Leitverse: Johannes 19
In diesen ernsten abschließenden Ereignissen sehen wir einerseits, wie die Gegenwart Jesu das Böse des Fleisches offenbar macht, und andererseits, wie die Bosheit des Menschen die Vollkommenheit seines Herzens darstellt. Angesichts des mörderischen Hasses der Juden, der harten Ungerechtigkeit des heidnischen Richters und der Beleidigungen der Soldaten sehen wir auf der Seite Christi nur vollkommene Unterordnung, unendliche Geduld und stille Würde. Er äußert kein Wort des Unmuts und greift nicht auf seine Allmacht zurück, um seine Feinde zu vernichten. Die Stunde war gekommen, um Gott durch das Werk am Kreuz zu verherrlichen, und Er ist gehorsam bis zum Tod.
Trotzdem wissen wir, dass Gott den Beleidigungen seinem Sohn gegenüber nicht gleichgültig ist. Der Tag wird kommen, wenn der Eine, den die Menschen mit einer Dornenkrone gekrönt und als König der Juden verspottet haben, erscheinen und als König der Könige viele Kronen tragen wird. Der Eine, den die Menschen mit einem Purpurgewand bekleidet haben, wird auf die Erde kommen, „bekleidet mit einem in Blut getauchten Gewand“, und der Eine, den die Menschen mit ihren bösen Händen gepeinigt haben, wird die Nationen mit eiserner Rute schlagen.
Die Psalmen und die Propheten sagten sowohl sein geduldig ertragenes Leiden im Angesicht seiner Feinde als auch seine zukünftige Verherrlichung voraus, wenn seine Feinde zum Schemel seiner Füße werden. Deshalb sehen wir in Psalm 109 Christus in seiner Erniedrigung, als böse Menschen Lügen über Ihn sagten, grundlos gegen Ihn kämpften, Ihm Gutes mit Bösem vergalten, Ihn für seine Liebe hassten und verfolgten, um „sogar den elenden und armen Mann zu töten“. Angesichts dieser Bosheit kann der Herr sagen: „Ich aber bin stets im Gebet.“ Psalm 110 ist die Antwort auf sein Gebet. Der von Menschen Verworfene ist zur Rechten Gottes erhöht, um auf die Zeit zu warten, wenn seine Feinde als Schemel für seine Füße hingelegt werden und Er aus Zion regieren wird – der Stadt, in der Er gekreuzigt wurde – zum Gericht der Nationen und zum Segen seines ergebenen Volkes.
Wir haben gesehen, dass Pilatus einen ersten Versuch unternahm, nichts mit Christus zu tun zu haben, indem er vorschlug, dass die Juden Ihn nach ihrem eigenen Gesetz richten sollten (Joh 18,31). Das schlug fehl und Pilatus musste den Fall übernehmen und zugeben, keinen Makel an dem Herrn zu finden. Seine Pflicht lag also auf der Hand. Gerechtigkeit fordert, dass ein Unschuldiger freigelassen wird. Aber persönliches Interesse zwang Pilatus dazu, danach zu streben, weiterhin gute Beziehungen zu den Juden zu pflegen. Deshalb unternahm er einen zweiten Versuch, um die Verurteilung eines Unschuldigen zu verhindern und gleichzeitig die Juden zu besänftigen, indem er auf einen Brauch zurückgriff, nach dem am Passah ein Gefangener freigelassen wurde. Aber Brauch hin oder her, es wäre die schlichte Pflicht von Pilatus gewesen, den Einen freizugeben, an dem er keinen Makel fand. Dieser Kompromiss misslang nicht nur, sondern wurde zu einer Gelegenheit, die Tiefen der Bosheit zu zeigen, in die die jüdische Nation gesunken war. Um den Brauch zu erfüllen, zogen sie es vor, dass Barabbas, ein Mörder (Apg 3,14) und Räuber, freigelassen wurde. Das ist das Böse unseres Herzens, dass wir, wie sehr wir einen Mörder und Dieb auch ablehnen, wenn es um die Wahl zwischen Christus und dem Mörder geht, den Mörder wählen würden, der das Leben nimmt, statt den Einen, der das Leben gibt – wenn nicht die Gnade Gottes uns davon abhalten würde.
Verse 1-5
Joh 19,1-5: 1 Dann nahm nun Pilatus Jesus und ließ ihn geißeln. 2 Die Soldaten flochten eine Krone aus Dornen und setzten sie auf sein Haupt und warfen ihm ein Purpurgewand um; 3 und sie kamen auf ihn zu und sagten: Sei gegrüßt, König der Juden! Und sie schlugen ihm ins Angesicht. 4 Und Pilatus ging wieder hinaus und spricht zu ihnen: Siehe, ich führe ihn zu euch heraus, damit ihr wisst, dass ich keinerlei Schuld an ihm finde. 5 Jesus nun ging hinaus, die Dornenkrone und das Purpurgewand tragend. Und er spricht zu ihnen: Siehe, der Mensch!
Offensichtlich kam es Pilatus nicht in den Sinn, dass die Juden sich für Barabbas entscheiden würden. Aber durch diesen Kompromissversuch gerät er in die Hände der Menschen und sinkt als ungerechter Richter noch tiefer in die Bosheit. So unternimmt er einen dritten Versuch, um die Juden zu besänftigen und nicht das äußerste Urteil über Jesus sprechen zu müssen: Er lässt Ihn geißeln und erlaubt den Soldaten, Ihn mit Dornenkrone und Purpurgewand zu verspotten und mit ihren Händen zu schlagen. Dann bringt er den Herrn mit der Dornenkrone und dem Purpurgewand hinaus als Beweis seiner Bestrebungen, den Menschen zu gefallen, indem er denjenigen den sie hassen, mit Geringschätzung behandelt. Er legt nun nahe, dass es unnötig sei, weitere Schritte zu unternehmen, da er keine Schuld an Ihm finde. Leider kannte Pilatus den Hass im Herzen der Juden genauso wenig wie die völlige Verdorbenheit seines eigenen Herzens und dem der Nationen.
Vers 6
Joh 19,6: Als ihn nun die Hohenpriester und die Diener sahen, schrien sie und sagten: Kreuzige, kreuzige ihn! Pilatus spricht zu ihnen: Nehmt ihr ihn hin und kreuzigt ihn, denn ich finde keine Schuld an ihm.
Die Bosheit der Juden begnügt sich nicht mit der Geißelung und den Beschimpfungen, denen der Herr unterworfen worden war. Mord ist in ihrem Herzen, deshalb schreien sie sofort: „Kreuzige, kreuzige ihn!“ Sie bestehen nicht nur auf seinem Tod, sondern auf dem schändlichsten Tod: dem Tod eines Übeltäters an einem Kreuz. Zuerst weicht Pilatus davor zurück, bis zum Äußersten zu gehen, und zum vierten Mal versucht er, dieser Bosheit zu entkommen mit den Worten: „Nehmt ihr ihn hin und kreuzigt ihn, denn ich finde keine Schuld an ihm.“ Zum dritten Mal benutzt er diese Worte; er gibt so dreifach Zeugnis von der Vollkommenheit Jesu und dem Versagen der Obrigkeit in der Hand der Heiden.
Vers 7
Joh 19,7: Die Juden antworteten ihm: Wir haben ein Gesetz, und nach diesem Gesetz muss er sterben, weil er sich selbst zu Gottes Sohn gemacht hat.
Die Anklage, dass der Herr sich der römischen Obrigkeit entgegenstellte, indem Er den Platz des Königs der Juden einnahm, ließ Pilatus völlig unbeeindruckt, und deshalb greifen die Juden nun auf eine ernstere Anklage zurück. Sie sagen, dass „er sich selbst zu Gottes Sohn gemacht hat“. Die Wahrheit ist, dass Er der Sohn Gottes ist, aber Fleisch wurde, wie wir lesen, da „sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau“ (Gal 4,4).
Verse 8.9
Joh 19,8.9: 8 Als nun Pilatus dieses Wort hörte, fürchtete er sich noch mehr; 9 und er ging wieder in das Prätorium hinein und spricht zu Jesus: Woher bist du? Jesus aber gab ihm keine Antwort.
Diese weitere Anklage macht Pilatus noch mehr Angst. Zweifellos konnte er am Herrn eine Majestät und Würde erkennen, die ihm erhabener erschien als die eines gewöhnlichen Menschen und die dem Göttlichen ähnlich war. Deshalb betritt Pilatus mit ängstlichem Herzen die Halle und fragt den Herrn: „Woher bist du?“ Die Frage ist durch Angst hervorgerufen, aber diese Angst war weder Glaube noch die Folge eines Bedürfnisses; daher antwortet der Herr dem Pilatus nicht.
Verse 10.11
Joh 19,10.11: 10 Da spricht Pilatus zu ihm: Redest du nicht mit mir? Weißt du nicht, dass ich Gewalt habe, dich freizulassen, und Gewalt habe, dich zu kreuzigen? 11 Jesus antwortete ihm: Du hättest keinerlei Gewalt gegen mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre; darum hat der, der mich dir überliefert hat, größere Sünde.
Gekränkt durch das Schweigen des Herrn, rühmt sich Pilatus seiner Macht, den Herrn nach seinem eigenen Willen zu kreuzigen oder freizulassen. Doch erfährt er vom Herrn, dass er überhaupt keine Macht über Ihn hat, außer der, die ihm von oben gegeben ist. Der Herr stand gerade im Begriff, das großartige Werk zu vollbringen, durch das Gott verherrlicht und Sünder, die glauben, gesegnet werden. So wird dem Menschen erlaubt, seine Macht zu gebrauchen, um den bestimmten Ratschluss und die Vorsehung Gottes auszuführen. Trotzdem wird Gott die Sünde des Menschen, den Herrn der Herrlichkeit zu kreuzigen, gerecht beurteilen. Jude und Heide sind des größten Verbrechens, das jemals begangen wurde, schuldig, aber die Juden, die ihren Messias den Römern überliefert haben, sind der größeren Sünde schuldig.
Vers 12
Joh 19,12: Daraufhin suchte Pilatus ihn freizulassen. Die Juden aber schrien und sagten: Wenn du diesen freilässt, bist du kein Freund des Kaisers; jeder, der sich selbst zum König macht, spricht gegen den Kaiser.
Wenn diese Worte von den Lippen eines gewöhnlichen Menschen gekommen wären, wäre Pilatus über diese Entgegnung sicher aufgebracht gewesen. Doch stattdessen ist er offensichtlich tiefer beeindruckt und verwundert. Deshalb unternimmt er einen letzten Versuch, den Herrn freizulassen. Aber stattdessen deckt er die größere Sünde der Juden auf, denn sie widersetzen sich erneut, indem sie die weltlichen Interessen von Pilatus ansprechen. Sie weisen darauf hin, dass, wenn er ein Freund des Kaisers bleiben will, er „diesen nicht freilassen kann“.
Verse 13-16
Joh 19,13-16: 13 Als nun Pilatus diese Worte hörte, führte er Jesus hinaus und setzte sich auf den Richterstuhl an einen Ort, genannt Steinpflaster, auf hebräisch aber Gabbatha. 14 Es war aber Rüsttag des Passah; es war um die sechste Stunde. Und er spricht zu den Juden: Siehe, euer König! 15 Sie aber schrien: Hinweg, hinweg! Kreuzige ihn! Pilatus spricht zu ihnen: Euren König soll ich kreuzigen? Die Hohenpriester antworteten: Wir haben keinen König als nur den Kaiser. 16 Dann nun überlieferte er ihn an sie, damit er gekreuzigt würde. Sie aber nahmen Jesus hin [und führten ihn fort].
Pilatus liebte diese Welt und erkannte weder seine Not als Sünder noch die Gnade Christi. Er wurde hinsichtlich seiner eigenen Interessen und weltlichen Vorteile von den Behauptungen der Juden beeinflusst. Er nahm auf dem Richterstuhl Platz, und nachdem er einen weiteren kläglichen Versuch unternommen hatte, die Verurteilung des Einen zu vermeiden, von dem er drei Mal erklärt hatte, keine Schuld an ihm zu finden, gab er ihrem Geschrei „Hinweg, hinweg! Kreuzige ihn!“ nach. Die Juden sahen keinerlei Schönheit in Ihm, warum sie nach Ihm verlangen sollten; und Pilatus, obwohl er von seiner Unschuld überzeugt und von seiner Majestät und Würde beeindruckt war, zog die Freundschaft der Welt dem Sohn Gottes vor. So taten sich die Juden und die Heiden zusammen, um den Herrn der Herrlichkeit zu kreuzigen. Jemand hat gesagt: „Pilatus und die Juden hatten völlig gegensätzliche Gedanken und Wünsche; aber Gott war weder in dem einen noch in dem anderen.“ In diesen zwei Versen haben wir deshalb die Summe der Bosheit der Juden und Heiden. Die Juden besiegelten ihren Untergang durch die völlige Verwerfung ihres Messias, indem sie sagten: „Wir haben keinen König als nur den Kaiser.“ Das ist der öffentliche Abfall der Juden. Der Heide hat in seinem Urteil total versagt, indem er den Einen, in dem keine Schuld war, wie es drei Mal bekannt wurde, zur Kreuzigung hingab.
So endet die Gerichtsverhandlung vor Pilatus, die in diesem Evangelium in mehr Einzelheiten beschrieben ist als in den anderen. Alle diese Begebenheiten bringen mehr und mehr die Herrlichkeit der Person Christi ans Licht und ebenso die zunehmende Schuld der Juden und Heiden. Es wird zuerst die Tatsache bezeugt, dass Christus der König der Juden ist (Joh 18,33); dann, dass Sein Reich nicht von dieser Welt ist (Joh 18,36); dass Er in die Welt kam, um von der Wahrheit Zeugnis zu geben (Joh 18,37); dass Er der Sohn Gottes ist (Joh 19,7) und schließlich dass Er als Sohn Gottes derjenige ist, über den Pilatus keine Macht hat, es sei denn sie würde ihm von oben gegeben (Joh 19,11).
Verse 17.18
Joh 19,17.18: 17 Und sein Kreuz tragend, ging er hinaus zu der Stätte, genannt Schädelstätte, die auf Hebräisch Golgatha heißt, 18 wo sie ihn kreuzigten und zwei andere mit ihm, auf dieser und auf jener Seite, Jesus aber in der Mitte.
Unser gelobter Herr unterwirft sich dem Urteil der Menschen und das Kreuz tragend, an dem Er das Von-Gott-Verlassensein erleiden wird, geht Er hinaus zu „der Stätte, genannt Schädelstätte“. Er ist gehorsam bis zum Tod, selbst dem Tod an einem Kreuz and das in erniedrigender Begleitung – der von zwei Verbrechern.
Verse 19-22
Joh 19,19-22: 19 Pilatus schrieb aber auch eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz. Es war aber geschrieben: Jesus, der Nazaräer, der König der Juden. 20 Diese Aufschrift nun lasen viele von den Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt; und es war geschrieben auf Hebräisch, Lateinisch und Griechisch. 21 Die Hohenpriester der Juden sagten nun zu Pilatus: Schreibe nicht: Der König der Juden, sondern dass jener gesagt hat: Ich bin der König der Juden. 22 Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben.
Trotzdem wird die Aussage Gottes bezüglich Jesus aufrechterhalten und wird auch zum Zeugnis für die Bosheit der Juden, denn Pilatus schreibt oberhalb des Kreuzes: „Jesus der Nazaräer, der König der Juden.“ Ferner wird dieses Zeugnis in die ganze Welt hinausgehen, denn es ist auf Hebräisch, Lateinisch und Griechisch geschrieben. Die Juden merken sofort, dass diese Worte sie dem furchtbaren Vorwurf aussetzen, die Kreuzigung ihres König erlaubt zu haben. Sie hätten gern gehabt, dass das Geschriebene geändert würde. Aber Pilatus, ungeduldig mit sich selbst und dem Volk, ist unerbittlich. Er erwidert den Juden kurz und knapp: „Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben.“
Verse 23.24
Joh 19,23.24: 23 Die Soldaten nun nahmen, als sie Jesus gekreuzigt hatten, seine Kleider und machten vier Teile, jedem Soldaten einen Teil, und das Untergewand. Das Untergewand aber war ohne Naht, von oben an durchgehend gewebt. 24 Da sprachen sie zueinander: Lasst uns dies nicht zerreißen, sondern darum losen, wem es gehören soll – damit die Schrift erfüllt würde, die spricht: „Sie haben meine Kleider unter sich verteilt, und über mein Gewand haben sie das Los geworfen.“ Die Soldaten nun haben dies getan.
Darüber hinaus werden die Soldaten, die seine Kleider unter sich teilen, unbewusst Zeugen der Herrlichkeit seiner Person, denn Er ist derjenige von dem tausend Jahre zuvor gesagt wurde: „Sie teilen meine Kleider unter sich, und über mein Gewand werfen sie das Los“ (Ps 22,19). „Die Soldaten nun haben dies getan“ und erfüllten damit Gottes Wort.
Verse 25-27
Joh 19,25-27: 25 Bei dem Kreuz Jesu standen aber seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Kleopas, und Maria Magdalene. 26 Als nun Jesus die Mutter sah und den Jünger, den er liebte, dabeistehen, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! 27 Dann spricht er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm der Jünger sie zu sich.
Inmitten all des Leidens des Kreuzes leuchten des Herrn Menschenliebe und Fürsorge hervor. Die Tatsache, dass Er am Anfang seiner Laufbahn keine Einmischung in seinen Dienst seitens seiner Mutter geduldet hatte (Joh 2,3.4), hindert Ihn nicht daran, für ihr irdisches Wohl zu sorgen. Deshalb befielt Er sie jetzt der Fürsorge des einen an, der mehr als alle anderen der Liebe Jesu vertraute: dem Jünger, der an Jesu Brust gelegen hatte und der sich selbst fünf Mal als der Jünger, den Jesus liebte, beschreibt. Von dieser Stunde an nahm Johannes sie zu sich.
Verse 28-30
Joh 19,28-30: 28 Danach, da Jesus wusste, dass alles schon vollbracht war, spricht er – damit die Schrift erfüllt würde –: Mich dürstet! 29 Es stand nun ein Gefäß voll Essig da. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und legten ihn um einen Ysop und brachten ihn an seinen Mund. 30 Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! Und er neigte das Haupt und übergab den Geist.
Jemand hat die Bemerkung gemacht, dass im Johannesevangelium weder Jesu Leiden im Garten Gethsemane noch sein Leiden am Kreuz erwähnt sind. Im Einklang mit der Zielsetzung des Evangeliums ist alles aus der Sicht Gottes dargestellt. Weil Jesus Gott war, wusste Er, dass jetzt alles vollbracht war, und Er erfüllte die Schrift, indem Er sagte: „Mich dürstet.“ Danach konnte Er mit göttlicher Zuversicht sagen: „Es ist vollbracht!“ Dann lesen wir: „Und er neigte das Haupt und übergab den Geist.“ In den Evangelien von Markus und Lukas wird die gleiche Begebenheit berichtet, aber es wird ein anderes Wort gebraucht: Er „verschied“ (Mk 15,37; Lk 23,46). Dieses könnte man von irgendjemand sagen, aber im Johannesevangelium wird sein eigenes göttliches Handeln ausgedrückt. Er selbst ist es, der „seinen Geist übergibt“. Ein Mensch kann sein eigenes Leben nehmen, aber kein normaler Mensch kann durch einen Willensakt seinen Geist von seinem Körper trennen. Aber der Herr tat es in seiner Eigenschaft als der Sohn, wie Er es schon vorher in diesem Evangelium betonte: „Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, um es wieder zu nehmen. Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selbst. Ich habe Vollmacht, es zu lassen, und ich habe Vollmacht, es wieder zu nehmen“ (Joh 10,17.18).
Verse 31-37
Joh 19,31-37: 31 Die Juden nun baten Pilatus, dass ihre Beine gebrochen und sie abgenommen würden, damit die Leiber nicht am Sabbat am Kreuz blieben, weil es Rüsttag war – denn der Tag jenes Sabbats war groß. 32 Da kamen die Soldaten und brachen die Beine des ersten und des anderen, der mit ihm gekreuzigt war. 33 Als sie aber zu Jesus kamen und sahen, dass er schon gestorben war, brachen sie ihm die Beine nicht, 34 sondern einer der Soldaten durchbohrte mit einem Speer seine Seite, und sogleich kam Blut und Wasser heraus. 35 Und der es gesehen hat, hat es bezeugt, und sein Zeugnis ist wahr; und er weiß, dass er sagt, was wahr ist, damit auch ihr glaubt. 36 Denn dies geschah, damit die Schrift erfüllt würde:„Kein Bein von ihm wird zerbrochen werden.“ 37 Und wiederum sagt eine andere Schrift:„Sie werden den anschauen, den sie durchstochen haben.“
Die Bedenken der Juden und die Brutalität der Soldaten brachen die Beine der beiden Verbrecher und durchbohrten die Seite des Heilands. Wohl kaum war es ihnen bewusst, dass sie einen Gläubigen ins Paradies schickten und das Zeugnis der reinigenden und rettenden Gnade des Werkes Christi herausstellten. Gleichzeitig erfüllten sie die Schrift, die sagt, dass kein Bein von Ihm gebrochen werden sollte, und „sie werden auf mich blicken, den sie durchbohrt haben“ (2Mo 12,46; 4Mo 9,12; Ps 34,21; Ps 22,17.18; Sach 12,10).
Verse 38-42
Joh 19,38-42: 38 Danach aber bat Joseph von Arimathia, der ein Jünger Jesu war, aber aus Furcht vor den Juden ein verborgener, den Pilatus, dass er den Leib Jesu abnehmen dürfe. Und Pilatus erlaubte es. Er kam nun und nahm seinen Leib ab. 39 Aber auch Nikodemus, der zuerst bei Nacht zu ihm gekommen war, kam und brachte eine Mischung von Myrrhe und Aloe, etwa hundert Pfund. 40 Sie nahmen nun den Leib Jesu und wickelten ihn in Leinentücher mit den Gewürzsalben, wie es bei den Juden Sitte ist, zum Begräbnis zuzubereiten. 41 An dem Ort, wo er gekreuzigt wurde, war aber ein Garten und in dem Garten eine neue Gruft, in die noch nie jemand gelegt worden war. 42 Dorthin nun, wegen des Rüsttags der Juden, weil die Gruft nahe war, legten sie Jesus.
Außerdem wird Jesajas Prophezeiung erfüllt. Er hatte gesagt: „Man hat sein Grab bei Gottlosen bestimmt; aber bei einem Reichen ist er gewesen in seinem Tod, weil er kein Unrecht begangen hat und kein Trug in seinem Mund gewesen ist“ (Jes 53,9). So treten reiche, angesehene Männer hervor, nachdem alle anderen geflohen sind, und erhalten die Erlaubnis, den toten Körper des Heilands mit aromatischen Gewürzen in ein neues Grab zu legen. Jemand hat mit Recht gesagt: „Bosheit, die ihren Höhepunkt erreicht hat, führt die Schwachen dazu, sich treu zu erweisen“ (J.N.D.). Wie oft ist das in der Geschichte des Volkes Gottes unter Beweis gestellt worden! Diese beiden Gläubigen, die bis dahin durch ihren Reichtum und ihren sozialen Stand daran gehindert worden waren, sich mit Christus in seinem bescheidenen Leben zu identifizieren, stellen sich nun mutig auf seine Seite.