Josaphat und seine merkwürdige Laufbahn
2. Chronika 17–20

Charles Henry Mackintosh

© SoundWords, online seit: 05.09.2016, aktualisiert: 18.05.2024

Leitverse: 2. Chronika 17–20

Ein guter Anfang (2Chr 17)

In 2. Chronika 17 finden wir einen Teil der Geschichte Josaphats, des Königs von Juda. Wir sehen hier, wie der HERR in der Hand dieses Königs das Königtum befestigt und wie das Volk den König als seinen Herrscher anerkennt (2Chr 17,5). Die erste Handlung, die von Josaphat aufgezeichnet wird, ist, dass er sich „stark gegen Israel“ zeigte (2Chr 17,1). Das ist beachtenswert. Israel [= Nordreich] und der König Israels [= Ahab] dienten ihm beständig zum Fallstrick. Aber im Anfang seiner Regierung, in den Tagen seiner ersten Frische sehen wir, dass er sich stark zeigt gegen Israel.

Oft wird dieses in der Lebensgeschichte einzelner Christen beobachtet. Das Böse, das ihnen in späterer Zeit zur gefährlichen Schlinge wurde, war gerade das, wogegen sie in den ersten Tagen sorgfältig wachsam gewesen waren. Ein Glück ist es, wenn der Geist der Wachsamkeit mit dem Wachsen in der Erkenntnis der Neigungen und Empfänglichkeiten unseres Herzens gleichen Schritt hält. Doch leider ist dies nicht immer der Fall. Wie finden wir im Gegenteil so oft, dass die Gläubigen sich nach wenigen Jahren mit Dingen einlassen, denen ihr Gewissen in früherer Zeit mit aller Entschiedenheit entgegentrat! Dies mag den Schein haben, als hätten sie einen gesetzlichen Geist abgelegt; aber ist es nicht vielmehr so, dass sie ein zartfühlendes Gewissen abgelegt haben? Es würde wirklich zu beklagen sein, wenn ein sorgloses Gemüt und ein abgestumpftes Gewissen die Folge einer klareren Einsicht wären und wenn tieferes Eindringen in die Wahrheit dazu führte, die, welche sich früher verleugneten, gleichgültig und weltförmig zu machen.

Doch dies ist nicht der Fall. In der Erkenntnis der Wahrheit zu wachsen, heißt, in der Erkenntnis Gottes zu wachsen; und in der Erkenntnis Gottes wachsen, heißt, in der praktischen Heiligkeit zu wachsen. Das Gewissen, das ohne Beschuldigung solche Dinge geschehen lassen kann, vor denen es früher zurückschreckte, steht nicht unter dem Einfluss der Wahrheit Gottes, sondern im Gegenteil unter dem verhärtenden Einfluss des Betruges der Sünde.

Josaphat nahm nicht nur alles in Besitz, was Asa, sein Vater, erobert hatte, sondern tat auch Schritte, um sein Königreich zu befestigen und es durch Ergreifen geeigneter Maßregeln zu verwalten. Überall zeigte sich große Ordnung: „Und der HERR war mit Josaphat; denn er wandelte auf den früheren Wegen seines Vaters David und suchte nicht die Baalim, sondern er suchte den Gott seines Vaters und wandelte in seinen Geboten und nicht nach dem Tun Israels. Und der HERR befestigte das Königtum in seiner Hand; und ganz Juda gab Josaphat Geschenke, und er hatte Reichtum und Ehre in Fülle. Und sein Herz gewann Mut auf den Wegen des HERRN, und er tat noch die Höhen und die Ascherim aus Juda weg“ (2Chr 17,3-6). Das war das wahre Geheimnis seines Glückes. „Sein Herz gewann Mut auf den Wegen des HERRN.“ Wenn das Herz also gehoben wird, bewegt sich alles in gutem Geleise.

Gemeinschaft mit der Welt (2Chr 18)

Doch in Kapitel 18 finden wir die Dinge in einer ganz anderen Lage. Das Glück Josaphats wird für ihn in der Hand des Teufels zu einem Fallstrick: „So hatte Josaphat Reichtum und Ehre in Fülle. Und er verschwägerte sich mit Ahab“ (2Chr 18,1). Wir haben bereits angedeutet, dass er sein Königtum befestigte, aber der Feind tritt ihm, ohne dass er es ahnt, in den Weg und überfällt nicht sein Königreich, sondern sein Herz. Er kommt nicht gleich einem Löwen, sondern gleich einer Schlange. Er bedient sich nicht der Kriegsleute, sondern des „Klein- und Rindviehes“ Ahabs. Eine Kriegserklärung vonseiten Ahabs würde Josaphat zu dem HERRN getrieben haben; darum wählt jener einen anderen Angriffsplan. Das Königreich Josaphats ist wider die feindseligen Maßregeln Ahabs erstarkt, aber das Herz Josaphats liegt offen für die Verlockungen Ahabs. Das war von großer Bedeutung. Wir sind oft wachsam gegen das Böse in der einen Form, während wir es in einer anderen Form auf uns einwirken lassen. Josaphat hatte sich anfangs wider Israel gestärkt, während er sich jetzt mit dem König Israels verschwägert. Und warum? War vielleicht irgendeine Veränderung zum Guten in Aussicht gestellt und hatte sich das Herz des gottlosen Königs Ahab etwa zu dem HERRN gewandt? Keineswegs. Er war der Gleiche geblieben; aber das Gewissen Josaphats hatte viel von dem früheren Zartgefühl eingebüßt; er hatte sich mehr dem Bösen zugeneigt und war in geheime Berührung mit dem Bösen gekommen; er war, wie man zu sagen pflegt, mit Pech umgegangen und hatte sich besudelt. Er verschwägerte sich mit Ahab. Das war der Kern der Sache. Und dieses Böse muss, wie langsam es auch wirken mag, früher oder später seine eigenen Früchte tragen. „Denn wer für sein eigenes Fleisch sät, wird von dem Fleisch Verderben ernten“ (Gal 6,8). Diese Wahrheit wird zu seiner Zeit zum Vorschein kommen. Der HERR nahm die gegen Uria begangene Sünde Davids weg; aber das Kind starb; und Absalom empörte sich. So ist es immer. Wenn wir für das Fleisch säen, müssen wir von dem Fleisch Verderben ernten; das Fleisch kann nichts anderes hervorbringen.

Im Falle Josaphats geschah es erst nach Jahren, dass sich die Folgen seines verkehrten Schrittes offenbarten. „Und nach Verlauf von einigen Jahren zog er zu Ahab nach Samaria hinab; und Ahab schlachtete für ihn und für das Volk, das bei ihm war, Klein- und Rindvieh in Menge; und er verleitete ihn, gegen Ramot-Gilead hinaufzuziehen“ (2Chr 18,2). Satan kennt das Ter­rain, er weiß, wo der böse Same Wurzel gefasst hat; er sieht das Herz, das bereit ist, seinen Verlockungen Gehör zu geben; er begreift, dass die Verschwägerung, in die der König von Juda mit dem König von Israel getreten ist, den König von Juda zu weiteren Schritten in einer verkehrten Gesinnung vorbereitet hat. Sobald ein Christ mit der Welt in Verbindung tritt, bringt er sich selbst in Gefahr, durch die Welt verleitet oder angespornt zu werden, um unchristliche Handlungen zu begehen. David nahm Ziklag aus der Hand des Philisterkönigs Achis (1Sam 27,6), und der folgende Schritt bestand darin, dass er sich mit Achis wider Israel verbündete (1Sam 28,1). Die Welt wird einem Kind Gottes nie etwas schenken, ohne ihrerseits große Forderungen zu stellen. Nachdem der König von Juda die Schafe und Rinder Ahabs für sich hatte schlachten lassen, musste er es schwer finden, das Begehren Ahabs, ihm wider Ramoth-Gilead beizustehen, abzuschlagen. Der sicherste Weg ist daher, der Welt nichts schuldig zu sein. Josaphat hätte mit Ahab nichts zu schaffen haben sollen, er hätte sich „von der Welt unbefleckt“ erhalten müssen (Jak 1,27). Der HERR war nicht mit Ahab; und obwohl es wünschenswert erscheinen mochte, eine der Freistädte aus Feindes Hand zurückzuerobern, so hätte auch Josaphat wissen sollen, dass das Böse nicht ausgeführt werden darf, damit das Gute daraus hervorgehe.

Ramot-Gilead war von alters her als eine Freistadt für den Totschläger bezeichnet worden (5Mo 4,42.43); und es war der Zweck des Kriegszuges Ahabs, diese Stadt aus den Händen des Königs von Syrien wiederzuerobern. Aber trotz allem werden wir den Fallstrick des Feindes wahrnehmen, der sich sicher wenig um die Stadt bekümmerte, aber der große Stücke darauf hielt, einen Diener Gottes von dem Weg der Absonderung und Reinheit abzulocken. Dazu weiß der Teufel gut, welch einen mächtigen Einfluss religiöse Dinge auf das Herz eines Gläubigen auszuüben vermögen. Er naht sich nicht mit etwas, was offenbar sündig ist; er stellt nicht an den Gläubigen die Forderung, sich bezüglich schlechter Dinge mit der Welt zu vereinigen, weil er weiß, dass das Gewissen davor zurückschrecken würde, sondern er stellt vielmehr eine an und für sich ehrenwerte Sache in Aussicht und verbirgt seine wahren Absichten unter dem Mantel der Religion oder der Wohlwollenheit, um auf diesem Weg die Seele in die Falle zu locken. Es gibt aber eine Wahrheit, die, wenn sie angewendet wird, den Christen wirklich von jeder Verbindung mit der Welt abhalten würde. Der Apostel belehrt uns nämlich durch den Heiligen Geist, dass die Ungläubigen „zu jedem guten Werk unbewährt“ seien (Tit 1,16).

Das ist genügend für eine gehorsame Seele. Wie können wir uns mit solchen vereinigen, die als „unbewährt“ bezeichnet werden? Es geschieht nicht, was sie uns vor Augen malen, mag es ein Werk der Liebestätigkeit oder ein Werk der Religion sein. Die Heilige Schrift belehrt uns, dass, wiewohl sie vorgeben, Gott zu kennen, sie zu jedem guten Werk unbewährt sind. Eines weiteren bedarf es nicht. Gott kann die Werke oder Opfer weder anerkennen noch annehmen von solchen, deren Herzen weit von Ihm entfernt sind; wie kann daher die Versammlung sich mit ihnen vereinigen, selbst wenn es sich um die Ausführung eines guten Werkes handelt? „Erhalte dich selber unbe­fleckt!“ ist eine ernste Ermahnung, die uns allen gilt. „Gehorchen ist besser als Schlachtopfer, Aufmerken besser als das Fett der Widder“ (1Sam 15,22). Wie viel besser würde es gewesen sein, wenn Josaphat sich von aller Verbindung mit Ahab ferngehalten hätte, statt mit ihm wider Ramot-Gilead zu ziehen, um diese Stadt den Syrern wieder zu entreißen.

Doch er musste dies alles auf dem Weg bitterer Erfahrungen lernen. Und auf diesem Weg müssen auch die meisten von uns lernen, was wir zu lernen haben. Wir können sprechen, viel sprechen über gewisse Punkte der Wahrheit, während wir wenig aus Erfahrung kennen. Als Josaphat sich im Anfang wider Israel stärkte, dachte er wohl kaum daran, dass er bald durch den schlechtesten aller Israeliten umstrickt werden würde. Das einzige Bewahrungsmittel gegen das Böse ist die Gemeinschaft mit Gott. Wenn wir das Böse im Licht der Heiligkeit Gottes betrachten, sehen wir nicht nur auf die Tat, sondern auch auf den Grundsatz; und wenn der Grundsatz nicht taugt, dann dürfen wir uns, wie auch der Erfolg sein mag, durchaus nicht damit einlassen. Um aber das Böse in dieser Weise zu behandeln, bedarf es steter Tätigkeit der Seele vor Gott, großer Geistlichkeit, einer ununterbrochenen Wachsamkeit und eines fortdau­ernden Gebetslebens. Möge der Herr uns diese Dinge verleihen und dass unsere Gewissen zart und empfindlich seien und bleiben mögen.

Wir denken oft gar zu wenig an die trau­rigen Folgen eines verkehrten Schrittes bei einem Kind Gottes. Die große Zahl dieser Folgen kommt nicht immer zu unserer Kenntnis; aber der Feind sorgt, dass er Nutzen davon zieht, nicht nur in Betreff des Schadens derer, die den verkehrten Weg ein­schlagen, sondern auch derer, die davon berührt werden. Josa­phat fiel nicht nur selbst in die Schlinge, sondern er zog auch andere mit hinein. Er sagte nicht nur: „Ich will sein wie du“, sondern auch: „und mein Volk wie dein Volk“. Welch ein nie­driger Standpunkt für einen Mann Gottes, und welch ein nie­driger Standpunkt für das Volk Gottes: „Ich will sein wie du“, sagte Josaphat; und es war ein Glück für ihn, dass seine Worte nicht tatsächlich zur Wahrheit wurden (2Chr 18,3). Gott betrachtete ihn nicht als eins mit Ahab; und das war, selbst inmitten der schrecklichsten Folgen seiner Sorglosigkeit, seine Rettung. Er war am Ende seiner Laufbahn nicht dem Ahab gleich, wie eng er sich auch mit ihm verbündet hatte, um ihm in der Ausführung seiner Pläne hilfreich zur Seite zu stehen. Er stand nicht auf einem Boden mit Ahab, als Ahab von einem Pfeil durchbohrt wurde; er war nicht eins mit Ahab, als die Hunde Ahabs dessen Blut leckten. Der Herr hatte einen Unterschied zwischen ihm und Ahab gemacht.

Es ist indes nicht zu leugnen, dass, wenn ein Christ sich zu irgendeinem Zweck mit der Welt verbindet, er, wie Josaphat zu Ahab, dadurch ausdrückt: „Ich will sein wie du!“ Frage jeder sich selbst, ob dies nicht wahr ist. Mit der Entschuldigung, über andere nicht urteilen zu wollen, werden wir nicht auskommen; denn Josaphat hätte urteilen sollen, wie dies deutlich aus den Worten Jehus hervorgeht, der ihm zuruft: „Hilfst du dem Gottlosen, und liebst du, die den HERRN hassen? (2Chr 19,2). Wie hätte er wissen können, wer gesetzlos war oder wer den Herrn hasste, wenn er darüber kein Urteil fällen durfte? Wir haben sicher nichts mit dem Richten derer zu tun, die draußen sind; aber wir sind berufen, die zu beurteilen, mit denen wir in Verbindung treten. Es ist selbstverständlich, dass hier nicht von Selbstüberhebung die Rede sein kann. Nicht weil ich heiliger bin als ein anderer, sondern weil Gott heilig ist, muss ich mich auf seine Seite stellen. Nicht aufgrund dessen, was ich bin, sondern aufgrund dessen, was Gott ist, habe ich mich von dem Bösen getrennt zu halten. „Seid heilig, denn ich bin heilig“, ruft Gott uns zu.

Der Fehltritt Josaphats brachte auch andere zu dem gleichen Fehltritt. Das ist eine ernste Lehre für uns. Wir müssen bedenken, dass Josaphat durch seine frühere Frömmigkeit auf das Herz seines Volkes einen bedeutenden Einfluss erlangt hatte; er hatte in einem gewissen Sinn mit Recht ihr Vertrauen und ihre Zuneigung gewonnen. Es ist sicher nicht verwerflich, wenn man denen, die treu wandeln, Liebe und Vertrauen schenkt; aber hernach müssen wir gegen die Gefahr eines bloß persönlichen Einflusses auf unserer Hut sein. Nur jemand, der ein aus­gedehntes Vertrauen genießt, kann sagen: „Mein Volk will sein wie dein Volk“; denn im anderen Fall würde er nur sagen können: „Ich will sein wie du.“ Sein außerhalb der Gemein­schaft mit Gott ausgeübter Einfluss macht ihn umso fähiger, ein Werkzeug in der Hand des Feindes zu sein. Satan wusste dieses und kannte sein Ziel; er bediente sich nicht eines gewöhnlichen Mannes aus Juda, sondern wählte den ausgezeichnetsten und einflussreichsten Mann, den er auffinden konnte, da er wohl wusste, dass, wenn es ihm gelang, den aus der Bahn zu bringen, die anderen ihm von selbst folgen würden. Und er täuschte sich nicht. Mancher Bewohner Judas wird vielleicht gesagt haben: „Warum sollte es verwerflich sein, dass wir an Ahabs Kriegszug teilnehmen? Sicher, wenn darin etwas Böses läge, würde ein so vortrefflicher Mann wie Josaphat nicht daran teilnehmen. Solange wir ihn dort sehen, brauchen wir uns nicht darüber zu beunruhigen.“ Doch wenn dies auch in den Tagen Josaphats die Sprache nicht gewesen wäre, so ist es doch sicher die Sprache vieler in unseren Tagen.

Wie oft hören wir einen Gläubigen sagen: „Warum sollte dies oder jenes nicht gut sein, da wir doch so viele vortreffliche Menschen darin wandeln sehen?“ Wie grundfalsch ist eine solche Folgerung! Wir sind, was andere auch tun mögen, mit unseren Handlungen Gott verantwortlich. Wir müssen durch die Gnade fähig sein, zwar in aller Demut, aber auch mit voller Bestimmtheit, von unserem Tun und Lassen Rechenschaft zu geben. Es ist uns dazu nicht unbekannt, dass auch die Gläubigen verkehrte Dinge verrichten und verkehrte Wege einschlagen und daher nicht unsere ausschließlichen Leiter sein können. „Er steht oder fällt seinem eigenen Herrn“ (Röm 14,4). Wir haben in ganz besonderer Weise eine geistliche Gesinnung nötig, ein durch das Wort Gottes erleuchtetes Gewissen, ein Verständnis unserer persönlichen Verantwortlichkeit und die Aufrichtigkeit bezüglich unserer Absichten. Wo diese Dinge fehlen, da schlagen wir verkehrte Pfade ein. 

Vielleicht sagt man: „Es gibt aber sehr wenige, die eine Stellung bekleiden, die ihnen einen so bedeutenden Einfluss einräumt, wie Josaphat ihn besaß.“ Es wird vielleicht von Nutzen sein, hierzu einige Augenblicke bei einer Wahrheit zu verweilen, die leider in unseren Tagen zu leicht aus dem Auge verloren wird – nämlich bei der Wahrheit der Einheit des Leibes Christi und bei der Wirkung, die das Verhalten jedes einzelnen Gliedes auf den ganzen Leib ausübt.

Es ist zu fürchten, dass die Wahrheit der Einheit der Versammlung auf der Erde selbst vonseiten der geistlich Gesinn­ten und Unterwiesenen des Volkes Gottes wenig erkannt und wenig verwirklicht wird. Die Ursache liegt klar auf der Hand. Diese Wahrheit wird mehr in dem Licht des gegenwärtigen Zustandes der Versammlung als in dem Licht des Neuen Testaments betrachtet; und in diesem Fall kann die Einheit nicht gut verstanden werden. Wenn wir uns einfach durch die Schrift leiten lassen, so werden wir nie fehlen. Da lesen wir: „Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit“ (1Kor 12,26). Der Wandel selbst des unscheinbarsten Gliedes übt in gewissem Maß auf alle Glieder seine Wirkung aus. „Denn auch in einem Geist sind wir alle zu einem Leib getauft worden, es seien Juden oder Griechen, es seien Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geist getränkt worden“ (1Kor 12,13). Wenn daher irgendein Gläubiger sorg­los und leichtfertig wandelt, wenn er nicht ausharrt im Gebet, wenn er sich selber nicht richtet, so ist er unausbleiblich dem ganzen Leib zum Schaden, während er bei einer geistlichen Gesinnung den Segen und das Glück aller fördern wird. 

Sicher war der Schritt Josaphats mit Kampf verbunden. Die Tätigkeit seines Gewissens leuchtet hervor aus den Worten: „Befrage doch heute das Wort des HERRN“ (2Chr 18,4). Aber wie bedeutungslos war dies, nachdem er gesagt hatte: „Ich will sein wie du, und mein Volk wie dein Volk“ (2Chr 18,3)! Es ist nichts als Täuschung, wenn wir, nachdem unser Herz bereits seinen Entschluss gefasst hat, nach dem Willen des Herrn fragen. Und doch, wie oft geschieht dies! Ach, wie verwerflich! Wir ehren dann Gott mit den Lippen, während das Herz sich gegen Ihn auflehnt. Haben wir in diesem Fall, anstatt den Willen des Herrn zu erfahren, nicht vielmehr zu erwarten, dass ein Lü­gengeist zu uns ausgeht (2Chr 18,21)? Ahab hatte keinen Mangel an Beratern; er versammelte sofort vierhundert Propheten, die bereit waren, ihm einen Rat zu geben, der mit den Wünschen seines Herzens ganz im Einklang war. Sie sprachen: „Zieh hinauf, und Gott wird es in die Hand des Königs geben“ (2Chr 18,5). Das fehlte ihm noch gerade. Auch darf es uns nicht wundern, dass Ahab mit solchen Prophezeiungen durchaus zufrieden war. Josaphat aber hätte selbst den Schein vermeiden sollen, jene Männer als Propheten Gottes anzuerkennen; stattdessen sagte er bloß: „Ist hier kein Prophet des HERRN mehr, dass wir durch ihn fragen?“ (2Chr 18,6). Wäre er dem Herrn treu gewesen, so würde er diesen falschen Propheten das Recht, Rat zu geben, nicht eingeräumt haben. Aber leider verlieh er dem Gottesdienst der Welt und dessen Dienern seine Anerkennung. Er fürchtete, durch ein treues Handeln gegen diese Propheten die Gefühle Ahabs zu verletzen. Wie traurig ist es doch, sich in einem Seelenzustand zu befinden, wo wir unfähig sind, gegen die Diener Satans ein klares und treues Zeugnis abzulegen!

Da nun Josaphat so tief gesunken war, dass er aus Gefälligkeit gegen Ahab die falschen Propheten anerkannte, wie konnte da ein klares Zeugnis vor Gott stattfinden? Jeder schien bis zu dieser untersten Stufe herabzusinken und der Feind schien das Feld zu behaupten; die Stimme der Wahrheit war erstickt und Gott war vergessen. So geht es stets. Die Anstrengung, die Wahrheit denen annehmbar zu machen, die von der Welt sind, kann nur gänzlichen Abfall zur Folge haben. Ein gegenseitiges Übereinkommen ist nicht möglich. Die Wahrheit muss auf der ihr eigenen himmlischen Höhe bleiben; die Gläubigen müssen ganz und unbeweglich an ihrer Seite stehen; sie müssen die Sünder einladen, zu ihnen hinaufzukommen, anstatt dass die Gläubigen bis zu den niedrigen Sitten und Gewohnheiten der Welt hinabsteigen, wodurch sie nur die Schärfe und Kraft der Wahrheit einbüßen. Übrigens ist es nichts als Täuschung, wenn wir glauben, dem Kind dieser Welt die Wahrheit dadurch angenehm zu machen, dass wir uns nach seinen Wegen richten; vielmehr geben wir dadurch die Wahrheit, statt sie angenehm zu machen, dem Hohn und der Verachtung preis. Dadurch dass Josaphat die Wege Ahabs einschlug und die Rechte der falschen Propheten anerkannte, schädigte er die Sache der Wahrheit. Der Mann, der die Wege der Welt betritt, wird ein Feind Christi und ein Feind des Volkes Gottes. Es kann nicht anders sein. Die Freundschaft der Welt ist Feindschaft wider Gott. „Wer nun irgend ein Freund der Welt sein will, erweist sich als Feind Gottes“ (Jak 4,4).

Welch einen unumstößlichen Beweis liefert hierfür der König Josaphat! Er wird der Freund und Genosse Ahabs, der den treuen Diener Gottes hasste; und ob er auch nicht persönlich diesen treuen Zeugen verfolgte, so saß er doch an der Seite Ahabs und sah es, ohne Widerspruch zu erheben, ruhig an, dass der Prophet des HERRN zuerst geschlagen und danach deshalb ins Gefängnis geworfen wurde. Weil er seine Aussage nicht aus Gefälligkeit gegen den gottlosen König Israels mit den Lügen der vierhundert falschen Propheten in Einklang bringen wollte. Was mag Josaphat gefühlt haben, als er sah, dass sein Bruder wegen eines treuen Zeugnisses gegen einen Kriegszug, dem er selbst sich angeschlossen hatte, geschlagen und eingesperrt wurde? Ja, in diesen Zustand hatte ihn sein Bündnis mit Ahab gebracht, dass er nicht nur kein Zeugnis gegen dessen Handlungen ablegte, sondern sogar dessen Genosse war. Wenn sich jemand mit der Welt verbindet, muss er auch in ihrer Weise handeln; der Feind ist mit halben Maßregeln nicht zufrieden, sondern wird alles anwenden, um einen Gläubigen, der sich außerhalb der Gemeinschaft mit Gott befindet, im Bösestun bis zum Äußersten zu treiben. Kleine Anfänge ziehen die erschreckendsten Folgen nach sich. Anfangs ist die Berührung mit der Sünde höchst unscheinbar; dann nähert man sich ihr nach und nach immer mehr, schließt sich ihr immer enger an und übergibt sich ihr schließlich so ganz, dass nur eine unmittelbare Dazwischenkunft Gottes daraus befreien kann.

Josaphat verschwägerte sich mit Ahab, dann machte er Gebrauch von dessen Gastfreundschaft, wurde zu einem öffentlichen Bündnis mit Ahab überredet und nahm schließlich seinen Platz ein in der Schlacht bei Ramot-Gilead. Er hatte zu Ahab gesagt: „Ich will sein wie du“; und Ahab hielt ihn beim Wort und richtete an ihn die Aufforderung: „Ich will mich verkleiden und in den Kampf ziehen, du aber lege deine Kleider an“ (2Chr 18,29). So völlig gab Josaphat in den Augen der Welt seine persönliche Stellung auf, dass „als die Obersten der Wagen Josaphat sahen (denn sie sprachen: Das ist der König von Israel!), da umringten sie ihn, um zu kämpfen“ (2Chr 18,31). Was für eine gefahrvolle Stellung für Josaphat! Dass man ihn für den gottlosesten aller Könige Israels hielt, war ein trauriger Beweis von der Gemeinschaft mit der Welt. Ein Glück war es für ihn, dass der HERR ihn nicht beim Wort nahm, als er zu Ahab sagte: „Ich will sein wie du.“ Der Herr wusste, dass Josaphat nicht Ahab war, obwohl die Menschen ihn dafür hielten. Die Gnade hatte ihn von Ahab unterschieden; und der Wandel hätte beweisen sollen, was die Gnade aus ihm gemacht hatte. Gepriesen sei Gott! „Er weiß die Gottseligen aus der Versuchung zu retten“; und Er führte in Gnade seinen Diener aus dem Bösen, in das er sich gestürzt hatte und worin er auch umgekommen sein würde, wenn Gott seine Hand nicht ausgestreckt hätte, um ihn zu befreien. „Und Josaphat schrie; und der HERR half ihm, und Gott lenkte sie von ihm ab“ (2Chr 18,31).

Hier haben wir den Wendepunkt in dieser Periode des Lebens Josaphats. Er erkannte die Stellung, in die er sich selbst gebracht hatte; und da er den Irrtum seines Weges begriff, so erkannte er auch die Gefahr, in der er schwebte. Umzingelt von den syrischen Obersten, vermochte er einigermaßen zu fühlen, was die Einnahme des Platzes Ahabs in sich hatte. Ein Glück war es für ihn, dass er aus der Tiefe seines Elends zum Herrn emporschauen und Ihn am Tag seiner Bedrängnis anrufen konnte. Hätte er dies nicht getan, so würde der Speer des Feindes tief in sein Herz gedrungen sein und die traurigen Fol­gen seiner ungöttlichen Verbindung ins Licht gestellt haben. „Josaphat schrie“, und sein Notschrei drang empor zum Herrn, dessen Ohr stets geöffnet ist für den Ruf derer, die ihre Not fühlen. „Petrus ging hinaus und weinte bitterlich“ (Mt 26,75). Der verlorene Sohn sagte: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen“, und: „Als er aber noch fern war, sah ihn sein Vater und wurde innerlich bewegt und lief hin und fiel ihm um seinen Hals und küsste ihn sehr“ (Lk 15,18-20). So kommt Gott stets denen entgegen, die in der Erkenntnis, dass sie sich geborstene Gruben ausgegraben haben, die kein Wasser halten, zu Ihm, der Quelle des lebendigen Wassers, zurückkehren.

Ganz anders verhielt es sich mit Ahab. Obwohl er tödlich verwundet war, blieb er doch „stehend in dem Wagen bis zum Abend“ (2Chr 18,34), um seine Schwäche zu verbergen und seinen Zweck zu erreichen. Von ihm drang kein Schrei aus der Tiefe; sein Auge blickte nicht nach oben. Man sieht an ihm nur das, was ihn stets kennzeichnete. Er starb, wie er gelebt hatte, und tat bis ans Ende, was böse war in den Augen des HERRN. Wie eitel war seine Anstrengung, um sich aufrechtzuerhalten! Der Tod hatte die Hand auf ihn gelegt; und obwohl er sich eine Zeitlang auf den Füßen zu halten gedachte, starb er doch „zur Zeit des Sonnenuntergangs“. Ein schreckliches Ende! Das Ende des Menschen, der sich verkauft hatte, das Böse zu wirken! Wer möchte ein Anhänger dieser Welt sein wollen? Wer möchte, wenn er auf ein Leben von Reinheit, auf einen friedsamen und gottseligen Wandel einigen Wert setzt, sich mit der Welt und ihren Gewohnheiten einsmachen wollen?

Die Einsicht Josaphats (2Chr 19)

Lasst uns jetzt einen Blick auf Kapitel 19 werfen! Hier finden wir eine gesegnete Frucht von dem, was Josaphat durchgemacht hatte. „Er kehrte in Frieden zurück nach seinem Hause, nach Jerusalem“ (2Chr 19,1). Ein herrlicher Ausgang! Infolge der Dazwischenkunft des Herrn war er aus dem Strick des Vogelstellers befreit worden; und wir dürfen voraussetzen, dass sein Herz erfüllt war mit Dank gegen Ihn, der trotz seiner Worte „Ich will sein wie du“ einen Unterschied zwischen ihm und Ahab gemacht hatte. Ahab war mit Scham und Schande ins Grab gesunken, während Josaphat in Frieden nach seinem Haus zurückkehrte. Doch welch eine Erfahrung! Er war nahe am Rand des Abgrunds gewesen. Dies sollte und musste er fühlen. Wiewohl der Herr ihn in Frieden nach Jerusalem zurückkehren ließ und es dem Feind nicht gestattete, ihn zu ver­derben, musste doch sein Gewissen wegen seiner Sünde in Tätigkeit gebracht werden. „Da ging ihm Jehu, der Sohn Hananis, der Seher, entgegen; und er sprach zum König Josaphat: Hilfst du dem Gottlosen, und liebst du, die den HERRN hassen? Und darum ist Zorn über dir vonseiten des HERRN“ (2Chr 19,2). Das war eine ernste Anklage, und sie hatte ihre besondere Wirkung. Josaphat „zog wiederum aus unter das Volk von Beerseba bis zum Gebirge Ephraim und brachte sie zurück zu dem HERRN, dem Gott ihrer Väter“ (2Chr 19,4). Wie Petrus dem Wort des Herrn „Bist du einst zurückgekehrt, so stärke deine Brüder!“ gehorch­te, so tat es auch Josaphat; und es ist gesegnet, wenn durch die Gnade des Herrn die Irrtümer und Fehltritte zu einem solchen Ende führen. Nur göttliche Gnade kann solches bewirken. Wenn wir, die wir Josaphat anfangs inmitten der syrischen Obersten gefunden haben, ihn jetzt das Land durchziehen sehen, um seine Brüder in der Furcht des Herrn zu unterweisen, dann fühlen wir uns zu dem Ausruf gezwungen: „Das hat der Herr getan.“ Auch war Josaphat dazu der geeignete Mann.

Wer in seiner eigenen Person die traurigen Folgen einer leichtfertigen Gesinnung erfahren hat, kann mit dem größten Nach­druck sagen: „Gebt acht, was ihr tut“ (2Chr 19,6)! Ein wiederhergestellter Petrus, der selbst den Heiligen verleugnet hatte, war das auserwählte Gefäß, um anderen die Worte „Ihr habt den Heiligen und Gerechten verleugnet“ (Apg 3,14) zuzurufen und ihnen das kostbare Blut anzupreisen, das ihn von aller Schuld gereinigt hatte. Ebenso kam Josaphat aus der Schlacht bei Ramot-Gilead, um mit feierlichem Ernst den Richtern zuzurufen: „Gebt acht, was ihr tut!“ Er, der soeben dem Strick entronnen war, konnte am besten über den Strick sprechen und vor ihm warnen. 

Wie bezeichnend sind die Worte Josaphats, wenn er sagt: „Bei dem HERRN, unserem Gott, ist kein Unrecht und kein Ansehen der Person und kein Annehmen von Geschenk“ (2Chr 19,7)! Für ihn war das Geschenk Ahabs geradezu zu einer Schlinge geworden. „Ahab schlachtete für ihn und für das Volk, das bei ihm war. Klein- und Rindvieh in Menge, und er verleitete ihn, gegen Ramot-Gilead hinaufzuziehen“ (2Chr 18,2). Josaphat ließ sein Herz durch Ahabs Geschenke einnehmen und wurde dadurch umso leichter von den Überredungen Ahabs fortgeschleppt.

Wir können nie mit geistlicher Nüchternheit die Scheingründe und Einflüste­rungen der Welt einer Prüfung unterwerfen, solange wir in ihrer Sphäre leben und ihre Freundschaft annehmen. Wir müssen uns außerhalb ihrer Sphäre befinden und von ihr unabhängig sein; denn nur dann sind wir in der passenden Stellung, um ihre Zumutungen zu verwerfen und über ihre Versuchungen zu triumphieren. Die Gemeinschaft mit Gott ist die sichere Bewährung gegen jede Versuchung; denn es gibt keine Sünde, die uns versuchen könnte, von der wir nicht das Entgegen­gesetzte in Gott finden; und wir können das Böse nur durch die Gemeinschaft mit dem Guten vermeiden. Das ist eine sehr einfache, aber praktische Wahrheit. Wäre Josaphat in Gemeinschaft mit Gott gewesen, so würde er die Gemeinschaft mit der Welt nicht gesucht haben. Sicher ist dies der einzige richtige Gesichtspunkt, von dem aus wir die Verbindung mit der Welt zu betrachten haben. Fragen wir uns: Ist diese oder jene Verbindung vereinbar mit unserer Gemeinschaft mit Gott? Darauf kommt alles an. Wie kann ich alle die Segnungen des Namens Jesu genießen und zugleich diesen Namen dadurch entehren, dass ich mich mit der der Welt vermenge und mit ihnen einen und denselben Standpunkt einnehme? Wie deutlich wird diese Frage beantwortet, wenn wir sie vor das Angesicht Gottes und unter das offenbarmachende Licht seines Wortes bringen! „Hilfst du dem Gesetzlosen, und liebst du die den HERRN hassen?“ Die Wahrheit Gottes schiebt die falsche Hülle weg, womit sich ein Herz, außerhalb der Gemeinschaft mit Gott, zu bedecken pflegt. Nur wenn die Wahrheit ihren hellen Strahl auf unseren Weg fallen lässt, sehen wir die Dinge in ihrer wahren Gestalt.

Josaphat hatte Ursache, für die durch seinen Fall empfangene heilsame Lehre dankbar zu sein; er war dadurch von der Notwendigkeit überzeugt worden, mehr in der Furcht des Herrn zu wandeln und dies auch anderen ans Herz zu legen. Das war von großer Bedeutung. Zwar war es ein trauriger und beschwerlicher Weg, auf dem er zu lernen hatte; aber es ist gesegnet, wenn wir selbst durch unsere Fehltritte lernen. Möchten wir dies alle tief fühlen!

Der Rückfall Josaphats (2Chr 20)

In Kapitel 20 finden wir Josaphat in einer gesegneteren Stellung, wie dies in Kapitel 18 der Fall war. Er ist hier unter der Feuerprobe des Feindes. „Und es geschah danach, da kamen die Kinder Moab und die Kinder Ammon und mit ihnen von den Meunitern gegen Josaphat zum Kampf“ (2Chr 20,1). Hier, wo Josaphat die Zielscheibe der Feindseligkeiten des Widersachers ist, ist weniger für ihn zu fürchten als da, wo ihm der Feind freundlich mit Geschenken entgegenkommt. Im ersten Falle bleibt ihm nichts übrig, als sich einfach auf den Gott Israels zu werfen, während er im zweiten Fall Gefahr läuft, in die Schlinge Satans zu geraten. Der rechte Platz für ein Kind Gottes ist, sich den Feinden Gottes geradezu gegenüberzustellen, nicht aber mit ihnen in Reih und Glied. Wir können nie auf das Mitgefühl Gottes und auf seine Bewahrung rechnen, wenn wir uns zu unseren Feinden gesellen. Wie töricht war es (2Chr 18,4), das Wort des Herrn zu erfragen in einer Sache, die Josaphat als verkehrt hätte erkennen sollen. In Kapitel 20 ist es ganz anders. Er meinte es aufrichtig, als er „sein Angesicht darauf richtete, den HERRN zu suchen, und ein Fasten ausrief über ganz Juda“ (2Chr 20,3). Jetzt war es ihm um den Rat des Herrn zu tun. Nichts als die Drangsal vonseiten der Welt treibt so sehr den Gläubigen aus nach dem Platz der Absonderung von ihr. Wenn die Welt uns schmeichelt, sind wir in Gefahr, von ihr überlistet zu werden; wenn sie uns aber zürnt, werden wir ausgetrieben zu unserer Zuflucht und Stärke in Gott, und dies ist sehr gesegnet und heilsam. Josaphat sagte nicht zu den Kindern Moab und zu den Kindern Ammon: „Ich will sein wie du“; denn er wusste wohl, dass dieses nicht der Fall war; auch hätten sie ihn vielleicht das Gegenteil erkennen lassen. 

In dem Gebet Josaphats (2Chr 20,6-12) finden wir drei unterschiedliche Punkte. Zunächst die Größe und Macht Gottes, dann die dem Abraham gegebene Verheißung Gottes in Betreff des Landes und schließlich die Anstrengung des Feindes, um den Samen Abrahams aus dem Land zu vertreiben. Dieses Gebet ist sehr lehrreich und schön. Josaphat macht die vorliegende Streitsache ganz zu einer Frage zwischen dem Gott Abrahams und den Kindern Moab, Ammon und Seir. So macht es der Glaube zu allen Zeiten; und die Folgen werden stets die gleichen sein. Er sagt: „Sie kommen, uns aus deinem Besitztum zu ver­treiben, das du uns zum Besitz gegeben hast.“ Wie einfach! Sie wollen nehmen, was Gott gegeben hat. Er wirft es, sozusagen, auf Gott, damit Gott seinen Bund aufrechthalte. „Unser Gott! willst du sie nicht richten? Denn in uns ist keine Kraft vor dieser großen Menge, die gegen uns kommt, und wir wissen nicht, was wir tun sollen, sondern auf dich sind unsere Augen gerichtet“ (2Chr 20,12). Sicher, der Sieg war in der Hand dessen, der so vor Gott stehen konnte. Das fühlte auch Josaphat. Denn als er sich mit dem Volk beraten hatte, „bestellte er Sänger für den HERRN, welche lobsangen in heiligem Schmuck, indem sie vor den Gerüsten herauszogen und sprachen: Preist den HERRN, denn seine Güte währt ewiglich.“ Nur durch den Glauben war es möglich, einen Lobgesang anzustimmen, sogar noch ehe die Schlacht begonnen hatte. So wie der Glaube den Abraham in den Stand setzte, seinen Samen im Besitz Kanaans zu sehen, machte er auch den Josaphat fähig, zu vertrauen, dass Gott diesen Samen darin erhalten werde; und er hatte daher, um seinen Lobgesang zu erheben, nicht nötig, vorher den Sieg abzuwarten. Der Glaube konnte durch Moses sagen: „Du hast durch deine Güte geleitet das Volk, das du erlöst, hast es durch deine Stärke geführt zu deiner heiligen Wohnung“ (2Mo 15,13), obwohl man noch erst kaum den Fuß in die Wüste gesetzt hatte.

Doch welch ein seltsamer Anblick muss es für die Feinde Josaphats gewesen sein, als sie eine Anzahl Männer, statt mit Waffen in der Hand mit Musikinstrumenten auf sich zukommen sahen! Es war fast die gleiche Art von Kriegführung, wie wir sie später bei Hiskia finden, der sich, anstatt mit einer Waffenrüstung, mit einem Sack bekleidete (Jes 37,1). Beide waren auch in der gleichen Schule unterwiesen worden, und beide kämpfen unter dem gleichen Banner. Möchte doch unser Kampf gegen die Grundsätze der gegenwärtigen Zeit auch in gleicher Weise geführt werden! „… indem ihr über das alles ergriffen habt den Schild des Glaubens, mit dem ihr imstande sein werdet, alle feurigen Pfeile des Bösen auszulöschen“ (Eph 6,16).

Welch ein Gegensatz zwischen Josaphat, als er zu Ramot-Gilead den Ahab repräsentierte, und Josaphat, als er hier mit dem Herrn den Feinden gegenüberstand! Ja, in allem zeigt sich dieser Gegensatz. Seine Weise, Hilfe und Rat bei dem Herrn zu suchen, seine Weise, das Schlachtfeld zu betreten, ja, alles war verschieden von der Weise, als er mit Ahab zog. Und wie verschieden war auch das Ende! Statt vom Feind überrumpelt zu werden und aus der Tiefe des Elends und der Gefahr einen Notschrei ausstoßen zu müssen, bricht er jetzt jubelnd aus in Lob und Dank gegen Gott, der ihm, ohne dass er einen Schlag zu tun hatte, den Sieg verliehen hat. Ja, welch ein Unter­schied! Möchten wir doch dadurch zu einer bestimmten Wahl des Weges der Absonderung und der Abhängigkeit von der Güte und Treue des Herrn geleitet werden! Das Tal Beraka (2Chr 20,26), das Tal des Lobes, ist stets der Platz, wohin der Geist Gottes uns leiten will. Jedoch kann Er uns dahin nicht bringen, wenn wir uns den Ahabs dieser Welt zugesellen und helfen, mit ihnen ihre Pläne auszuführen. „Darum geht aus ihrer Mitte hinaus und sondert euch ab, spricht der Herr, und rührt Unreines nicht an, und ich werde euch aufnehmen; und ich werde euch zum Vater sein, und ihr werdet mir zu Söhnen und Töchtern sein, spricht der Herr, der Allmächtige“ (2Kor 6,17.18).

Die weltliche Gesinnung verhindert oder vielmehr vernichtet den Geist der Danksagung. Sie ist in bestimmter Weise feindselig gegen diesen Geist; und wo man ihr einen Raum gestattet, da führt sie uns zu Beängstigungen und Zweifeln und endlich gar zu offenbarem Abfall von aller Gottseligkeit. Josaphat wurde durch Angst und Streit hindurch gedemütigt, aufgerichtet und zu großem Segen geführt. Wer hätte nun denken können, dass Josaphat nach diesen ernsten Erfahrungen sich dennoch wieder mit den Gesetzlosen vereinigen würde, um ihre ehr- und habsüchtigen Pläne zu fördern? Gewiss, nur jemand, der sein eigenes Herz kennengelernt hat, begreift dies. „Und danach verband sich Josaphat, der König von Juda, mit Ahasja, dem König von Israel; dieser handelte gottlos. Und er verband sich mit ihm, Schiffe zu bauen, um nach Tarsis zu fahren; und sie bauten Schiffe in Ezjon-Geber. Und Elieser, der Sohn Dodawas, von Marescha, weissagte gegen Josaphat und sprach: Weil du dich mit Ahasja verbunden hast, hat der HERR dein Werk zerstört. Und die Schiffe wurden zertrümmert und konnten nicht nach Tarsis fahren“ (2Chr 20,35-37). Was ist doch der Mensch! Ein armes, strauchelndes, gebrechliches Geschöpf, das sich von einer Torheit in die andere stürzt. Josaphat war kaum von seiner Verbindung mit Ahab zurückgebracht und schon tritt er wieder mit Ahasja in einen Bund. Er war mit Mühe oder vielmehr durch die besondere und gnädige Dazwischenkunft des Herrn den Pfeilen der Syrer entronnen, und wiederum finden wir ihn (2Kön 3,7.8) im Bund mit den Königen von Israel und Edom, um gegen die Moabiter zu streiten.

Das ist Josaphat und seine merkwürdige Laufbahn. Es wurde etwas Gutes in ihm gefunden; aber die Gemeinschaft mit der Welt wurde ihm zur Schlinge; und was wir aus seiner Geschichte zu lernen haben, ist, uns vor dem Bösen zu hüten. Die Worte „Geht aus ihrer Mitte hinaus und sondert euch ab“ (2Kor 6,17) mögen fortdauernd zu unseren Ohren dringen. Wir können uns nicht mit der Welt vereinigen und uns durch ihre Grundsätze leiten lassen, ohne in unserer eigenen Seele Schaden zu leiden und unser Zeugnis für den Herrn zu schwächen.


Originaltitel: „Josaphat oder: Die Gefahr der Gemeinschaft mit der Welt“
aus Botschafter des Heils in Christo, Jg. 25, 1877, S. 202–224
von der Redaktion sprachlich leicht bearbeitet

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