Die Leiden Christi – zur Sühnung

John Nelson Darby

© EPV, online seit: 24.11.2001, aktualisiert: 24.04.2022

Christus litt auch unter der Hand Gottes auf dem Kreuz. „Doch Jahwe gefiel es, ihn zu zerschlagen, er hat ihn leiden lassen. Wenn seine Seele das Schuldopfer gestellt haben wird, so wird er Samen sehen“ (Jes 53,10). Er wurde für uns zur Sünde gemacht, Er, der keine Sünde kannte (2Kor 5,21). Und weiter: „Um unserer Übertretungen willen war er verwundet, um unserer Missetaten willen zerschlagen. Die Strafe zu unserem Frieden lag auf ihm“ (Jes 53,5). Dort auf dem Kreuz litt Er als der Gerechte für die Ungerechten, das heißt, Er litt nicht, weil Er gerecht war, sondern weil wir Sünder waren, und Er trug unsere Sünden an seinem Leib auf dem Holz. Wenn Gott Ihn verließ, so konnte Er sagen: „Warum hast du mich verlassen?“ (Ps 22,2); denn in Ihm gab es dazu keine Ursache. Wir können heute die tief ernste Antwort darauf geben. Aus Gnade litt Er als der Gerechte für die Ungerechten. Er wurde für uns zur Sünde gemacht. In Seinem Leben litt Er seitens der Menschen um der Gerechtigkeit willen, doch als sterbender Heiland litt Er von der Hand Gottes um der Sünde willen. Es ist von großem Interesse, das Ergebnis dieser beiden Arten von Leiden, so wie es in den Psalmen zum Ausdruck kommt, zu betrachten. […]

In Psalm 22 haben wir dann neben all diesen Leiden vonseiten der Menschen, die bis zu ihrem Höhepunkt geschildert werden (siehe den ganzen Psalm bis Vers 21), Sein Leiden unter der Hand Gottes. Als Er unter dem schwersten Druck seitens der Menschen stand, wird Er von Gott verlassen, der doch Seine einzige Zuflucht war. Das ist das große Thema dieses Psalms. Er trug unsere Sünde, und weil Er sie trug, traf Ihn das Gericht. Unsere Sünden brachten es über Ihn, über den, der Sich unser doch so in Liebe angenommen hatte! Doch hierzu war Er gekommen, um die Sünde durch das Opfer Seiner Selbst wegzutun und unsere Sünden an Seinem Leib auf dem Holz zu tragen (1Pet 2,24). Daraus entspringt nur Gnade, nichts als unvermischte Gnade.

Wer hätte nun noch dafür bestraft werden sollen, dass Er den Kelch aus der Hand Seines Vaters getrunken hatte? Er wird erhört. Gott nimmt einen neuen Charakterzug an als derjenige, der Ihn auferweckt und Ihm Herrlichkeit gegeben hat, weil Er Ihn hinsichtlich der Sünde vollkommen verherrlicht hat. Er ist auferweckt worden aus den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters (Röm 6,4). Unmittelbar darauf verkündigt Er den Namen Seines Gottes und Vaters Seinen Brüdern: „Ich will deinen Namen verkündigen meinen Brüdern“ (Ps 22,23). Und Er erfüllte dieses prophetische Wort tatsächlich, als Er zu Maria Magdalena sagte: „Rühre mich nicht an [weil Er jetzt noch nicht kam, um dem Leib nach im Reich anwesend zu sein], denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater. Gehe aber hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, und zu meinem Gott und eurem Gott“ (Joh 20,17).

Das Zeugnis beinhaltet also nun Gnade, und der Herr Jesus stimmt den Lobpreis Seiner Erlösten an. Als Nächstes wird ganz Israel als die große Versammlung im Lobpreis gefunden (Ps 22,26), schließlich auch alle Enden der Erde (Ps 22,28). Die Fetten essen und fallen in Anbetung nieder; vor Ihm werden sich beugen alle, die in den Staub hinabfahren. Ein Volk, das geboren werden wird, wenn jene Friedenszeit gekommen ist, wird gleicherweise die wunderbaren Dinge kennenlernen, in die jetzt Engel hineinzuschauen begehren – dass Er es vollbracht hat (s. Ps 22,30-32). Es ist ein unvermischter Strom von Gnade und Segen, der immer breiter wird, sich bis zu den Enden der Erde erstreckt und der durch den Lauf der Zeit dahinströmt bis zu jenem Geschlecht, das geboren werden wird.

Das ist die Auswirkung des Kreuzes. Wo Seine Botschaft ernst genommen wird, ist von Gericht nicht mehr die Rede. Die Leiden auf dem Kreuz vonseiten Gottes bedeuteten das Gericht über die Sünde; sie waren das Werk, das vollbracht wurde, um die Sünde der Welt wegzunehmen (Joh 1,29). Er trug das Gericht, aber dieses Gericht kam gänzlich zu seinem Ende, als es an Ihm vollzogen war, der Sich in Gnade stellvertretend Selbst als Opfer zur Verfügung gestellt hatte. In der Tat, wenn wir vor dem Richterstuhl des Christus offenbar werden, so hat Er, vor dem wir erscheinen, Selbst unsere Sünden getragen. Ja, wir werden dort stehen, weil Er Selbst gekommen ist, um uns zu holen, auf dass, wo Er ist, auch wir sein möchten.

Um es noch einmal zu sagen: Der Herr litt auf dem Kreuz während der Stunden der Finsternis unter der Hand Gottes. Und „leiden vonseiten Gottes“ heißt „für die Sünde leiden“, nicht für Gerechtigkeit. Die Frucht dieser Mühsal Seiner Seele ist lauterste Gnade, die jetzt unentgeltlich und reichlich hervorströmt. Christus ist mit der Taufe getauft worden, mit der Er getauft werden musste (Lk 12,50). Von jetzt ab ist Er nicht mehr beengt, um Seine Liebe auszuüben und kundzutun. […]

Doch es gibt noch einen weiteren, für uns sehr wichtigen Unterschied. Christus litt der Sünde wegen, damit wir es niemals brauchen. Uns ist Heilung geworden durch Seine Striemen, ohne dass wir an diesen Striemen irgendeinen Anteil haben. Was Christus in dem Verlassensein von Gott als Folge der Sünde erduldete, das hat Er ganz allein gelitten; und zwar, wenn es um uns geht, genau zu dem Zweck, dass wir niemals auch nur einen Tropfen von diesem furchtbaren, bitteren und für uns untragbaren Kelch schmecken sollten. Würden wir doch davon trinken müssen, könnten wir es nur als verurteilte Sünder tun. […]

Diese beiden Arten von Leiden sind indessen miteinander verwandt und stehen den Leiden für die Sünden gegenüber. Der Unterschied zwischen den Leiden für Gutes und den Leiden für Böses wird uns in deutlicher und eindringlicher Weise im 1. Petrusbrief vorgestellt, jedoch werden beide Christus zugeschrieben. Petrus warnt uns vor Leiden für Böses. Christus wird uns in Seinen Leiden als ein Beispiel gezeigt (1Pet 2,19-23). Vers 23 nimmt Bezug auf die Schmähungen und Gewalttätigkeiten der Menschen. In Vers 24 wird hinzugefügt, dass der Herr unsere Sünden trug und es sich deshalb für uns gehört, uns der Sünde für tot zu halten und nicht mehr ihretwillen zu leiden (1Pet 2,24). Davon handelt noch 1. Petrus 3,17.18 in herzbewegender Weise. Die eigentliche Bedeutung dieser Worte möchte ich vielleicht so wiedergeben: Der Apostel hat vorher von den Leiden um der Gerechtigkeit willen gesprochen und bemerkt dann, es sei besser, wenn Gott es will, für Gutestun zu leiden statt für Bösestun. „Denn“, so fügt er hinzu, „es hat ja Christus einmal für Sünden gelitten.“ Das will sagen: Dieser Anteil in den Leiden ist nicht mehr eure Sache; Er hat das ein für alle Mal getan. Leiden der Gerechtigkeit wegen mag euer glückseliges Teil sein; Leiden um der Sünde willen, soweit es den Christen angeht, ist allein das Teil Christi. […]

Alle anderen Leiden treten zurück, wenn wir auf den Kelch blicken, den Er trinken musste. Dort sah Er die Menschen und ihr Treiben nicht mehr; doch darum waren diese Leiden nicht weniger wirklich. Und selbst als in Gethsemane dieser Kelch des Zornes vor Seiner Seele stand und Er wünschte, dass Seine Jünger, die die Gefahr nicht sahen, mit Ihm wachen möchten, da fand Er sie bei Seiner Rückkehr eingeschlafen. Alles war das Werk Seiner Liebe, und dieses Werk bedeutete Leiden. Sie musste schließlich den Weg des Gehorsams gehen bis zum Tod. In diesem Tod wurde das Gericht Gottes über die Sünde vollendet und der Hass und die Bosheit des Menschen getilgt.

Das war Christus. Alle Not verdichtete sich in Seinem Tod, und weder ein Trost der Liebe noch die Gemeinschaft mit Seinem Vater konnten diese Leiden lindern oder auch nur für einen Augenblick mit diesem furchtbaren Kelch und dem Fluch in Verbindung gebracht werden, den Er zu tragen hatte. Die Verheißungen, die königliche Herrlichkeit, auf die Er Anspruch hatte, alles gab Er dort preis, um sie unfehlbar neu zu gewinnen, indem Er sie verherrlicht aus der Hand Seines Vaters empfing. Und zwar mit einer besseren und höheren Herrlichkeit, als Er sie jemals gehabt hatte, in die Er aber nun als Mensch eintreten sollte.

Verweilen wir noch bei den Leiden Jesu am Kreuz. Soweit sie das Sühnungswerk betreffen, können unsere Empfindungen nie tief genug gehen. Was es für den Herrn war, diesen Kelch, den die Sünde gefüllt hatte, unter dem Gericht Gottes zu trinken, das können unsere Worte nicht zutreffend beschreiben, denn unsere menschliche Sprache drückt nur unsere eigenen Gefühle aus. Nichts sonst kann dem gleichgestellt werden. Wie wirklich und wahrhaftig fühlte Er das Gericht Gottes über die Sünde und dass Er ein Fluch werden musste! Er in Seiner vollkommenen Heiligkeit, in Seiner Liebe zu Gott, in Seiner Würdigung der Liebe Gottes in deren unendlichem Wert, er wusste, was es bedeutete, von Gott verlassen zu werden und vor Gott zur Sünde gemacht zu werden. Kraft Seiner Person war Er fähig, dieses alles zu ertragen – das steht einzig da. Es war schon sehr schwer, die Kreuzesnot im Voraus zu empfinden, doch Gethsemane war nicht Golgatha! Weder die einfache Tatsache des Todes, so schrecklich er für Ihn als den Fürst des Lebens war, noch weniger irgendein menschliches Leiden, das Er wirklich und in äußerstem Maße ertrug (kein Auge blickte mitleidsvoll, kein Herz fühlte mit dem Mann der Schmerzen), lassen sich damit vergleichen, dass Er vor Gott zum Fluch gemacht wurde.

Deshalb bringt der Herr in Psalm 22 zum Ausdruck, dass Er völlig allein ist. Er spricht in diesem Psalm von der Gewalttat und der Bosheit des Menschen. Er erwähnt auch Sein eigenes Gefühl der Schwachheit. Doch allen diesen Leiden stellt Er als das Allerschmerzlichste gegenüber, dass Gott fern von Ihm ist. Er spricht offen aus, dass in all der Not, wo andere Hilfe finden, Gott Ihn verlassen hat. Deshalb geht daraus als Frucht lauterste Gnade hervor, nur Gnade und Segnung, weil hier das Gericht gegen die Sünde vollstreckt wurde und Er von der Hand Gottes um der Sünde willen litt. Leiden von der Hand des Menschen mögen Gericht nach sich ziehen und werden es tun, wenn sie Folgen der Feindschaft des Willens des Menschen sind. Aber wenn es sich um das Verlassensein von Gott handelt, als Christus zur Sünde gemacht wurde – wer soll dafür gerichtet werden? Niemand! Das steht ganz und gar einzig da, und einzig und allein Christus hat damit zu tun. Diese Gerichtsleiden bewirken die Sühnung. Sie sind die Strafe zu unserem Frieden (Jes 53,5). Vermag irgendjemand zu leiden, um das zustande zu bringen? Deshalb steht Christus in diesem Psalm 22 so völlig allein, im Unterschied zu anderen, die auch Gläubige sind. Sie vertrauten auf Gott und wurden gerettet. Er aber wurde verlassen.

Leiden, Bedrängnisse, Ängste können in ihrer tiefsten und schärfsten Art eintreten, selbst mit Bezug auf die Sünde. Sie können zum Tode führen, bei all der furchtbaren Macht, die er über das Herz des Menschen ausübt. Sie können sich steigern, selbst bis zu dem Punkt, wo auch der Zorn gefunden wird. Aber hier erreichen sie auch ihre Grenze und finden ihr Ende. Ihrem Wesen nach erreichen sie ganz und gar nicht den Grimm Gottes. Sie gehören in den Bereich menschlicher Leiden, auch in ihrer höchsten Steigerung. Aber alle müssen zurücktreten, wenn die Gerichtsleiden Christi betrachtet werden. Wer könnte hier menschliches Leid empfinden, das sicherlich da war, wenn Zorn, der Zorn Gottes wider die Sünde da ist? Es geht nicht bloß um die bitteren Folgen für die Sünder, die bis zum Tode hinführen. Alles das ist wahr, und Christus ist diesen Weg gegangen; nein, es geht darum, als Sünde vor Gott zu stehen, denn dazu war Christus gemacht, damit Gott mit ihr als solcher abrechnen konnte nach Seiner heiligen Majestät und göttlichen Gerechtigkeit gegenüber der Sünde. Das steht einzigartig und einmalig da. Es wäre bedauerlich, wenn man das nicht erkennt.

Von diesem Punkt aus wird deutlich, dass der Geist Gottes sogar in Psalm 69 – einem Psalm, der in der Schilderung der Bedrängnisse und Leiden Christi sehr, sehr weit geht und sie in Verbindung mit Sünden sieht, die Gott wohlbekannt sind; wo Er auch lange gerufen hat und empfindet, dass Er lange unerhört bleibt – doch auch da andere an denselben Platz einzuführen vermag. Ich sage nicht, dass sie ebenso viel und so tief leiden, gewiss nicht. Aber sie vermochten doch in der gleichen Weise zu leiden, und zwar infolge der Stellung, in die ihre eigenen Sünden sie gebracht hatten. „Denn sie haben den verfolgt, den du geschlagen hast, und von dem Schmerz deiner Verwundeten erzählen sie“ (Ps 69,27). Deshalb steht das Gericht über sie in Aussicht. Aber es handelt sich hier nicht um Sühnung. Diese Leiden, die der Herr von der Hand des Menschen erdulden musste, bringen den Menschen Heimsuchungen gemäß den Regierungswegen Gottes. In Psalm 22 stehen alle leidenden Heiligen in deutlichem Gegensatz zu dem Herrn. Doch wenn dadurch die Erlösung vollbracht worden ist, wenn Er erhört worden ist von den Hörnern der Büffel (Ps 22,22), erst dann verbindet Er in der Tat Seine Brüder mit Sich Selbst, und zwar in Befreiung, Freude und Frieden. Wer konnte die Sühnung bereiten oder ihretwegen zu einem Fluch gemacht werden als nur Einer? Doch an allen anderen Leiden können wir teilhaben.

Dieser Unterschied zwischen Psalm 22 und Psalm 69 ist sehr bezeichnend. Psalm 69 schildert die Leiden Christi beim Herannahen des Todes und enthüllt den Aufschrei tiefer Not aus der Lage und den Umständen heraus, die ihn verursachten. Aber er spricht nicht davon, dass Gott Ihn verlassen hat, als Er zu Ihm schrie und sprach: „Ich aber, mein Gebet ist zu dir, HERR, zur Zeit der Annehmung. O Gott, nach der Größe deiner Güte, erhöre mich nach der Wahrheit deines Heils“ (Ps 69,14). Deshalb findet sich auch hier in dem Ausdruck Seiner Angst und Seines Schmerzes, so tief sie sein mochten, kein Wort ähnlich dem in Psalm 22,3: „Doch du antwortest nicht.“ So ist es unmöglich, dass ein geistlicher Sinn, der um den Wert göttlicher Gnade weiß und zu dem Herrn aufblickt – wie tief und einschneidend auch immer die vielleicht sogar durch eigene Sünde und Versagen herbeigeführte Not sein mag –, den gewaltigen Unterschied zwischen diesen beiden Zuständen nicht zu erfassen vermag. Gleicherweise unmöglich ist es für uns – und das ist so gesegnet und so kostbar! – jene Tiefen auszuloten, die ihren Ausdruck in Psalm 22 gefunden haben.

Ich fühle mich gedrungen, die dargestellte klare Trennung der Sühnungsleiden von allen anderen Leiden immer wieder zu betonen. Wenn es sich um unsere Errettung, Erlösung, Versöhnung handelt, so liegt die Sühnung durch Christus zugrunde. Er ist die „Sühnung für unsere Sünden“ (1Joh 4,14). Es ist so wichtig, die Leiden Christi in ihrem wahren Charakter zu sehen, zu sehen, wie Gott Ihn tatsächlich zur Sünde gemacht hat und wie Er der Sünde wegen wirklich von Gott verlassen war. Deshalb waren die Sühnungsleiden notwendig und verdient, weil Er wirklich der Sündenträger geworden ist; nicht für Sich Selbst, aber stellvertretend für uns nahm Er diese Leiden auf Sich. Das ist von höchster Bedeutung und als grundlegende und bleibende Wahrheit unbedingt festzuhalten.

Wir mögen auf Schriftstellen stoßen, die schwierig zu erklären sind. Wir mögen betroffen sein, wenn wir hören, wie andere sie deuten. Jemand mag in seinen Gefühlen die Vorahnung des Kelches des Zornes mit dem Trinken des Kelches verwechseln. Mehr oder weniger ist bei uns allen dergleichen schon vorgekommen. Aber wenn vor unsere Seelen und Gewissen tritt, wie der Herr wirklich unsere Sünden trug, wie Er vor Gott zur Sünde gemacht, und um dieser Sünde willen von Gott verlassen wurde, dann werden sich unsere Seelen vor diesem erhabenen Werk beugen. Und wir sollten es wissen und nie etwas anderes zulassen: darin stand Christus ganz allein! Das dürfen wir auch nicht für einen Augenblick mit jenen Leiden zusammenbringen, an denen auch andere Menschen teilhaben können. Da sind die Kümmernisse tätiger Liebe, da sind Züchtigungen, die als eine Folge der Sünde in den Regierungswegen Gottes über uns kommen. Daran können wir – jedenfalls der Mensch (z.B. der jüdische Überrest oder dem Grundsatz nach Sünder unter dem Gesetz) – unseren Anteil mit dankbarem Herzen tragen oder wir müssen uns darunter beugen. Es kann geschehen, dass Schmach ein Menschenherz bricht. Jemand mag allein stehen und von Menschen verlassen sein. Er mag aus qualvoller Tiefe aufschreien wegen seiner Sünde; aber die Last des göttlichen Zornes zu tragen, da weiß er, das könnte er nicht. Aber er betet an, wenn er sieht, dass ein anderer seinen Platz eingenommen hat, auf dem die Strafe zu seinem Frieden lag. […]

Hinsichtlich des ersten dieser Zustände, wo wir unserer Sünde wegen unter dem Gericht und der Verdammnis sind, ist der Tod Christi auf dem Kreuz als Sühnung die göttliche Antwort. Alles, was Gott in Seiner Natur war, richtete sich notwendigerweise gegen die Sünde. Denn obwohl Er Liebe ist, so hat doch die Liebe keinen Platz in Seinem Zorn wider die Sünde. Wo das eindringlich gefühlt wird, wo ein Mensch das Bewusstsein hat, dass er ohne Gott ist, so ist dies das furchtbarste aller Leiden. Wer darum weiß, kann es nur als das schrecklichste Entsetzen beschreiben: Doch Christus erfuhr das in unendlicher Tiefe. Denn Gottes erhabene Majestät, Seine Heiligkeit, Seine Gerechtigkeit, Seine Wahrheit, alle diese Wesenszüge in ihrer eigentlichen Natur wandten sich gegen Christus, als Er für uns zur Sünde gemacht wurde. Es gab keinen Trost der Liebe, der den Zorn gemildert hätte. Nie war der Gehorsam Christi so kostbar, denn Seine Seele stellte das Opfer für die Sünde und trug unsere Sünden im Gericht vor Gott. Am Ende der drei Stunden der Finsternis drückt der Herr das mit den Worten des 22. Psalms aus: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Seine Sühnung hat als Resultat für uns vollkommene Gnade bewirkt, gültig bis zum Ende der Zeit, ja, in alle Ewigkeit. Die Tiefe dieser sühnenden Gerichtsleiden können wir sicher nicht ermessen. Der Herr trank diesen Kelch bis zur Neige. Wäre nur ein Tropfen für uns übrig geblieben, so hätte das immerwährendes Elend und Verderben für uns bedeutet. Durch all das ging Er hindurch in Seiner göttlichen Vollkommenheit und in der Kraft Seiner Liebe, ohne einen Strahl des Trostes vonseiten Gottes oder der Menschen. Alle anderen Leiden drängten Ihn mit zunehmender Gewalt diesem Höhepunkt entgegen und gingen in jener Finsternis darin auf, die alles verbarg außer dem, was Er in dem Verlassensein von Gott ertrug.

Richter hatten in der herzlosesten Weise ihre Ungerechtigkeit erwiesen und wuschen ihre Hände im Blick auf Ihn und Seine Sache in Unschuld. Die Hohenpriester, die doch für den Schwachen eintreten sollten, forderten laut den grausamen Tod des Schuldlosen. Die Freunde, auf die Sein Herz doch hätte rechnen dürfen (und wie gern hätte Er Tröster gehabt, wie gern hätte Er es gesehen, dass die, die Ihm am nächsten standen, mit Ihm gewacht hätten), verließen Ihn tatsächlich und verleugneten Ihn: und die Treulosigkeit eines Freundes ist bitterer als der Angriff eines Feindes.

Das alles bewies die Macht Satans. Er übte eine unbegrenzte Herrschaft (mit Ausnahme derer, die die Gnade befreit hatte) aus und brachte seine Rechte durch die Sünde und die Macht des Todes über jene zur Geltung, die der Herr zu befreien gekommen war. Es war die Stunde des Menschen und die Gewalt der Finsternis. Alles, was Satan tun konnte, tat er; doch das führte den Herrn nur durch diesen Kampf hindurch, von dem ich jetzt sprechen will, indem Er willens war, Sich Selbst zu opfern und die Seinen ihres Weges gehen zu lassen. So erreicht Er die letzte Station Seiner Leiden, Golgatha, wo Er, aller menschlichen Tröstungen beraubt, das Werk der Versöhnung vollbringt. Er allein vor Gott, der die Sünde richtet. Einzigartig steht jene Szene vor uns. Wohl wissen wir um ihre wahre Bedeutung – Gott sei gepriesen dafür! –, aber wer, außer Ihm allein, vermöchte hier bis auf den Grund zu blicken? Er kannte den Hass Gottes im Gericht über die Sünde, wie Gott allein ihn kennt. Stiere von Basan umringten Ihn dort und Hunde, die keine Scham des Herzens kannten, doch sie waren für den leidenden Heiland nur der Anlass, um Hilfe zu flehen, wo Er doch im „Rachen des Löwen“ um unsertwillen erfahren sollte, was es bedeutete, von Gott verlassen zu sein. Diese Stunden sind für immer vorüber und haben als Frucht göttliche und ewige Herrlichkeit gebracht. So groß war der unendliche und wahrhaft göttliche Wert jener Stunden und jenes Werkes, dass Er sogar sagen konnte: „Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, auf dass ich es wiedernehme“ (Joh 10,17).

Vorheriger Teil


Aus „The sufferings of Christ“, Collected Writings, Bd. 7
neu zusammengestellt aus dem Büchlein Die Leiden Christi, S. 8–14, 25–31, 49–51

Weitere Artikel des Autors John Nelson Darby (68)


Hinweis der Redaktion:

Die SoundWords-Redaktion ist für die Veröffentlichung des obenstehenden Artikels verantwortlich. Sie ist dadurch nicht notwendigerweise mit allen geäußerten Gedanken des Autors einverstanden (ausgenommen natürlich Artikel der Redaktion) noch möchte sie auf alle Gedanken und Praktiken verweisen, die der Autor an anderer Stelle vertritt. „Prüft aber alles, das Gute haltet fest“ (1Thes 5,21). – Siehe auch „In eigener Sache ...

Bibeltexte im Artikel anzeigen