Wie verkünden wir heute das Evangelium?
Lukas 24,47; Apostelgeschichte 17,30

Charles Henry Mackintosh

© SoundWords, online seit: 16.01.2003, aktualisiert: 22.05.2022

Leitverse: Lukas 24,47; Apostelgeschichte 17,30

Lk 24,47: So steht geschrieben, dass … in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden gepredigt werden sollten allen Nationen.

Apg 17,30:
Nachdem nun Gott die Zeiten der Unwissenheit übersehen hat, gebietet er jetzt den Menschen, dass sie alle überall Buße tun sollen.

Buße und Vergebung der Sünden

In unseren Tagen haben wir es nötig, uns daran erinnern zu lassen, dass die Apostel vom Herrn Jesus den Auftrag hatten, den Menschen „Buße und Vergebung der Sünden“ zu predigen, da heute in vielen Evangelisationspredigten der erste Teil dieses Auftrages häufig übergangen und nur der zweite erfüllt wird. Das ist ein großer Schaden, nicht nur für unsere Zuhörer, sondern auch für uns selbst. Wir sind verpflichtet, uns streng an den ganzen Wortlaut des göttlichen Auftrages zu halten, und dürfen nicht einen einzigen Punkt, geschweige denn den Hauptpunkt einfach weglassen. Unser Herr ist unendlich weiser und gnädiger als wir, und wir brauchen uns nicht zu fürchten, alles das zu predigen, was Er seinen Aposteln zu predigen befahl: „Buße und Vergebung der Sünden“.

Wenn heutzutage ein Prediger des Evangeliums seine Zuhörer auffordert, Buße zu tun, sich zu Gott zu bekehren und der Buße würdige Früchte zu bringen, wird er in gewissen Kreisen als gesetzlich, unweise und lieblos bezeichnet. Und doch war es gerade dies, was der Apostel Paulus tat, wie er es uns selbst berichtet. Hätte wohl einer unserer heutigen Evangelisten den Mut, zu behaupten, Paulus sei ein gesetzlicher oder unweiser Prediger gewesen? Sicher nicht! Paulus brachte das volle, klare, kostbare Evangelium Gottes, das „Evangelium der Gnade Gottes“ (Apg 20,24) und das „Evangelium der Herrlichkeit … Gottes“ (1Tim 1,11). Er predigte das Reich Gottes und enthüllte das wunderbare Geheimnis der Kirche oder Versammlung, denn mit dieser Aufgabe war er besonders betraut worden.

Aber erinnern wir uns daran, dass Paulus auch Buße predigte. Er forderte Sünder zum Selbstgericht, zur Buße in Staub und Asche auf, und das ebenso billig wie recht. Er selbst hatte wahre Buße kennengelernt. Er hatte sich nicht nur einmal bei seiner Bekehrung selbst gerichtet, sondern er lebte im Geist des Selbstgerichts. Das war der Zustand seiner Seele, die Stellung seines Herzens, und das gab seiner Predigt einen solchen Ernst und eine Feierlichkeit, die heute vielen Predigern nur wenig bekannt sind. Er blieb sein ganzes Leben lang ein Mensch, der durch Selbstgericht gekennzeichnet war. Schmälerte dies etwa seinen Genuss der Gnade Gottes oder der Kostbarkeit der Person Christi? Im Gegenteil, es verlieh diesem Genuss Tiefe und nachhaltige Kraft.

Darüber sollten wir einmal ernstlich nachdenken, denn wir fürchten sehr die Oberflächlichkeit vieler unserer heutigen Predigten. Uns scheint, dass das Evangelium oft verächtlich gemacht wird dadurch, dass man den Menschen glauben macht, er tue Gott einen großen Gefallen, wenn er die Errettung aus seinen Händen annimmt. Gegen eine solche Auffassung müssen wir feierlich protestieren. Sie entehrt Gott und erniedrigt das Evangelium, und die sittliche Wirkung einer solchen Predigt bei denen, die bekehrt zu sein scheinen, ist tief beklagenswert. Sie führt zu Leichtfertigkeit, zu Nachsicht gegen sich selbst, zu Oberflächlichkeit und Weltlichkeit. Die Sünde wird nicht als die schreckliche Sache gefühlt, die sie in den Augen Gottes ist; das Ich wird nicht gerichtet und die Welt nicht aufgegeben. Das Evangelium auf diese Weise zu verkündigen, heißt, die Errettung dem Fleisch leicht zu machen – das Schrecklichste, was wir uns denken können, schrecklich in seiner Wirkung auf die Seele und schrecklich in seinen Resultaten im Leben. Gottes Urteil über das Fleisch und über die Welt hat in einer solchen Predigt keinen Platz. Vielmehr wird den Menschen eine Errettung angeboten, die praktisch das Ich und die Welt ungerichtet lassen, und die Folge ist, dass die, die durch dieses Evangelium bekehrt zu sein vorgeben, eine Leichtfertigkeit und Gleichgültigkeit offenbaren, die den wahrhaft Gläubigen zum Anstoß sind.

Man wird vielleicht sagen, diese traurigen Resultate seien dem Umstand zuzuschreiben, dass die himmlische Seite des Evangeliums weggelassen und ein verherrlichter Christus und ein volles Evangelium der Auferstehung nicht verkündigt werde, so dass mehr der Mensch und seine Bedürfnisse in den Vordergrund gestellt würden statt Gott und seine Herrlichkeit. Christus werde eher in unsere Umstände herabgezogen, als dass wir in Gottes Gegenwart, in Gemeinschaft mit einem auferstandenen und verherrlichten Christus gebracht würden. Zum großen Teil mag es daran liegen, und wir sind gern bereit, dem, was über diese Seite der Frage gesagt wird, eine gewisse Berechtigung einzuräumen. Aber wir müssen doch auf die wichtige Tatsache zurückkommen, dass der große Apostel Paulus, der ganz gewiss das Evangelium in all seiner Fülle und Macht predigte, auf Buße drang. Das kann nicht beiseitegesetzt werden. Der Mensch muss seinen wahren Platz vor Gott einnehmen, was allein in wahrer Herzensreue durch Selbstgericht, durch aufrichtigen Schmerz über die Sünde und ein echtes Bekenntnis geschieht. Die Fülle Gottes wartet immer auf ein leeres Gefäß – und eine wirklich reumütige Seele ist ein leeres Gefäß –, in das die ganze Fülle der Gnade Gottes in errettender Macht fließen kann. Der Heilige Geist will den Sünder seine wirkliche Lage fühlen und eingestehen lassen, und Er allein kann es tun und benutzt zu diesem Zweck die Predigt. Er führt das Wort Gottes dem Gewissen des Menschen zu, denn das Wort ist sein Hammer, mit dem Er den Felsen in Stücke zerschlägt, und seine Pflugschar, die den Erdboden aufbricht. Es zieht die Furche für die Aufnahme des unverweslichen Samens, damit er keime und Frucht bringe zur Verherrlichung Gottes. Sicher kann die Furche, so tief sie auch sein mag, keine Frucht bringen. Das tut ohne Frage der Same und nicht die Furche, aber diese muss zu seinem Aufgehen vorhanden sein.

In der Buße des Sünders – müssen wir es besonders betonen? – liegt nichts Verdienstliches. Sie so zu betrachten, wäre äußerst vermessen. Buße ist kein gutes Werk, durch das der Sünder Gottes Gunst verdiente. Ein solcher Gedanke ist nicht nur falsch, sondern geradezu unheilbringend. Wahre Buße ist die Entdeckung und das aufrichtige Bekenntnis unseres gänzlichen Verderbens und unserer Schuld, die Erkenntnis, dass mein ganzes Leben eine Lüge war und ich selbst ein Lügner bin. Das ist eine sehr ernste Sache. Wenn eine Seele dahin gebracht wird, gibt es keine Leichtfertigkeit und keine Großtuerei. Eine reuige Seele in der Gegenwart Gottes ist eine feierliche Wirklichkeit, und wir können uns des Gefühls nicht erwehren, dass wir, ließen wir uns mehr durch den Wortlaut des Auftrags unseres Herrn leiten, die Menschen ernster, eindringlicher und beständiger auffordern würden, Buße zu tun und sich zu Gott zu bekehren, um der Buße würdige Früchte zu bringen. Wir würden sowohl Buße predigen als auch Vergebung der Sünden.

Kein Mensch kann Gott auf dem Boden der Unbußfertigkeit begegnen, aber auf dem Boden der Buße kann Gott sich zu jedem Sünder, selbst dem größten, herablassen, denn dies ist des Menschen wahrer Platz. Mit vollster Zuversicht dürfen wir sagen, dass die ganze Frage ein für alle Mal geordnet ist, sobald der Sünder, wie er ist, mit Gott, so wie Er ist, zusammentrifft. „Ich sprach: ‚Ich will dem HERRN meine Übertretungen bekennen; und du hast die Ungerechtigkeit meiner Sünde vergeben“ (Ps 32,5). In dem Augenblick, wo der Mensch seinen wahren Platz, den Platz der Buße, einnimmt, begegnet Gott ihm mit einer vollen Vergebung, einer göttlichen, ewigen Gerechtigkeit. Es ist seine Freude, so zu handeln, und es befriedigt sein Herz und verherrlicht seinen Namen, wenn Er einer bußfertigen Seele, die einfach an den Herrn Jesus glaubt, vergeben, sie annehmen und rechtfertigen kann. Sobald der Prophet ausrief: „Wehe mir! Denn ich bin verloren“, flog ein Seraphim mit einer glühenden Kohle vom Altar zu ihm, berührte damit seinen Mund und sprach: „Siehe, dies hat deine Lippen berührt; und so ist deine Ungerechtigkeit gewichen und deine Sünde gesühnt“ (Jes 6,5-7).

Hier sehen wir den schönen Zusammenhang zwischen dem ersten und dem zweiten Teil des Auftrages des Herrn, nämlich zwischen „Buße“ und „Vergebung der Sünden“. Sie sind unzertrennlich miteinander verbunden und von Gott vorgeschrieben. Daher „gebietet er jetzt den Menschen, dass sie alle überall Buße tun sollen“ (Apg 17,30), und wir dürfen hinzufügen: Je tiefer und gründlicher das Werk der Buße ist, umso tiefer und bleibender wird die Freude über die Vergebung der Sünden sein. Es ist die Freude des Herzens Gottes, uns unsere Sünden zu vergeben und den ganzen Strom seiner vergebenden Liebe in das zerbrochene und zerschlagene Herz des Sünders fließen zu lassen.

Fast zweitausend Jahre sind vergangen, seit der auferstandene Heiland seine Boten aussandte, und noch immer darf die gute Botschaft verkündigt werden, weil Er in seiner langmütigen und liebreichen Gnade nicht will, dass irgendjemand verlorengehe. Warum sind wir nicht willigeren Herzens, seine Gnadenabsichten ausführen zu helfen? Es ist durchaus nicht nötig, dass wir große Prediger oder mächtige öffentliche Redner sind. Was wir brauchen, ist ein Herz, das in Gemeinschaft mit dem Herzen Gottes und Christi und daher um das Heil verlorener Menschen besorgt ist. Wir glauben nicht und können nicht glauben, dass jemand, der nicht von herzlichem Verlangen nach der Errettung verlorener Sünder geleitet wird, wirklich in Übereinstimmung mit der Gesinnung Christi sein kann. Wir können nicht seine Gegenwart und Gemeinschaft genießen, ohne uns um die Seelen unserer Mitmenschen zu kümmern. Denn wer bemühte sich jemals um Menschenseelen wie Er? Beschäftigen wir uns daher mehr mit seinem wunderbaren Weg, mit seiner rastlosen und mühevollen Arbeit als Prediger und Lehrer, mit seinem herzlichen Verlangen nach der Errettung und Segnung der Menschen! Hat Er uns nicht ein Beispiel hinterlassen, damit wir seinen Fußstapfen nachfolgen? Tun wir es in dieser einen Sache, das teure Evangelium zu verkündigen? Suchen wir Ihn nachzuahmen in seinem ernsten Verlangen, das Verlorene zu suchen? Betrachte Ihn am Brunnen von Sichar, höre seine ernsten, liebevollen Worte, und sieh die Freude und Erfrischung seines Geistes, sobald Er einen armen Sünder seine Botschaft annehmen sieht! „Ich habe eine Speise zu essen, die ihr nicht kennt. … Erhebt eure Augen und schaut die Felder an, denn sie sind schon weiß zur Ernte. Der erntet, empfängt Lohn und sammelt Frucht zum ewigen Leben, damit beide, der sät und der erntet, zugleich sich freuen“ (Joh 4,32-36).

Wir können den Gedanken nicht loswerden, dass es uns bei allem Schreiben und Lesen, bei allem Sprechen und Hören, bei allem Kommen und Gehen an ernstem, persönlichem Umgang mit einzelnen Seelen mangelt. Wie oft begnügen wir uns, Menschen zur Predigt des Evangeliums einzuladen, statt zu versuchen, sie direkt zu Christus zu führen! Ohne Zweifel ist es gut, dass wir das Evangelium predigen und Menschen dazu einladen, aber seien wir versichert, dass es um mehr als dieses geht, und das sollten wir in inniger Gemeinschaft mit dem Herzen und der Gesinnung Christi tun.

Es mag auch heute Gläubige geben, die von dem gesegneten Werk der Evangelisation nicht viel halten. Wir fürchten um sie und sind überzeugt, dass sie nicht die Gesinnung des Meisters haben, und deshalb verwerfen wir ihre Gedanken. Ihre Herzen sind kalt gegenüber einer Sache, die Gottes Herz erfüllt, und sie sollten sich dieser Einstellung wegen demütigen. Zumindest sollten sie sich hüten, andere zu entmutigen, deren Herzen der Herr gerührt hat, für verlorene Menschen besorgt zu sein. Die Tage, in denen wir leben, sind ganz gewiss nicht geeignet, den treuen Arbeitern am Evangelium Schwierigkeiten zu bereiten oder ihnen Steine des Anstoßes in den Weg zu legen. Vielmehr liegt es an uns, auf alle Weise die Hände aller zu stärken, die sich in Gottesfurcht und nach ihrem Maß bemühen, die Frohe Botschaft zu verkündigen und die unausforschlichen Reichtümer Christi bekannt zu machen.

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