Ärgerst du dich über die Führung des Herrn in deinem Leben?
Matthäus 11,2-6

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© SoundWords, online seit: 23.11.2008, aktualisiert: 07.03.2023

Leitverse: Matthäus 11,2-6

In Matthäus 11 finden wir einen merkwürdigen Vorfall aus dem Leben Johannes des Täufers, einen Vorfall, der sehr zu unserer Belehrung und Ermahnung dienen kann. Wir lesen dort nämlich:

Mt 11,2-6: Als aber Johannes im Gefängnis die Werke des Christus hörte, sandte er durch seine Jünger und ließ ihm sagen: Bist du der Kommende, oder sollen wir auf einen anderen warten? Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und verkündet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde werden wieder sehend und Lahme gehen umher, Aussätzige werden gereinigt und Taube hören und Tote werden auferweckt und Armen wird gute Botschaft verkündigt; und glückselig ist, wer irgend nicht an mir Anstoß nimmt!

Johannes der Täufer nahm also Anstoß an Jesus. „Wie ist das möglich?“, fragt vielleicht jemand. Johannes der Täufer, der Wegbereiter des Messias, der Mann, dessen Finger auf Jesus, das Lamm Gottes hinwies – wie konnte er an Ihm Anstoß nehmen? Und dennoch war es so. Die Worte des Herrn „Glückselig ist, wer irgend nicht an mir Anstoß nimmt“ stellen diese Tatsache außer jeden Zweifel. Aber warum nahm er Anstoß? Wenn wir einen Blick auf die Umstände werfen, in denen sich Johannes befand, werden wir leichter die rechte Antwort auf diese Frage zu finden.

Johannes war in der Tat der Wegbereiter des Herrn gewesen. Er hatte gepredigt: „Das Reich der Himmel ist nahe gekommen“ (Mt 3,2). Er hatte den König Israels angeschaut und in Ihm das Lamm Gottes gesehen, „das die Sünde der Welt wegnimmt“ (Joh 1,29). Er hatte seine Jünger von sich weg- und auf Jesus hingewiesen. Aber ebenso wie die Jünger Jesu sogar noch nach seiner Auferstehung (s. Apg 1,6), so hatte auch er erwartet, dass die Ankunft des Messias in Glanz und Herrlichkeit stattfinden würde, dass Israel von dem Druck der Herrschaft der Römer erlöst werden und dass die herrliche Regierung des Königs Israels, die von den Propheten des Alten Testaments angekündigt worden war, sofort beginnen würde. Jedoch war nichts von dem allem geschehen. Im Gegenteil, anstatt in Glanz und Herrlichkeit war Christus in Niedrigkeit und Elend erschienen.

Jesus musste von sich selbst bezeugen: „Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester, aber der Sohn des Menschen hat nicht, wo er das Haupt hinlege“ (Mt 8,20). Er, der der König der Juden war, ging verachtet und verspottet seinen Weg. Und Johannes der Täufer, der Vorläufer und Herold Jesu, hatte, anstatt einen ausgezeichneten Platz im Reich zu bekommen, einen Platz im Gefängnis gefunden, um von dem Schauplatz dieser Erde zu verschwinden, noch bevor das Reich aufgerichtet war. Das alles konnte Johannes sich nicht erklären. Darüber war er unzufrieden, daran nahm er Anstoß. Darum sandte er aus dem Gefängnis Boten zu Jesus mit der Frage: „Bist du der Kommende, oder sollen wir auf einen anderen warten?“

Diese Frage birgt keineswegs einen Zweifel bezüglich der göttlichen Sendung des Herrn in sich. Nein, davon war er überzeugt, denn sonst hätte er nicht zu Ihm gesandt. Aber er glaubte, dadurch den Herrn an den Zweck erinnern zu müssen, weshalb Er in die Welt gekommen war. Es ist, als hätte er sagen wollen: „Ist das nun die Offenbarung des Königs der Ehren?“ Aber welche Antwort gibt ihm der Herr auf seine Frage! Er weist Johannes auf seine Werke und fügt dann hinzu: „Glückselig ist, wer irgend nicht an mir Anstoß nimmt.“ Johannes hatte nicht verstanden, dass vor der Herrlichkeit die Leiden kommen mussten und dass die Reinigung und Heiligung Israels der Herrlichkeit der Regierung Christi vorangehen musste. Er hatte sich über die Erfüllung der alttestamentlichen Prophezeiungen über die Herrlichkeit des Königreichs gefreut, aber er hatte ebenso wenig wie die Jünger Jesu die Prophezeiungen beachtet, die über die Leiden des Messias gesprochen hatten.

Johannes nahm also Anstoß an dem Weg, den der Herr Jesus eingeschlagen hatte. Er begriff nicht, warum der Herr so viel Erniedrigung und Schande ertrug und nicht seine Herrlichkeit offenbarte. Verurteilen wir ihn nicht! Sicher, es war hart für Johannes, sein Leben im Gefängnis zubringen und beenden zu müssen, nachdem er einen Platz in dem herrlichen Königreich Christi erwartet hatte. 

Wie oft befinden wir uns in einer ähnlichen Lage! Wie manchmal ärgern wir uns an dem Weg, den der Herr uns führt! Wie oft klagen wir, wenn Er uns in schwierige Lagen kommen oder uns krank werden lässt oder uns durch andere Leiden und Trübsale heimsucht! Der Herr führt uns oft ganz anders, als wir erwartet haben. Anstatt uns Glück und Wohlsein finden zu lassen, bringt Er uns manchmal in Kampf und Leiden. Anstatt unsere mühevolle Arbeit durch äußere günstige Erfolge gekrönt zu sehen, finden wir nicht selten Missgeschick und Unglück. Und anstatt uns dann dem Willen Gottes zu unterwerfen und in seiner liebreichen Fürsorge zu ruhen, zweifeln wir oft an seiner Liebe, wünschen, es anders zu haben, und ärgern uns an dem Weg, den der Herr uns führt. In einer solchen Gemütsstimmung sind dann auch wir geneigt, zu rufen: „Bist Du der liebreiche und gnädige Heiland, der uns verheißen hat, für uns zu sorgen und unsere Gebete erhören zu wollen?“

Hand aufs Herz, liebe Freunde! Ist es nicht oft so bei uns? Und was tut dann der Herr? Er weist uns zunächst auf die Heilung unserer Herzen hin, bevor Er uns aus unserer schwierigen Lage befreit. Der Herr wird sicher unsere Gebete erhören und unseren Trübsalen ein Ende machen, aber Er will uns zuerst durch die Trübsale reinigen und segnen und uns dadurch, dass Er uns nicht sofort erhört, im Glauben üben. Möchten wir doch dieses verstehen lernen! Zu den Israeliten sagte Gott am Ende ihrer vierzigjährigen Wanderung durch die Wüste: „um dich zu demütigen  und um dich zu prüfen, damit er [der HERR] dir Gutes tue an deinem Ende“ (5Mo 8,16). Und ebenso ist es mit uns.

Die Wege, die der Herr uns führt, haben den Zweck, uns zu demütigen und zu offenbaren, was in unseren Herzen ist. Durch diese Wege werden die Grundsätze und Beweggründe unseres Herzens offenbar, und wir werden dahin geführt, es vor Gott zu verurteilen. Dies dient natürlich zu unserer Demütigung, zur Niedertretung unseres Hochmuts und unseres Eigenwillens, und das ist es eben, was Gott will. Er will uns immer mehr zur Selbsterkenntnis führen, damit wir nichts mehr von uns selbst erwarten und uns allein Seiner selbst und seiner Gnade rühmen. Das Endziel der Wege Gottes ist stets seine Verherrlichung und unser Glück. Darum: Glückselig ist, wer irgend nicht an den Wegen Gottes Anstoß nimmt, sondern sich kindlich dem Willen Gottes unterwirft.

Beachten wir schließlich noch, mit welcher Schonung der Herr Jesus den Johannes behandelt. Weder die Volksmenge noch die Boten des Johannes vermochten den sanften Tadel zu begreifen, der in der Antwort des Herrn verborgen war; aber für Johannes waren diese Worte verständlich. Und kaum haben sich die Boten entfernt, da richtet der Herr die Frage an die Volksmenge: „Was seid ihr in die Wüste hinausgegangen zu sehen? Ein Schilfrohr, vom Wind hin und her bewegt? Aber was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Einen Menschen, mit weichen Kleidern bekleidet? Siehe, die die weichen Kleider tragen, sind in den Häusern der Könige. Aber was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Einen Propheten? Ja, sage ich euch, sogar mehr als einen Propheten“ (Mt 11,7-9). Und dann fügt der Herr hinzu, dass unter denen, die von Frauen geboren seien, kein Größerer aufgestanden sei als Johannes der Täufer. All dies tat der Herr, obwohl Johannes noch etliche Augenblicke vorher sich als ein vom Wind hin und her bewegtes Schilfrohr erwiesen hatte. Welch eine Liebe! Welch eine Zartheit!

Und behandelt uns der Herr nicht mit derselben Liebe, mit derselben Zartheit? Ja, gewiss! Wohl straft und tadelt Er, doch Er tut es stets mit derselben Sanftmut und Liebe. Er gibt nie harte Verweise. Er ist stets bemüht, unsere Herzen und Gewissen zu erreichen und uns durch die Macht seiner Liebe zu überwinden. Großer Herr! Lehre uns mehr und mehr, Dich und Dein Herz zu kennen, damit wir stets in Dir ruhen und uns Deiner Liebe erfreuen!


Originaltitel: „Glückselig ist jeder, der sich nicht an mir ärgert“
aus Botschafter des Heils in Christo, Jg. 17, 1869, S. 116–119


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