Das Kreuz gewinnt unser Herz
Psalm 22,2

Charles Henry Mackintosh

© CSV, online seit: 27.12.2005, aktualisiert: 19.04.2025

Leitvers: Psalm 22,2 „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, bist fern von meiner Rettung, den Worten meines Gestöhns?“

Ps 22,2: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Wer kann das Leiden des Sohnes Gottes beschreiben, das Er ertrug, als Er seine Seele ausschüttete in den Tod, als aus seinem Herzen dieser qualvolle Aufschrei hervorkam: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Als Mensch konnte Er zu dem HERRN stets sagen: „Du bist mein Gott.“ Er war Gott gleich. Er, der eingeborene Sohn, war immer eins mit dem Vater. Dennoch nahm Er Knechtsgestalt an, und als vollkommener Diener fand Er seine Speise darin, den Willen dessen zu tun, der Ihn gesandt hatte, und sein Werk zu vollbringen (Joh 4,34 „Jesus spricht zu ihnen: Meine Speise ist, dass ich den Willen dessen tue, der mich gesandt hat, und sein Werk vollbringe.“). Er blieb in seinem Leben in absoluter Weise in Gemeinschaft mit dem Vater, so dass Er sagen konnte: „Vater, … ich aber wusste, dass du mich allezeit erhörst“ (Joh 11,42). Aber in den Leiden des Kreuzes rief Er aus: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Der Sohn war immer im Schoß des Vaters, schon ehe die Welt war. Als die Fülle der Zeit gekommen war, wurde Er auf die Erde gesandt, von einer Frau geboren. Er wurde wegen des Leidens des Todes „ein wenig unter die Engel erniedrigt …, so dass er durch Gottes Gnade für alles den Tod schmeckte“ (Heb 2,9).

Der Tod des Herrn am Kreuz steht vollkommen allein da. Er kann nie und muss auch nie wiederholt werden, weil er ewig wirksam und gültig bleibt. Kein Geschöpf kann die Leiden des Herrn beschreiben, die Er auf Golgatha durchmachte, als Er die Sünden vieler trug (Jes 53,12 „Darum werde ich ihm Anteil geben an den Vielen, und mit Gewaltigen wird er die Beute teilen: dafür, dass er seine Seele ausgeschüttet hat in den Tod und den Übertretern beigezählt worden ist; er aber hat die Sünde vieler getragen und für die Übertreter Fürbitte getan.“). In jenen schrecklichen Stunden war seine Seele satt von Leiden (Ps 88,4 „Denn satt ist meine Seele von Leiden, und mein Leben ist nahe am Scheol.“), war seine Kraft vertrocknet wie ein Scherben. Seine Zunge klebte an seinem Gaumen. Alle seine Gebeine hatten sich zertrennt, und sein Herz war wie Wachs geworden, war zerschmolzen inmitten seiner Eingeweide (Ps 22,15-16 (15) Wie Wasser bin ich hingeschüttet, und alle meine Gebeine haben sich zertrennt; wie Wachs ist geworden mein Herz, es ist zerschmolzen inmitten meiner Eingeweide. (16) Meine Kraft ist vertrocknet wie eine Tonscherbe, und meine Zunge klebt an meinem Gaumen; und in den Staub des Todes legst du mich.“).

Welch eine tiefe Not, welch eine unaussprechliche Qual war es, als Gott, der seinen eigenen Sohn „in Gleichgestalt des Fleisches der Sünde und für die Sünde sandte, die Sünde im Fleisch verurteilte“ (Röm 8,3), so dass der heilige Dulder ausrufen musste: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, bist fern von meiner Rettung, den Worten meines Gestöhns? Mein Gott! Ich rufe des Tages, und du antwortest nicht; und des Nachts, und mir wird keine Ruhe“ (Ps 22,2-3). Als der Hohn sein liebendes Herz gebrochen hatte und der Heilige geschlagen und gegeißelt worden war, seine Hände und Füße durchgraben worden waren; als kein Engel mehr herabstieg, um Ihn zu stärken, kein Freund da war, um Ihn zu trösten (Ps 69,21 „Der Hohn hat mein Herz gebrochen, und ich bin ganz elend; und ich habe auf Mitleid gewartet, und da war keins, und auf Tröster, und ich habe keine gefunden.“); als die Sonne nicht mehr ihr Licht auf die Szene werfen durfte und es dem HERRN gefiel, Ihn zu zerschlagen (Jes 53,10 „Doch dem HERRN gefiel es, ihn zu zerschlagen, er hat ihn leiden lassen. Wenn seine Seele das Schuldopfer gestellt haben wird, so wird er Samen sehen, er wird seine Tage verlängern; und das Wohlgefallen des HERRN wird in seiner Hand gedeihen.“); als Er von Gott verlassen war – gerade da rechtfertigte Er Ihn mit den Worten: „Doch du bist heilig, der du wohnst unter den Lobgesängen Israels“ (Ps 22,4).

Nur Er, der in sich unendlich ist, konnte den Kelch des Gerichts Gottes über die Sünde leeren. Nur der Heilige Gottes konnte für uns zur Sünde und zum Fluch gemacht werden. Niemand als nur der gute Hirte konnte für die Schafe sein Leben lassen (Joh 10,15 „wie der Vater mich kennt und ich den Vater kenne; und ich lasse mein Leben für die Schafe.“). Niemand als nur Jesus, der Sohn Gottes, konnte und wollte uns retten. Und was für ein Opfer hat Er gegeben! Was für eine unendliche, ewige Segnung muss aus dem vollbrachten Werk des Sohnes Gottes hervorfließen, „der sich selbst für unsere Sünden hingegeben hat, damit er uns herausnehme aus der gegenwärtigen, bösen Welt, nach dem Willen unseres Gottes und Vaters“ (Gal 1,4)!

Wie wunderbar,

  • dass der Sohn, durch den die Welten geworden sind (Heb 11,3 „Durch Glauben verstehen wir, dass die Welten durch Gottes Wort bereitet worden sind, so dass das, was man sieht, nicht aus Erscheinendem geworden ist.“), unsere Sünden an seinem Leib auf dem Holz tragen sollte (1Pet 2,24 „der selbst unsere Sünden an seinem Leib auf dem Holz getragen hat, damit wir, den Sünden abgestorben, der Gerechtigkeit leben, durch dessen Striemen ihr heil geworden seid.“);
  • dass der Urheber des Lebens getötet (Apg 3,15 „den Urheber des Lebens aber habt ihr getötet, den Gott aus den Toten auferweckt hat, wovon wir Zeugen sind.“), der Gerechte den Übertretern beigezählt werden sollte (Jes 53,12 „Darum werde ich ihm Anteil geben an den Vielen, und mit Gewaltigen wird er die Beute teilen: dafür, dass er seine Seele ausgeschüttet hat in den Tod und den Übertretern beigezählt worden ist; er aber hat die Sünde vieler getragen und für die Übertreter Fürbitte getan.“);
  • dass der Sohn des Höchsten (Lk 1,32 „Dieser wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben;“) in die unteren Teile der Erde gehen sollte (Eph 4,9 „Das aber: Er ist hinaufgestiegen, was ist es anderes, als dass er auch hinabgestiegen ist in die unteren Teile der Erde?“);
  • dass der eingeborene Sohn, der im Schoß des Vaters ist (Joh 1,18 „Niemand hat Gott jemals gesehen; der eingeborene Sohn, der im Schoß des Vaters ist, der hat ihn kundgemacht.“), durch die Hand von Gesetzlosen ans Kreuz geheftet und umgebracht werden sollte (Apg 2,23 „diesen, hingegeben nach dem bestimmten Ratschluss und nach Vorkenntnis Gottes, habt ihr durch die Hand von Gesetzlosen an das Kreuz geschlagen und umgebracht.“);
  • dass der Herr der Herrlichkeit hier auf der Erde den Kreuzestod finden sollte (1Kor 2,8 „die keiner von den Fürsten dieses Zeitlaufs erkannt hat (denn wenn sie sie erkannt hätten, so würden sie wohl den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt haben),“);
  • dass des HERRN gerechter Knecht, sein Auserwählter, an dem seine Seele Wohlgefallen gefunden hatte (Jes 42,1 „Siehe, mein Knecht, den ich stütze, mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat: Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, er wird den Nationen das Recht kundtun.“), von Ihm aufgegeben, verlassen werden sollte, so dass Er in der äußersten Qual seiner Seele ausrufen musste: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Welch unendliche Vollkommenheiten treffen hier zusammen! Was für unergründliche Belehrungen über Gnade, Heiligkeit, Gerechtigkeit, Wahrheit und Frieden werden uns hier gegeben!

Der Tod Christi am Kreuz steht nicht nur in seiner ewigen Wirksamkeit völlig allein da, sondern er ist auch unvergleichlich darin, dass sich dort Not und Liebe trafen. Kein Tröster war helfend zur Seite, keine Hand streckte sich aus, um seinen Kummer zu mildern, kein Herz war bereit und fähig, mit Ihm zu fühlen. Es war alles so, wie Er gesagt hatte: „Kein Helfer ist da“ (Ps 22,12). Nicht ein Tropfen der Barmherzigkeit mischte sich in den Kelch des gerechten Gerichts Gottes über die Sünde. Wunderbare Liebe, doch unaussprechliche Not!

Und warum all dieses Leiden? Weil Jesus der Sündenträger war. Die Heiligkeit Gottes erforderte es, dass unsere Sünden gerichtet wurden. Ja, Gott muss die Sünde richten, und so legte Er „unser aller Ungerechtigkeit“ auf Ihn (Jes 53,6 „Wir alle irrten umher wie Schafe, wir wandten uns jeder auf seinen Weg; und der HERR hat ihn treffen lassen unser aller Ungerechtigkeit.“). „Um unserer Übertretungen willen war er verwundet, um unserer Missetaten willen zerschlagen. Die Strafe zu unserem Frieden lag auf ihm, und durch seine Striemen ist uns Heilung geworden“ (Jes 53,5). Das ist der Grund, warum der vollkommene, liebende Heiland von Gott verlassen wurde, und das ist der Grund, warum Er starb. Lässt nicht die Betrachtung dieses unvorstellbaren Leidens unsere Herzen warm werden? Und wenn wir an die Liebe denken, an die Not, die Qual, die Schmach, an das Verlassensein von Gott, wird dann nicht in uns der Wunsch wach, unser Herz, unser Leben, unser Alles Ihm zu weihen?


Originaltitel: „Das Kreuz gewinnt unser Herz
in Ermunterung und Ermahnung, Jg. 45, 1991, S. 226–229.

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