„Ein Kind ist uns geboren“ (1)
Jesaja 8,23–9,4

Stephan Isenberg

© SoundWords, online seit: 27.12.2017, aktualisiert: 31.12.2022

Leitverse: Jesaja 8,23–9,6

Einleitung

Einmal im Jahr erinnern sich Milliarden von Christen an die Geburt von Jesus Christus. In Andachten und Weihnachtsansprachen wird ein Vers aus dem Propheten Jesaja zitiert, den dieser ca. siebenhundert Jahre vor Christi Geburt – geleitet durch den Heiligen Geist (2Pet 1,21) – aufgeschrieben hat:

Jes 9,5: Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter. Und man nennt seinen Namen: Wunderbarer, Berater, starker Gott, Vater der Ewigkeit, Friedefürst.

Kaum einer fragt sich, in welchem Zusammenhang dieser Vers eigentlich steht. Wen hat der Prophet im Blick? Von wem ist die Rede, wenn es dort heißt: „Ein Kind ist uns geboren“? Warum wird dieses Kind auch „Sohn“ genannt? Und was ist das für eine Herrschaft?

Gehen wir diesen Fragen einmal genauer nach. Vielleicht werden wir überrascht sein, dass wir als Christen nicht die Hauptadressaten dieser Verse sind.

Wen hat der Prophet im Blick?

Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir den unmittelbaren Zusammenhang lesen:

Jes 8,23–9,6: Doch nicht bleibt Finsternis dem Land, das Bedrängnis hat. In der ersten Zeit hat er das Land Sebulon und das Land Naphtali verächtlich gemacht; und in der letzten bringt er zu Ehren den Weg am Meer, das Jenseitige des Jordan, den Kreis der Nationen. Das Volk, das im Finstern wandelt, hat ein großes Licht gesehen; die da wohnen im Land des Todesschattens, Licht hat über ihnen geleuchtet. Du hast die Nation vermehrt, hast ihr groß gemacht die Freude; sie freuen sich vor dir, gleich der Freude in der Ernte, wie man frohlockt beim Verteilen der Beute. Denn das Joch ihrer Last und den Stab ihrer Schulter, den Stock ihres Treibers hast du zerschlagen wie am Tag Midians. Denn jeder Stiefel der Gestiefelten im Getümmel, und jedes Gewand, in Blut gewälzt, die werden zum Brand, ein Fraß des Feuers. Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter. Und man nennt seinen Namen: Wunderbarer, Berater, starker Gott, Vater der Ewigkeit, Friedefürst. Die Mehrung der Herrschaft und der Frieden werden kein Ende haben auf dem Thron Davids und über sein Königreich, um es zu befestigen und zu stützen durch Gericht und durch Gerechtigkeit, von nun an bis in Ewigkeit. Der Eifer des HERRN der Heerscharen wird dies tun.

Es geht im Zusammenhang von Jesaja 9,5 um „das Land Sebulon und das Land Naphtali“, zwei Stämme der insgesamt zwölf Stämme Israels. Diese beiden Stämme lagen im Norden Israels, in der Nähe des Sees Genezareth (See Kinnereth). Der Herr Jesus wurde zwar in Bethlehem, im Südreich, in der Nähe von Jerusalem geboren, aber sehr schnell mussten seine Eltern mit Ihm nach Ägypten fliehen (Mt 2,13.14). Später wuchs Er dann in dem Land Sebulon in der Stadt Nazareth auf (Lk 4,16). Nach seinem öffentlichen Auftreten in Nazareth entwich Jesus, nachdem man versucht hatte, Ihn den Berg hinabzustürzen, nach Kapernaum, eine Stadt, die später sogar „seine Stadt“ genannt wird, wo Er sich eine Zeitlang aufhielt (Mt 4,12-16; 9,1; Mk 2,1). Kapernaum lag ganz im Norden, unmittelbar am See Genezareth.

Jesaja 8,23 hat also das Gebiet im Nordreich Israels im Blick. Dieses Land wurde „um die erste Zeit verächtlich gemacht“ (Jes 8,23). Dieses Gebiet wurde als Erstes von dem assyrischen König Tiglat-Pileser um 734–732 v.Chr. in die Gefangenschaft geführt, und daraufhin bevölkerten fremde Menschen diesen Landstrich (2Kön 15,29). Die noch verbliebenen Menschen wurden gedemütigt und in die heidnische Dunkelheit geführt. Hier blühte der Götzendienst, und das ganze Gebiet wurde das „Galiläa der Heiden“ genannt. Kapernaum war damals eine Handelsstadt und wurde sogar von den Galiläern verachtet, obwohl auch Nazareth in Galiläa von den Juden verachtet wurde (vgl. Joh 7,52).

In diesem Gebiet wuchs der Heiland der Welt auf. Er wuchs nicht in der „Stadt des großen Königs“ (Mt 5,35; Ps 48,3) auf! Dort, wo die Finsternis am größten war, dorthin wollte der Heiland sein Licht bringen. Hier wuchs Er auf, hier begann Er seinen Dienst. Später heißt es von Kapernaum: „Und du, Kapernaum, die du bis zum Himmel erhöht worden bist“ (Mt 11,23). Man kann wirklich mit dem Propheten Jesaja sagen: „Das Volk, das im Finstern wandelt, hat ein großes Licht gesehen; die da wohnen im Land des Todesschattens, Licht hat über ihnen geleuchtet“ (Jes 9,1).

Das Licht war also nicht der Stern über Bethlehem, sondern der Herr Jesus, wie Er im Land Sebulon und im Land Naphtali aufwuchs und seinen öffentlichen Dienst begann – wahrlich, Kapernaum sollte „bis zum Himmel erhöht“, sollte „zu Ehren“ (Jes 8,23) gebracht werden. Der Evangelist Johannes schreibt später: „Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst. … Er kam in das Seine, und die Seinen nahmen ihn nicht an“ (Joh 1,5.11). Nur einige Fischer am See Genezareth wollten diesem Licht folgen.

Allerdings übergeht der Prophet Jesaja diese Ablehnung und fährt fort mit Jesaja 9,2: „Du hast die Nation vermehrt, hast ihr groß gemacht die Freude; sie freuen sich vor dir, gleich der Freude in der Ernte, wie man frohlockt beim Verteilen der Beute.“ Es ist wichtig, diesen Zusammenhang zu begreifen. Der Herr Jesus schien als das Licht in die Dunkelheit, und die Folge davon hätte sein sollen, dass die Nation vermehrt würde, ja dass ganz Israel aus der Gefangenschaft zurückkehren sollte und eine Fülle von Freude auf sie warten würde.

Zwar sind bereits etliche Israeliten aus der Gefangenschaft zurückgekehrt, und 1948 wurde der Staat Israel gegründet, aber von einer echten Freude in Fülle ist Israel noch weit entfernt. Das ist jedoch die Verheißung, die Gott dem Volk Israel gemacht hat und die Er nicht zurücknehmen wird (vgl. Röm 11,29). Diese große Freude wird das Volk Israel in der Zukunft noch erleben. Sie werden nach Jesaja 9,3 erleben, wie das Joch der Knechtschaft (damals war es das Joch der Römer) von ihnen genommen wird. Sie sollen nicht mehr von einem fremden Stab geführt und von dem Stock fremder Führer geschlagen werden. Israel wird durch die Dazwischenkunft ihres Messias den Sieg davontragen. Äußerlich wird es ein schwaches Volk, ein erbärmlicher Überrest sein wie in den Tagen Gideons, als er die Midianiter mit nur dreihundert Mann schlug.

Eine Lücke zwischen Vers 1 und 2

Die spannende Frage ist allerdings, was wir mit der Lücke zwischen Jesaja 9,1 und 9,2 machen. Jesaja 9,1 erfüllte sich in den Tagen des Herrn Jesus. Davon berichtet auch der Evangelist Matthäus:

  • Mt 4,14-16:damit erfüllt würde, was durch den Propheten Jesaja geredet ist, der spricht: „Land Sebulon und Land Naphtali, gegen den See hin, jenseits des Jordan, Galiläa der Nationen: Das Volk, das in Finsternis sitzt, hat ein großes Licht gesehen, und denen, die im Land und im Schatten des Todes sitzen – Licht ist ihnen aufgegangen.“

Der Vers Jesaja 9,2 liegt also noch in der Zukunft. Für die Zwischenzeit hatte Gott einen anderen Plan und hat diesen zeitlich hier eingeschoben. Obwohl die Verwerfung des Messias auch im Propheten Jesaja beschrieben wird (vgl. Jes 53) und dort auch weitreichende Hinweise gegeben werden (Jes 65,1), bleibt es doch im Dunkeln, welchen Vorsatz Gott für diese Lücke gefasst hatte.

Wir dürfen dieses Geheimnis heute kennen! Es wurde durch den Apostel Paulus kundgetan. Der Epheserbrief erklärt uns das Geheimnis, das Gott in dieser Lücke verwirklicht hat. Der Apostel nennt diesen Ratschluss den „ewigen Vorsatz“ (Eph 3,11) Gottes. Er teilt den Ephesern mit, dass es ein Geheimnis gab, „das in anderen Geschlechtern den Söhnen der Menschen nicht kundgetan worden ist“ (Eph 3,5) – also auch nicht dem Propheten Jesaja –, das aber „jetzt offenbart worden ist seinen heiligen Aposteln und Propheten im Geist“ (Eph 3,5). Dieses Geheimnis war „von den Zeitaltern her verborgen in Gott“ (Eph 3,9). Gott hatte vor ewigen Zeiten diesen Vorsatz in seinem Herzen gefasst und mit seinem Sohn besprochen, dass es einmal Menschen geben sollte, die in die unmittelbare Nähe zum Vater kommen sollten; dazu mussten sie das Leben des Sohnes empfangen. Bei diesem Plan geht es also um etwas ganz anderes, als unter einem König als sein Volk in einem Land des Friedens zu wohnen. All das können wir in Epheser 1 und 2 nachlesen.

Der Ablauf der Ereignisse

Im Römerbrief beschreibt der Apostel den Ablauf, wie wir von Jesaja 9,1 zu Jesaja 9,2-6 gelangen:

  • Röm 11,25: Ich will nicht, Brüder, dass euch dieses Geheimnis unbekannt sei, damit ihr nicht euch selbst für klug haltet: dass Israel zum Teil Verhärtung widerfahren ist, bis die Vollzahl der Nationen eingegangen ist; und so wird ganz Israel errettet werden.

Auch in Apostelgeschichte 15 finden wir den gleichen Fahrplan:

  • Apg 15,14-17: Simon hat erzählt, wie zuerst Gott darauf gesehen hat, aus den Nationen ein Volk zu nehmen für seinen Namen. … Danach will ich zurückkehren und die Hütte Davids wieder aufbauen, die verfallen ist, und ihre Trümmer will ich wieder aufbauen und sie wieder aufrichten.

Wenn Gott sich dem zukünftigen Israel wieder zuwenden und jeder Feind besiegt sein wird, wird jegliche militärische Ausrüstung nicht mehr notwendig sein. Von dieser Ausrüstung sprechen die „Stiefel der Gestiefelten im Getümmel“ und das „Gewand, in Blut gewälzt“ in Jesaja 9,4. Es wird in Erfüllung gehen, was wir bereits in Jesaja 2,4 lesen: „Er wird richten zwischen den Nationen und Recht sprechen vielen Völkern. Und sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden und ihre Speere zu Winzermessern; nicht wird Nation gegen Nation das Schwert erheben, und sie werden den Krieg nicht mehr lernen.“ Das wird die herrliche Zeit des tausendjährigen Friedensreiches sein.

Endlich wird der Überrest in Israel die Worte sprechen: „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter. Und man nennt seinen Namen: Wunderbarer, Berater, starker Gott, Vater der Ewigkeit, Friedefürst“ (Jes 9,5).

In Teil 2 wollen wir uns ausführlicher mit diesem Vers beschäftigen.

Nächster Teil

Weitere Artikel des Autors Stephan Isenberg (118)


Hinweis der Redaktion:

Die SoundWords-Redaktion ist für die Veröffentlichung des obenstehenden Artikels verantwortlich. Sie ist dadurch nicht notwendigerweise mit allen geäußerten Gedanken des Autors einverstanden (ausgenommen natürlich Artikel der Redaktion) noch möchte sie auf alle Gedanken und Praktiken verweisen, die der Autor an anderer Stelle vertritt. „Prüft aber alles, das Gute haltet fest“ (1Thes 5,21). – Siehe auch „In eigener Sache ...

Bibeltexte im Artikel anzeigen