen, und eine Opfergabe nehme ich nicht wohlgefällig aus eurer Hand an. Denn vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang wird mein Name groß sein unter den Nationen; und an jedem Ort wird geräuchert, dargebracht werden meinem Namen, und zwar reine Opfergaben. Denn mein Name wird groß sein unter den Nationen, spricht der HERR der Heerscharen. Ihr aber entweihet ihn, indem ihr sprecht: „Der Tisch des Herrn ist verunreinigt, und sein Einkommen, seine Speise, ist verächtlich.“ Und ihr sprecht: „Siehe, welch eine Mühsal!“ Und ihr blast ihn an, spricht der HERR der Heerscharen, und bringt Geraubtes herbei und das Lahme und das Kranke; und so bringt ihr die Opfergabe. Soll ich das wohlgefällig von eurer Hand annehmen?, spricht der HERR.

Welch ein finsteres und trauriges Gemälde vom moralischen Zustand Israels! Die öffentliche Anbetung Gottes war in äußerste Verachtung gekommen. Sein Altar war entweiht, sein Dienst verachtet. Den Priestern diente der Gottesdienst nur als ein Mittel, um ihre schmutzige Gewinnsucht zu befriedigen, und dem Volk war die ganze Sache zum Überdruss, zu einer leeren Form, zu einer toten und herzlosen Gewohnheit geworden. Da war kein Herz für Gott; das ganze Dichten und Trachten war auf schnöden Gewinn gerichtet. Mochte ein Opfertier noch so lahm und krank sein – für den Altar Gottes war es immer noch gut genug. Das Schlechteste, was zu haben war, das Lahme, Blinde und Kranke, das man einem menschlichen Herrscher niemals zu bringen gewagt hätte, wurde auf den Altar Gottes gelegt. Und wenn eine Tür geöffnet oder ein Feuer angezündet werden sollte, so musste dafür bezahlt werden. Ohne Geld keine Leistung. Das war der bedauernswerte Zustand in den Tagen Maleachis. Wahrlich, man kann nur mit tiefem Schmerz dabei verweilen.

Indes hat das Gemälde, Gott sei dafür gepriesen, auch eine Kehrseite. Es gab einige seltene und liebliche Ausnahmen von der traurigen Regel, die umso schärfer vor dem Hintergrund des Gemäldes abstachen, je düsterer dieser war. Es ist wahrhaft erfrischend, inmitten des allgemeinen Verderbens, inmitten der Kälte und Gleichgültigkeit, der Dürre und Gefühllosigkeit, des Stolzes und der Störrigkeit des Herzens solche Worte wie diese zu lesen:

Mal 3,16: Da unterredeten sich miteinander, die den HERRN fürchten, und der HERR merkte auf und hörte; und ein Gedenkbuch wurde vor ihm geschrieben für die, die den HERRN fürchten und die seinen Namen achten.

Wie kostbar sind diese wenigen Worte! Wie erfreulich ist es, diesen Überrest inmitten des moralischen Verfalls um ihn her zu betrachten! Man findet bei ihm weder Einbildung noch Anmaßung; man hört von keinem Versuch, etwas aufzurichten, von keiner Anstrengung, die verfallene Haushaltung wiederherzustellen, noch endlich von irgendwelcher Entfaltung einer eingebildeten Macht. Diese wenigen Treuen blickten im Gefühl ihrer Schwachheit zum HERRN empor und das ist – mögen wir es wohl beachten und nie vergessen! – das wahre Geheimnis aller wirklichen Kraft.

Das Bewusstsein unserer Schwachheit braucht uns keine Furcht einzuflößen. Was wir zu fürchten haben und wovor wir stets zurückschrecken sollten, ist eine eingebildete Kraft. Die gesegnetste und sicherste Regel für das Volk Gottes liegt zu allen Zeiten in den Worten: „Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“ (2Kor 12,10). Wir dürfen immer und in allen Lagen auf Gott rechnen; und es ist eine unbedingt feststehende Tatsache, dass der Zustand der bekennenden Kirche, wie niedrig er auch sein mag, nie den persönlichen Glauben hindern kann, die Gemeinschaft mit Gott im vollsten Sinn des Wortes zu genießen.

Es ist ein überaus wichtiger Grundsatz, an dem wir stets festhalten sollten: Mag das bekennende Volk Gottes auch noch so tief gesunken sein, der einzelne Gläubige, der sich selbst vor Gott richtet und demütigt, kann seine Gegenwart und seine Segnungen allezeit ohne Ziel und Schranken genießen. Dies bezeugen uns die Daniels, die Mordokais, die Esras, die Nehemias, die Josias, die Jehiskias und viele, viele andere, die mit Gott wandelten, die erhabensten Grundsätze verwirklichten und die höchsten und seltensten Vorrechte der herrschenden Haushaltung genossen, obwohl alles um sie her in hoffnungslosem Verfall lag:

  • In den Tagen des Königs Josia wurde ein Passah gefeiert, wie es seit den Tagen Samuels, des Propheten, nicht gefeiert worden war (2Chr 35,18).
  • Der schwache Überrest der Juden beging nach seiner Rückkehr aus Babylon das Laubhüttenfest – ein Vorrecht, das die Kinder Israels seit den Tagen Josuas, des Sohnes Nuns, nicht genossen hatten (Neh 8,17).
  • Mordokai errang ohne Schwertstreich einen Sieg über Amalek, wie ihn Josua in den Tagen von 2. Mose 17 nicht glänzender davongetragen hatte (Est 6,11.12).
  • In dem Buch des Propheten Daniel endlich sehen wir den stolzesten Monarchen der Erde sich vor den Füßen eines gefangenen Juden niederwerfen.

Was lehren uns alle diese Beispiele? Einfach dieses: Eine demütige, gläubige und gehorsame Seele kann die innigste und völligste Gemeinschaft mit Gott genießen – trotz des Verderbens und Verfalls des bekennenden Volkes Gottes um sie her und obgleich die Herrlichkeit von der Haushaltung gewichen sein mag, in der sie sich befindet.

So war es in dem abschließenden Ausblick Maleachis. Alles lag in hoffnungslosem Verfall. Aber das hinderte diejenigen nicht, die den Herrn liebten und fürchteten, sich um Ihn zu versammeln und sich über seinen kostbaren Namen zu unterhalten. Ohne Zweifel bestand der schwache Überrest jener Zeit in keinem Vergleich zu der großen Versammlung, die in den Tagen des Königs Salomo von Dan bis Beerseba zusammenströmte; aber er hatte eine besondere Herrlichkeit für sich: Er genoss die göttliche Gegenwart in einer nicht weniger wunderbaren, wenn auch nicht so auffallenden Weise wie damals. Wir hören nichts von einem „Gedenkbuch“ in den Tagen Salomos noch wird dort gesagt, dass „der HERR aufmerkte und hörte“. Vielleicht wird man einwenden, das sei damals nicht nötig gewesen. Sei es so; aber dies schwächt nicht die Herrlichkeit der Gnade, die über jener kleinen Herde in den Tagen Maleachis leuchtete. Wir dürfen überzeugt sein: Die Inbrunst jener kleinen Schar war dem Herzen des HERRN ebenso wohltuend wie die glänzenden Opfergaben in den Tagen der Weihe Salomos. Ihre Liebe strahlte gegenüber dem gefühllosen Formenwesen des Judentums und der schnöden Gewinnsucht der Priester umso heller hervor:

Mal 3,17-21: Und sie werden mir, spricht der HERR der Heerscharen, zum Eigentum sein an dem Tag, den ich machen werde; und ich werde sie verschonen, wie ein Mann seinen Sohn verschont, der ihm dient. Und ihr werdet wieder den Unterschied sehen zwischen dem Gerechten und dem Gottlosen, zwischen dem, der Gott dient, und dem, der ihm nicht dient. Denn siehe, der Tag kommt, brennend wie ein Ofen; und alle Übermütigen und alle Täter der Gottlosigkeit werden zu Stoppeln werden; und der kommende Tag wird sie verbrennen, spricht der HERR der Heerscharen, so dass er ihnen weder Wurzel noch Zweig lassen wird. Aber euch, die ihr meinen Namen fürchtet, wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen mit Heilung in ihren Flügeln. Und ihr werdet ausziehen und hüpfen wie Mastkälber; und ihr werdet die Gesetzlosen zertreten, denn sie werden Asche sein unter euren Fußsohlen an dem Tag, den ich machen werde, spricht der HERR der Heerscharen.

Der Judasbrief

Werfen wir jetzt einen kurzen Blick auf den Brief des Judas. Hier finden wir ein noch abschreckenderes Bild von Abfall und Verderben. Man sagt mit Recht, das Verderben der besten Sache sei das schlimmste Verderben oder mit anderen Worten: Je schöner ein Ding, desto schrecklicher sein Verderben. Aus diesem Grund ist auch die Beschreibung, die Judas vor unseren Blicken entrollt, noch weit düsterer und abschreckender als die des Propheten Maleachi. Es ist der gänzliche Verfall des Menschen unter den höchsten und herrlichsten Vorrechten, die ihm jemals anvertraut werden konnten.

Gleich im Anfang seiner feierlichen Anrede lässt uns Judas wissen, dass es seine Absicht war, ja dass er allen Fleiß angewandt habe, uns „über unser gemeinsames Heil zu schreiben“ (Jud 3). Es würde die weitaus angenehmste Beschäftigung, ja eine Freude und Erquickung für ihn gewesen sein, wenn er sich über die gegenwärtigen Vorrechte und zukünftigen Herrlichkeiten hätte verbreiten können, die alle in dem kostbaren Wörtchen „Heil“ für den Gläubigen eingeschlossen sind. Allein er sah sich „genötigt“, davon abzustehen, um die Seelen der Gläubigen zu befestigen gegenüber dem immer mehr anschwellenden Strom des Irrtums und Bösen, der die wahren Grundlagen des Christentums umzustürzen drohte.

Jud 3: Geliebte, während ich allen Fleiß anwandte, euch über unser gemeinsames Heil zu schreiben, war ich genötigt, euch zu schreiben und zu ermahnen, für den einmal den Heiligen überlieferten Glauben zu kämpfen.

Das Wesen und Fundament des Christentums stand in Frage; es galt, in allem Ernst für den Glauben selbst zu kämpfen.

Jud 4: Denn gewisse Menschen haben sich nebeneingeschlichen, die schon längst zu diesem Gericht zuvor aufgezeichnet waren, Gottlose, die die Gnade unseres Gottes in Ausschweifung verkehren und unseren alleinigen Gebieter und Herrn Jesus Christus verleugnen.

Das war weit schlimmer als alles, was wir in Maleachi fanden. Dort handelte es sich um das Gesetz: „Gedenkt des Gesetzes Moses, meines Knechtes, das ich ihm auf dem Horeb an ganz Israel geboten habe – Satzungen und Rechte“ (Mal 3,22). Aber im Judasbrief handelt es sich nicht um das Vergessen des Gesetzes, sondern dass man die reine und kostbare Gnade Gottes in Ausschweifung verkehrte und die Herrschaft Christi verleugnete. Anstatt daher bei dem Heil Gottes verweilen zu können, war der Apostel gezwungen, die Gläubigen zu ermahnen und sie gegenüber der Bosheit und Gesetzlosigkeit der Menschen zu befestigen. Er sagt:

Jud 5.6: Ich will euch aber, die ihr ein für alle Mal alles wusstet, daran erinnern, dass der Herr, nachdem er das Volk aus dem Land Ägypten gerettet hatte, zum anderen die vertilgte, die nicht geglaubt haben; und Engel, die ihren ersten Zustand nicht bewahrt, sondern ihre eigene Behausung verlassen haben, hat er zum Gericht des großen Tages mit ewigen Ketten unter der Finsternis verwahrt.

Dies alles ist sehr ernst; jedoch möchten wir für jetzt nicht länger bei den finsteren Zügen dieser Szene verweilen. Betrachten wir vielmehr das anziehende Bild des christlichen Überrestes, das wir am Schluss dieses ernsten Briefes finden. Wie uns Maleachi eine kleine Schar jüdischer Anbeter zeigt, die inmitten des traurigen Verfalls des Judentums den Herrn liebten und fürchteten und Gemeinschaft miteinander pflegten, so führt der Heilige Geist in diesem Brief ein Häuflein Getreuer vor unsere Blicke, die inmitten des noch schrecklicheren Verderbens der bekennenden Kirche ihrer Berufung treu geblieben waren und die der Apostel mit dem Namen „Geliebte“ bezeichnet (Jud 17).

Sie waren die „in Gott, dem Vater, geliebten und in Jesus Christus bewahrten Berufenen“; diese warnt er ernstlich vor den verschiedenen Formen des Irrtums und des Bösen, die schon damals sichtbar wurden, seitdem aber eine so furchtbare Ausdehnung gewonnen haben. In eindringlicher und zugleich liebevoller Weise ermahnt er sie:

Jud 20.21: Ihr aber, Geliebte, euch selbst erbauend auf euren allerheiligsten Glauben, betend im Heiligen Geist, erhaltet euch selbst in der Liebe Gottes, indem ihr die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesus Christus erwartet zum ewigen Leben.

Hier haben wir die göttliche Sicherheit gegen alle die finsteren und schrecklichen Formen des Abfalls: „Den Weg Kains, den Irrtum Bileams und den Widerspruch Korahs“, „das Murren und Klagen“, „die stolzen Worte“, „die wilden Meereswogen“, „die Irrsterne“, „das Bewundern der Personen Vorteils halber“. Die „Geliebten“ sollen „sich selbst auferbauen auf ihren allerheiligsten Glauben“.

Möge der Leser dies wohl beachten! Mit keiner Silbe wird auf die Nachfolge der Apostel hingewiesen, und wir finden nicht ein einziges Wort über besonders begabte Personen. Es ist gut, wenn wir dieses sehen und uns stets daran erinnern. Wie oft hört man klagen über unseren Mangel an Gaben und Kraft und dass wir keine Pastoren und Lehrer hätten. Wie könnten wir erwarten, Gnadenkräfte zu haben? Haben wir sie verdient? Leider haben wir gefehlt und gesündigt und in so mancher Hinsicht unserer Berufung nicht entsprochen. Lasst uns dies anerkennen und uns auf den lebendigen Gott stützen! Wir werden dann erfahren, dass Er ein auf Ihn vertrauendes Herz nie zuschanden werden lässt.

Betrachtet, was Paulus in seiner letzten, rührenden Ansprache an die Ältesten von Ephesus sagt. Wem befiehlt der Apostel Paulus die Gläubigen hinsichtlich des Aufhörens des apostolischen Dienstes an? Redet er ein Wort von apostolischer Nachfolge? Nicht im Geringsten; vielmehr spricht er von „verderblichen Wölfen“ oder von Männern, die aus ihrer Mitte aufstehen und verkehrte Dinge reden würden, um die Jünger abzuziehen hinter sich her. Worin besteht nun die Hilfsquelle des Glaubens? Hören wir, was der Apostel sagt: „Und nun befehle ich euch Gott und dem Wort seiner Gnade an, das vermag aufzuerbauen und das Erbe zu geben unter allen Geheiligten“ (Apg 20,32).

Welch eine kostbare Hilfsquelle! Kein Wort wird gesagt von begabten Männern, so schätzenswert diese auch an ihrem richtigen Platz sein mögen. Gott bewahre uns vor irgendwelcher Geringschätzung der Gaben, die der Herr in seiner Gnade trotz all unsrer Fehler und Sünden seiner Kirche darzureichen für gut findet! Aber dennoch bleibt es eine unumstößliche Wahrheit, dass der Apostel bei seinem Abschied von der Kirche uns nicht begabten Männern anbefiehlt, sondern Gott selbst und dem Wort seiner Gnade. Hieraus folgt: Mag unsere Schwachheit auch noch so groß sein, wir haben  nur auf Gott zu blicken und auf Ihn zu vertrauen. Seine Gnade kennt keine Schranken; Er beschämt nie eine Seele, die auf Ihn vertraut, und Er vermag uns in überströmender Fülle zu segnen, wenn wir nur einfältig und demütig wie Kinder auf Ihn allein rechnen.

In dieser Demut und in diesem Vertrauen auf Gott liegt das Geheimnis aller wahrer Segnung und geistlichen Kraft. Einerseits haben wir uns keine Kraft anzumaßen, und andererseits dürfen wir nicht dem Unglauben unserer Herzen erlauben, der Güte und Treue Gottes Schranken zu setzen. Er kann und wird seinem Volk die nötigen Gaben zur Auferbauung darreichen, und Er wird dies umso mehr tun, je mehr wir auf Ihn warten und nicht selbst die Hand ans Werk legen. Würde die Kirche mehr auf Christus, ihr lebendiges Haupt und ihren liebenden Herrn, geblickt haben anstatt auf menschliche Einrichtungen und auf die Hilfsmittel dieser Welt, wahrlich, sie würde eine ganz andere Geschichte aufzuweisen haben. Wenn wir, geleitet durch unsere ungläubigen Pläne, ruhelos unsere eigenen Einrichtungen zu treffen suchen und so den Heiligen Geist betrüben, auslöschen und hindern, was anders können wir dann erwarten als Dürre und Leere, Enttäuschung und Verwirrung? Christus genügt allezeit und für alles; aber wir müssen in Wahrheit auf Ihn harren, Ihm vertrauen und Ihn wirken lassen. Die Bahn muss völlig frei bleiben für die Wirksamkeit des Heiligen Geistes zur Entfaltung der Kostbarkeit, Fülle und Allgenügsamkeit Christi.

Aber leider fehlen wir gerade hierin am meisten. Wir suchen unsere Schwachheit zu verbergen, anstatt sie anzuerkennen; und anstatt hinsichtlich all unsrer Bedürfnisse einfältig und gänzlich auf Christus zu vertrauen, suchen wir unsere Blöße mit einem selbst gewirkten Gewand zu bedecken. Wir werden des demütigen und geduldigen Wartens auf Ihn müde und sind nur zu bereit, uns den Schein der Kraft zu geben. Nichts ist törichter als das und nichts schadet uns mehr. Ach, wenn wir es nur glauben wollten, dass unsre wirkliche Kraft darin liegt, unsere Schwachheit zu kennen und anzuerkennen und uns von Tag zu Tag an Christus anzuklammern in ungekünsteltem Glauben!

Diesen vortrefflichen Weg einzuschlagen, dazu ermahnt Judas in den Schlusszeilen seines Briefes den christlichen Überrest:

Jud 20.21: Ihr aber, Geliebte, euch selbst erbauend auf euren allerheiligsten Glauben, betend im Heiligen Geist, erhaltet euch selbst in der Liebe Gottes, indem ihr die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesus Christus erwartet zum ewigen Leben.

Diese Worte bezeugen offenbar die Verantwortlichkeit aller wahren Christen, miteinander verbunden, nicht aber getrennt und zerstreut zu sein. Wir sollen einander in Liebe nach dem Maß der uns mitgeteilten Gnade und nach der Art der uns verliehenen Gaben dienen. „Euch selbst erbauend“ – das ist eine gegenseitige Sache. Wir haben nicht auf menschliche Anordnungen zu blicken noch sollen wir bei der Klage über unseren Mangel an Gaben stehenbleiben; nein, ein jeder sollte einfältig tun, was er kann, um den gemeinschaftlichen Segen und den Nutzen aller zu fördern.

Der Leser wolle die vier Dinge beachten, zu deren Ausführung wir ermahnt werden:

  • erbauen
  • beten
  • erhalten
  • erwarten

Welch ein gesegnetes Werk ist das, und zwar ein Werk für alle! Es gibt nicht einen einzigen wahren Christen auf der Erde, der nicht einige dieser Dienstleistungen oder sie alle erfüllen könnte; ja ein jeder ist verantwortlich, der Ermahnung des Apostels nachzukommen. Wir können

  • uns selbst auferbauen auf unseren allerheiligsten Glauben;
  • beten im Heiligen Geist;
  • uns selbst erhalten in der Liebe Gottes; und indem wir dieses tun,
  • können wir die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesus Christus erwarten.

Fragt man, wer die „Geliebten“ seien, so antworten wir: alle, die durch die Gnade Gottes ein Anrecht auf diesen gesegneten Titel haben. Es ist nicht ein angenommener Name oder ein leeres Bekenntnis, sondern die Bezeichnung der wahren Stellung der Christen. Und ein jeder sehe zu, ob er auf dem Boden derer stehe, die so genannt sind.

Indes beschränkt sich die Verantwortlichkeit des christlichen Überrestes nicht auf die vier genannten Dinge. Er soll nicht bloß an sich denken, sondern auch in helfender Liebe seine Hand zu denen ausstrecken, die in Gefahr sind:

Jud 22.23: Und die einen, die streiten, weist zurecht, die anderen aber rettet mit Furcht, sie aus dem Feuer reißend, indem ihr auch das vom Fleisch befleckte Kleid hasst.

Wer sind hier die „einen“ und wer die „anderen“? Beide Ausdrücke sind ebenso unbestimmt und doch auch wieder so weit umfassend wie der Ausdruck „Geliebte“. Und dies ist schön; denn obwohl die Personen, an die der Apostel denkt, nicht näher bezeichnet werden, so wird es den „Geliebten“ doch nicht schwerfallen, sie ausfindig zu machen. Es gibt viele teure Seelen, die überall inmitten der verfallenen Christenheit zerstreut sind, von der die einen zurechtgewiesen und die anderen mit Furcht gerettet werden müssen – mit göttlicher Furcht, damit die „Geliebten“ nicht in ihre Befleckung mit verwickelt werden.

Die Annahme, dass man in das Feuer hineingehen müsse, um einen anderen daraus zu reißen, ist ganz und gar verkehrt. Vielmehr muss ich mich, um jemand aus einer bösen Stellung befreien zu können, zunächst selbst außerhalb befinden. Denn wie kann ich jemand aus einem Sumpf ziehen? Sicherlich nicht, indem ich in den Sumpf hineingehe, sondern indem ich mich auf festen Boden stelle und ihm von dort aus meine helfende Hand entgegenstrecke. Unmöglich kann ich jemand aus etwas herausreißen, es sei denn, ich befinde mich selbst außerhalb.

Darum: Wenn wir den Gläubigen helfen wollen, die in das Verderben der Christenheit verwickelt sind, so müssen wir zunächst selbst entschieden davon getrennt sein. Doch dies allein genügt noch nicht: Wollen wir ihnen wirklich von Nutzen sein, so müssen unsere Herzen in lauterer, inbrünstiger Liebe allen denen entgegenschlagen, die dem Herrn angehören.

Indem wir hiermit schließen, möchten wir die Aufmerksamkeit des Lesers noch auf die Lobpreisung lenken, mit der der Apostel seinen ernsten und wichtigen Brief beendet:

Jud 24.25: Dem aber, der euch ohne Straucheln zu bewahren und vor seiner Herrlichkeit tadellos darzustellen vermag mit Frohlocken, dem alleinigen Gott, unserem Heiland, durch Jesus Christus, unseren Herrn, sei Herrlichkeit, Majestät, Macht und Gewalt vor aller Zeit und jetzt und in alle Ewigkeit! Amen.“

Wir hören in diesem Brief viel von Straucheln – Israel ist gestrauchelt, Engel sind gestrauchelt, Städte sind gefallen. Gott aber sei Dank! Da ist Einer, der uns ohne Straucheln zu bewahren vermag, und seiner heiligen Bewahrung sind wir übergeben.


Originaltitel: „The Closing Scenes of Malachi and Jude“
aus Short Papers on Scripture Subjects, Bd. 1, S. 225–233

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