„Dein Bruder, für den Christus gestorben ist“
Römer 14,15; 1. Korinther 8,11

Sydney Long Jacob

© SoundWords, online seit: 21.03.2013, aktualisiert: 12.01.2021

Leitverse: Römer 14,15; 1. Korinther 8,11

Römer 14,15: Verdirb nicht … den, für den Christus gestorben ist.

1Kor 8,11: … der Schwache …, der Bruder, um dessentwillen Christus gestorben ist.

„Mein Bruder, für den Christus gestorben ist“ (vgl. Röm 14,15). Das wollen wir uns selbst sagen, sanft und liebevoll, wie solch ein Name es erfordert: „Mein schwacher Bruder, für den Christus gestorben ist“ (vgl. 1Kor 8,11). Ich kann ihn zugrunde richten, ich kann verursachen, dass er umkommt, ich, der ihn lieben soll, wie Christus mich liebt, und bereit sein sollte, mein Leben für ihn zu geben!

Bin ich meines Bruders Hüter? Sicherlich! Und wo ist mein Bruder? Wo ist er nicht? Begegne ich ihm nicht täglich in der Bahn oder im Bus, auf dem Markt oder auf der Straße, in Häusern oder auf öffentlichen Plätzen? Halte ich Ausschau nach ihm und freue mich, wenn ich ihm begegne? Liebe ich ihn und kümmere mich um ihn? Sehne ich mich nach einer Gelegenheit, ihm zu dienen, so wie der Herr mich befähigt?

Wir werden nicht so schnell vergessen, wie in Edinburgh 1902 ein geliebter persischer Bruder vor ca. dreihundert zum Gebet versammelten Brüdern aufstand und mit Tränen und stammelnden Worten zu uns sprach: „Auch du warst wie einer von ihnen“ (Obad 11). Und dann las er Obadja 12-15: „Und du solltest nicht auf den Tag deines Bruders sehen am Tag seines Missgeschicks und dich nicht freuen über die Kinder Juda am Tag ihres Untergangs, noch dein Maul aufsperren am Tag der Bedrängnis; du solltest nicht in das Tor meines Volkes einziehen am Tag seiner Not; und du, auch du solltest nicht auf sein Unglück sehen am Tag seiner Not, noch deine Hand ausstrecken nach seinem Vermögen am Tag seiner Not … Wie du getan hast, wird dir getan werden; dein Tun wird auf dein Haupt zurückkehren.“ Als er das gelesen hatte und eingestand, wie sehr er sich schuldig fühlte, fühlten sich sicherlich auch viele von uns, die zuhörten, sehr schuldig.

Der sektiererische Geist ist so unterschwellig und allgegenwärtig, dass es keineswegs einfach ist, davon frei zu sein. Wie schnell denken und reden wir von unserer Gemeinschaft und von unserer Gruppe und wenden diese Begriffe dadurch nur auf sehr wenige der Kinder Gottes an. Wir wissen nichts von wirklich priesterlichem Dienst zugunsten all derer, für die Christus gestorben ist. Wenn Christus für sie gestorben ist, wie kostbar müssen sie für Christus sein! Bewirkt nicht die göttliche Natur in uns, nach ihnen mit ganzem Herzen zu verlangen? Was immer von Christus in ihnen ist, sollen wir uns nicht ungeheuchelt freuen und glücklich sein über die gemeinsame Verbindung, die wir in Christus haben? Und wenn andererseits wir einen Mangel sehen (und wir alle haben viele), sollten wir dann nicht bereit sein, alles uns Mögliche zu tun, um ihnen zu helfen? Und zwar in liebevoller und nachsichtiger Fürsorglichkeit; nicht harsch oder in einem Geist der Überlegenheit, sondern in einem Geist der Sanftmut, indem wir auf uns achten, damit wir nicht auch versucht werden.

Wie schrecklich ist es, dass wir unseren Bruder zerstören oder zugrunde gehen lassen können! Sage nicht, das bedeutet nicht dies oder jenes; denke an das, was es in Wirklichkeit bedeutet, nicht an das, was es nicht heißen könnte. Sicher bedeutet es viel, wenn nicht mehr: ein verschwendetes Leben, das ein Wohlgeruch Christi hätte sein können – eine Verfehlung des Ziels, das Gott sich für ihn gewünscht hatte, das trauernde Herz von Christus, der für ihn gestorben ist. Wer kann dies alles ermessen? Und vielleicht verursachte ich es, ohne es zu wollen, weil ich unachtsam war und nur daran dachte, mich selbst zufriedenzustellen. So tat ich, was ich wollte, und gedachte nicht meines Bruders, für den Christus gestorben ist.

Aber das ist nicht der Geist Christi. Jesus hätte seinen jüdischen Brüdern keinen Anstoß gegeben, obwohl Er selbst frei war (Mt 17,27). Er selbst hatte Schwierigkeiten ertragen, damit seine Jünger verschont blieben (Joh 18,8). Gesegneter Herr, wer ist wie Du? Gib uns von Deinem Geist! Lass uns willig sein, alles von uns aufzugeben, wenn wir so unserem Bruder helfen können und verhindern, dass einer strauchelt, für den Christus gestorben ist. „Lasst uns nun nicht mehr einander richten, sondern richtet vielmehr dieses: dem Bruder nicht einen Anstoß oder ein Ärgernis zu geben“ (Röm 14,13). Wie wir durch diese Welt gehen und ihre Leckerbissen betrachten, lass uns ein Messer an unseren Hals setzen, da wir gierig sind (Spr 23,2) – nicht nur um unser selbst willen, sondern auch damit wir unserem Bruder keinen Anstoß geben.

Mehr noch, wir sehen, dass, wenn ein Glied Christi leidet, alle Glieder mitleiden, oder wenn ein Glied verherrlicht wird, sich alle Glieder mitfreuen. Sicherlich sollten wir die innigste Fürsorge füreinander haben, dass unter allen Umständen, sofern es an uns liegt, Spaltung im Leib verhindert wird.

Wir können uns von nichts distanzieren, was Christi Name trägt – wir sind Teil und Glied davon und müssen gemeinsam Ehre und Schande, Sorge oder Verlust tragen. Wenn wir in einem Schiff wären, das unterginge – könnten wir uns retten, indem wir uns alleine in eine kleine Kabine einschlössen und uns bemühten, dort peinlichste Ordnung zu halten? Wem Gott viel gegeben hat, von dem verlangt Er desto mehr; was Er gegeben hat, hat Er zum Segen aller gegeben. Viel geht in den gegenwärtigen Tagen verloren dadurch, dass diejenigen die die Wahrheit besitzen, sie so selten denen verkünden, die sie nicht haben.

Umsonst haben wir empfangen, umsonst müssen wir geben, und jeder, der hat, ist ein Schuldner dem, der nicht hat. Gott liebte, deshalb gab Er. Er gab sein Alles. Christus liebte, und diese Liebe brachte Ihn hinab in eine sündenbefleckte Welt, um die zu suchen, die sein Vater ihm aus dieser Welt geben würde. Paulus liebte, und deshalb wurde er allen Menschen alles, so dass er unter allen Umständen einige gewinne. Je mehr er liebte, desto weniger wurde er geliebt.

Ist das einfach? Nein, es bedeutet einen schmaleren Pfad, als jeder gesetzliche Sektierer es jemals zu träumen wagte. Und niemand kann diesen Pfad beschreiten außer dem, der mit der allmächtigen drängenden Liebe Christi durchdrungen und deshalb freigemacht ist. Er kann nicht anders, als durch dieselbe Liebe sich selbst zu verleugnen, sein Leben zu verlieren um Christi willen und sich nach anderen zu sehnen (in kleinerem Maß), wie sein Meister es vor ihm getan hat.

Lasst unseren Bruder sein, wer immer er auch ist, lasst ihn heißen, wie auch immer sein Name sein mag; sei er moralisch gut oder geistlich krank. Doch erinnern wir uns immer daran, dass er unser Bruder ist, für den Christus starb, und als solcher ein Recht auf unsere tiefe Wertschätzung und unsere herzliche Liebe hat. Wenn dem nicht so ist, wo ist dann der Beweis, dass wir Christi Jünger sind?

Vielseitig und unterschiedlich sind die Verhältnisse unserer Brüder, für die Christus gestorben ist; viele sind jung und empfindlich; viele unwissend und fehlgeleitet; viele krank und sorgenbeladen, erschöpft und bekümmert; viele zerstreut, weggedriftet, verloren und gehen zugrunde; viele sind schwach, gestrauchelt oder stagnieren. Oh, sage nicht, sie sind stur. Haben wir versucht, ihnen zu helfen? Haben wir sie mit aller Milde und Demut in Liebe ertragen, nicht in einer bevormundenden Weise oder in einem Geist der Überlegenheit? Haben wir gesucht, sie zu heilen und wiederherzustellen, zu lehren und aufzubauen, um die Einheit des Geistes im Band des Friedens zu bewahren?

Beachtet die Sanftmütigkeit des Mannes Gottes, Paulus: „Wir sind in eurer Mitte zart gewesen, wie eine nährende Frau ihre eigenen Kinder pflegt. So, da wir ein sehnliches Verlangen nach euch haben, gefiel es uns wohl, … auch unser eigenes Leben mitzuteilen, weil ihr uns lieb geworden wart. … ebenso wie ihr wisst, wie wir jeden Einzelnen von euch, wie ein Vater seine eigenen Kinder, euch ermahnt und getröstet … haben … Jetzt aber, da Timotheus von euch zu uns gekommen ist und uns die gute Botschaft … verkündet hat …, deswegen, Brüder, sind wir in all unserer Not und Drangsal euretwegen getröstet worden durch euren Glauben; denn jetzt leben wir, wenn ihr feststeht im Herrn“ (1Thes 2,7-11; 3,6-8). Lest diese zwei Kapitel, 1. Thessalonicher 2 und 3, sie sind so wunderbar! Lest 2. Korinther 7 und seht Paulus’ Jubel über einen einzigen Punkt, in dem einige seiner unartigen Kinder gehorsam waren – obwohl noch viel falsch war. Lest seine Rede in Apostelgeschichte 20, seine Bemerkungen in Philipper 3,18-19 und beachtet seine Tränen sogar für die Feinde des Kreuzes. Sollten wir geringschätzig den Gedanken an unseren Bruder abtun mit der Bemerkung: „Er ist ja in den Systemen“?[1] (Nur wenige von uns sind in keinem System, wenn es nicht noch schlimmer um uns steht.) Sie sind unsere Brüder, für die Christus gestorben ist!

O Gott, erweiche unsere steinernen Herzen! Wir trachten wirklich danach, Jünger zu sein in dem Sinne von Lukas 14. Wir haben deine Liebe in Christus geschmeckt beim großen Abendmahl, das du bereitet hast. Mach uns – im Umgang mit unseren Brüdern, die trotz offensichtlichem Mangel Christus ähnlicher sein mögen als wir – fähig, einen kleinen Teil deiner lieblichen Gnade widerzuspiegeln, die Christus uns jeden Tag zeigt. Auch lass uns daran denken, dass Christus für sie gestorben ist und sie liebt, wie Er uns liebt!


Originaltitel: „Thy brother … for whom Christ died“
aus „Part 3: Collected Writings“
in Faithful Sayings, London (The Central Bible Truth Depot) ca.1912, S. 147–152
Quelle: http://www.stempublishing.com/authors/Jacob/Jacob_Thy_brother.html

Übersetzung: Stefan Brinkmann

Anmerkungen

[1] Anm. d. Red.: Gemeint ist: Er ist ja Mitglied einer bestimmten Kirche/Freikirche.


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