Die Leiden Christi – aufgrund der Erwartung des Zornes Gottes

John Nelson Darby

© SoundWords, online seit: 06.12.2006, aktualisiert: 09.12.2020

Anmerkung der Redaktion:
Dies sind Teile aus verschiedenen Abhandlungen von J.N. Darby über die Leiden Christi. Deshalb ist dieser Artikel in verschiedene voneinander getrennte Gedankenstränge eingeteilt.

Zunächst möchte ich die Frage beantworten: „Wurde Christus selbst gezüchtigt im Blick auf die Sünde?“ Eigentlich ist kaum eine Antwort erforderlich, weil Er keine Sünde hatte, in Bezug auf welche Er hätte gezüchtigt werden können. Er wurde weder gezüchtigt im Hinblick auf die Sünde noch auf den Zorn, der sich auf seine Person gerichtet hätte in Bezug auf die Sünde. Aber wir dürfen freiwilliges Mitgefühl mit Leiden und Eingehen in die Leiden in Liebe nicht verwechseln mit einem Unter-diesem-Leid-Liegen durch die eigene Stellung. Wenn Er unter der Züchtigung selber gelegen hätte, dann hätte Er nicht in freiwilliger Liebe in sie eintreten können, als Mensch lebend auf der Erde, weil Er in dem Fall schon unter diesem Leiden gelegen hätte. Hier ist gerade die Gefahr – wenn man leugnet, dass Er dort hineingegangen ist. Dann kann man schnell zu der fatalen Lehre kommen, dass Er notwendigerweise unter der Zucht gelegen habe. Es ist gerade die Lehre, dass Christus notwendigerweise und durch Geburt als Mensch unter diesen Leiden und Züchtigungen für die Sünde gewesen sei, die es unmöglich macht, die Wahrheit zu verstehen, dass Er in Gnade und freiwillig in sie in Liebe eingetreten ist. Und gerade das gibt den Leiden seinen ganzen Wert. Er konnte nicht als Mensch auf der Erde in Gnade und Güte gegen uns darin im Mitgefühl eingehen, wenn Er durch eine Notwendigkeit in seiner eigenen Person als Mensch darunter gelegen hätte oder mehr als andere Menschen es waren.

Der Punkt ist deswegen klar. Aber Leiden, die andere erdulden, darin kann man eingehen, freiwillig und aus Liebe, auch wenn man selbst nicht im geringsten Maße diesem Leid unterworfen ist, und aus denen man wieder aussteigen könnte zu jedem beliebigen Moment, wenn man es für angebracht hält. Eine Mutter könnte ins Gefängnis gehen mit einem Kind und die Unannehmlichkeiten des Gefängnisses in Liebe zu ihrem Kind erleiden, um sein Herz für das Richtige zu gewinnen. Es wäre für sie keine Strafe für einen Fehler, und sie wäre frei, jederzeit aus dem Gefängnis hinauszugehen, wenn sie es wollte. Sie kann in alle seine Umstände eingehen und die Not und Pein eines Gefängnislebens erdulden und fühlen, dass es für ihn eine Strafe für seinen Fehler ist, ohne das geringste Gefühl zu haben, dass es eine Strafe für sie selbst ist – und das ist es auch in der Tat nicht. Sie ist dort in Liebe hineingegangen. Es ist keine Strafe. Sie ist dort zu keiner Zeit in einem Zustand als Bestrafte. Sie kann auch selbst nicht einmal das Gefühl haben, dass es für sie eine Strafe ist, das heißt, als wenn sie in demselben Zustand wäre wie ihr Sohn. Doch erduldet sie tatsächlich alles, was er auch erduldet. Sie fühlt es sogar selber viel mehr (denn ihre natürlichen und moralischen Empfindungen sind weitaus empfindsamer), und sie fühlt all die Schande und Schmach davon als eine Strafe, die auf ihm liegt, ohne dass es das auch im geringsten Maße für sie ist. Nicht nur das. Selbst wenn sie dort wäre, weil das Gesetz es ihr auferlegen würde (weil sie die Mutter dessen ist, der die Sache verschuldet hat), könnte sie es nicht in derselben Weise für ihn fühlen. Sie gehört dann zwar auch nicht zu den „Bösen“, aber sie ist dann selbst ein Gegenstand des Mitgefühls – soweit wir selbst auch unter einer Sache liegen, können wir nicht in einfacher und wahrhaftiger Liebe mit dem mitfühlen, der es ist. Wir müssen moralisch außerhalb des „Bösen“ sein, um frei zu fühlen für solche, die darin sind. Die Leiden hat der Herr tatsächlich erfahren, und Er ist im Geiste und in Gedanken für sein Volk in ihre Rechtssache eingegangen, gerade deswegen, weil diese Rechtssache keine Anwendung in irgendeiner Form auf Ihn selbst hatte. Er unterwarf sich dem Spott und der Zurückweisung der Nationen; so wird es der Überrest Israels tun; aber sie sind die Schuldigen und gerade deswegen sind sie unter diesem Leiden, obwohl sie nun in ihrem Herzen Bußfertige sind und sich von dem schuldigen Teil des Volkes abgewandt haben. Der Schrecken des Gerichtes Gottes war vor Christus in Gethsemane: so wird es mit dem Überrest Israels in der Zukunft sein. Sie werden dem Zorn in der Tat entgehen (was für Ihn nicht zutraf wegen unserer Rettung). Zurückweisung und Verachtung aufseiten der Juden waren sein Teil – so wird es mit dem Überrest sein. So ist es mit allen diesen Arten von Leiden wie Verrat, Verlassensein und Spott.


Jemand mag fragen: Aber wie konnte Er in dieser Weise in das Gefühl des Zorns eintreten? Nichts ist einfacher. Israel steht darunter, weil sie es verdient haben, und sie rufen aus den Tiefen unter dem Gefühl der Sünde, und die Hand Gottes, die auf ihnen liegt, bedrückt sie mit dem Gefühl und der Angst vor dem Zorn aufgrund der Sünde. Das heißt nicht, dass sie nicht auch ermuntert und in einem gewissen Maße in Hoffnung getröstet sind, dennoch kennen sie nicht die Fülle der Erlösung in Christus. Christus fühlte das nicht, weil Er es in irgendeiner Art und Weise verdient hatte oder notwendigerweise darunter lag durch Geburt innerhalb eines Volkes, das es verdient hatte, so dass Er Barmherzigkeit und andere Mittel benötigt hätte, um dem zu entkommen; aber (ganz im Gegenteil) weil Er, obwohl Er diesem nicht unterworfen war, doch zum Wohlgefallen seines Vaters alles in freiwilliger Gnade auf sich genommen hat. Er konnte vorausahnend fühlen, was Er wirklich erleiden musste, und zu Dem schreien, der fähig war, Ihn aus dem Tod zu erretten. Die Gläubigen des Überrestes Israels können schreien unter dem Druck desselben Zornes, den sie schließlich gar nicht abbekommen werden. Sie kommen nur deswegen in die Not, damit sie zu ihrem eigenen Nutzen die Wahrheit davon kennenlernen und dass die Wahrheit Wirklichkeit in ihrem Inneren ist. Ich spreche jetzt nicht von dem Maß und dem Geist, in welchem Er gelitten hat; denn hier ist trotz der Gnade, die in ihnen ist, der Unterschied immer hoch. Die Wahrheit ist, dass Mitgefühl so weit entfernt ist von dem In-demselben-Zustand-Sein, dass das Mitgefühl Christi ausgeübt wird, wenn Er gar nicht mehr am Leiden ist.[1] Er hat eine Natur, die dieselben Leiden kennt wie wirkliche Leiden, und deswegen ist Er fähig, in sie einzugehen. Aber der Geist und Sinn, in welchem Er in sie eingeht, ist so unterschiedlich wie nur möglich. Sein Geist wirkt in dem Überrest gemäß dem, was von seiner Hand stattfinden soll – das ist Gericht. Er fühlt und wird eingehen in ihre Leiden, denn Er ist durch Leiden gegangen. Seine Gefühle unter diesen Leiden waren aus reiner Gnade. Wenn sie leiden, dann weil Er sie urteilt, und sein Geist wirkt daraufhin, dass sie dieses Urteil erwarten. Die Kirche allein hat in vollem Maße, was ihre Natur angeht, die gleichen Gedanken mit Jesus selbst. Auch auf dieser Seite ist ihr Vorrecht daher groß. Wir können es nicht hoch genug wertschätzen.


Kommen wird zurück zu meinem Beispiel: nehmen wir an, eine Mutter hätte einen Sohn, der aufgehängt werden sollte wegen Diebstahl, und sie wäre in großer Not, dass jemand, der ihr so nahesteht, zu solch einem Ende kommen soll. Würde das beweisen, dass sie eine Diebin ist, obwohl er auch in großer Not ist, dass er zu solch einem Ende kommen muss? Oder würde das beweisen, dass sie die Erfahrung einer Diebin hat? Und doch ist sie in großer Not, weil jemand, den sie liebt, darin ist: Es ist nicht nur reines Mitgefühl – das mag sie auch zeigen –, ja es kann sogar sein, dass sie ihre Not versteckt, um Mitgefühl zu zeigen. Hier ist der Unterschied, dass Christus wirklich hinging, um selbst die Konsequenzen auf sich zu nehmen. Aber es ist eine außerordentliche Verblendung, anzunehmen, dass die Beschreibung des Zustandes, in den eine Person im Geiste eintritt, eine Behauptung ist, dass er in dem Zustand oder der Beziehung sei, in Bezug auf welche er leidet.


Jene Leiden des Herrn, die außerhalb des Sühnungswerkes liegen, in die Er jedoch eintrat und die auch andere Menschen treffen können, zeigen einen zwiefachen Charakter: Sie entspringen einmal der Bemühung der Liebe in der Welt. Zum anderen sind es Leiden, die aus dem Bewusstsein hervorgehen, der Sünde wegen unter Züchtigungen zu stehen. Bei diesen letzteren Leiden wird auch der Druck empfunden, den die Macht Satans auf die Seele ausübt, wie auch der Schrecken, den der zu erwartende Zorn Gottes über die Sünde der Seele einflößt. Leiden der ersten Art erdulden wir mit Christus und sie sind ein Vorrecht. Die letzteren Leiden sind unter Gottes Hand eine Folge unserer Torheit. Doch auch diese Leiden hat Christus getragen; Er fühlt mit uns, besonders mit Israel. Gänzlich verschieden hiervon aber sind die Leiden an unserer statt, die eben dem Zweck dienten, uns von jenen Leiden zu befreien, indem Er die Strafe zu unserem Frieden auf sich nahm, damit wir dem Zorn Gottes entrinnen konnten. Als Er sühnte, litt Er für uns. Im Dienst leiden wir mit Ihm. In unserer Sündennot und unserer Seelenangst fühlt Er mit uns.


Aber es gab Leid, das darüber hinausging. Er ging Grimm und Zorn entgegen. Er trank zwar noch nicht den Kelch, Er wurde noch nicht geschlagen, aber Er ging dem entgegen. Er gab sich dem hin, was das Instrument dazu sein würde, Er drang darauf, dass es doch schnell geschehen solle, war in der Stunde, die das alles beinhaltete für seine Seele. Diese Stunde hatte ihr spezielles Leid, aber seine Seele war bestürzt – erst betete Er, dass Er gerettet würde von dieser drohenden Stunde, aber dann beugte Er sich diesem, weil es die Stunde war, für die Er in die Welt gekommen war. Dann drängte Er darauf, dass es schnell geschehen solle. Dann war Er bestürzt bis zum Tod, weil Er nun, nachdem Er gerade in die Hände der Menschen überliefert worden war, auch dem Zorn und Grimm begegnen würde. Das, was seine Leiden so tief machte, war, dass Er wusste, dass Er Zorn und Grimm begegnen würde. Die Bosheit des Menschen war herzlos und ohne Gewissen, aber es führte von Schritt zu Schritt zum Kreuz, zu dem Kelch, welchen Er trinken sollte. Er war nun als Sohn des Menschen überliefert oder kurz davor, überliefert zu werden in die Hände der Menschen, verworfen von den Ältesten, Hohenpriestern und Schriftgelehrten, den Führern Israels. Der Schatten des Todes vom Kreuz wurde nicht nur vorausgesehen im Sonnenschein des göttlichen Dienstes und der göttlichen Gunst, sondern er zog über seine Seele, obwohl Er den Kelch noch nicht trank. Er sagt uns das selbst. Hierin hat Er nicht Mitgefühl gehabt mit anderen. Er suchte nach Mitgefühl von anderen und bat seine Jünger, mit Ihm zu wachen. Er trank noch nicht tatsächlich den Kelch, aber Er ging Zorn und Grimm entgegen, wie ich wiederholen möchte. Das gab seiner Überlieferung in Menschenhände die Kraft und das Leid des Todes. Er lernte Gehorsam durch die Dinge, die Er litt, und in den Tagen seines Fleisches flehte Er mit starkem Geschrei und Tränen zu dem, der Ihn aus dem Tode zu erretten vermochte.


Eine unbefreite Seele, wenn sie durch Gnade aufrichtig ist, fürchtet den Tod, fürchtet das Gericht Gottes im Blick auf den Tod. Christus war vollkommen aufrichtig, fürchtete den Tod, fürchtete den Zorn, schrie zu Gott unter dem Bewusstsein davon und kann eingehen in die Übung einer solchen Seele, um ihr so die notwendige Gnade zu schenken.


Aus verschiedenen Artikeln und Briefen zusammengestellt

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Anmerkungen

[1] Anm. d. Red.: Gemeint ist wohl, dass, wenn Christus das Mitgefühl mit dem Überrest haben wird, Er schon Hunderte von Jahren in der Herrlichkeit ist.

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