Leitverse: 1. Petrus 2; Römer 12,2
Wachsen zur Errettung
Petrus unterstreicht die Verantwortung des Gläubigen folgendermaßen: „Wie neugeborene Kindlein seid begierig nach der vernünftigen, unverfälschten Milch, auf dass ihr durch dieselbe wachset zur Errettung“ (1Pet 2). Wir können uns nicht dahinter verstecken, dass „Gott das Wachstum gibt“ (vgl. 1Kor 3,6). An sich ist das natürlich wahr, aber wenn wir das Wachstum nicht wollen, wachsen wir auch nicht. Petrus macht uns deutlich, dass wir nach der „vernünftigen, unverfälschten Milch“ verlangen sollen. Die Milch können wir uns nicht selbst zubereiten. Wenn wir noch ganz kleine Babys sind, können wir die Flasche noch nicht einmal selbst an unseren Mund setzen. Aber zwei Dinge kann ein Baby wohl: nach der Milch verlangen – und das zum Beispiel durch Weinen äußern – und trinken. Wer nicht verlangt und/oder nicht trinkt, dem ist nicht zu helfen. Man kann dem Baby eine Flasche an den Mund setzen, aber wenn das Kindchen nicht trinken will, nützt es nichts. Darum ist es sicher wahr, dass die Milch von Gott kommen muss und dass Er allein dadurch das Wachstum bewirken kann – aber wer nicht von dieser Milch trinken will, wird verkümmern. Gott sorgt für die Milch; aber Ihr müsst danach verlangen und davon trinken, sagt Petrus.
Wichtig ist auch die Weise, in der hier das Endziel des geistlichen Wachstums beschrieben wird. Es ist ein „Wachsen zur Errettung“. Dies ist eines von vielen Beispielen im NT, wo „Errettung“ eine zukünftige Bedeutung hat. Es ist damit genauso wie mit dem Wort „vollkommen“ (oder „Vollkommenheit“), das wir in einem früheren Artikel besprachen. „Vollkommen“ bedeutet entweder das, was wir im Moment unserer Bekehrung geworden sind, oder das, was wir hier auf der Erde durch geistliches Wachstum werden sollen, oder das, was wir erst in der Glückseligkeit sein werden. So ist es auch mit „Errettung“. Manchmal bedeutet es das, was wir im Moment unserer Bekehrung geworden sind, wie in Epheser 2,5.8: „Durch Gnade seid ihr errettet, mittels des Glaubens“, und in 2. Timotheus 1,8.9: „Gott, der uns errettet hat“. Oft bedeutet „Errettung“ das, was wir erst bei der Wiederkunft und der Auferstehung erreichen werden, wie im Römerbrief: „Viel mehr werden wir, da wir durch sein Blut gerechtfertigt sind, durch Ihn errettet werden vom Zorn“ (Röm 5,9); „Wir seufzen in uns selbst, indem wir die Sohnschaft erwarten, die Erlösung des Leibes. Denn in Hoffnung sind wir errettet worden“ (Röm 8,23.24); „Jetzt ist unsere Errettung näher, als da wir geglaubt haben“ (Röm 13,11). So sagt auch Philipper 3,20.21: „Unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Heiland [wörtlich: Erretter] erwarten, der unseren Leib der Niedrigkeit verwandeln wird zur Gleichförmigkeit mit seinem Leib der Herrlichkeit.“ Und so auch im Hebräerbrief: „… die die Seligkeit [oder: Errettung] ererben sollen“ (Heb 1,14); „Daher vermag Er auch völlig zu erretten, die durch Ihn Gott nahen, da Er allezeit lebt, um sich für sie zu verwenden“ (Heb 7,25).
Neben der ersten Bedeutung und der dritten Bedeutung interessiert uns jetzt am meisten diejenige, die mit geistlichem Wachstum zu tun hat: „wachsen zur Errettung“. Das sind die Fälle, wo das Erreichen der Errettung direkt an unsere eigene Verantwortlichkeit gekoppelt wird. So sagt Paulus in Philipper 2,12: „Bewirkt eure eigene Errettung [Seligkeit] mit Furcht und Zittern“; und in 2. Timotheus 3,15: „… die Heiligen Schriften, die vermöge sind, dich weise zu machen zur Errettung durch den Glauben, der in Christus Jesus ist.“ Bei Petrus sehen wir, dass er das Wort in allen drei Bedeutungen gebraucht. Die erste Bedeutung finden wir in 1. Petrus 3,20, wo es mit der Taufe verbunden wird: Wir sind errettet, wie es in unserer Taufe ausgedrückt wird. Die dritte Bedeutung finden wir in 1. Petrus 1,5: „… die ihr in der Kraft Gottes durch Glauben bewahrt werdet zur Errettung“, und in 1. Petrus 4,18: „… wenn der Gerechte mit Mühe errettet wird“.
Die zweite Bedeutung finden wir außer in 1. Petrus 2,2 auch in 1. Petrus 1,9: „… auf dass ihr das Ende eures Glaubens davontraget, die Errettung der Seelen.“ Hier steht „Seele“ nicht im Gegensatz zu „Leib“, sondern Petrus gebraucht das Wort genau wie in 1. Petrus 3,20, wo acht „Seelen“ in der Arche von Noah gerettet wurden. „Seelen“ bedeutet hier einfach „Personen“ wie im Notruf SOS (save our souls). Das Endziel unseres Glaubensweges ist es, dass „unsere Seelen“, das heißt „wir“, errettet werden. In solchen Ausdrücken wie in 1. Petrus 1,9 und 2,2 verschmelzen in gewissem Sinn die zweite und die dritte Bedeutung von „Errettung“. Denn diese Errettung wird zwar mit unserer Verantwortung verbunden, aber wird endgültig doch erst in der himmlischen Glückseligkeit erreicht. Erwachsenwerden ist ein andauernder Wachstumsprozess, der im vollsten Sinn erst dann erreicht wird. Aber es ist nichtsdestoweniger ein Wachstumsprozess, an dem wir selbst arbeiten müssen, als ob das Erreichen des Endresultats von uns abhängen würde. Das legt einen ganz besonderen Nachdruck auf die Bedeutung des geistlichen Wachstums und zeigt uns den Ernst des Zustands, wenn wir immer ein Baby bleiben.
Wir müssen anfangen, geistlich zu wachsen, als ob unsere Seele und Seligkeit davon abhängen würden. Wir wachsen hin auf die endgültige Errettung in der himmlischen Glückseligkeit. Je erwachsener wir auf der Erde werden, desto mehr werden wir dem gleichen, was wir im Himmel in vollkommener Weise sein werden. Vollkommenheit im vollen Sinn erreichen wir auf der Erde nie; aber durch das Wachstum können wir dieser Vollkommenheit immer näher kommen. So begreifen wir, dass Paulus „dem Ziel nachjagt zu dem Kampfpreis der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus“, das ist: nach der „Vollkommenheit“ (Phil 3,12.13). Hier auf der Erde erreicht er den Preis nie, denn der ist im Himmel aufbewahrt; aber er kommt ihm im Jagen doch immer näher! Und je dichter er an die Vollkommenheit herankommt, desto heller scheint das Licht des Himmels auf seinen Weg. Geistliches Erwachsensein ist die maximal erreichbare Annäherung an die Vollkommenheit der himmlischen Errettung.
Verwandlung
Es gibt noch verschiedene andere Zeitwörter im NT, die den geistlichen Wachstumsprozess beschreiben, vor allem die Zeitwörter „verändern, verwandeln“ und „erneuern“. Es gibt verschiedene Worte, die mit „verwandeln“ übersetzt werden, aber wir richten uns jetzt auf ein besonderes Wort, das eine sehr eingreifende Veränderung beschreibt. Es geht um ein griechisches Wort, von dem unser Wort „Metamorphose“ abgeleitet ist. Die Schüler lernen das Wort während des Biologieunterrichts, denn „Metamorphose“ ist die „Verwandlung“, die Insekten durchlaufen, wenn sie von einer Larve (oder Raupe) zu einer „Puppe“ werden, aus der dann das erwachsene Insekt (Fliege, Mücke, Schmetterling) zum Vorschein kommt. Buchstäblich bedeutet „Metamorphose“ eine „Veränderung der Form (oder Gestalt)“. Es ist eigentlich dasselbe, was in dem aus dem Lateinischen stammenden Wort „Transformation“ ausgedrückt wird. Gott will, dass Gläubige während ihres geistlichen Wachstumsprozesses solch eine „Transformation“ oder „Verwandlung“ durchmachen. In dem Moment, wo sie zum Glauben gekommen sind, sind sie Kinder Gottes geworden und wurden mit dem neuen Menschen bekleidet. Daran kann nichts verändert oder hinzugefügt werden. Und doch soll eine „Verwandlung“ stattfinden. Das bedeutet konkret: Wir sollen praktisch [d.h. in unserem Tun] das werden, was wir von unserer Bekehrung an schon sind. Wer gerechtfertigt ist, muss lernen, gerecht zu leben. Wer geheiligt ist, muss lernen, heilig zu leben. Wer mit dem neuen Menschen bekleidet ist, muss lernen, die Charakterzüge des neuen Menschen zu zeigen. Wer ein Kind oder Sohn Gottes geworden ist, soll zunehmend das Verhalten zeigen, das zu Kindern/Söhnen passt. Sei das, was du bist, um es mal so auszudrücken. In dieser Hinsicht geht es also eigentlich nicht wirklich um eine neue „Gestalt“, denn prinzipiell haben wir diese Gestalt schon bei unserer Bekehrung angenommen. Aber die neue Gestalt muss praktisch sichtbar werden, und das geht nicht von selbst. Dazu ist ein geistlicher Lern- und Wachstumsprozess nötig.
Wir wollen zwei Schriftstellen ansehen, die das ausdrücken. In Römer 12,2 lesen wir: „Seid nicht gleichförmig dieser Welt, sondern werdet verwandelt durch die Erneuerung eures Sinnes [oder: Denkens], damit ihr prüfen möget, was der gute, wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes ist.“ Dieses Wort „verwandeln“ ist das starke Wort „transformieren“, „metamorphosieren“, „die Gestalt wechseln“. Paulus gebraucht nach der deutschen Übersetzung [wie auch der holländischen; AdÜ] zweimal das Wort „gleichförmig“ im Römerbrief. Gott hat uns „zuvorbestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu sein“ (Röm 8,29), und: „Seid nicht gleichförmig dieser Welt, sondern werdet verwandelt durch die Erneuerung eures Sinnes“ (Röm 12,2). Im Griechischen sind diese beiden Worte jedoch nicht die gleichen. Das erstgenannte Wort (Stammwort: morphè) deutet mehr das innere Wesen an, das auch äußerlich sichtbar wird (vgl. Mk 9,2 „umgestaltet“; Mk 16,12; Phil 2,6 „Gestalt“). Das zweite Wort (Stammwort: schèma) deutet mehr auf die veränderliche Gestalt (siehe 1Kor 7,31 und Phil 2,8 „Gestalt, äußere Erscheinung“). Dass „gleichförmig“ in Römer 2,2 nicht von morphè, sondern von schèma abgeleitet ist, ist begreiflich: Ein Gläubiger, der prinzipiell das Bild des Sohnes Gottes in sich trägt, kann nie mehr in seinem inneren Wesen der Welt „gleichförmig“ werden, aber er kann leider wohl die Art der Welt, zu denken, zu sprechen und zu handeln, imitieren! Das soll nicht sein, sagt Paulus; der Gläubige soll gerade „verwandelt“ werden. Das Bemerkenswerte ist nun, dass morphè in unserem Vers nicht in „gleichförmig“, aber doch in diesem Wort „verwandeln“ wiederzufinden ist! Der Gläubige ist zwar prinzipiell dem Bild des Sohnes Gottes „gleichförmig“ gemacht (Röm 8,29), aber er soll auch praktisch diesem Bild gleich werden. Das geschieht zuerst innerlich, und in der Folge soll das auch in seinem äußerlichen Handeln und Lebenswandel sichtbar werden. Viele Gläubige bleiben zu lange eine „Raupe“, die an die Erde gebunden bleibt und sich mit den guten Dingen der Erde vollfrisst. Das ist ein „Sinnen auf das Irdische“ (vgl. Phil 3,19). Wer wirklich praktisch dem Bild von Gottes Sohn gleichförmig wird, bekommt Flügel wie ein Schmetterling, die ihn zum Himmel erheben, und seine Nahrung wird der Honig des gelobten Landes (vgl. Kol 3,1-3). Die Schrift macht deutlich, dass es hier auf der Erde schon möglich und geboten ist, auch ganz praktisch ein „himmlischer“ Mensch zu sein, das heißt, dem großen „Mensch aus dem Himmel“ zu gleichen (vgl. 1Kor 15,47-49).
Römer 8,29 gibt also an, dass wir bei unserer Bekehrung prinzipiell und innerlich dem Bild von Gottes Sohn gleichförmig gemacht worden sind. Römer 12,2 gibt an, dass wir auch praktisch und innerlich immer mehr zu diesem Bild hin verwandelt werden sollen – was natürlich auch in unserem äußerlichen Reden und Handeln sichtbar werden soll. Um es einmal so auszudrücken: Werde, was du bist! Du bist (was die Stellung angeht) Gottes Sohn gleichförmig, werde daher (was die Praxis angeht) auch diesem Bild immer mehr gleichförmig. Es geht um eine Veränderung oder Erneuerung unserer Gesinnung, Mentalität, Geisteshaltung, unserer gesamten Sicht von der Welt, vom Leben, von Gott, von allem. Wer gerade wiedergeboren ist, hat noch nicht diesen völlig erneuerten Blick auf die Wirklichkeit; das muss erst wachsen. Er hat, um es so zu sagen, das Potential dazu. In der Raupe befinden sich die Gewebsstrukturen, aus denen sich während des Puppenstadiums der Schmetterling entwickelt. Das Potential dazu ist von Anfang an vorhanden. Aber erst während der Entwicklung wird dieses Potential auch realisiert. Und wenn etwas in der Entwicklung verkehrt läuft, kommt diese endgültige Realisierung nicht zustande. So ist es auch im Glaubensleben. Jeder Gläubige hat von Anfang an das Potential, ein „Schmetterling“ zu werden, der seine prächtigen Flügel ausbreitet, um zum Himmel zu fliegen. Aber wenn etwas in der Entwicklung verkehrt läuft, bleibt der Gläubige immer eine Raupe, die nichts vom Himmel weiß, sondern sich beständig von den Dingen hier unten ernährt.
Kennzeichen einer Verwandlung
Woran kann man ablesen, ob ein Gläubiger diese sehr praktische Verwandlung tatsächlich erlebt hat? Darauf erhalten wir im NT natürlich eine ganze Reihe verschiedene Antworten, die sich gegenseitig wunderbar ergänzen und von denen wir uns in dieser Artikelserie eine große Anzahl vor Augen führen lassen. In Römer 12,2 ist dies die Antwort: „… damit ihr prüfen möget, welches der gute, wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes ist.“ Man kann auch Vers 1 danebenstellen: „Ich ermahne euch nun, Brüder, durch die Erbarmungen Gottes, dass ihr eure Leiber darstellt als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Schlachtopfer, welches euer vernünftiger Gottesdienst ist.“ Das ist das Endziel des geistlichen Wachstums: Hingabe an Gott als ein heiliges, Ihm wohlgefälliges Opfer; ein Verlangen, Gottes guten, wohlgefälligen und vollkommenen Willen zu tun; und das Unterscheidungsvermögen, was dieser Wille ist; und die geistliche Kraft, diesen Willen auch tatsächlich auszuführen. Wir kommen später noch darauf zurück, wenn wir den Begriff „Heiligung“ näher besehen wollen, aber wir fassen es jetzt in einem Wort zusammen: Hingabe. Gottes Willen kennenzulernen, und die Bereitschaft, ihn auch zu tun, ist selbstverständlich ein wesentliches Element des geistlichen Wachstums (vgl. Eph 5,17; Kol 1,9.10; 4,12: 1Thes 4,3.4; Heb 13,20.21).
Übersetzt aus Bode van het heil in Christus, Vaassen, NL, Jg. 140, Nr. 10, Dez. 1997, S. 253–257
Übersetzung: Frank Schönbach