Sühnung und Stellvertretung
1. Johannes 2,2; Hebräer 9,28

Botschafter

© SoundWords, online seit: 15.07.2012, aktualisiert: 02.03.2024

Leitverse: 1. Johannes 2,2; Hebräer 9,28

Obwohl Sühnung und Stellvertretung in dem Werk Christi innig miteinander verbunden sind, so sind sie doch zwei sehr verschiedene Dinge, die wir gut auseinanderhalten müssen, wenn wir das Wort Gottes „recht teilen“ wollen: Sühnung ist die Seite des Opfers Christi; sie ist, wenn ich es so ausdrücken darf, Gott zugekehrt und hat Bezug auf die ganze Welt [d.h., die Reichweite der Sühnung erstreckt sich auf die ganze Welt]; Stellvertretung ist die entgegengesetzte Seite; sie hat Bezug nur auf die Gläubigen.

Die Sühnung ist für die ganze Welt

[Was Sühnung betrifft], so lesen wir zum Beispiel in 1. Johannes 2,2:

1Joh 2,2: Er ist die Sühnung für unsere Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die ganze Welt.

Die Sühnung ist für die ganze Welt vollbracht worden, nicht für irgendein bestimmtes Volk oder für irgendeine beschränkte Zahl von Menschen mit Ausschluss anderer [wie der Calvinismus lehrt], sondern für die ganze Welt. Durch den Opfertod Christi ist Gott in seiner Natur vollkommen verherrlicht worden. Das kostbare Blut Christi ist in seinem ewigen Wert vor den Augen Gottes, und infolgedessen kann Gott, der heilige und gerechte Gott, seine Langmut und Güte der ganzen Welt beweisen, den Lästerer in Geduld tragen, dem Gottlosen und Undankbaren in Liebe begegnen und alle einladen, zu Jesus zu kommen und im Glauben an Ihn Vergebung und Frieden zu finden. Das Blut ist auf dem Gnadenstuhl (vgl. 3Mo 16), und aufgrund dieser Tatsache können wir ausgehen und aller Schöpfung, die unter dem Himmel ist, das Evangelium predigen [vgl. Mk 16,15; Kol 1,23b].

Beachten wir indes wohl, dass der Apostel nicht sagt: „Er ist eine Sühnung für die Sünden der ganzen Welt“; noch weniger[1] heißt es irgendwo im Wort Gottes, dass Christus die Sünden der ganzen Welt (oder aller Menschen) gesühnt oder getragen habe. Nein; denn wenn das der Fall wäre, so würde die ganze Welt errettet werden und würde niemand verlorengehen können. Das Wort Gottes ist klar und bestimmt, und wir dürfen nicht ein einziges Wort hinzu- oder davontun.[2] Christus ist eine Sühnung für die ganze Welt: Gottes Heiligkeit ist im Blick auf die Sünde völlig zufriedengestellt worden. So wie am großen Versöhnungstag der erste Bock, auf den das Los für den HERRN gefallen war, geschlachtet und dann sein Blut durch den Hohenpriester ins Heiligtum gebracht und siebenmal auf und vor den Gnadenstuhl gesprengt wurde und so wie Gott aufgrund dieses Opfers (ganz abgesehen von den einzelnen Tatsünden des Volkes; diese wurden nachher auf den Kopf des zweiten Bockes bekannt) weiter in der Mitte seines Volkes wohnen und es in seinem sündigen, unreinen Zustand tragen konnte – so ist auch durch Christus eine Sühnung vollbracht worden, die den heiligen Gott gerade da, wo Er durch den Sünder aufs Schrecklichste beleidigt worden war, aufs Vollkommenste verherrlicht hat; das Sühnungsblut ist im Heiligtum [vgl. Heb 9,11.12] und redet dort allezeit.

Hierher gehören auch Stellen wie die folgenden:

Joh 1,29: Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt.

Heb 9,26:: Er [Christus] ist in der Vollendung der Zeitalter einmal geoffenbart worden zur Abschaffung der Sünde durch sein Opfer.

Das Lamm Gottes ist geschlachtet worden, das Opfer ist vollbracht, und obwohl wir heute noch nicht sagen können, dass die Sünde hinweggenommen und abgeschafft ist, so wissen wir doch aus dem Wort Gottes, dass die Zeit kommt, wo der Fluch der Sünde nicht mehr auf dieser Erde ruhen wird. Ja, es wird eine Zeit kommen, wo die Sünde nicht mehr sein wird. Auch wird die Gerechtigkeit nicht mehr herrschen, sondern wohnen in dem neuen Himmel und auf der neuen Erde [2Pet 3,13]. Dann wird die vollkommene Erfüllung jener beiden Stellen gekommen sein.

Die Stellvertretung ist nur für die Gläubigen

Aber so wahr und herrlich das alles ist – wir dürfen es doch nicht mit der Errettung und Segnung des Gläubigen verwechseln. Die Errettung ist persönlich, nicht allgemein, und deshalb war zu ihrer Herbeiführung nicht nur Sühnung, sondern [auch] Stellvertretung nötig. Mit anderen Worten: Die Sünde war in der Welt und musste gesühnt werden [deshalb ist Christus die Sühnung für die ganze Welt]. Aber darüber hinaus befanden wir uns selbst in dem Zustand der Sünde, wir waren unreine, gefallene Geschöpfe und Sünder, die viel Böses getan und eine große Schuld auf sich geladen hatten. Wollte Gott uns also [persönlich] segnen und retten, so musste ein heiliges, fleckenloses Opfer an unsere Stelle treten, unsere Strafe tragen, für uns zur Sünde gemacht und mit unseren unzähligen Sünden und Missetaten beladen werden. Das ist – Gott sei ewig dafür gepriesen! – an demselben Fluchholz und in derselben Stunde geschehen, als die Sühnung für die Sünde getan und Gott im Blick auf die Sünde völlig verherrlicht worden ist. Da ist Christus unser Stellvertreter geworden. Er hat die Strafe getragen, die wir verdient hatten; Er hat die ganze Schuld bezahlt, und nun gehen wir frei aus. Das Gericht hat einen anderen, einen heiligen Stellvertreter, getroffen, so dass der Gläubige nie mehr ins Gericht kommen kann.

Sobald in der Schrift von dieser Seite des Werkes Christi, vom Sündentragen [von Stellvertretung], die Rede ist, heißt es nicht „die ganze Welt“ oder „alle“, sondern „viele“:

Mt 26,28: Dies ist mein Blut …, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.

Heb 9,28: Er ist einmal geopfert worden, um vieler Sünden zu tragen.

Und nur Gläubigen wird gesagt: „Er hat unsere Sünden getragen“, und: „Christus ist für unsere Sünden gestorben“, und Gott „hat den, der Sünde nicht kannte, für uns zur Sünde gemacht“ (1Pet 2,24; 1Kor 15,3; 2Kor 5,21). Die Sünden der Gläubigen – eines jeden Einzelnen von ihnen – sind nach der vollkommenen Kenntnis, die Gott von ihnen hatte, auf Jesus gelegt worden, und Er hat dafür gebüßt. Der Gläubige kann sagen: Christus hat mich gewaschen von allen meinen Sünden in seinem Blut [Off 1,5]; Er hat mich geliebt und sich selbst für mich dahingegeben [Gal 2,20]; ich bin gekreuzigt und gestorben mit Ihm. Und Gott kann erklären: „Ich will ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeiten nicht mehr gedenken“ [vgl. Jes 43,25; Jer 31,34]. Der reine, fleckenlose Sohn Gottes hat für andere den schimpflichen Kreuzestod erduldet, indem Er für sie in den Riss trat und das Todesurteil, das sie verdient hatten, über sich ergehen ließ.

Jeder ist eingeladen

Aber – so könnte jemand einwenden – wird Christus denn nicht „der Heiland der Welt“ genannt, und heißt es nicht von Ihm, dass Er „für alle“ gestorben sei und dass Er sich selbst „zum Lösegeld für alle“ gegeben habe (Joh 4,42; 1Joh 4,14; 2Kor 5,15; 1Tim 2,6)? Allerdings; aber der aufmerksame Leser wird finden, dass an all diesen Stellen nicht von Stellvertretung, sondern [von Sühnung, d.h.] von dem Werk Christi in seiner Bedeutung [oder in seiner Reichweite] für alle Menschen in dem anfangs besprochenen Sinn die Rede ist. Wäre Christus nicht der Heiland der Welt, so würden wir nicht ausgehen können mit dem Ruf: „Wen da dürstet, der komme; wer da will, nehme das Wasser des Lebens umsonst“ (Off 22,17). Das Lösegeld ist da für alle. Keiner ist ausgeschlossen. Jeder ist eingeladen; und wer da kommt, empfängt Vergebung und ewiges Leben.


Originaltitel: „Sühnung und Stellvertretung“
aus Botschafter des Heils in Christo, Jg. 45, 1897, S. 305–308
Ergänzungen in eckigen Klammern von SoundWords

Anmerkungen

[1] Anm. d. Red.: Wenn es hier heißen sollte – was grammatisch möglich wäre –, dass Er die Sühnung für die Sünden der ganzen Welt ist, dann bedeutet das noch lange nicht, dass Er auch stellvertretend die Strafe für die Sünden aller Menschen getragen hat. Genauso wenig bedeutet die Aussage, dass Er „der Retter der Welt“ ist, dass auch die ganz Welt errettet wird.

[2] Anm. d. Red.: Wer hier unbedingt übersetzen möchte: „für die der ganzen Welt“, muss sich fragen, warum Johannes das „die“ nicht wiederholt wie in der sprachlich parallelen Situation in Hebräer 7,27: „Ein solcher Hoherpriester … hat nicht Tag für Tag nötig, wie die Hohenpriester, zuerst für die eigenen Sünden Schlachtopfer darzubringen, dann für die des Volkes.“ Er muss sich auch noch eine weitere Frage stellen. Es gibt nämlich noch eine ähnliche Konstruktion wie in 1. Johannes 2,2 („die“ wird nicht wiederholt), nämlich in Hebräer 9,7. Dort lesen wir in der sehr wörtlichen Münchener Übersetzung: „in das zweite aber einmal des Jahres allein der Hochpriester, nicht ohne Blut, das er darbringt für sich selbst und für des Volkes Unwissenheiten“. Dort haben alle gängigen Übersetzungen kein Problem damit, die Auslassung hier gelten zu lassen. Denn sonst müssten sie übersetzen: „in die zweite aber einmal im Jahr allein der Hohepriester, nicht ohne Blut, das er für seine eigenen Verirrungen und für die des Volkes darbringt“.


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